Wir sind uns einig: Es ist Zeit, Familie endlich gleichberechtigt zu leben. Der Berliner Journalist, Autor und Vater Fabian Soethof hat sich diesem Thema in seinem Buch „Väter können das auch!“ gewidmet. Darin stellt er die Frage, welche Art von Vater moderne Männer heute sein wollen und wie sie bzw. wir es schaffen können, alte Rollenbilder aus den Köpfen zu werfen. Wie kann Vereinbarkeit gelingen, ohne dass sich Eltern beruflich zerreißen? Viele Paare wünschen sich Fairness im Familienleben und dennoch geht die Gleichstellung im Alltag – zum Leidwesen aller Familienmitglieder – schneller flöten als uns lieb ist. Welche Vorteile der im Familienalltag anwesende Vater für die Familie und letztlich das eigene Wohlergehen mit sich bringen kann, schreibt Fabian in seinem Buch im gleichnamigen Kapitel, welches wir hier für euch exklusiv veröffentlichen dürfen.
Ich finde: Es gibt, abgesehen von eventuellen ernst zu nehmenden finanziellen Engpässen, keinen Nachteil daran, ein anwesender Vater zu sein. Okay, vielleicht noch den, dass man sich zu Hause auf die Nerven geht. Darüber hinaus reden wir hier von einer Win-Win-Win-Situation: 1. Papa versauert nicht am Arbeitsplatz und setzt Prioritäten, die nicht nur ihm guttun, sondern auch seiner Familie und der Gesellschaft. 2. Mama muss nicht jeden Heim-Scheiß allein machen und kann auch Geld verdienen und sich um ihre eigene Rente sowie berufliche Verwirklichung kümmern. 3. Die Kinder erleben ihren Vater als gleichermaßen anwesenden und am Familienalltag teilnehmenden Elternteil wie ihre Mutter.
Sie bauen eine enge Bindung zu mehr als einer Bezugsperson auf und nehmen für ihre Welt- und Geschlechteranschauung mit, dass auch Väter kochen, putzen und sich kümmern können – und dass auch Mütter wegen Videocalls, wichtiger Projekte oder Dienstreisen mal keine Zeit für sie haben. Wir Eltern stehen in der Verantwortung, zu hinterfragen und zu reflektieren, welche Rollen wir unseren Kindern warum vorleben – und ob das wirklich die Rollen sind, die sie später selbst einnehmen sollen.
Woran erkennt man einen guten Vater? Ich kenne die Antwort nicht – glaube aber, dass ein anwesender und aktiver Vater auf dem besten Wege ist, einer zu werden.
Macht doch mal den Selbsttest: Wenn eure Kinder Hunger haben, wen fragen sie? Von wem lassen sie sich trösten, wenn sie traurig sind oder Schmerzen haben? Wenn sie in Kindergarten und Schule von zu Hause erzählen, an welchen Elternteil denken sie da wohl zuerst? Keine Sorge, ich werde hier nicht den seit Jahren durch Twitter und Co. geisternden Spruch „Euer Alltag ist ihre Kindheit“ reproduzieren, der macht den unter kaum möglicher Vereinbarkeit leidenden Eltern existierenden Druck, „gute“ Eltern zu sein und damit einhergehende Versagensängste bloß noch größer. Stellt euch aber die Frage, ob es wirklich okay für euch ist und bleiben wird, wenn die Antwort in allen Fällen „Mama“ lautet.
Woran erkennt man einen guten Vater? Ich kenne die Antwort nicht – glaube aber, dass ein anwesender und aktiver Vater auf dem besten Wege ist, einer zu werden. Marco Krahl ist stellvertretender Chefredakteur von „Men’s Health“ und Redaktionsleiter des Magazins „Men’s Health DAD“ und dessen Online-Ableger „Dad Mag“. Der Vater zweier Kinder kannte die Antwort mutmaßlich ebenso wenig wie ich und hat sie deshalb anderen Vätern (aber nicht Müttern oder Kindern) gestellt. In Kurzform lauteten die Antworten der sogenannten „Papa-Experten“:
Wer selbst kein Vorbild hatte, kann wenigstens selbst eines werden. Und die Welt für seine Kinder hoffentlich zu einer besseren, weil gleichberechtigteren machen.
Nicht alles davon ist in Quantität zu messen, auf die Stunden kommt es bei Quality Time nicht unbedingt an. Manches geht aber nicht ohne ein Mindestmaß an Anwesenheit. Damit Papa am Ende nicht nur der Fun Dad ist, der Geschenke von den Dienstreisen mitbringt und den berühmten Spielplatzhelden gibt. Sondern der, der seine Kinder zur Kita oder Schule bringt und abholt. Der mit ihnen zur Kinderärztin fährt, ihre Schuh- und Kleidergröße kennt. Der bei schlechtem Wetter Gesellschaftsspiele spielt. Der bei Alltagsfragen da ist und zum Beispiel sprachlich vorleben sowie erklären kann, dass es auch Feuerwehrfrauen und Astronautinnen, Putzmänner, Kassierer und Erzieher gibt. Der putzt, kocht, aufräumt, kuschelt und meckert. Der Care-Arbeit für die Kinder sicht- und spürbar übernimmt. Der auch deshalb mal Nein sagt, weil Alltag nicht nur aus Ja-Sagen besteht, und nicht deshalb, weil er den Patriarchen raushängen lassen will. Wer selbst kein Vorbild hatte, kann wenigstens selbst eines werden. Und die Welt für seine Kinder hoffentlich zu einer besseren, weil gleichberechtigteren machen.
Auf die Frage, was Kinder von all dem hätten, hat Väterberater Heiner Fischer eine klare Antwort für mich: „Kinder bekommen dadurch eine andere oder weitere Bezugsperson, die ihnen andere Impulse geben kann. Mütter geben aufgrund ihrer Erfahrung und Sozialisation andere Werte mit als Väter“, sagt er – wohlwissend, dass seine folgende Argumentation an Klischees kratzt. „In Studien zeigt sich: Männer spielen impulsiver, rangeln mehr, sind körperlicher. Frauen gehen mehr über die Gefühlsebene.“ Das sollten Väter freilich auch verstärkt tun, findet Fischer: „Wir sollten eine Generation der anwesenden Väter werden, weil die Kinder dadurch ein stabileres Selbstbild bekommen. Nicht nur Söhne, auch Töchter haben eine stärkere Beziehung zu ihrem Vater, wenn der aktiv und anwesend war. Sie bekommen dadurch ein Männlichkeitsbild vorgelebt, das nicht über die Frau vermittelt werden muss.“
Fischer ist sich sicher: Wenn Kinder eine Bindung zu beiden (oder mehreren) Elternteilen aufbauen, gewinnen sie mehr Sicherheit, einen größeren Erfahrungsschatz im Umgang mit Konflikten, Beziehungen und Gefühlen und dadurch eine Erweiterung ihrer eigenen Möglichkeiten. „Eltern als Team funktionieren als Leuchtturm. Wenn der eine nicht da ist, kann der andere einen genauso sicheren Hafen geben.“
Das Buch „Väter können das auch!“ von Fabian Soethof könnt ihr hier bestellen.
Bindung ist auch für den Väterforscher Andreas Eickhorst das A und O in seiner Argumentation für gleichberechtigter lebende und erziehende Eltern. Er versteht persönlich und wissenschaftlich nicht, warum eine enge Beziehung zum Kind der Mutter vorbehalten sein soll: Die prinzipielle Fähigkeit zur Erziehung ist beiden binären Geschlechtern angeboren. „Wenn mütterliche Bindung hier aber einen so absoluten Vorrang hätte, könnten wir streng genommen Vätern ihre Kinder gar nicht anvertrauen. Es dürfte keine Leihmütter und keine Kinderheime geben, die leibliche Mutter dürfte niemals ausfallen.“ Eickhorst ist deshalb großer Fan der nachgeburtlichen Bindung. Er glaubt: Die intrauterine Zeit macht in puncto Bindung einen großen Unterschied für Mütter – aber hält das Kind nicht davon ab, eine genauso starke Bindung zum Vater oder zu nicht-leiblichen Müttern aufbauen zu können.
Ein naheliegender erster Schritt dahin, ein anwesenderer Vater zu sein, der die Bedürfnisse seiner Kinder nicht nur kennt, sondern auch befriedigen kann, ist Elternzeit. Deren Vorteile aber betreffen nicht nur das Private. Als ein wirtschaftliches Argument sei an dieser Stelle beispielhaft die Einschätzung des Psychiaters Christian Bachmann genannt. In einem Interview mit der „Welt“ erklärt er, dass eine sichere Bindung zwischen Eltern und Kind, besonders aber zwischen Vater und Kind, dem Staat enorme Folgekosten ersparen könnte. Eine sichere Bindung bedeute, dass ein Kind seine Eltern als sicheren Hafen in Zeiten von Stress wahrnehme. „Selbst wenn man alle anderen familiären Faktoren wie Bildung, sozioökonomischen Status oder Ethnie überprüft, scheint die sichere Bindung das beherrschende Kriterium dafür zu sein, wie ein Kind sich entwickelt“, sagt Bachmann. Die gute Bindung an den Vater habe sich dabei als besonders wichtig herausgestellt: „Kinder, die eine unsichere Bindung an die Mutter hatten, haben eineinhalbmal so viele Kosten ausgelöst wie die sicher gebundenen. In Bezug auf die Väter lag dieses Verhältnis bei 10:1.“
100 Prozent aller Befragten waren froh, Elternzeit genommen zu haben und würden es wieder tun.
Die Unternehmensberatung McKinsey hat Anfang 2021 130 Väter aus zehn Ländern nach ihren Erfahrungen mit dem »paternity leave« befragt. Ihre Antworten variierten naturgemäß so stark, wie die jeweiligen Elternzeitgesetze ihrer Herkunftsländer und individuellen Angebote ihrer Arbeitgeber. Einigkeit herrschte aber unter anderem in den maßgeblichsten Punkten: 100 Prozent aller Befragten waren froh, Elternzeit genommen zu haben und würden es wieder tun. 90 Prozent aller Befragten nahmen eine Verbesserung der Beziehung zu ihrer Partnerin oder ihrem Partner wahr. 20 Prozent spürten die Gefahr eines Karriereknicks als größtes Risiko – die Vorteile haben diese Sorge aber ausgeglichen. Die Stärkung der Partnerschaft, die eigene Etablierung als Elternteil von Anfang an, das Knüpfen einer lebenslangen Bindung mit dem eigenen Kind, die Karriere von Partnerin oder Partner fördern und daraus entstehende Benefits für die Familienkasse gewinnen, als Arbeitnehmer neue Motivation schöpfen – all das waren und sind maßgebliche Argumente, die bei den befragten Vätern für Elternzeit sprachen. Logisch, dass diese Auswirkungen umso nachhaltiger sind, je länger und intensiver die Elternzeit genommen werden kann.
Die Autor*innen der Umfrage haben abschließend stellvertretend für die befragten Väter die folgenden Empfehlungen an Arbeitgeber aufgelistet, von deren Berücksichtigung alle Beteiligten profitieren würden:
1. Gebt Vätern die gleichen Leistungen wie frischgebackenen Müttern
2. Schafft eine Kultur, die den Vaterschaftsurlaub willkommen heißt
3. Klärt die Auswirkungen auf die eigene Karriere
4. Unterstützt Väter bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsplatz nach der Beurlaubung
5. Etabliert familienfreundliche Richtlinien zur Unterstützung berufstätiger Väter
Abschließend möchte ich kurz auf eine Sorge eingehen, von der ich zum Glück regelmäßig vergesse, dass sie in manchen Köpfen überhaupt noch umherspukt. Besonders konservative Kerle mögen sich und ihren Kegelclub jetzt fragen: „Wenn ich ‚Frauenarbeit‘ mache, bin ich dann noch Mann genug?“ Die Antwort lautet: ja. Falls deine Kumpels das anders sehen, such dir neue, oder noch besser: Rede mit ihnen über dieses überholte Rollendenken. In bereits zitierter Vätergruppe auf Facebook fragte neulich einer, was Männlichkeit ausmache. Ob meine Antwort: „sich selbstverständlich und möglichst gleichberechtigt um die eigenen Kinder kümmern, ohne dafür von Partner oder Gesellschaft ein Schulterklopfen zu erwarten“, ihm gefiel, weiß ich nicht. Mir gefällt sie jedenfalls besser als „ein Ernährer sein“ oder „Karriere machen“. Und ich glaube, dass viele Männer froh wären, wenn sie frei von überholten Erwartungshaltungen im 21. Jahrhundert ankommen dürften. Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass ein Leben, in dem ich nichts als „Stärke“ und Statussymbole präsentieren müsste, ein erfüllendes ist.
Don’t get me wrong: Ich habe keine Ahnung, was einen guten Vater ausmacht. Das müssen meine Kinder eines Tages beantworten. Ich versuche lediglich, kein schlechter zu sein. Solange Dinge noch nicht selbstverständlich sind, muss man darüber reden. Im Büro, auf dem Spielplatz, im Internet, bei der Familienfeier. Damit auch die Letzten mitkriegen, dass es anders geht, gehen kann, muss und zukünftig wird.
Fotos: iStock/Aleksandar Nakic (Teaserbild) & Hella Wittenberg (Porträtbild)