Milch aus Erbsen? Klingt gesund, aber schmeckt das auch? Mit „vly“ wollen die drei Berliner Niklas Katter, Moritz Braunwarth und Nicolas Hartmann den Wandel von Kuh- zu Pflanzenmilch so einfach, gesund und lecker wie möglich machen. Wir sprechen mit Nicolas (links im Bild) darüber, wieso sein geplatzter Traum den Beginn seiner Karriere ermöglichte, und wie es ihm gelingt, mit einem Juristen und einem ehemaligen Koch aus der Sterneküche an der Seite Milch neu zu erfinden.
„Ich begann, viele Dinge zu hinterfragen, wie auch das Thema Ernährung. Erst nach meiner Verletzung habe ich so richtig verstanden, wie sich eine gesunde oder ungesunde Ernährung auf die Entzündungswerte im Körper auswirkt.“
Nicolas Hartmann: Mit 15 war es mein großer Traum, Profi-Basketballer zu werden. Ich bin in Frankfurt und Kalifornien aufgewachsen und wollte unbedingt in die NBA. In Deutschland spielte ich für die Eintracht Frankfurt. Dort stand ich vor der großen Möglichkeit, in der Jugendweltmeisterschaft für Deutschland anzutreten, doch dann hatte ich eine ziemlich krasse Verletzung. Meine Ellenbogen entzündeten sich so stark, dass ich nicht weitermachen konnte. Das war ein harter Schlag. Du musst dir das so vorstellen: Ich hatte morgens vor der Schule Training, nachmittags nach der Schule Training, abends nochmal Teamtraining und am Wochenende die Spiele. Mein komplettes Leben bestand aus Basketball. Ich wollte nie etwas Anderes. Durch die Verletzung wurde ich zum Umdenken gezwungen. Ich begann, viele Dinge zu hinterfragen, wie auch das Thema Ernährung. Erst nach meiner Verletzung habe ich so richtig verstanden, wie sich eine gesunde oder ungesunde Ernährung auf die Entzündungswerte im Körper auswirkt.
Nach der Schule bin ich nach Indien gegangen und habe dort eine Yogalehrerausbildung gemacht. Anschließend studierte ich in der Schweiz VWL und absolvierte parallel eine Ausbildung zum veganen Ernährungsberater. Ich fand die Themen Ernährung, Gesundheit und Nachhaltigkeit so faszinierend, dass ich an meinen Master noch ein Studium in Mikronährstofftherapie und Regulationsmedizin anschloss. Währenddessen hatte ich bereits begonnen, nachhaltige Start-ups zu beraten und lernte in Oxford schließlich Niklas kennen, der meine Einstellung in Sachen Gesundheit, Nachhaltigkeit und Tier-Ethik teilte.
Als leidenschaftlich überzeugter Veganer konnte und wollte ich keinen Milchkonzern optimieren. Da habe ich mir noch einmal die Frage gestellt: Was machst du eigentlich mit deinem Leben?
So richtig klar wurde mir erst, was ich machen und bewirken möchte, als ich in Amsterdam in der Unternehmensberatung meinen ersten Job anfing und dort einen Milchkonzern beraten musste. Als leidenschaftlich überzeugter Veganer konnte und wollte ich einfach keinen Milchkonzern optimieren. Da habe ich mir noch einmal die Frage gestellt: Was machst du eigentlich mit deinem Leben?
Ähnlich war es auch bei Niklas und Moritz. Wir mussten erst einmal alle unsere eigenen ersten Berufserfahrungen sammeln. Niklas ist Jurist und hat wie ich nach dem Studium in Oxford für einige Jahre als Unternehmensberater gearbeitet. Moritz, unser dritter im Bunde, ist ausgebildeter Koch aus der Sternegastronomie. Er kochte in „Michelin“-Sternerestaurants in Finnland und in der Schweiz, ehe er Lebenstechnologie studierte und sich schließlich unserer Milch-Mission anschloss. Seit 2018 arbeiten wir alle drei Vollzeit an „vly“.
Ich kümmere mich bei uns um die Bereiche Marketing und Produkt. Moritz ist für den Forschungsteil zum Produkt zuständig und kümmert sich um die Produktion. Niklas ist für die Finanzen und den Vertrieb zuständig. Die Tatsache, dass man uns mittlerweile in 6.000 Supermärkten findet, haben wir vor allem ihm zu verdanken.
Unsere Idee zu „vly“ entstand zunächst wegen meines Sportlerbackgrounds aus der Motivation, einen veganen, proteinhaltigen Magerquark zu erfinden, unter dessen Herstellung kein Tier leiden muss. Wir haben dann relativ schnell gemerkt, dass es für ein Start-up schwierig ist, ein gekühltes, kurzhaltbares Produkt auf den Markt zu bringen. Und so sind wir auf die Idee mit der Milch gekommen, mit der wir den Wandel von tierischem Protein zu pflanzlichen Protein und den Wandel von Kuhmilch zu Pflanzenmilch beschleunigen wollen.
Mit dieser Motivation sind wir längst keine kleine Randbewegung mehr, die an der Mitte der Gesellschaft vorbeigeht. Immer mehr Supermärkte werben mit veganen Produkten und auch das Thema Nachhaltigkeit spielt eine immer größere Rolle. Gleichzeitig wissen wir, dass diese Bewegung hier in Deutschland noch ganz am Anfang ist. Der Kuhmilchverbrauch ist noch immer sehr viel größer als der von Pflanzenmilch, auch wenn man sich das in Berlin-Mitte manchmal nicht vorstellen kann.
Ein Drittel aller Treibhausgase stammt aus der Lebensmittelproduktion. Und die Hälfte davon stammt wiederum allein aus der Zucht von Kühen, um Fleisch und Milch zu produzieren. Dabei ist es so einfach, das zu ändern – ohne Verlust an Lebensqualität. Mit „vly“ wollen wir den Menschen eine Alternative zu Kuhmilch bieten, die sie lieben, um es ihnen noch einfacher zu machen.
Ein Drittel aller Treibhausgase stammt aus der Lebensmittelproduktion. Und die Hälfte davon stammt wiederum allein aus der Zucht von Kühen, um Fleisch und Milch zu produzieren. Dabei ist es so einfach, das zu ändern – ohne Verlust an Lebensqualität.
„No milk today“ lautet unser Slogan, der unabhängig von unseren Produkten für „vly“ steht. Damit wollen wir andere Leute inspirieren und sagen: Hey, probiert doch einfach heute mal, keine Kuhmilch zu trinken – nur heute. Und dann sehen wir weiter.
Man muss ja nicht von heute auf morgen zu 100 Prozent vegan leben. Versucht es mal mit Erbsenprotein anstatt der Muttermilch von Kühen. Unser Ziel ist es, nach und nach die ganze Range an Milchprodukten herzustellen, damit die Umstellung immer einfacher wird.
„vly“ kommt vom englischen Wort „fly“, also fliegen – nur in vegan. Mit unseren Produkten kann man morgens nach dem Kaffee und Müsli richtig durchstarten, weil „vly“ das Beste für den Körper ist.
Wo soll ich da anfangen? (lacht) Zum Thema Gesundheit und Kuhmilch kann man sich verschiedene Aspekte anschauen. Bei Männern gibt es viele Studien zur Verbindung zwischen Kuhmilch und Prostatakrebs. Spricht man dagegen mit Jugendlichen, hilft es, wenn man die Studienlage zur Förderung von Akne durch Milch aufzeigt. Ganz unabhängig davon muss man sich aber nur mal die Nährwerte von Kuhmilch genauer anschauen, indem man die Packung umdreht. Dort sieht man schwarz auf weiß, wie hoch der Zuckergehalt ist. Gesund ist das sicher nicht.
Wem das noch nicht reicht, der sollte sich fragen, ob er oder sie wirklich glaubt, dass ein Tier, das Kraftfutter und Antibiotika schluckt und dann Muttermilch für seinen Säugling produziert, wirklich ein für uns Menschen gesundes Produkt hergibt.
Man muss ja nicht von heute auf morgen zu 100 Prozent vegan leben. Versucht es mal mit Erbsenprotein anstatt der Muttermilch von Kühen.
Der große Vorteil auf der Nährwertseite ist der sehr hohe Proteingehalt der Erbsen und die Tatsache, dass sie keinen Zuckergehalt aufweisen. Mit den Erbsen können wir das Makroprofil von Kuhmilch nachbauen. Produkte auf Kornbasis wie Hafer-, Reis- und Dinkelmilch haben ein ganz anderes Nährwertprofil: Sie enthalten deutlich mehr Kohlenhydrate und Zucker und weisen einen geringeren Proteingehalt auf. Diese Probleme haben wir mit „vly“ nicht, weshalb sich auch die Konsistenz von anderen Milch-Alternativen unterscheidet. Durch den hohen Proteingehalt entsteht eine besondere Cremigkeit.
Auf der Nachhaltigkeitsseite ergibt es auch super viel Sinn, auf Hülsenfrüchte zurückzugreifen, denn die Erbsen können lokal angebaut werden und sie binden den Stickstoff im Boden, was dazu führt, dass kein RAL-Dünger benutzt werden muss. Erbsenprotein ist einfach eine sehr effiziente Quelle: Pro Gramm Protein braucht es ungefähr 15 mal weniger Co2 als Kuhmilch und ungefähr 25 Prozent weniger Co2 als Hafermilch.
Grundsätzlich ist der Geschmack sehr cremig und, wie wir glauben, ziemlich neutral. Das Feedback, das wir von anderen bekommen, ist allerdings super unterschiedlich, je nachdem, welche Referenz im Kopf bereits besteht. Kuhmilchtrinker sehen Parallelen zu Kuhmilch, andere finden, „vly“ hat etwas Nussiges, die nächsten meinen den Geschmack von Kornmilch zu wiederzuerkennen. Es hat sogar mal jemand gesagt, dass es ihn an Kokosmilch erinnert, was ich persönlich nie sagen würde. An diesen Reaktionen merkt man aber gut, dass der Geschmack von „vly“ etwas sehr Neues ist, bei dessen Einordnung die Leute auf ihr bekanntes Referenzbild zurückgehen, weil sie in der Hinsicht noch nichts kennen.
Da gibt es zum einen das „vly“ Original, unser Alleskönner und wie wir ihn nennen: Immerschmecker. Der ist super, um auszuprobieren, wie „vly“ im Müsli oder im Kaffee schmeckt. Hier haben wir den gleichen Proteingehalt wie in Kuhmilch. Wer das Gesündeste will, das es gibt, sollte sich unserem Team „ungesüßt“ anschließen. Diese Variante ist super funktional und enthalt 50 Prozent mehr Protein, 35 Prozent mehr Calcium, und mehr Jod und Selen als Kuhmilch, alle wichtigen Mikronährstoffe und 0,0 Gramm Zucker.
Und dann gibt es noch unser Team „Barista“: Hier enthält die Milch ebenfalls alle wichtigen Nährwerte, 50 Prozent weniger Zucker als Kuhmilch und keinen zugesetzten Zucker. Den meisten Barista-Trinkern geht es allerdings vor allem darum, dass sie gut schmeckt und schäumt. Und das tut sie!
Die Erbsen kommen aus Nordfrankreich, die Herstellung findet in Nordrheinwestfalen statt und die Produktentwicklung geschieht hier in Berlin. Das wird also alles nach verschiedenen Schritten verteilt. Über die Coronazeit ist unser Unternehmen extrem gewachsen, was uns natürlich super freut. Gleichzeitig war es eine riesige Herausforderung für unser gesamtes Setup. Als unser Fernsehauftritt bei der „Höhle der Löwen“ im Februar aufgezeichnet wurde, hatten wir gerade um die 20.000 Liter „vly“-Milch verkauft und waren in 25 Supermärkten vertreten. Heute, fast sechs Monate später, haben wir den millionsten Liter produziert und bereits über eine halbe Million verkauft. Das geht jetzt plötzlich sehr schnell, deshalb brauchen wir eine sehr professionelle Produktion, die auch in diesen Mengen funktioniert.
Die Entwicklung bleibt aber hier in Berlin, wo wir unser Forschungsteam haben, das an den neuen Produkten und an der Produktverbesserung arbeitet. Wir haben gerade die „Variante 2.0“ unserer veganen Milch auf den Markt gebracht. Wie bei einer Software wollen wir immer neue Produktupdates durchführen, weil wir sehen, wie viel sich bereits in sehr kurzer Zeit in unserer Forschung tut. Da wäre es naiv zu behaupten, dass diese Milch in einem halben Jahr noch dieselbe ist. Sie wird stetig besser und besser.
Erbsenprotein ist einfach eine sehr effiziente Quelle: Pro Gramm Protein braucht es ungefähr 15 mal weniger Co2 als Kuhmilch und ungefähr 25 Prozent weniger Co2 als Hafermilch.
Das war eine sehr emotionale Erfahrung für uns drei und wir sind sehr happy mit dem Ansturm, der daraufhin folgte. Es war auch das erste Mal, dass derartig kontrovers über uns gesprochen wurde. Die BILD-Zeitung hat vom „Mega-Flopp mit veganer Milch“ gesprochen, weil wir ohne einen Deal aus der Sendung gingen. Dabei kann aus unserer Perspektive nun wirklich nicht die Rede von Versagen sein. Uns ist am wichtigsten, dass wir den Wandel vorantreiben. Von daher war uns klar, dass wir uns nicht auf etwas einlassen, das nicht unseren Werten entspricht, nur damit ein Deal zustande kommt.
Wir wissen, dass wir es auch ohne „die Löwen“ gut schaffen können und auch trotz Corona und allem, was kommen wird. Unsere Mission ist größer als jede dieser Übergangskrisen. Wir haben durch die Show eine tolle Aufmerksamkeit bekommen und das war uns wichtig.
Wir sind inzwischen zu zehnt in unserem Berliner Team. Wenn man unsere Werkstudentinnen mitzählt, sind wir sogar mehr Frauen. Unsere Head of Retail ist zum Beispiel eine Frau. Drei Dudes im Gründerteam ist ja auch nicht so geil.
Mein Hintergrund als Leistungssportler hilft mir heute oft, vor allem in schwierigeren Phasen, wenn man sich mehr durchbeißen muss. Gleichzeitig will ich nicht im Burnout untergehen, da hilft mir das Yoga viel. Toll ist auch, dass Niklas Unternehmensberater war und ein sehr starkes strukturiertes Angehen an die Dinge mitbringt. Wir haben eine tolle Feedbackkultur bei uns im Team, bei der nicht nur wir unseren Mitarbeiterinnen Feedback geben. Wir lernen auch von ihnen, damit wir immer besser werden können. Einen Profikoch im Team zu haben, schadet außerdem nie bei den Teamevents. (lacht)
Im nächsten Jahr geht es vor allem darum, neue Produkte auf den Markt zu bringen und noch besser verfügbar zu sein. Momentan gibt es uns im Onlineshop und in vielen Märkten, aber theoretisch könnten wir noch präsenter sein, damit es für die Leute da draußen noch einfacher wird, auf unsere vegane Milch umzusteigen. Produktseitig wird als nächstes unsere vegane „Müller-Milch“ erscheinen, die natürlich nicht so heißen wird und auch von den Nährwerten deutlich gesünder sein wird: Hoher Porteingehalt, kein zugesetzter Zucker, da wird es also auch geschmacklich Unterschiede geben. Es soll aber genauso ein Produkt sein, das man unterwegs trinken oder zuhause in den Kühlschrank stellen kann. Bei uns kommen die 500 ml aber in eine Kartonverpackung und nicht in die Plastikflasche.
Als nächstes kommt dann, als Vorstufe vom Quark, unser Joghurt. Aktuell laufen dazu die ersten Verkostungen in unserer Tester-Community, in der man sich über die Website anmelden kann, um unsere Produkte zu probieren. Wir schicken ihnen unsere Produkte mit einem Fragebogen und sie sagen, was ihnen am besten gefallen hat. So entwickeln wir gemeinsam mit der Community unsere Produkte, bis sie so weit sind, dass sie in den Supermarkt dürfen.