Kennt ihr diese Momente, die sich ins Gedächtnis brennen und uns nachhaltig beschäftigen? Ich hatte einen davon am Wochenende, als ich meine Mutter Angelika zu ihrem 65. Geburtstag in Bremen überrascht habe und wir zusammen “hotten” waren (so richtig mit Vorglühen und Tanzen gehen). Was mich dieser Moment über die Person hinter meiner Mutter gelehrt hat und warum wir im kommenden Jahr mehr Zeit mit unseren Eltern verbringen sollten, habe ich in einem Tagebucheintrag festgehalten.
Im Zug nach Bremen saß ich schon wie auf heißen Kohlen. Das Geschenk (also ich) war simpel, aber wirkungsvoll. “Wir sehen unsere Kinder viel zu selten” waren die Worte von Mamas bester Freundin Edda und der Keim dieser Idee. Sie schleuste mich heimlich in ihre Bude und als ich vor Mama stand traute sie ihren Augen kaum. “Oha, darauf komme ich jetzt ja gar nicht klar”, brachte sie nur heraus. Liebs, wie sie meine “Jugendsprache” übernimmt, ich bin übrigens 27 by the way.
Ich sog jedes Wort, jeden Gossip aus Mamas Zwanzigern, auf.
Nach dem Abendessen (gutes Sauerteigbrot mit verschiedenen Dips, yummy) servierte uns Eddas Mann Andreas den ersten Aperol, liebevoll “Röhlchen” genannt. Zu meinem Pläsier mit wesentlich mehr Sprudel als Sekt und Aperol, denn ich muss zugeben, ich bin kein Fan von dem It-Drink. Mutti aber umso mehr und schnell wurde aus dem einen noch ein weiterer, diesmal mit mehr Alkohol. Während wir im Wohnzimmer saßen und ich froh war, mal das Handy aus der Hand zu legen, erzählte Edda fröhlich von den vergagenen 55 Jahren, in denen sie und Mama beste Freundinnen sind. Ich sog jedes Wort auf, jeden Gossip aus Mamas Zwanzigern und erfuhr so manche Details, die ich in einem normalen Gespräch vermutlich nicht erfahren hätte.
Mit ’nem Minzbonbon im Mund saßen wir drei Mädels dann gegen 21:30 Uhr in der Bahn in Richtung Club. Der frühe Vogel und so. Mutti hatte ihre Spendierhosen an und zahlte den Eintritt und die erste Runde. Kaum hatten wir einen Fuß auf die Tanzfläche gesetzt, wurde mir bewusst, dass Mama damals eine echte Dancing Queen gewesen sein muss. Die Frau* hat die Moves immer noch drauf! War das dieses „hotten“ von damals?
Mama stiefelte zum DJ, um nach mehr Techno zu fragen.
Mama war gerade zum DJ gestiefelt um nach mehr Techno zu fragen, als Edda meinte: „Guck mal, der wär’ doch was für dich!”. Ich blickte so unauffällig wie möglich zur Seite und sah einen jungen Mann*. Den einzigen Mann* unter 50 in diesem Raum. Im weißen Shirt und bequemer Chino tanzte er mit seiner Mutter, die dunklen Haare lässig zurückgeworfen. Mein Blick blieb zunächst an seinem wunderschönen Lächeln und dann an den Ringen an seinen Fingern hängen. Uh la la! Mama und Edda tanzten mich in seine Richtung und seiner Reaktion nach, hatte er mich auch schon erspäht. Gestärkt durch meine Wingwoman im Rücken sprach ich ihn an und wenige Minuten später wusste ich seinen Namen und was er so macht.
Wir tanzten und unterhielten uns (wir schrieen uns eher an, denn der DJ hatte Muttis Techno aufgelegt), doch fanden den Absprung nicht, den “wollen wir eben frische Luft schnappen?”-Moment. Meine Mama hatte ja Edda dabei, aber er war die Begleitung seiner Mutter und diesen Abend wollte ich den beiden nicht nehmen. Also bildeten wir eine Fünfertruppe und fegten über den Dancefloor. Gegen 3:00 Uhr taten Mama die Knochen weh und Andreas holte uns drei ab. Vorher klärte Mama mir noch die Nummer des Typens… ob er sich deswegen nicht bei mir gemeldet hat?
Wieder zu Hause angekommen, war das Gästebett vorbereitet und ein Glas Wasser stand daneben. Wir sind ja auch nicht mehr die Jüngsten, ne? Der Kater am nächsten Morgen war trotzdem doll, trotz mehr Sprudel als Aperol. Zu meinem Erstaunen waren Mama und Edda voller Energie und hatten bereits Frühstück gemacht, meinen Respekt, Ladys!
Ich werde die Feiertage nutzen, um mehr über diese beeindruckende Frau* zu erfahren.
Dieser Abend, dieser Moment hat mir gezeigt, wie wenig ich eigentlich über das Leben meiner Mutter vor meiner Geburt weiß. Über ihr Leben als Angelika, als eine Frau*, die so viel mehr ist als „nur“ meine Mama. Ich werde die Feiertage nutzen, um mehr über diese beeindruckende Frau* zu erfahren. Wie es wohl damals für sie war, als sie kurz vor dem Bachelor stand oder ihr Freund eine andere küsste? Warum ist sie damals umgezogen oder wie kam es dazu, dass sie ihre heißen, Siebzigerjahre Lackschuhe verkauft hat? Alles wichtige Fragen!
Mir ist an dem Abend noch mal bewusst geworden, wie wichtig es auch für Eltern ist, gemeinsame Zeit mit den erwachsenen Kindern zu verbringen, dass Alter keine Grenze für Spontaneität und Selbstbewusstsein ist und wie wertvoll und nachhaltig wirksam Nähe und kleine Gesten sein können. Ja, ein neues Kochbuch an Weihnachten zu verschenken ist cool, aber ein gemeinsamer Kochabend bei guter Musik ist noch viel schöner. Also packt den gleich dazu!
Ich freue mich schon darauf, wenn meine beste Freundin und ich uns so lange kennen, wie Mama und Edda es tun. Ob wir später dann auch mit unseren Kindern feiern gehen? Vielleicht kommt Mama als Oma nochmal mit.
Text: Lina Ziegler
Collage: „Canva“
Ein Kommentar
Was für eine coole Idee, mit der Mama feiern zu gehen!!
Ich war mit meiner Mama letztens auf einer Silberhochzeit ihrer Kollegin. Mein Papa war krank und ich sprang als Ersatz ein.
Wir hatten so einen coolen Abend zusammen, ich wusste gar nicht, dass meine Mama auf dem Dancefloor so krass abgehen kann!
Den Abend werde ich auch nie vergessen!