Tanja Glissmann ist ein moderner Hippie. Sie liebt die Sechziger und Siebziger Jahre, hat ein Faible für alte Platten, macht fast jedes Wochenende mit ihrer Familie Urlaub im Wohnwagen und die Mode von damals ist Inspiration für ihr Modelabel heute. Black Velvet Circus hat sie erst vor kurzem gegründet und gehört für uns schon jetzt zu den spannendsten Labels Deutschlands. Ihr Credo: „Love the past – wear the future“. Wir führen mit der 38-jährigen Hamburgerin, die schon für Brands wie Lala Berlin und Alexander McQueen gearbeitet hat, ihr allererstes Interview, sprechen mit ihr über das Leben mit eigenem Label, das Designen für Normalos und die Zurückhaltung der deutschen Einkäufer. On top machen wir einen Abstecher in ihren gerade eröffneten Pop-up-Store in der Weidenallee, in dem sie auch viele andere Hamburger Labels verkauft. Follow us!
femtastics: Black Velvet Circus war ursprünglich ein Onlineshop für Vintage, den du 2009 gemeinsam mit einer Freundin gegründet hast. Wie kam es zum Wandel vom Vintage-Shop zum eigenen Label?
Tanja Glissmann: Wir haben damals Sachen in Berlin auf dem Flohmarkt gekauft, gestylt, fotografiert und online gestellt. Das hat total Spaß gebracht. Wir haben aber schnell gemerkt, dass der Arbeitsaufwand zu hoch ist und an den Teilen selbst haben wir dann nicht so viel verdient.
Und wie ging es dann weiter?
Vor zwei Jahren bin ich mit meinem Mann zurück nach Hamburg gezogen. Ich habe das Kaschmirlabel Stephan Boya kennengelernt, das in allen großen Häusern wie Unger und Breuninger ausliegt und für das ich jetzt freiberuflich als Designerin arbeite. Die Arbeit beim Kaschmirlabel ernährt mich und bietet mir gleichzeitig Freiraum. Ich habe ganz schnell gemerkt, dass es unrealistisch ist, in der ersten Zeit mit einem eigenen Label Geld zu verdienen – und wenn man unter Druck steht, ist das einfach eine Qual. Alles was ich einnehme, stecke ich ja im Moment immer wieder rein.
Woher kommt der Name Black Velvet Circus eigentlich?
„Black“ fanden meine Freundin und ich zu der damaligen Zeit sowieso gut, „Velvet“ ist dieses Vintagefühl und „Circus“ ist ein bisschen mysteriös. Wir haben viel mit Namen rumgesponnen und fanden den Klang so gut.
Aber erstmal zurück in deine Studienzeit. Du hast Modedesign am London College of Art studiert. Was hast du am meisten aus dieser Zeit in London mitgenommen?
London hat mir total den Schub verpasst – es bringt immer etwas fürs Selbstvertrauen auch mal über den Tellerrand zu schauen. Ich war so glücklich in der Zeit, wir hatten die ganzen Museen und die Bibliothek, die auch die Schüler vom Central Saint Martins nutzen, vor der Tür und konnten auch alle Werkstätten mitbenutzen. Mode hat in England eine ganz andere Ernsthaftigkeit, allein wie man über seine Mode spricht. Wir mussten immer die Recherche belegen, was von uns kam und was von anderen kam. Fünf Jahre war ich da. Dort habe ich auch meine Liebe zu Vintagemode vertieft.
Bei Alexander McQueen, einem der bedeutendsten Modedesignern der Welt, der mittlerweile nicht mehr lebt, hast du auch gearbeitet. Was für eine Atmosphäre herrschte damals in seinem Atelier?
Ich war, während ich meinen Master gemacht habe, bei Alexander McQueen. Den ersten Abend habe ich nur Blätter an einen Mantel genäht. Zwei Tage danach dachte ich kurz: Ich schmeiße den Master, das ist ja alles total bescheuert. Aber es war toll – es gab extrem viele Praktikanten und auch viele Angestellte, ein riesengroßes Atelier und dann diese tollen Stoffe. Alexander war aber nicht viel da, das hat eher die Sarah gemacht. Er kam ab und zu und hat nochmal den Saum gecheckt. Er war zu der Zeit mein Hero, ich fand und finde ihn einfach am beeindruckendsten.
Du hast von 2008 bis 2012 im Designteam von Lala Berlin gearbeitet – ein Label, das sehr von seiner Designerin Leyla Piedayesh geprägt ist. Was waren deine Aufgaben und inwieweit gibt Leyla den Stil vor?
Wir haben kreativ total gut zusammengearbeitet. Sie hat immer gesagt, was sie sich vorstellt und dann habe ich mit ihr das Konzept ausgearbeitet. Sie war immer für jeden Quatsch zu haben! Leyla konnte ich die schrägsten Sachen vorschlagen und wir haben ganz viele tolle Sachen im Strick ausprobiert.
Bei den Labels und deinem Onlineshop hast du viel mehr im Hintergrund agiert. Wie fühlt es sich jetzt an, mit den eigenen Kreationen rauszugehen und als Designerin mehr im Vordergrund zu stehen?
Es fühlt sich schräg an, aber auch total toll, wenn Leute auf dich zukommen und sagen: „Ich finde toll, was du machst.“ Am schönsten finde ich daran, dass ich seitdem ganz viele tolle Menschen treffe, die auf mich zukommen und die man auch leichter ansprechen kann – das ist der tollste Vorteil. Wenn man bei Designern im Hintergrund agiert, bekommt man das immer nur am Rande mit. Jetzt mache ich zum Beispiel mit Sandra Schollmeyer für die nächste Kollektion eine Kollaboration. Sie webt ein Teil vom Kleid und ich integriere es.
Ich orientiere mich bei den Skizzen nicht nur an den dünnen Strichmännchen – ich versuche, dass es wirklich realistisch ist, was ich da mache.
War es für dich wichtig, erstmal Erfahrungen bei anderen Brands zu sammeln, um dann mit dem eigenen Label durchzustarten?
Auf jeden Fall. Was ich am wichtigsten finde: Ich liebe meinen Job und ich liebe auch, mit Dingen zu experimentieren, ich bin aber auch sehr pragmatisch, was das Design angeht. Ich denke mehr über den Kunden nach, was man vielleicht nicht macht, wenn man gleich anfängt. Wenn man das lange macht, hat man ein besseres Gefühl für die Gratwanderung zwischen Tragbarkeit und Kreativität.
Deine Credo heißt „Love the past – wear the future“. Welche Modeerinnerungen hast du an die damalige Zeit und was verbindest du mit Vintage?
Es gibt fast jede Saison ein Vintageteil, das ausschlaggebend für die Kollektion ist. Ich liebe die Sechziger und Siebziger und habe auch ganz viel Musik aus der Zeit. Ich höre oft die Musik und überlege: Was würde ich dazu eigentlich gerne anziehen? Das ist für mich mittlerweile eine ganz große Inspirationsquelle. Mein Lieblingsstück ist ein Vintagekleid von Dior. Oft lasse ich mich von den alten Schnitten inspirieren und interpretiere sie neu. Was früher ein bisschen össelig war und man heute nicht mehr eins zu eins anziehen kann, intepretiere ich gerne neu. Das finde ich auch bei Strick so toll, da sind es manchmal zwei Zentimeter am Saum, die darüber entscheiden, ob es ein Oma-Pulli oder ein neuer cooler Pulli ist. Ich liebe es auch, wenn es ein bisschen hässlich ist – und man daran arbeitet, dass Leute es verstehen und es cool finden.
Und wen hast du im Kopf, wenn du designst?
Das sind ganz unterschiedliche Frauen und es ist witzigerweise so, dass meine Klamotten auch vielen Frauen stehen (lacht). Aber eigentlich ist es so, dass ich viele Sachen anprobiere und wenn ich mich nicht wohl fühle – ich bin ja auch keine typische Skinny-Frau – verwerfe ich das Teil wieder. Ich versuche es so für eine Frau zu designen, dass es vorteilhaft aussieht. Meine Kollektion kann eine dünne, eine nicht so dünne aber auch eine vollere Frau tragen. Das meinte ich auch damit, dass man pragmatischer designt, eben kundenorientierter. Ich orientiere mich bei den Skizzen nicht nur an den dünnen Strichmännchen – ich versuche, dass es wirklich realistisch ist, was ich da mache.
Wo lässt du deine Sachen produzieren?
Im Moment noch in Hamburg, weil ich eine kleine Stückzahl habe. Ich schaue mich aber gerade nach Produzenten um, entweder in Deutschland oder in Europa – ich will auf keinen Fall weiter raus. Ich möchte gerne, dass es hochwertig und fair produziert wird.
Wie wichtig ist dir Nachhaltigkeit?
Super wichtig! Gerade ist es, als ganz kleines Label, schwierig, das alles zu recherchieren – im Moment ist es ja noch eine One-Woman-Show. Aber ich will mich da jetzt nach und nach intensiver mit beschäftigen. Die Stoffauswahl ist echt schwierig. Man würde gerne mehr machen, aber es ist begrenzt. Was ich jetzt oft mache, ist, dass ich Restposten aufkaufe.
Erst vor ein paar Wochen hast du einen eigenen Pop-up-Store in der Weidenallee mit angrenzendem Atelier eröffnet. Wie kam es dazu?
Das war Schicksal. Ich bin mit meiner Mutter spazieren gegangen, stand plötzlich vor dem Laden und der sah so aus, als ob er ausgeräumt werden würde. Wäre meine Mutter nicht dabei gewesen und hätte mir mit den Ellenbogen in die Rippen geboxt, hätte ich da nicht angerufen, weil ich gedacht habe: „Ach, Weidenallee, das kriege ich ja nie gewuppt.“ Dann habe ich da doch schnell angerufen, stand am nächsten Tag schon im Laden und habe dann einfach gesagt: Ich mache das jetzt. Das Coole ist, dass ich es erstmal nur für fünf Monate habe und es antesten kann. Dann wird der Laden saniert und dann könnte ich wahrscheinlich auch wieder rein. Vorher war in dem Laden das Interior-Label Originol – ich verkaufe jetzt auch ein paar Möbel mit, weil die perfekt zu den Sachen passen. Das gibt dem Laden dann auch gleich eine schöne Atmosphäre.
Vielleicht ist die Konzentration auf den Endverbraucher die Zukunft, ich will das jetzt einfach mal antesten.
Und die Idee, nicht nur ein Atelier zu eröffnen, sondern auch einen Pop-up-Store zu gründen, hattest du auch schon vorher?
Ich wusste auf jeden Fall, dass ich anfangen möchte richtig nach draußen zu gehen und zu verkaufen. Da die Einkäufer in Deutschland etwas stur sind, gerade was deutsche Labels angeht, habe ich gedacht, ich versuche es jetzt einfach alleine. Ich weiß sowieso nicht, ob dieses Konzept Wholesale nicht einfach schon überholt ist. Ich höre von vielen, die sagen, dass die Einkäufer so stur seien und der Einzelhandel hat gerade ja auch zu kämpfen. Vielleicht ist die Konzentration auf den Endverbraucher auch die Zukunft, ich will das jetzt einfach mal antesten.
Also erstmal im Kleinen wachsen?
Ja, genau. Man muss die Sichtweise verändern, ich möchte ja kein Multi-Milliarden-Unternehmen aufbauen, ich möchte einfach ein Unternehmen gründen, bei dem sich die Leute freuen, dass sie wieder etwas Hochwertiges in der Hand halten. Man muss dann sehen, wie es wächst. Was mich nervt: Dadurch, dass du die Personen dazwischen hast, also die Einkäufer, die mitverdienen, summiert sich der Preis in anderen Läden schnell. Klar ist es ein in Europa oder Deutschland hochwertig produziertes Teil, das muss natürlich seinen Preis haben. Das verstehen ja schon viele Konsumenten nicht, weil viele so „preisversaut“ sind. Aber wenn dann noch jemand mitverdient, wird es so teuer, dass es dann wieder nur ein kleiner Kreis kaufen kann. Klar sind meine Teile schon für Leute, die gut verdienen, man soll sich aber auch mal ein Teil ersparen können und nicht ein ganzes Jahr dafür sparen.
Du verkaufst in deinem Store nicht nur dein eigenes Label, sondern auch andere deutsche Brands wie zum Beispiel Ethel Vaughn, Lies in Layers, Studiohammel und Charlotte Simon. Wie kam es dazu?
Als herauskam, dass ich den Laden wirklich übernehme, dachte ich: „Okay, jetzt brauche ich auch Ware.“ Ich habe diesen Winter nicht extrem viel produziert beziehungsweise bin noch dabei. Dann habe ich angefangen zu recherchieren. Jetzt habe ich wirklich eine ganz schöne Zusammenstellung: William Fan ist dabei, Vladimir Karaleev, Ethel Vaughn, Accessoires von Studiohammel, Koshikira und viele mehr. Ich finde die Mischung so schön. Ich bin jetzt echt gespannt – es sind alles nationale Designer, die in der Kombination so sonst nicht zu finden sind.
Du hast es schon angesprochen: Der Einzelhandel ist mittlerweile kein einfaches Pflaster. Die fünfmonatige Testphase ist eine super Idee!
Ja, ich hatte schon immer die Vorstellung, dass ich einen Laden in der Nähe von meiner Wohnung, also in meinem Dunstkreis, habe. Und, dass meine Tochter, wenn sie in die Schule kommt, danach bei mir vorbeikommt, Hausaufgaben macht und wir gehen dann so happy Family nach Hause. Und die Weidenallee ist ja auch eine so schöne Straße.
Hast du eigentlich schon Mitarbeiter?
Ich habe gerade zwei Praktikantinnen von der Uni. Das ist natürlich toll. Erstmal sind wir ein Team und ich sitze nicht mehr alleine da. Ich kann dann auch mit ihnen Sachen absprechen und fange auch an abzugeben und zu delegieren – da muss ich auch erstmal wieder reinkommen.
Und wenn es sich mal nicht alles um Mode dreht, was machst du dann?
Wir fahren fast jedes Wochenende an die Ostsee, bei Kappeln an der Schlei, da sind wir im Wohnwagen auf einem Bauernhof. Wir sind vier Wohnwagen und da fahre ich schon hin seitdem ich fünf Jahre alt bin. Jetzt ist Generationswechsel, Freunde von uns mit Kindern haben da auch einen Wohnwagen übernommen und das ist total schön. Meine Tochter ist jetzt fünf Jahre alt und streunert da das erste Jahr durch die Gegend. Ich komme da immer runter. Man hat da kaum Handyempfang, alles ist aus und da ist gleich ein Naturstrand, einmal den Weg runter. Das ist so herrlich. Seitdem wir in Hamburg sind, haben wir das wieder aufgewärmt. Das ist eine richtige kleine Community. Meine Mutter hat sich an der Schlei ein kleines Ferienhaus geholt, da fahren wir dann im Herbst immer hin. Die Ecke ist so schön, weil es da nicht die typischen Promenadenstrände gibt, sondern alles naturbelassen ist. Es gibt nur eine Pommesbude, den Deich und einen Kiosk – das war’s.
Das klingt traumhaft! Und wo bist du in Hamburg am liebsten?
Ich liebe Flohmärkte. Gerade habe ich den Schanzenflohmarkt wieder für mich entdeckt – ich habe jetzt angefangen, Platten zu sammeln, weil mein Mann und ich es mögen, die Musik zu zelebrieren. Man setzt sich abends hin und legt wirklich die Platte auf. Ich finde, dass generell wieder mehr eine Wertschätzung für Dinge stattfindet. Ich mag es, wenn Platten so zerflättert sind. Wir haben Platten von den Eltern von meinem Mann, wo man weiß, dass sie mit der Platte schon so richtig viel gefeiert haben. Es findet generell wieder eine Wertschätzung von Handarbeit statt – das hat gerade alles wieder ein Revival. Das ist, glaube ich, durch die USA rübergeschwappt – als ich vor ein paar Jahren in San Francisco war, hat es mich beeindruckt, dass sie die ganzen Handarbeiten wieder aufleben lassen, in einer tollen neuen Art und Weise, von Quilting über Häkeln bis hin zum Töpfern.
Es ist auch schön zu sehen, dass sich gerade im Hamburg mehr in der Designszene tut.
Ja, auf jeden Fall. Es war genau der richtige Zeitpunkt. Melanie ist da ja auch irgendwie Schirmherrin geworden und ihr natürlich auch, dass ihr die ganzen Berichte über die Frauen macht, die tolle Sachen machen. Das finde ich gut. Es gibt einen Zusammenhalt in Hamburg und kein Gegeneinander.
Ich glaube, dass in Berlin mehr Konkurrenzdenken herrscht.
Ja, vor allem eine Distanziertheit. Ich glaube, William Fan war auch ganz geschockt, als ich ihn angerufen habe und gesagt habe: „Du machst so tolle Sachen, du musst in meinem Laden hängen!“ Und er meinte nur: „Aber du machst doch auch tolle Sachen, die du im Laden zeigen kannst.“ Ich glaube, dass ist für viele einfach ungewohnt. Man ist doch auch keine Konkurrenz, jeder macht doch trotzdem sein eigenes Ding. Ich will ja auch gar nicht so aussehen wie William und er nicht wie ich. Ich finde es schöner, wenn man sich gegenseitig befruchtet und austauscht. Wir haben ja alle die gleichen Probleme mit Produzenten und Co.
Ein Top-Einstellung! Wir wünschen Dir alles Liebe für die Zukunft. Danke für das schöne Gespräch, liebe Tanja.
Pop-up-Store: Weidenallee 63a, Hamburg
11 Kommentare
Liebes Black Velvet Team,
für die nächste Festivalsaison möchten wir mit einem unserer Kunden mehr in Richtung Fashion gehen. Von einem Werbespot Dreh für diese Marke haben wir nun meterlange grüne Segeltücher über. Diese würden wir gerne mit Hilfe von Ihnen in coole Bauch-/ Beuteltaschen oder Jutebeutel (für andere Ideen (Kleidungsstück?) sind wir offen) umnähen. Diese sollen dann nächstes Jahr auf einigen Festivals wie Hurricane, Highfield etc… verlost bzw. von den Besuchern individuell gestaltet werden (die Mechanik ist hier noch unklar).
Über eine Rückmeldung freuen wir uns.
Viele Grüße aus Hamburg,
Lena