Egal ob Patchwork-Family, alleinerziehende*r Mutter oder Vater, zwei Mütter, zwei Väter oder Vater, Mutter, Kind – jede Familie ist unterschiedlich und für sich perfekt. Auch Nina und Lara Piaskowy, beide 29, sind „a different kind of family“. Sie sind Zwillinge und ziehen als Team gemeinsam Ninas 7-jährige Tochter Lea groß. Starkes Teamwork für das sie besonders in den sozialen Netzwerken einige Kritik einstecken müssen. Auf ihrem Instagram-Account „twinteam“ und mit dem Hashtag #wirwerdenlaut setzen sie sich deshalb für einen toleranteren Umgang mit unkonventionellen Familienmodellen ein. Sie wollen zeigen, dass keine starren gesellschaftlichen Vorgaben eine Familie definieren, sondern Liebe und Zusammenhalt. Wir haben mit Nina und Lara über ihr Modell, ihr erstes Buch und über ihre weitere Familienplanung gesprochen. Denn: Auch Lara möchte mithilfe von künstlicher Befruchtung Mama werden, musste vor Kurzem allerdings einen Rückschlag verkraften.
Nina Piaskowy: Wir definieren Familie als großes Team, das sich bunt aus verschiedenen Menschen zusammensetzt. Geschlecht oder Alter spielen keine Rolle, solange Liebe und Zusammenhalt herrscht. Wir sind auch keine Mutter-Tante-Tochter-Familie. Wir sind ein Team.
Lara Piaskowy: Wir waren als Zwillinge schon immer total eng. Als Nina mit Anfang 20 schwanger wurde, war schnell klar, dass Leas Papa nicht an ihrer Seite sein wird. Da bin ich quasi eingesprungen. Obwohl, „eingesprungen“ ist auch nicht richtig. Ich versuche nicht, die Vaterrolle einzunehmen. Ich war als Zwillingsschwester eh an Ninas Seite und wenn eine zweite Person gebraucht wurde, habe ich übernommen.
Wir definieren Familie als großes Team, das sich bunt aus verschiedenen Menschen zusammensetzt.
Nina: Eigentlich schon. Aber weil Lara in meinem und Leas Leben so präsent war und wir als Schwestern abgebildet haben, was für andere „nur“ Vater, Mutter, Kind sind, haben wir auch viel Kritik bekommen. Wir haben gemerkt, dass wir unser Familienmodell definieren und dafür einstehen müssen: Wir sind Zwillinge, die sich total innig um ein Kind kümmern und das ist okay!
Lara: Wir finden generell, dass ein Kind ein ganzes Dorf braucht, um groß zu werden. Und damit meinen wir nicht nur Oma, Opa, Tante … Wenn kein Corona ist, geht Lea in den Sportverein, in die Schule. Da hat sie viele wichtige Bezugspersonen, die sie alle mit erziehen. Das ist das große Ganze, das ein Kind braucht.
Nina: „Davon bekommt ein Kind einen Schaden. Das ist doch nicht normal!“ oder „So kann ein Kind nicht richtig aufwachsen!“. Das ist allerdings noch das Harmloseste auf der Liste. Viele Kommentare gehen auch unter die Gürtellinie.
Lara: Nicht wirklich. Wir finden unser Familienmodell gar nicht so ungewöhnlich. Aber viele Menschen denken anscheinend noch immer, dass ein Kind unbedingt Mama und Papa braucht.
Nina: Wir sind nicht Mama und Papa, aber wir können Lea genau dasselbe bieten. Solange ein Kind mit Liebe, Zusammenhalt und Bezugspersonen aufwächst, geht es auch ohne Vater. Genauso geht es mit zwei Vätern auch ohne weibliche Bezugsperson. Aber in dem Moment schalten viele Leute ab und sagen, das sei falsch. Es wird nicht unterschieden, was es braucht, um einen Menschen ins Leben zu lassen – Männlein und Weiblein – und was ein Kind braucht, um sich zu entwickeln.
Lara: Viele fragen mich auch, ob ich als Papaersatz fungiere. Ne, gar nicht. Ich bin als zweite wichtige Bezugsperson in Leas Leben.
Lara: Genau! Und bei schwulen Vätern wird die fehlende Mutterrolle kritisiert. Aber Vater, Mutter, männlich, weiblich, ist nicht das einzig Richtige. Lea nennt uns beide auch nicht Mama. Ich bin ihre Tante Lari.
Nina: Immer.
Lara: Dabei hat Lea mich noch nie Mama genannt. Vielleicht mal als Baby, aber damals hat sie jede*n Mama genannt. Das war ihr Wort. Es gab nie einen Zweifel, dass Nina Leas Mutter ist.
Es wird nicht unterschieden, was es braucht, um einen Menschen ins Leben zu lassen – Männlein und Weiblein – und was ein Kind braucht, um sich zu entwickeln.
Lara: Unser Instagram-Account hat am Anfang Nina gehört. Sie hat damals ganz typische Bilder gepostet. Von sich, von Lea. An einem unserer Geburtstage haben wir ein Bild von uns beiden hochgeladen, da kamen dann relativ schnell Frage, wer ich denn sei. Sobald die Leute mitbekommen haben, dass ich Lea miterziehe, war der Aufschrei groß. Da dachten wir uns: „Jetzt erst recht!“. Mal schauen, ob die Leute unsere Familie auch noch „krank“ finden, wenn wir teilen, wie unser Leben wirklich abläuft.
Nina: Wir möchten zeigen, dass dringend an der Definition von Familie gearbeitet werden muss. Weg vom starren Vater-Mutter-Kind-Bild, hin zu mehr Toleranz gegenüber unkonventionellen Familienmodellen und Individualität.
Lara: Es wird immer noch ziemlich stark in Schubladen und in Rastern gedacht. Aber es geht auch anders!
Nina: Überhaupt nicht! Überholt ist nur die Bezeichnung „klassisch“. Mann und Frau, die sich lieben und gemeinsam Eltern sind, sind genauso toll wie Mann* und Mann*, Frau* und Frau* oder Alleinerziehende*r mit Freund*in.
Lara: Das klassische Familienmodell hat keinerlei Nachteile. Jeder muss mit seinem Modell, mit seiner Familie glücklich sein. Dann passt das schon.
Wir möchten zeigen, dass wir dringend an der Definition von Familie arbeiten müssen. Weg vom starren Vater-Mutter-Kind-Bild, hin zu mehr Toleranz gegenüber individuellen Familien- und Lebensmodellen.
Nina: Es ist grundsätzlich so, dass die Gesellschaft noch immer oft ausgegrenzt, was nicht dem typischen Vater-Mutter-Kind-Bilderbuchmodell entspricht. Dazu gehören nicht nur wir, sondern auch schwule oder lesbische Paare, Patchwork-Familien und Alleinerziehende.
Lara: Es ist meistens ein unterschwelliges Ausgrenzen. Nach Außen gibt sich die Gesellschaft tolerant, aber so richtig angekommen ist es bei vielen noch nicht. Und sei es nur mit Aktionen wie dem „Vater-Kind-Laterne basteln“.
Nina: Bei uns musste vor allem Lara schon öfters einen Blick oder einen Satz einstecken. Sie solle sich mal ein bisschen zurücknehmen, immerhin sei sie nur die Tante.
Lara: Manchmal bin ich zu Elternabenden mitgegangen. Ich begleite Lea seit Geburt, da will ich natürlich wissen, wie sie sich im Kindergarten entwickelt. Ich wurde nie weggeschickt, aber es hieß dann immer: „Und, sie sind jetzt hier, weil …?“. So etwas würde man zu dem biologischen Vater nie sagen.
Nina: Wir sind nicht die typischen Fashion- oder Beauty-Influencerinnen. Wir möchten der Welt etwas mitteilen. Dafür muss man aber auch verstehen, wer wir sind und woher wir kommen. Das würde auf Instagram den Rahmen sprengen.
Lara: Für viele Fragen, die wir von unseren Follower*innen gestellt bekommen, ist Instagram unserer Meinung auch nicht die richtige Plattform. Die Stories sind jeweils nur 15 Sekunden lang, nach 24 Stunden werden sie wieder gelöscht. In einem Buch können wir sie besser verschriftlichen.
Nina: Es ist eine Autobiografie. Wir erzählen viel aus unserer Kindheit. Es richtet sich also auch an Eltern, die Zwillinge haben oder bekommen. Außerdem geht es darum, was es bedeutet, Influencer*in zu sein, dass Instagram auch eine tolle Plattform sein kann, um etwas Gutes zu tun und um unsere Botschaft zu verbreiten! Es ist also total vielfältig. Deswegen kann auch unserer Leserschaft sehr vielfältig sein.
Lara: Diese Frage wird uns immer wieder gestellt; oft als Kritik. Mit der Frage können wir erklären, warum wir uns an dem Wort „echt“ stören.
Nina: Das setzt nämlich voraus, dass es auch „unechte“ Familien gibt und eine klare Definition, was eine Familie ausmacht. Aber jede*r, der das Gefühl hat, eine Familie zu sein, ist auch eine. Liebe und Zusammenhalt sind immer echt und ab dann ist man eine Familie.
Lara: Mit Liebe muss auch nicht zwangsläufig eine sexuelle Basis gemeint sein. Liebe kann freundschaftlich, familiär oder partnerschaftlich sein.
Lara: Für uns würde sich rein gar nichts ändern. Natürlich wird man im ersten Moment weniger Zeit miteinander verbringen, aber es verändert nichts an unserer Familienkonstellation oder an meiner Beziehung zu Lea. Für mich sind das zwei verschiedene Paar Schuhe.
Nina: Unsere Familie besteht auch nicht fest aus drei Personen. Wir sind glücklich über jedes neue Teammitglied, ob es ein Kind oder ein Mann ist. Das macht es noch bunter und vielfältiger.
Frühe Fehlgeburten sind ein absolutes Tabuthema. Aber ein Abgang in den ersten Wochen ist sogar eher die Regel.
Lara: Es gibt diese unausgesprochene Regel, dass man auf jeden Fall bis zur 12. Schwangerschaftswoche warten soll, bevor man die frohe Botschaft mit anderen teilt. Wir haben uns gefragt, warum das eigentlich so ist. Klar, hat das medizinisch gesehen Sinn. Etwa jede vierte Schwangerschaft endet in diesen frühen Wochen. Aber diese „Regel“ impliziert unserer Meinung nach noch viel mehr. Nämlich, dass man während der ersten Schwangerschaftswochen kein Recht hat, sich zu freuen oder – im Falle einer Fehlgeburt – zu trauern.
Nina: Frühe Fehlgeburten sind ein absolutes Tabuthema. Das haben wir durch unsere Follower*innen mitbekommen. Tatsächlich ist es so, dass ein Abgang in den ersten Wochen eher die Regel ist. Viele Frauen haben uns geschrieben, dass sie genau in dieser Zeit ihre Kinder verloren haben. Davon bekommt man aber nichts mit, weil die meisten Frauen nicht darüber sprechen. Sie sind Mütter und psychisch stark mitgenommen, sind aber anscheinend nicht berechtigt, sich zu öffnen. Da haben wir gesagt: Nein!
Lara: Unter diesem Post haben wir fast durch die Bank positives Feedback bekommen. Unsere Follower*innen haben uns Mut gemacht, uns ihre Geschichten erzählt.
Nina: Es war sehr bestätigend. Viele haben geschrieben: „Endlich jemand, der offen darüber spricht, wenn er unter der 12. Woche ein Kind verliert.“
Wir wissen, dass wir beide unsere Familie vergrößern möchten – sowohl Lara als auch ich. Und jetzt schauen wir mal, wo das ganze hingeht.
Nina: Lea hat den ganzen Weg der künstlichen Befruchtung mitbekommen. Natürlich als ganz kindliche Variante. Nachdem wir von Laras Schwangerschaft erfahren haben, haben wir ihr erklärt, dass jetzt ein Baby in den Bauch eingezogen ist. Aber weil es so früh war, haben wir ihr auch ganz klar gesagt, dass alles noch nicht ganz sicher ist.
Lara: Unsere Version war, dass sich das Baby am Anfang immer ganz in Ruhe sein neues Zuhause anschaut. Es muss gucken, ob die Wohnung passt und es dort seine Höhle bauen möchte, um darin groß zu werden. So war für sie von Anfang an klar: Alles kann, nichts muss. Vor dem Arzttermin hat sie mir noch hinterhergerufen: „Ich drück‘ dir ganz doll die Daumen, dass das Baby eine Höhle bauen will.“
Lara: Als der erste Schock verflogen war, haben wir Lea zu uns genommen und ihr erklärt, dass sich das Baby noch mal entschieden hat, zu gehen. Die Wohnung hat einfach nicht gepasst. Da hat sie gesagt: „Seid doch nicht so traurig, das Baby muss vielleicht noch ein paar Dinge organisieren, so wie wir auch bei unserer Wohnung. Und dann kommt es wieder. Und bleibt.“. Für sie war ganz klar: Wenn nicht jetzt, dann beim nächsten Mal.
Lara: Bisher haben wir es mit Insemination versucht. Jetzt mache ich mit einer In-vitro-Fertilisation weiter. Das ist eine ganz andere körperliche Belastung. Bisher geht es mir aber noch gut.
Nina: Unser Wunsch wäre es, irgendwann gemeinsam zu wohnen. Jede eine Doppelhaushälfte, direkt nebeneinander, gemeinsamer Garten. Mit ganz viel Platz für weitere Teammitglieder. Wir wissen, dass wir beide unsere Familie vergrößern möchten – sowohl Lara als auch ich. Und jetzt schauen wir mal, wohin das Ganze führt.
Hier findet ihr das Buch: „Hashtag Doppelleben – Eine Zwillingsgeschichte zwischen
Familie, Followern und Vorurteilen“
Fotos: Sophie Biebl, Buch-Cover: Mindfulbooks
2 Kommentare
Interessanter Artikel, leider scheint bei Euch der Genitiv schon gestorben zu sein, z. B. hier: „Am 04. Juni feiern die Zwillinge nicht nur ihren 29. Geburtstag, sondern auch die Veröffentlichung von ihrem ersten Buch „Hashtag Doppelleben“.“
Wie schade, ich erwarte von professionellen Textern doch, dass sie den Genitiv beherrschen 🙂
Liebe Kerstin,
vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich wage zu behaupten, dass wir den Genitiv beherrschen. In diesem Fall ist einfach beides möglich und richtig: „Die Veröffentlichung von ihrem Buch“ oder „Die Veröffentlichung ihres Buches“.
Liebe Grüße,
Anna