Claudia Fischer-Appelt ist eine bekannte Persönlichkeit in der Werbe- und Kommunikationsbranche. In Kiel geboren, kommt sie nach ihrem Studium nach Hamburg und arbeitet zunächst als freie Gestalterin, bevor ihre Karriere in der Agentur Fischer-Appelt richtig ins Rollen kommt. Sie wird Kreativchefin, heiratet einen der beiden Agenturinhaber und gründet mit ihm eine Familie, wird Chefin der neuen Designagentur Ligalux … – und entscheidet sich dann, ihr Leben umzukrempeln. 2011 gründet sie mit Lars Kreyenhagen Karl Anders, eine Agentur für Design und Kommunikation. Wesentlich kleiner als die große Unternehmensgruppe, in der sie jahrelang gearbeitet hat, dafür ihr eigenes Ding. Wir treffen Claudia Fischer-Appelt an einem heißen Septembermorgen in ihrer Altbauwohnung, in der sie mit ihrer Patchwork-Familie lebt, um über Neuanfänge, Mut, Kunst und die Werbebranche zu sprechen – und darüber, warum ihre Arbeit ihr jetzt wieder viel mehr Spaß macht als früher.
femtastics: Du hast im Laufe deiner Karriere schon so viel auf die Beine gestellt, dass wir gar nicht wissen, wo wir anfangen sollen. Worauf bist du rückblickend am meisten stolz?
Claudia Fischer-Appelt: Ich habe ja ganz lange eine Agentur mit aufgebaut, viel gearbeitet und viele Jahre investiert. Am meisten stolz bin ich darauf, dass ich mich getraut habe, das alles an den Nagel zu hängen und noch einmal ganz neu anzufangen. So jung war ich zu dem Zeitpunkt ja auch nicht mehr und ich habe lange mit der Entscheidung gerungen.
Es war für dich ein Gefühl des Neuanfangs, obwohl du so ein großes Standing in der Branche hattest? Dein Standing hast du ja mitgenommen.
Ja, schon, aber eine Unsicherheit hat man trotzdem. Bei mir hat sich damals auch privat alles umgekrempelt. Da blieb kein Stein mehr auf dem anderen – im Beruf wie in der Ehe.
Am meisten stolz bin ich darauf, dass ich mich getraut habe, noch einmal ganz neu anzufangen.
Alles auf Anfang?
Das war wie ein Befreiungsschlag, trotz der Unsicherheiten. Im Nachhinein bin ich so froh, dass ich mich das getraut habe. Ich habe mich damals gefragt: Soll ich das die nächsten zwanzig Jahre so weiter machen? Was bringt mir das?
Mit deiner neuen, deiner eigenen Agentur, Karl Anders, bist du jetzt glücklicher?
Ich habe viel mehr Freiheiten, ich kann alles selbst planen. Es hat natürlich auch Nachteile. Ich musste erstmal wieder alles selbst machen: Empfang, Kuriere, Drucker installieren und Telefontarife studieren. Aber das ist es mir wert. Ich kann auch selbst viel kreativer sein.
Bist du jetzt wieder mehr Kreative? Nicht nur Geschäftsführerin?
Ich bin natürlich beides, aber heute kann ich viel mehr selbst machen. Früher war ich nur noch Managerin, ich hatte so viele Mitarbeiter und so viele Filialen, dass ich nicht mehr kreativ sein konnte. Was ich auch toll finde: Jetzt sind wir viel schneller. Früher musste man sich mit zig Abteilungen abstimmen, heute können wir sagen: Das ist eine geile Idee, das machen wir!
Das ist der Vorteil kleiner Agenturen: sie sind schneller als die großen, schweren Dampfer.
Das hat bei großen Agenturen seine Berechtigung, weil es meistens ja auch Dampfer-Kunden sind, die auch nicht so schnell sein können. Aber in der Regel freuen sich die Kunden, wenn sie mal mit einer kleinen, schnellen Agentur wie uns arbeiten können.
Du kennst die Kreativ- und Werbebranche seit vielen Jahren. Wie unterscheidet sich, deiner Meinung nach, die Branche der Nuller-Jahre von der heutigen?
Was ich sagen kann, ist, dass Agenturen heute mehr über die Grenzen denken müssen. Früher hat jeder in seiner Schublade gedacht: Ich mache PR, ich mache Design, … Heute nähern sich alle einander an, weil sie merken, dass sie sich besser vernetzen müssen.
Es gibt mehr kollaboratives Arbeiten?
Das ist immer noch schwierig. Wir als kleine Agentur arbeiten natürlich total gerne mit freien Kreativen und anderen Agenturen zusammen. Aber für viele große Agenturen ist das immer noch problematisch – wie läuft die Organisation, Abrechnung, etc.?
Vielleicht entsteht etwas Neues daraus, dass man noch mehr miteinander zusammenarbeitet und die Grenzen komplett auflöst.
Wir hoffen immer, dass Kreative noch offener für Zusammenarbeit und gemeinsame Projekte werden. Wenn man unterschiedliche Kompetenzen zusammenschließt, ist man doch viel stärker.
Wir denken auf jeden Fall auch so! Ich stelle fest, dass es immer mehr Projekt-Mix und Kollaborationen gibt. Alle sind auf der Suche nach etwas wirklich Neuem. Alles ist gemixt – ein bisschen dieser Einfluss, ein bisschen jener – es ist alles da. Aber wann kommt das richtig Neue? Vielleicht entsteht es daraus, dass man noch mehr miteinander zusammenarbeitet und die Grenzen komplett auflöst.
Von außen kann man den Eindruck bekommen, dass die Agenturbranche sehr männerdominiert ist. Hast du das auch so erlebt?
Ja, ist so. Bis zur besagten gläsernen Decke, Chefpositionen und so … In den vergangenen zehn Jahren ist es auf jeden Fall schon besser geworden. Aber Kinder und Familie sind zum Beispiel immer noch ein schwieriges Thema. Ich kann mich noch erinnern, als in der Agentur der erste Mann in Führungsposition sagte, dass er gerne für ein paar Wochen in Elternzeit gehen würde – der wurde dann „Schlappschwanz“ genannt. Das ist heute schon anders, aber das Thema ist noch nicht vom Tisch.
Kinder und Familie sind immer noch ein schwieriges Thema in der Branche.
Familie und Kinder haben früher nicht zum Agenturberuf gepasst?
Es war uncool. Als ich mein erstes Kind bekommen habe, habe ich einfach weiter gearbeitet. Wenn ich zu Hause war und eine Telefonkonferenz hatte, habe ich alle Türen zugemacht, damit man ja nicht mitbekommt, dass ich zu Hause bin und ein Kind habe. „Zu Hause! Wie unprofessionell!“ Das ist zum Glück besser geworden. Heute gehört es sich ja auch, sich um seine Familie zu kümmern.
Musstest du dich gegen männliche Egos behaupten?
Allerdings. Ich hatte es bei Fischer-Appelt ja auch noch mit zwei Brüdern zu tun. Und ich kann mich an viele Geschäftsrunden erinnern, in denen ich die einzige Frau war. Das war schon heftig.
Mal zurück zu den Anfängen: Wann wusstest du, dass du kreativ arbeiten willst? Und wann, dass es auch realistisch möglich ist?
Ich war als Kind sehr künstlerisch und habe mein Abi in Kunst gemacht. Aber ich hatte eine dominante Mutter, die wollte, dass ich eine Banklehre mache. Da war ich todunglücklich. Ich habe mich heimlich an der Kunsthochschule in Kiel beworben, weil das einfach nicht zu unterdrücken war. Meine Mutter hat immer gesagt: Mach das doch am Wochenende, ein bisschen malen. Aber das geht einfach nicht. Ich bekam also den Platz an der Kunsthochschule und es gab einen Riesenzoff mit meiner Mutter. Aber dann war’s auch gut. Ich habe dann Kommunikationsdesign studiert, das war vielleicht der nächste Schritt nach der Banklehre (lacht).
Was denkst du, woran lag es, dass du als Kreativchefin so erfolgreich geworden bist?
Erst einmal ist man ja nicht Chefin, sondern fängt an, überhaupt kreativ zu arbeiten. Ich hatte eine super Ausbildung. Und ich kann mich für Dinge begeistern. Ich habe auch Aufgaben gekriegt, bei denen andere die Augen verdreht hätten. Zum Beispiel den Abfallkalender der Stadtwerke. Das war einer meiner ersten freien Jobs. So einen Kalender kann man so oder so machen – und ich habe ihn richtig gut gemacht. Später habe ich gerne auch gegen Windmühlen gekämpft, ich glaube, ich bin ein Kämpfer. Und wenn dann auch noch Begeisterung dazukommt, dann kann man seinen Weg gehen.
Du ziehst die Leute mit deiner Begeisterung mit?
Ja, ich mache das gerne. Ich bin nicht so eine autoritäre Chefin, ich schaue eher, was den Mitarbeitern Spaß machen könnte und wie wir eine Sache noch geiler machen könnten.
Wie sieht heute dein Arbeitsalltag aus?
Allein dadurch, dass ich Schulkinder habe, stehen wir zeitig auf. Wenn sie aus dem Haus sind, sortiere ich mich für den anstehenden Tag. Wenn ich nicht reisen muss, fahre ich ins Büro und bin da bis zum späten Nachmittag. Dann geht das Gehetze mit dem Einkaufen und Kinder Versorgen los. Das Tolle ist, dass ich mir meinen Tag ein bisschen selbst einteilen kann, zum Beispiel zwischendurch Joggen gehen. Wir versuchen, in unserer Agentur nicht mehr so streng zu tun, was den klassischen Arbeitstag angeht.
Mit welcher Vision habt ihr Karl Anders 2011 gegründet?
Der Name sagt es ja schon (lacht). Wir haben vorher das Kunstprojekt „Kongress für anders“ gemacht und wir haben uns im Team so gut verstanden, dass wir weitermachen wollten. Was unsere Agentur jetzt „anders“ macht, habe ich vorhin schon ein bisschen erzählt: Wir sind schneller, unkomplizierter und schauen mehr über den Tellerrand. Und von Anfang an haben wir nicht nur mit Designern gearbeitet – wir haben einen Coworking-Space, in dem auch Filmleute, Video- und Modemacher arbeiten. Das Team ist anders zusammengewürfelt.
Die freien Projekte und Ausstellungen haben Karl Anders wahrscheinlich am meisten angetrieben. Der Spaß an der kreativen Arbeit.
Ihr macht auch sehr viele unterschiedliche Sachen – von Corporate Designs über Werbekampagnen bis zu Kunstprojekten …
Ja, die machen wir auch immer noch. Die freien Projekte und Ausstellungen haben uns wahrscheinlich am meisten angetrieben. Der Spaß an der kreativen Arbeit. Wir haben immer gerne nebenbei Performances und Partys gemacht.
Auf eurer Website finden sich viele Kunden aus dem Kulturbereich. Fühlt ihr euch in dieser Branche am meisten zu Hause?
Ich fühle mich in der Kunst, Kultur und Musik sehr zu Hause. Da bin ich mit viel Herzblut bei der Arbeit. Zuletzt haben wir eine neue Corporate Identity für das Gewandhausorchester gemacht. Das war eine Traumaufgabe! Aber das geht mir auch bei anderen Kunden so: Ich freue mich immer, wenn wir den Kunden begeistern können und wenn er sich traut, etwas Ungewöhnliches mit uns zu machen.
Gibt es einen typischen Karl Anders-Style?
Wir hatten lange ein Motto: „The brain runs on fun“. Was unser Design angeht, ist es von außen sicher besser zu beurteilen, ob wir einen typischen Stil haben. Typografie ist uns wichtig.
Ist es manchmal schwierig, von Berufs wegen kreativ zu sein, also immer neue Ideen haben zu müssen?
Nö. Ich denke da gar nicht drüber nach. Manchmal fällt mir natürlich nicht direkt eine Lösung für ein Problem ein, aber ich habe keine Angst, dass ich keine Ideen habe.
Nimmst du dir bewusst Auszeiten für kreativen Input?
Ja, auf jeden Fall. Das sind einerseits unsere Kunstaktionen. Andererseits nutze ich Bahnfahrten gerne als Auszeit. Dann nehme ich mir einen Stapel Zeitschriften mit, höre Musik und schalte ab. Ich schaue mir auch gerne Ausstellungen in anderen Städten an. Kürzlich habe ich einem Kongress über „Social Design“ beigewohnt, das war super, danach sprudeln die Ideen. Heute Abend möchte ich noch zu einem Event auf der Berlin Art Week fahren.
Welche gestalterischen Trends findest du gerade wichtig?
Ich finde Social Design sehr interessant. Oft lässt sich großartiges Design ja auch mit weniger Mitteln schaffen. Design wird grundsätzlich immer wichtiger. Der Ansatz des Design Thinking wird auch immer populärer, also, dass man Themen durch die Augen des Nutzers sieht. Was Stil betrifft, ist meiner Meinung nach gerade alles erlaubt und alles wird gemischt.
Gibt es Frauen, die du bewunderst?
Ich beschäftige mich gerade mit dem Thema Frauen und Alter, weil ich wissen will, was auf mich zukommt (lacht). In dieser Hinsicht finde ich Vivienne Westwood toll, weil sie immer noch so eine Revoluzzerin ist. Aber auch in meinem Alltag gibt es Frauen, egal welchen Alters, die ich bewundere. Dagmar Hanneger zum Beispiel, sie ist eigentlich Stylistin und macht viele Fotoproduktionen. Früher hatte sie auf dem Kiez eine Bar und jetzt macht sie das „Fall“ Magazin. Zu jeder Ausgabe gibt es immer eine megageile Party. Wir saßen neulich zusammen und haben beschlossen, in unserer Agentur jetzt gemeinsam eine Pop-up-Bar zu machen.
Interessant, dass du das mit den älteren Frauen sagst. Wir finden auch, es muss mehr weibliche Vorbilder in jedem Alter geben!
Ja, die Frauen gibt es ja, man muss sie nur suchen beziehungsweise müssen sie sichtbarer werden.
Absolut! Vielen Dank für das Gespräch, Claudia!
3 Kommentare
Toller Beitrag! Super Bilder!
You look younger then ever!
Gern würde ich dir auch eine Postkarte schreiben ✍️
Herzliche Grüße von deinem Schulfreund
Jan