Väter möchten heutzutage mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. Doch nur wenige sind so konsequent wie Vollzeit-Papa Niklas Heinen. Der ehemalige Start-up-Gründer steht in einer immer noch relativ unangefochtenen Frauendomäne „seinen Mann“. Seit drei Jahren verzichtet er auf seine Karriere, um auch jenseits von Elternzeit den Großteil der Care-Arbeit zu übernehmen.
Auf „Instagram“ teilt er mit knapp 40.000 Followern seinen Alltag als „Fulltime Family Daddy“ und macht gerade eine Ausbildung zum „systemischen Coach“, um Eltern zu helfen ihre Kinder beim Heranwachsen achtsam zu begleiten. Ein Gespräch über Selbstverwirklichung, fehlende männliche Vorbilder und gesellschaftliche Erwartungen.
Als ich mit 28 Jahren meinen ersten Sohn bekommen habe, wollte ich alles andere als Vollzeit- Vater werden.
Nein. Als ich mit 28 Jahren meinen ersten Sohn bekommen habe, wollte ich alles andere als Vollzeit- Vater werden. Für mich war es damals wichtig Karriere zu machen und Erfolg im Berufsleben zu haben. Vater wollte ich aber unbedingt werden, denn ich fühlte schon immer eine starke Verbindung zu Kindern.
Das war vielmehr ein authentischer Prozess, der sich über sechs Jahre zog. In den ersten zwei Jahren nach der Geburt unseres Erstgeborenen merkten wir, dass meine Frau in der ständigen Betreuung nicht glücklich war. Ich hingegen verspürte die volle Erfüllung, wenn ich Zeit mit meinem Sohn verbrachte, besonders, als er vom Säugling zum Kleinkind wurde.
Ich habe den Blick nach innen gerichtet und mir die Frage gestellt, was mir wirklich wichtig ist.
Vor drei Jahren war ich am Höhepunkt meiner beruflichen Sichtbarkeit und Unternehmensgröße. Genau dann habe ich den Blick nach innen gerichtet und mir die Frage gestellt, was mir wirklich wichtig ist und was ich machen möchte. Das Endergebnis war, dass ich aus dem operativen Management unserer Firma ausgestiegen bin, um zu Hause bei meinem Sohn zu bleiben.
Damit ist Niklas Heinen einer der wenigen. Nur 10% der Väter in Deutschland nehmen nach der Geburt eines Kindes länger als zwei Monate Elterngeld in Anspruch. Als das Elterngeld 2007 eingeführt wurde, entschieden sich rund 20 Prozent der Väter für die Leistung. Seither verdoppelte sich der Anteil der Männer* und liegt mittlerweile bei 44 Prozent, so der aktuelle Väterreport aus dem Jahr 2023. Ein Grund für diese Entscheidung ist, dass in Deutschland Männer* bekanntlich mehr verdienen als Frauen*.
Nein, auf keinen Fall. Oft geht das finanziell nicht. Aus dem Austausch mit meinen Follower*innen habe ich aber gemerkt, dass es sich viele Menschen wünschen, ihre Kinder zeitlich so begleiten zu können wie wir es tun.
Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen im Konflikt mit sich selbst sind, nämlich ihre Karriere- bzw. Selbstverwirklichungsambitionen mit ihren Betreuungsansprüchen zu vereinen. Unterbewusst haben Menschen oft einen tief verankerten Drang, „leisten“ und „Karriere machen“ zu müssen. Das kollidiert mit dem gleichzeitigen Wunsch nach intensiverer Betreuung.
Viele Menschen sind im Konflikt mit sich selbst.
Meiner Meinung nach spielen dabei zwei Dinge eine Rolle, die es Menschen in unserem Gesellschaftssystem oft unmöglich machen, sich komplett auf die Kinderbetreuung einzulassen. Zum einen der Verdienst und der gewohnte Lebensstandard. Es fällt Menschen oft schwer sich vorzustellen, mit weniger genauso gut auszukommen.
Der zweite Punkt ist die Identifikation, die Menschen mit ihrer Karriere oft haben. Auf die Frage „Wer bist du?“ kommt meistens die Antwort „Mein Name ist X und ich arbeite als Teamleiter im Vertrieb bei Y“. Diese Identifikation führt dann dazu, dass Menschen, die nicht mehr für Geld in irgendeiner Firma arbeiten oft das Gefühl bekommen, „nichts“ mehr Wert zu sein.
Meine Frau verwirklicht sich selbst, hat Spaß dabei und trägt den Großteil unseres Lebensunterhalts.
Meine Frau hat es geschafft sich von vermeintlichen gesellschaftlichen Rollenbildern zu lösen und ihr Muttersein neu definiert. Sie verwirklicht sich selbst, hat Spaß dabei und trägt den Großteil unseres Lebensunterhalts. Das macht ihr so mancher „Vater“ nicht so schnell nach.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Vorurteile, Wertungen und Meinungen anderer Menschen nicht mein Problem sind. Es sind ihre eigenen Themen, die sie auf uns projizieren. Seitdem ich selbst andere Menschen nicht mehr bewerte und mich von ihren Meinungen befreit habe, hat sich mein persönliches Glück und Wohlbefinden enorm gesteigert.
In unserem westlichen auf Leistung ausgelegten System bekommen wir von Kind an beigebracht, dass wir jemand „werden“ müssen. Also internalisieren wir das Muster, einen Beruf ausüben zu müssen – und das am besten erfolgreich. Ich habe den Eindruck, dass dieser Drang bei Männern* oft stärker und verbissener ist – insbesondere, weil aus meiner Erfahrung Männer* weniger zur reflektierten Selbst-Wahrnehmung tendieren. Es hat für mich Jahre lang gedauert, mich davon zu lösen und Raum für andere Dinge zu schaffen, die mich weitaus mehr erfüllen als meine beruflichen Errungenschaften. Außerdem glaube ich, dass es vor allem für Männer* wenige Vorbilder in ihren eigenen Biografien gibt.
Mein Vater spielt eine sehr große Rolle. Ich hatte einen unglaublich ruhigen, zugewandten und liebevollen Vater. Seinen Einfluss auf mich spüre ich vor allem in stressigen Situationen mit den Kindern, in denen man als Eltern aufs Betriebssystem zurück geht und so handelt wie man es in seiner Kindheit selbst erfahren hat.
Ich möchte anderen Menschen helfen ihre eigenen Muster zu lösen und ihre eigene und authentische Individualität zu finden und zu leben.
Irgendetwas zu tun, was nicht mit mir und meinem Beitrag, den ich leisten will, verbunden ist, kann ich mir nicht vorstellen. Ich möchte nicht irgendwelche Unternehmen beraten, oder in irgendeiner kapitalistischen Organisation arbeiten, damit am Ende irgendein Gesellschafter mehr Geld verdient und es noch ein Produkt mehr auf dem Markt gibt, was eigentlich kein Mensch braucht.
Ich möchte anderen Menschen helfen ihre eigenen Muster zu lösen und ihre eigene und authentische Individualität zu finden und zu leben. Wenn neue Generationen bewusst und gelöst heranwachen, lassen sich automatisch viele Herausforderungen in unserer Welt lösen, davon bin ich überzeugt. Das werde ich aber nur so weit tun, dass ich gleichzeitig meiner Berufung als Papa nachkommen kann.
Ich musste zunächst verstehen, was es bedeutet Eltern zu sein. Da gibt es den einfachen Weg: alles einfach so zu machen, wie ich meine. Doch dann gibt es noch den weitaus anstrengenderen Weg: sich mit sich selbst zu beschäftigen und eigene Themen zu konfrontieren und zu lösen. Ansonsten ist man nicht in der Lage einen anderen Menschen so zu begleiten, dass er wirklich frei sein kann und sich entfalten kann. Das bedeutet für mich bedingungslose Liebe.
Machen wir doch mal ein Experiment: Stellt euch eine fordernde Situation im Umgang mit den eigenen Kindern vor. Ohne dass man es bewusst will, fällt ganz automatisch ein bestimmter Satz, den man so ähnlich schon mal aus dem Mund seiner eigenen Eltern gehört hat. Oft verbunden mit dem Gedanken: Mist, sowas wollte ich doch nie sagen.
Das ist nahezu unumgänglich, denn das passiert durch die Prägung, die wir in unserem psychosozialen System beim Heranwachsen erfahren. Und diese Prägung führt zu vielen Emotions- und Verhaltensmustern. Doch oft entspricht diese Prägung nicht unseren Gaben, Veranlagungen und unserer Individualität, die wir in uns tragen.
Wenn ich mein Kind nun so begleiten möchte, dass ich ihm nicht einfach nur meine eigenen Muster überstülpen möchte, muss ich mir also zunächst meiner selbst bewusstwerden und meine Muster und Prägungen erkennen. Und das ist gar nicht mal so leicht.
Ich bin kein Fan von Tipps oder Ratschlägen. Ich kann nur die Erfahrung teilen, dass sich für mich durch das aktive Papa Werden eine Welt offenbart hat, die ich nicht für möglich gehalten hätte und ein Maß an Erfüllung und Ruhe spüre, das ich vorher nicht kannte.
Interview: Sabrina Proske
Collage/Foto: „Canva“ / Niklas Heinen