Negative Nachrichten: Was sie mit uns machen – und wie wir besser und anders mit ihnen umgehen können

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6. März 2023

Negative Nachrichten: Tagtäglich werden wir auf verschiedenen Kanälen mit ihnen konfrontiert. Was macht das eigentlich mit uns? Wie beeinflusst deren Rezeption unser Handeln und unsere Entscheidungen?

Die Münchner Autorin und Dokumentarfilmerin Ronja von Wurmb-Seibel hat sich diesem Thema in ihrem Buch „Wie wir die Welt sehen – Was negative Nachrichten mit unserem Denken machen und wie wir uns davon befreien“ gewidmet. Ronja von Wurmb-Seibel ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet als Redakteurin für verschiedene Politikressorts. Wir sprechen mit ihr über Wege, sich achtsamer zu informieren, die große Hoffnung des konstruktiven Journalismus‘, und wie sich Resilienz lernen lässt.

Wir empfinden Kontrollverlust, haben das Gefühl, die Welt ist schlecht und, dass wir nichts dagegen tun können.

femtastics: Ronja, in deinem Buch „Wie wir die Welt sehen“, beschäftigst du dich mit den Auswirkungen von schlechten Nachrichten, mit denen wir ständig konfrontiert sind. Was machen negative Nachrichten mit uns? Inwieweit beeinflussen sie uns?

Ronja von Wurmb-Seidel: Aus der Forschung wissen wir heute, dass negative Informationen – das müssen nicht unbedingt Nachrichten sein – ganz allgemein dazu führen, dass wir uns hilflos und ohnmächtig fühlen. Wir empfinden Kontrollverlust, haben das Gefühl, die Welt ist schlecht und, dass wir nichts dagegen tun können.

Das Fatale daran ist, dass wenn wir uns in einem bestimmten Bereich hilflos fühlen, sich das oft auf andere Bereiche unseres Lebens ausbreitet, also auch dort, wo wir gar nicht hilflos sind. Das kann zu depressiven Verstimmungen oder sogar zur klinischen Depression führen. Es kann auch zu völliger Apathie führen, was ich besonders gefährlich finde. Das ist eine Art Schutzmechanismus, wenn einem alles zu viel ist. Man kann kein Mitgefühl mehr für andere Menschen empfinden. Das fühlt sich für uns als Einzelne nicht gut an, wir sind schließlich soziale Wesen. Und auch für uns als Gesellschaft ist das fatal. Für eine Demokratie ist es essentiell, dass wir uns in andere hineinversetzen können.

Wie definierst du Nachrichten?

Das ist schwierig. Natürlich könnte man sich auf das tagesaktuelle Geschehen beschränken. In meinem Buch lege ich den Fokus allerdings nicht so eng auf Nachrichten, sondern ganz allgemein auf negative Informationen. Nachrichten sind nur deshalb so im Fokus, weil sie beinahe jede*r konsumiert. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner. Aber grundsätzlich geht es um Information aller Art.

Du sagst, Nachrichten seien eher sowas wie ein Fehlerbericht. Wenn wir ständig nur schlechte Nachrichten hören, bekommen wir also ein völlig falsches Bild von der Welt?

Nachrichten sind, mit wenigen Ausnahmen, tatsächlich eine Art Fehlerbericht. Dort wird in der Regel nur gemeldet, was alles schiefgelaufen ist. Darüber sollten wir uns klar sein. Negative Nachrichten bedeuten nicht, dass die Welt immer schlechter wird. Positive Entwicklungen brauchen einfach grundsätzlich mehr Zeit.

Beispielsweise dauert es sehr viel länger, einen Krieg zu beenden als ihn zu starten. Oft fallen positive Entwicklungen auch unter Statistik, als eine pure, trockene Zahl, die nur eine kleine Meldung wert ist, die unser Gehirn wiederum gar nicht richtig aufnimmt. Es ist schwierig, längerfristige Entwicklungen abzubilden. Hinzu kommt, dass viele Redaktionen solche Entwicklungen schlichtweg nicht auf dem Schirm haben.

Wenn man schaut, welche Texte hängenbleiben und weiterempfohlen werden, dann sind das meistens die, die eine konstruktive, lösungsorientierte Perspektive vermitteln.

Nach welchen Kriterien werden meldenswerte Nachrichten eigentlich ausgesucht? Beziehungsweise woran liegt es, dass uns fast nur schlechte Nachrichten berichtenswert erscheinen? Warum springen wir am ehesten auf negative Nachrichten an?

Das ist sehr menschlich. Unser Gehirn ist so angelegt, dass es negative Informationen für sehr viel relevanter hält. Das ist evolutionsbiologisch bedingt. Wenn wir uns zum Beispiel bildlich vorstellen, rechts sind 100 Schafe und links ein Tiger, dann schauen wir auf den Tiger, weil der uns gefährlich werden könnte. Diese Funktionsweise unseres Gehirns hat uns lange dabei geholfen zu überleben. Aber heutzutage, nutzt uns – hier spreche ich von Menschen, die in Deutschland und Zentraleuropa leben – diese Funktion nur noch bedingt. In den allermeisten Situationen ist sie eher hinderlich.

Journalist*innen sind auch nur Menschen. Auch ihre Gehirne funktionieren so. Außerdem werden negative Nachrichten häufiger angeklickt. Wenn man aber schaut, welche Texte hängenbleiben und weiterempfohlen werden, dann sind das meistens die, die eine konstruktive, lösungsorientierte Perspektive vermitteln. Und genau diese Empfehlungen und Verlinkungen werden immer relevanter in der Medienlandschaft. Das heißt, hier sollte dringend ein Umdenken stattfinden. Der „Digital News Report“ vom „Reuters Institut“ von 2022 besagt, dass inzwischen 38% der Menschen aufgehört haben, Nachrichten zu konsumieren.

Vielen Redaktionen ist nicht klar, was ihre Berichterstattung mit den Menschen da draußen macht. Aber so langsam tut sich in den politischen Redaktionen was. Die „Tagesschau“ hat inzwischen den konstruktiven Newspodcast „Ideenimport“ gestartet. Die Strukturen der deutschen Medienbranche sind insgesamt noch ziemlich konservativ und ein bisschen behäbig. Änderungen brauchen Zeit.

Du selbst konsumierst keine Nachrichten mehr. Wie lässt sich das mit deinem Beruf als Journalistin vereinbaren?

Die Form von Journalismus, die ich mache, ist ja sehr speziell. Ich schreibe Bücher und mache Dokumentarfilme. Das heißt, ich muss nicht alles Tagesaktuelle mitbekommen. Aber natürlich informiere ich mich. Dazu lese ich Fachbücher, schaue Dokumentarfilme. Ab und zu lese ich auch vereinzelt nachrichtliche Berichte.

Ich schaue allerdings keine Nachrichtensendungen mehr. Zum einen zieht es mich runter und zum anderen ist für mich der Informationsgehalt relativ gering. Ich suche mir gezielt die Bereiche aus, die für mich entscheidend sind. Mit meinem Beruf lässt sich das sehr gut vereinbaren so, weil ich so viel mehr Zeit für fundierte Recherche und Gespräche mit Betroffenen habe. Wenn ich in einer Newsredaktion arbeiten würde, wäre das natürlich anders.

Ich empfehle, bei Nachrichten nicht nur nach Problemen, sondern immer auch nach Lösungen zu suchen.

Gibt es einen Weg, sich achtsam zu informieren?

Ein ganz wichtiger Faktor ist es, sich zu fokussieren. Jede*r kann sich fragen, welche Themen wirklich relevant für sich sind. Sowohl privat, beruflich, als auch politisch und gesellschaftlich.

Oft spüren Menschen eine Art sozialen Druck, immer über alles informiert sein zu müssen. Davon sollten wir uns möglichst frei machen. Wir sollten uns erlauben, nicht alles mitbekommen zu müssen. Zumal das sowieso nicht möglich ist.

Und ich empfehle, bei Nachrichten nicht nur nach Problemen, sondern immer auch nach Lösungen zu suchen. Ich habe dazu eine Formel entwickelt, die lautet Scheiße + X= ?. Also bei allem, was uns hilflos und ohnmächtig macht, sollten wir uns immer fragen, was ist mein X? Was hilft uns, mit dem Problem besser umzugehen und was bringt uns in Richtung Lösung? Wie bleibe ich handlungsfähig? Denn eigentlich können wir Menschen super gut mit Krisen umgehen. Diese Fähigkeit hat uns immerhin unser Überleben gesichert. Die meisten Menschen sind solidarisch veranlagt. Gerade in Krisen werden wir erfinderisch und halten zusammen. Krisen sind nicht das Problem, es ist das Ohnmachtsgefühl. Dagegen hilft die Suche nach dem X.

Du hast eben schon den konstruktiven Journalismus angesprochen. Hast du hierfür noch ein Beispiel?

Es gibt ein schönes Beispiel aus Dänemark: Bei einer politischen Talkshow wurden die entsprechenden Personen zu einem bestimmten Thema eingeladen. Allerdings unter der Bedingung, dass, wenn sie es nicht schaffen, ein konstruktives Gespräch zu führen und wenigstens über Lösungen nachzudenken, die Show nicht gesendet wird. Anfangs haben die Teilnehmenden wie üblich agiert und gestritten. Sie wurden daran erinnert, wenn das so weiterginge, würde nicht gesendet.

Und siehe da, plötzlich haben sie tatsächlich angefangen, miteinander zu reden. Haben versucht, andere Standpunkte zu verstehen und über mögliche Lösungsansätze gesprochen. Ich finde, das hat eine gewisse Vorbildfunktion für die Menschen vor den Bildschirmen. Die Art, wie öffentliche Debatten geführt werden, bestimmt auch, wie wir zuhause, im Büro oder am Stammtisch über Politik diskutieren.

Wo bekommen wir noch „gute“ und konstruktive Nachrichten her?

Für mehr konstruktiven Journalismus kann ich die App „Squirrel News“, die es auch als Website gibt, empfehlen. Die schreiben keine eigenen Artikel, sondern sammeln aus allen möglichen Redaktionen, Geschichten, wo die Formel Scheiße + X umgesetzt wurde. Inzwischen gibt es auch einige konstruktive News-Podcasts, wie schon erwähnt von der „Tagesschau“, aber auch vom „BR“ und vom „NDR“.

Sowohl als Gesellschaft als auch als Individuum ist es total wichtig, dass wir eingreifen, mitmachen, uns engagieren.

Mit deinem Buch „Wie wir die Welt sehen“ zeigst du auf, wie sehr uns die Art wie Geschichten erzählt werden beeinflusst und wie wir dies gleichzeitig positiv nutzen können. Wie genau kann das funktionieren?

Wir werden insofern beeinflusst, dass wir manchmal falsche Entscheidungen treffen. Vielleicht wählen wir eine andere Partei oder einen anderen Job. Es beeinflusst, welche Versicherung wir abschließen, wie wir unsere Kinder erziehen, oder ob wir überhaupt welche bekommen. Solche Entscheidungen werden unter anderem von Nachrichten beeinflusst und darüber sollten wir uns bewusst sein.

Das ist das Schöne an der Scheiße + X -Formel, dass wir uns fragen, wie wir mit bestimmten Themen umgehen und wie wir da rauskommen. Dinge beeinflussen zu können, gibt uns Mut und die nötige Power, ins Handeln zu kommen. Sowohl als Gesellschaft als auch als Individuum ist es total wichtig, dass wir eingreifen, mitmachen, uns engagieren.

Wir wissen aus verschiedenen Studien, dass eine konstruktive Art zu berichten den Menschen das Gefühl vermittelt: „Okay, wir kriegen das hin!“. Eine schöne Übung für jede*n ist, ein ganz normales Gespräch einfach mal positiv zu beginnen. Wenn wir positiv oder konstruktiv beginnen, fällt es uns leichter, das Gespräch auf diesem Level zu halten. Wenn wir ein Gespräch negativ beginnen, ist es schwer, aus dieser Negativspirale wieder herauszukommen – das wissen wir aus der Forschung. Also, beim nächsten Smalltalk einfach mal positiv anfangen. Das funktioniert natürlich nicht immer, weil manche Menschen dennoch auf der negativen Schiene bleiben und doch entwickelt sich oft ein anderes Gespräch. Man kann sein Gegenüber auch mal gezielt fragen: „Worauf freust du dich besonders? Was hast du Schönes erlebt?“.

Eine schöne Übung für jede*n ist, ein ganz normales Gespräch einfach mal positiv zu beginnen.

Du schreibst, Optimismus wirkt wie ein psychologischer Schutzanzug. Wie eignet man sich einen solchen Schutzanzug an? Lässt sich Resilienz lernen?

Jede*r kann sich Resilienz aneignen, das bestätigen auch Studien. Eine Möglichkeit ist, sich jeden Tag drei Dinge aufzuschreiben, für die man dankbar ist. Wenn wir uns das Positive bewusst machen, fallen uns auch andere gute Dinge um uns herum auf, die wir sonst vielleicht übersehen hätten, weil unser Gehirn so darauf angelegt ist, das Negative zu fokussieren. Bildlich gesprochen ist Resilienz wie ein Muskel, den man trainieren kann.

Wir nehmen uns vor, diesen Muskel wieder öfters zu trainieren! Danke für das spannende Gespräch, liebe Ronja.

Hier findet ihr Ronja von Wurmb-Seibel:

Foto: Niklas von Wurmb-Seibel

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