Wer Produktivität neu definieren will, darf ein wichtiges Werkzeug nicht vergessen: Den weiblichen Menstruationszyklus. Die Einbindung in unseren Arbeitsalltag darf weit über Menstruationsartikel auf Toiletten hinausgehen, fordert Zyklusmentorin Mandy Jochmann. Wenn wir anfangen, alle Zyklusphasen in unseren Arbeitsalltag einzubinden, können wir unsere individuellen Stärken optimal einsetzen, fördern unsere Gesundheit und harmonisieren unser Arbeitsumfeld.
Sie ist überzeugt: Wenn wir unseren natürlichen Rhythmus richtig verstehen, können wir alle unser Potenzial positiv für Berufliches und Persönliches nutzen. Als sie eine Lösung für ihre persönlichen PMS und Periodenbeschwerden suchte, erlebte sie es selbst und lebt heute weitgehend beschwerdefrei. Nachdem sie bereits sieben Jahre lang mit “Go Girl! Run!”, Deutschlands größtem Laufblog für Frauen, Menschen fürs Laufen begeisterte, berät sie heute erfolgreich Menstruierende und Unternehmen zyklusbewusster zu arbeiten. Dafür bietet sie offene Gesprächsräume in ihrem Podcast sowie Coachings an, hält Vorträge und bildet mittlerweile gemeinsam mit Dr. Miriam Stark sogar Zykluswissen-Trainerinnen aus.
Der weibliche Menstruationszyklus beeinflusst unser Wohlbefinden, unsere Gedanken und Gefühle. Auch auf unsere Leistungsfähigkeit und auf unsere Gesundheit und darauf, wie wir mit unserem Umfeld umgehen, hat er einen entscheidenden Einfluss. Er berührt unser persönliches Erleben in jedem Lebensbereich.
Zyklusorientiertes Arbeiten bedeutet, die persönlichen zyklischen Bedürfnisse zu priorisieren und sie in den Arbeitsalltag zu integrieren sowie die daraus resultierenden Stärken effizient und produktiv für die Arbeit einzusetzen. Wenn wir anfangen, unseren Menstruationszyklus besser zu verstehen und in unsere Arbeitswelt mit einzubeziehen, profitieren alle davon.
In der ersten Zyklushälfte (Phase 1, die Follikelphase und Phase 2, der Eisprung) lassen es der hormonelle Anstieg des Östradiols und der resultierende Höhepunkt beim Eisprung auf dem Dancefloor krachen. Wir fühlen uns frisch und lebendig, wollen aktiv sein, uns ausleben und verbinden, haben Lust auf unsere Mitmenschen. Beruflich ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um unsere schlauen Köpfe für strukturierte Aufgaben zu nutzen, um Probleme und Fragestellungen logisch zu lösen und für alles, was komplex und neu ist. Communication on! Netzwerken, Konferenzen, Besprechungen: Alles, was mit Kontakt und Austausch mit unseren Mitmenschen zu tun hat, fällt uns jetzt sehr viel leichter, bringt Spaß und Freude.
Es geht nicht darum, ständig Höchstleistung im Duracell-Häschen-Modus abzuliefern.
In der zweiten Zyklushälfte (Phase 3, die Lutealphase und Phase 4, die Menstruation) dreht sich der Vibe. Das Progesteron sorgt jetzt für ein ganz natürliches Bedürfnis nach Rückzug. Wir dürfen raus aus dem Kopf und mehr auf unsere Intuition und Kreativität zurückgreifen. Im Arbeitsmodus erscheint uns das oft ungewohnt, weshalb es hier gerne mal kracht. Es geht nicht darum, ständig Höchstleistung im Duracell-Häschen-Modus abzuliefern, sondern Produktivität neu zu definieren.
Indem wir uns erlauben, alles langsamer und ruhiger zu machen, fällt es uns jetzt leichter, frei und assoziativ zu brainstormen, aus dem Bauch heraus Strukturen zu erschaffen und Dinge, die liegen geblieben sind, entspannt abzuarbeiten.
Die Königsdisziplin unserer Party for 1 steigt dann zur Menstruation. Hier gilt: Calm down MORE! Das ist, was unser Körper jetzt von uns will und braucht. Während Östradiol und Progesteron sich einen Drink an der Tanzbar gönnen und wir uns hormonell auf einem Tiefstand befinden, kehrt Klarheit ein.
Also: Herunterfahren und Aufgaben erledigen, die keine großen kognitiven Leistungen erfordern. Sich – am besten mindestens einen halben Tag in der Waagerechten – Zeit nehmen für den Rückblick auf die vergangenen Aufgaben und Projekte und auch schon mal darüber nachdenken, was demnächst ansteht. Hier entstehen große Visionen!
Arbeiten wir zyklusorientiert, holen wir das Beste aus uns heraus.
Unser Zyklus ist ein sensibles, ganzheitliches, natürliches System, das uns sehr klar Zeichen zu unserer körperlichen und mentalen Gesundheit übermittelt. Wenn wir mehr auf unsere Bedürfnisse achten, statt sie zu übergehen, strahlt der Effekt in jeden Lebensbereich aus. Offener über die Menstruation, den Zyklus und damit auch über die eigenen Bedürfnisse zu sprechen, schafft Räume und Einladungen. Das stärkt das Selbstvertrauen, macht resilienter und erhöht die persönliche Effizienz und Produktivität.
Arbeiten wir zyklusorientiert, holen wir das Beste aus uns heraus und hören vor allem auf, ständig gegen unsere Natur und damit im Grunde gegen unseren Körper, dieses Wunderwerk, zu arbeiten. So können wir unsere individuellen Talente optimal nutzen und einsetzen. Das mindert auch Krankheitstage, reduziert das Konfliktpotenzial in Teams und stärkt die Unternehmensqualität. In the end we call it: Zufriedenheit!
Hört sich toll an, aber wie umsetzen? First things first: Es ist Übungssache! Was hilft, ist ein Dreischritt aus Reinspüren, Priorisieren und Kommunizieren.
Reinspüren: Dir morgens zum Arbeitsbeginn ein paar Minuten Zeit nehmen und bei Dir selbst einchecken: “Wie geht’s mir heute? Mit welcher Energie bin ich heute hier? Was brauche ich heute? Was kann und will ich leisten?”
Priorisieren: Im nächsten Schritt zählt der Mut, die eigenen wirklich Bedürfnisse zu priorisieren und in die Arbeit mit einzubinden. “Mit welcher Qualität verrichte ich meine Arbeit heute? Will ich etwas an der Struktur ändern? Bin ich energiegeladen und tätige den unangenehmen Anruf? Oder ist heute eher ein Exceltabelle-schrubben-mit smoother-Chillout-Musik-Kopfhörer-Tag?”
Kommunizieren: Und zu guter Letzt teile Dich Deinen Mitmenschen im Büro oder Zuhause mit. „Mir geht es heute so und so. Das kann ich heute gut erledigen. Das möchte ich gerne abgeben!“ Wenn Du magst, benenne Deine Zyklusphase. Schaffe einen Raum, in dem auch andere klar sagen dürfen, wie es ihnen geht.
Zyklusorientiertes Arbeiten ist immer eine Einladung und auch Ermutigung an jeden Menschen, auf die eigenen, persönlichen Bedürfnisse zu achten. Unabhängig davon, ob die Person einen Menstruationszyklus hat oder nicht. Tun wir das, vermeiden wir Überlastung, setzen Grenzen für uns selbst und wertschätzen unsere körperliche und mentale Gesundheit.
Im Team kann sensibler und empathischer miteinander gearbeitet werden.
Im Zykluswissen steckt zugleich viel Erleichterung für Nicht-Menstruierende. Plötzlich ist es logisch, warum es in der Beziehung oder im Job wegen Nichtigkeiten knallt. Offen über das eigene Energielevel zu sprechen und zu erfahren, dass es ernst genommen wird? Halleluja! Das schafft Wohlfühlräume für alle – im Job und im Privaten.
Im Team kann dadurch sensibler und empathischer miteinander gearbeitet werden. Aufgaben werden so besser koordiniert und auch effizienter und agiler verteilt. Davon profitieren alle und finden ein gesundes Gleichgewicht miteinander. Hallo Wir-Gefühl!
Das ständig unter Strom stehende Duracell-Häschen hat ausgedient! Was wir in der modernen Arbeitswelt brauchen, sind Freiräume und Offenheit für unser zyklisches Sein. Wie großartig ist es bitte, wenn Menstruierende genau wissen, wann sie welche Stärken im beruflichen Kontext einbringen können und es normal wird, auch Anerkennung für Rückzug und fürs Auftanken zu erhalten?
Wie wertvoll ist ein Team, das respektvoll und wertschätzend miteinander auf Augenhöhe arbeitet und die Stärken der Mitarbeitenden agil nutzt und fördert? Kostenfreie Menstruationsprodukte sind ein erster guter Schritt. Mental Health Days ein weiterer. Das Sahnehäubchen jedoch sind zyklusbewusste Unternehmen, die den Zyklus auf ihre Werte-Agenda pinnen.
Statt gegen den Zyklus zu arbeiten, erkennen wir ihn an durch „Arbeiten im Einklang mit dem Zyklus“. Weniger Ellenbogen, weniger Ausbrennen. Mehr Miteinander, mehr Balance und Wohlfühlen, mehr lieben, was wir tun – in jedem Monat und jeder Zyklusphase.
Text: Mandy Jochmann
Collage & Foto: „Canva“ / Laura Droße