In der App „Foodguide“ swipt man so lange durch einen unendlichen Stapel von Food-Fotos, bis das perfekte Essen und Restaurant passend zum Hunger gefunden ist. Dann werden alle wichtigen Infos wie Öffnungszeiten, Preisniveau und Telefonnummer des Restaurants angezeigt, es kann ein Tisch reserviert oder sich das Essen nach Hause bestellt werden. Erfunden hat all das Geschäftsführer Malte Steiert, noch während seines Studiums. Mit der Idee gewann Malte sogar in der TV-Show „Höhle der Löwen“ Investoren und erlebt seitdem alle Aufs und Abs des #startuplife. Wir treffen den 26-Jährigen nach dem Sport mit anderen Gründern und im Gespräch wird klar, dass er nie gutgläubig handelt, sondern seit der Gründung Schlüsselziele fokussiert und nie die Skalierbarkeit aus den Augen verliert. Malte erzählt, wie man selbst ein Unternehmen führt, ohne jemals festangestellt Erfahrung gesammelt zu haben, und wie wichtig es ist, sich immer mal wieder neu zu erfinden.
Malte Steiert: Angefangen hat alles in meinem Auslandssemester in Bangkok in Thailand. Dort ist Food Leben und hat nicht viel mit Geld zu tun. Man isst draußen, immer wird gesnackt. Jeder hat seine Lieblings-Garküchen und jeder Stadtteil schmeckt anders. Ich fand es total beeindruckend, wie Food in den Mittelpunkt gestellt wird. Zurück in Deutschland war ich etwas ernüchtert, weil ich daran gewöhnt war, dreimal am Tag draußen essen zu gehen, andere Stadtteile dabei zu entdecken. Bekannte aus der Zeit in Thailand fanden sich schnell zu einer Gruppe zusammen und wir gingen regelmäßig essen. Das war 2014 und ich beschäftigte mich das erste Mal mit der Frage, wo ich online Restaurants entdecke.
Es gab Blogs, Städteseiten, Yelp, Tripadvisor … aber es war relativ schwierig herauszufinden, wie teuer Restaurants sind. Außerdem wird auf Bewertungsplattformen viel gemeckert. Was ich nicht fand, waren Experience-Plattformen, auf denen mir mit meinem begrenzten Studenten-Horizont weitergeholfen wird. Also einfach selber machen! Sprich, den User Generated Content auf den Social Media-Plattformen verbinden und das „Hamburg Foodguide“ nennen. Der Gedanke war, den Service auf andere Städte auszuweiten.
„Foodguide“ startete als Hobby, weil es nichts zu verlieren gab: Ich legte einen „Hamburg Foodguide“ Instagram-Account an und schrieb allen Freunden in WhatsApp-Gruppen, dass sie mir ihre Essensbilder schicken sollen. So entstand erst ein geschlossener Instagram-Channel nur für Freunde, die sich viel darin austauschten. In dieser Young Professional Scene schien das echt ein Thema zu sein. Also probierte ich herum, beispielsweise wie Hashtags funktionieren. Es dauerte einen Monat bis ich 1.000 Follower hatte und zu den Top 50 Instagrammern aus Hamburg gehörte. Das war im Sommer 2014 und Deutschland war noch total uninteressant für Instagram. Es gab in der App keine Orte, keine Verlinkungen, Kommentare wurden gerade erst möglich.
Ich studierte Digital Media Management und in der Uni gab es ein Entrepreneur-Semester, in dem es um Business-Modelle ging. Wir sollten eine Case Study durchführen und vor echten Investoren pitchen, die der Professor aus der Hamburger Start-up-Szene zusammensuchte. Da habe ich mich das erste Mal richtig mit meiner Idee beschäftigt. Ich stellte einen super Plan auf, mit dem ich richtig reich werden sollte. Wäre der aufgegangen, würden wir hier nicht sitzen.
Nein, wobei es für viele Leute aus meinem Umfeld klar war, dass ich Unternehmer werden würde – weil ich mich nicht so gern unterordne. Die Selbstständigkeit schien mir damals als Weg des geringsten Widerstandes. Im Endeffekt war es aber der Weg des größten Widerstandes, weil du in den ersten Jahren mit einem Start-up nur damit beschäftigt bist, Brände zu löschen. Aber immerhin war ich selbstbestimmt, auch wenn ich diesen Wert erst später für mich formulieren konnte. Ich kann gut im Team arbeiten, will aber schnell die Leitung übernehmen. Und wenn man so ist, sollte man was Eigenes machen. Sonst nervt man die anderen nur.
Die Selbstständigkeit schien mir als Weg des geringsten Widerstandes. Im Endeffekt war es aber der Weg des größten Widerstandes, weil du in den ersten Jahren mit einem Start-up nur damit beschäftigt bist, Brände zu löschen.
Mein ehemaliger Kommilitone Finn hatte ähnliche Ideen und wurde mein Mitgründer. Er wollte aber eher Nutzerdaten aus dem Social Web ziehen, um diese aufbereitet an Firmen herauszugeben. Also entwickelten wir zusammen eine App.
Die App nutzt die Grundidee von meinem Mitgründer und setzt meine Social Media-Idee oben drauf. 2015 kam gerade Tinder auf den Markt und deren Approach fanden wir ganz witzig. Wir haben also unseren Food-Content, durch den sich der Nutzer durchswipt. Der Algorithmus lernt und sortiert den Stapel an Food-Bildern immer wieder neu, je nachdem was dir gerade gefällt. Ähnlich wie bei Tinder. Das zu bauen dauerte ein halbes Jahr, ich habe nebenbei studiert und 2015 ging die App an den Markt.
Wir hatten einige Gastronomen vorgefüttert, dass es bald eine App gibt und bekamen dadurch, dass sie in der App vertreten sein wollten, ein paar Marketing-Einnahmen. Zwei Praktikanten kümmerten sich um den Content und wir arbeiteten mit Influencern zusammen. Damals mussten wir die App noch jeweils mit einem anderen Handy abfilmen, es gab keine Instagram-Stories mit Swipe Up, keine Links unter den Posts und es war mega schwierig, die User von Instagram weg zu einer anderen Plattform zu leiten.
Über ein Accelerator-Programm ist Axel Springer bei uns eingestiegen. Wir haben von denen 25.000 Euro für fünf Prozent Unternehmensanteile bekommen. Das ist allerdings nix, wenn du Leute einstellen willst, die halbwegs normal verdienen sollen. Selbst von eigenen Gehältern oder großen Büroräumen waren wir weit entfernt. Nach drei Monaten sind wir nach Berlin gegangen und haben versucht zu verstehen, was wir hier eigentlich aufbauen.
Wir haben von Axel Springer 25.000 Euro für fünf Prozent Unternehmensanteile bekommen. Das ist allerdings nix, wenn du Leute einstellen willst, die halbwegs normal verdienen sollen.
Mit Foodora und ähnlichen Brands hatten wir erste Kunden, denen wir eine relevante Reichweite garantieren konnten. Das Geld steckten wir direkt in eigene Mitarbeiter. Ende 2016 kam auf einmal Sony Pictures auf uns zu, das ist die Produktionsfirma für das TV-Format „Höhle der Löwen“. Wir sollten uns für die Sendung bewerben.
Vorher konnten wir uns verschiedene Stellen im Unternehmen nicht leisten, plötzlich durften wir von sieben auf zwanzig Stellen aufstocken. Zwischendurch fand ich es krass, wieviel ich zu managen hatte. Ich habe ja nie gearbeitet, mache alles autodidaktisch – und somit nicht immer alles richtig. Ich habe bestimmt 500 Fehler gemacht, die total dumm waren.
Mein Mitgründer und ich haben uns die Geschäftsbereiche aufgeteilt: Ich übernehme die Geschäftsführung, während Finn die Entwicklung übernimmt. Ich war oft überfordert und hätte gern erwachsenere Leadership-Entscheidungen getroffen. Bis vor einem Jahr haben wir mit einem großen Team gearbeitet und dann erst verstanden, wen wir wirklich brauchen. Inzwischen beschäftigen wir etwas weniger Leute, die alle effizienter und fokussierter arbeiten.
Bis vor einem Jahr haben wir mit einem großen Team gearbeitet und dann erst verstanden, wen wir wirklich brauchen.
In der Hochzeit waren wir in zwölf Städten Europas in vier Sprachen unterwegs, hatten 60 Brand Botschafter, die den jeweiligen Städte-Account in der Landessprache managten, und kostenlos essen gehen konnten. Dann haben wir Märkte zusammengelegt und Business Development gemacht. Wir stellten fest, dass die App dem Gastronomen nicht genügend Mehrwert stiftete, damit er dafür zahlt. Gastronomen verstehen teilweise auch nicht, wieviel Analyse das Back-End der App bietet – wenn man denn mal reinguckt. Wir hätten zig Millionen reinstecken müssen, um das Thema flächendeckend zu vertreiben.
Wir haben zwei neue Geschäftszweige aufgemacht: Für Gastronomen haben wir die Software „Respono“ entwickelt. Das ist ein Bewertungsmanagement-Tool zur Übersicht über die verschiedensten Plattformen. Damit wollen wir die Kommunikation zwischen dem Gast und dem Gastronomen verbessern.
Und 2018 haben wir „Taste Tours“ als eine Ausgründung gemeinsam mit „Geheimtipp Hamburg“ und „Waterkant“ gestartet. Wir fahren Kleingruppen an einem Abend zum Essen zu vier angesagten Food-Spots einer Stadt. Das ist ein sehr energetisches Produkt, aber auch sehr boutique. Es ist eher ein Event für den Samstagabend, niemand gibt Dienstagabend mal eben 100 Euro aus. Und es ist nichts für Touristen, weil wir den Gastronomen die Locals versprechen, die wiederkommen. Dazu machen wir noch Taste of-Boxen mit Gastronomie-Gutscheine für verschiedene Städte. Das wird super gern verschenkt.
Ich bin super dankbar für unseren Investor und sein Team, das uns seit 2017 unterstützt und immer wieder Coaches organisiert. Am Anfang von „Foodguide“ waren wir echt auf einer Schlitterbahn unterwegs. Da haben die uns geholfen, Struktur reinzubringen. Und ich selbst bin seit Anfang des Jahres in einer Entrepreneur-Organisation. Wir treffen uns einmal im Monat, fast wie eine Selbsthilfegruppe. Wir haben gleiche Probleme und Themen. Wir helfen uns nicht zwingend inhaltlich, aber reflektieren gemeinsam. Mir wurde gerade gesagt, dass ich mir aktiv Hobbys suchen oder mit Yoga anfangen soll, um Abstand zum Unternehmen zu gewinnen. Ich gehe oft noch sehr hauruckmäßig an Sachen ran und bis 30 möchte ich gern meine Firma genauso reflektiert leiten, wie jemand, der Management in einem Master oder Trainee gelernt hat.
Es wäre schön, wenn es weniger reaktiv wäre. Dann würde ich ja aktiv managen. Aber das ist vielleicht auch meinem Alter geschuldet. Einige Situationen erkenne ich noch nicht früh genug und muss oft hinterher arbeiten. Aber das wird besser. Vieles Reaktive hat mit den Mitarbeitern zu tun und das ist ja wichtig. Wir haben gerade ein richtig gutes Team aufgebaut, zwölf total motivierte Leute. Langsam können wir die Gehälter etwas anheben. Von einem schnellen Millionen-Exit-Szenario haben wir uns entfernt – wir machen aus „Foodguide“ eine coole Firma, erfinden uns ab und zu neu und sind am Markt nicht nur reaktiv, sondern innovativ.
Ich bin kein sicherheitsbedürftiger Mensch. Wenn alles in die Hose geht, fällt mir schon was Neues ein.
Grundsätzlich schon, bloß sehe ich manchmal gar nicht, dass es eine Aufgabe zum Abgeben ist. Ich muss jetzt dahin arbeiten, dass ich auch mal länger in den Urlaub fahren kann und meine operativen Aufgaben ans Team abgebe. Mein Team soll mir sagen können, wenn sie etwas übernehmen wollen – oder auch gerade nicht. Ich will bloß keine Delegierungs-Spiele, sodass ich nur noch in einer Kommando-Zentrale sitze.
Ich versuche autarke Teams zu bauen, deren Leads ich einmal in der Woche treffe, weil ich ja trotzdem Geschäftsführer bin. Wir haben verschiedene Formate hier für Feedback, Sparring und Updates.
Ich bin kein sicherheitsbedürftiger Mensch. Wenn alles in die Hose geht, fällt mir schon was Neues ein. Klar überlege ich, was vielleicht andere über mich denken, wenn ich scheitere. Aber davon muss man sich verabschieden, sonst kommt man nicht weiter. Ich möchte gern stabile Geschäftszweige aufbauen, die einfach ohne mich laufen, sonst tanze ich auf zu vielen Hochzeiten. Eigenheim und Porsche sind nicht meine Werte. Als kleines Ziel würde ich mich gern ersetzbarer machen, damit ich mehr Freiheit gewinne.
Ich freue mich, wenn mich irgendwann keiner mehr anruft – weil es einfach läuft. Dann kann ich mich wieder auf Neues fokussieren. Ich will eine Firma aufbauen, in der ich mit Spaß arbeite, die sich selbst finanziert und so attraktiv ist, dass Investoren da sind. Es muss sich gar nicht immer um Gastronomie drehen, es gibt auch viele andere spannende Felder.
Wir verbessern mit „Foodguide“ zwar nicht die Welt, aber ich bin stolz, Arbeit zu schaffen, die die Leute gerne machen.
Fotos: Pelle Buys
Interview: Anissa Brinkhoff
Layout: Kaja Paradiek