Die To-Do-Liste von Michael Fritz (35), einer der vier Gründer der Hamburger Wasserinitiative „Viva con Agua“, ist voll – sehr voll. Seit 2006 setzt er sich für sauberes Trinkwasser und bessere Hygienebedingungen in Europa, Afrika, Lateinamerika und Asien ein. Außerdem gehören die alljährliche „Millerntor Gallery“, das Basketballturnier „Viva con Agua Allstars“ mit Prominenten wie Milky Chance, der Podcast „Alles für den guten Swag“, der Support der Initiative „Goldeimer“, bei der es um soziales Klopapier und Komposttoiletten geht und für die Fritz die Hashtagaktionen #instashit und #klofie ins Leben gerufen hat, sowie diverse andere soziale Projekte im In- und Ausland zu seinen Aufgaben.
Seine Rolle im „Viva con Agua“-Kosmos beschreibt er als Hofnarr und seinen Job als Konzeptionsaktivist. Was das genau ist und was soziales Engagement in der heutigen Zeit bedeutet, darüber haben wir mit Michael bei einem Spaziergang durch St.Pauli gesprochen.
Michael Fritz: Ein Konzeptionsaktivist gestaltet und kreiert Konzepte so, dass Menschen soziales Engagement so einfach und sexy wie möglich gemacht wird.
Meistens bin ich ein Kommunikationsmedium. Das heißt, ich kommuniziere unfassbar viel mit Menschen und Organisationen jeglicher Art. Mein Job besteht aus WhatsApp, Instagram, Facebook, E-Mail, Telefon, SMS, Twitter und persönlichen Gesprächen.
Wir sind eine weltweite Community.
Ohne WhatsApp, Facebook oder Instagram ist es definitiv nicht möglich, beispielsweise in Echtzeit mit Freunden in Uganda oder Nepal zu kommunizieren. Das ist das Schöne an Viva con Agua: Wir sind eine weltweite Community. Nicht nur, weil es den Verein in mittlerweile sieben Ländern gibt, sondern auch, weil wir in vielen weiteren Gebieten zusätzliche Projekte machen. Durch die Echtzeitkommunikation kannst du natürlich ganz anders Projekte oder Kampagnen angehen.
Es gibt zwei Ebenen von aktiv: Wo sichern wir ehrenamtliches Engagement und wo haben wir eingetragene Vereine? Viva con Agua als Verein gibt es in folgenden Ländern: Deutschland, Schweiz, Österreich, Spanien, Niederlande, Uganda und in den USA, in Kalifornien. Darüber hinaus haben wir Projekte mit unseren Partnern Welthungerhilfe oder Helvetas in Mosambik, Guatemala, Ruanda, Uganda, Kenia, Äthiopien, Nepal und Indien. Das heißt, wir sind auf mehreren Ebenen in vielen Ländern unterwegs. Natürlich gibt es auch Überschneidungen.
Wir glauben daran, dass es förderlicher ist, positive Aspekte der Länder zu kommunizieren, anstatt immer nur die Defizite. Vor allem die Jugendkultur hat keinen Bock auf Zeigefinger, nach dem Motto „Ihr müsstet euch mal mehr einsetzen“. Deshalb glauben wir daran, dass es gerade mit universellen Sprachen wie Kunst, Sport und Musik den Leuten leichter fällt, sich zu engagieren.
Wir können Länder bei ihrer Entwicklung nur supporten und sollten sie auf keinen Fall verarschen. Unsere Aufgabe ist der Support. Wir wollen einen Kulturaustausch kreieren, so dass wir beispielsweise von Menschen aus Uganda lernen können und sie von uns.
Augenhöhe ist ein weit verbreitetes Wort. Ich möchte das kurz einordnen: 95 Prozent der Menschen in Uganda haben nicht die Möglichkeit, nach Deutschland zu reisen. Sie bräuchten Visa, einen Bürgen und den Flug könnten sie sich gar nicht leisten. Das wären wahrscheinlich drei Monatseinkommen eines durchschnittlichen Verdieners in Uganda, wenn nicht sogar mehr. Wie ich 26 Semester studieren können sie auch nicht. Darum die Frage: Was ist wirklich Augenhöhe? Man kann das lapidar benutzen, aber man sollte sich wirklich Gedanken darüber machen. In Uganda haben Menschen andere Rechte und es gibt eine andere Dynamik, wenn es um Polizei geht. In Deutschland hat man ein anderes Sicherheitsgefühl im Umgang mit der Polizei. Auch, wenn in Deutschland auch nicht immer alles geil ist.
Ich bin eher in der Rolle des Hofnarrs und muss manchmal den Marktschreier machen.
Alle vier Gründer von Viva con Agua haben immer alle Babys auf dem Schirm. Wir nehmen sie mit ins Bett. Wenn es an einer Stelle brennt, dann greift mindestens einer von uns helfend ein. Ich bin sehr früh mit der ganzen Musik-, Kunst- und Sportwelt in Berührung gekommen. Darum ist zum Beispiel Viva con Agua Allstars auch ein Baby von mir, weil dieses Event Musiker und Sportler zusammenbringt und ich das alles auf den sozialen Kanälen begleite. Das heißt, dass ich für unsere Projekte viel Social Media mache, poste und Stories produziere. Mein Gründerkollege Benjamin Adrion arbeitet anders und hat andere Stärken. Er ist der Mensch mit einem sehr guten Zeitgeist und ökonomischen Verständnis. Ich bin eher in der Rolle des Hofnarrs und muss manchmal den Marktschreier machen.
Wir kooperieren und interagieren auf allen Ebenen mit Menschen. Viva con Agua ist vor allem eine Community, eine internationale Gemeinschaft aus Menschen, die entweder etwas besonders gut können oder Vertreter einer universellen Sprache sind. Ob das jetzt Kunst, Musik, Schauspiel, Kultur, Fußball, Basketball, Tischtennis, Unterwasserschach ist – ist erstmal völlig egal. Natürlich hat ein bekannter Musiker in Deutschland ein anderes Umfeld als ein Unterwasserschachspieler. Und trotzdem kann jeder der beiden sein Umfeld „Viva-con-Agua-tisieren“ und Menschen begeistern, um sich auf einfache Art und Weise sozial zu engagieren. Und das freudvoll.
Ja. Und leicht einen sitzen haben. Es gibt doch dieses Zitat von Harald Juhnke: „Meine Definition von Glück? Keine Termine und leicht einen sitzen haben.“ Für uns heißt das übersetzt: Soziales Engagement, geile Projekte und dabei leicht einen sitzen haben.
St. Pauli ist quasi die Ursuppe von Viva con Agua. „Viva con Agua de St. Pauli e.V.“ heißt der erste Organismus, den wir gegründet haben. Das sagt eigentlich alles. Ohne St. Pauli würde es Viva con Agua gar nicht geben. Hätte mein Gründerkollege Benjamin Adrion nicht als Profifußballer bei St. Pauli gespielt, sondern bei Borussia Mönchengladbach, wäre das alles nicht denkbar gewesen. Dort gab’s nicht die Subkultur, die sozialpolitische Komponente, die Werte und Grundannahmen, auf denen so etwas wie Viva con Agua zu dieser Zeit entstehen konnte. Wir sind stark mit dem Verein und dem Viertel verbunden, weil wir hier Viva con Agua gegründet haben.
Unsere erste Grundregel lautet zum Beispiel „Geh den Stars nicht auf den Sack!“
Da gibt es natürlich die unterschiedlichsten Zahlen und Auffassungen. Es gibt das klassische Ehrenamtlichennetzwerk. Dort geht’s ums Pfandbecher Sammeln in 55 deutschen Städten. Dafür haben sich schon 10.000 Menschen angemeldet, die man quasi auf Knopfdruck anschreiben kann. Aber was ist mit all den anderen Supportern, wie Agenturen, Medienleuten, Wasserkunden, Leute, die unser Klopapier kaufen, Leute, die mal ein #Klofie gemacht und gepostet haben, all die, die gespendet haben, all die Musiker etc.? Ich glaube, die Zahl aller Supporter wird vielleicht zwischen 100.000 und 1 Million in Deutschland liegen.
Die ehrlichste Antwort ist: Wir wussten nicht, was wir gründen. Wir waren keine Experten in irgendwas. Benjamin Adrion vielleicht ein bisschen im Profifußball, weil er es lange gemacht hat. Darüber hinaus war aber keiner von uns Experte im NGO-Business oder Sozial-Business. Aber dadurch, dass wir nicht wussten, was wir gründen, haben wir etwas gegründet, das wir für richtig gehalten haben. Unsere erste Grundregel lautet zum Beispiel „Geh den Stars nicht auf den Sack!“. Bis heute gilt, dass wir Stars nur nach Sachen fragen, worauf die Bock haben könnten. Unsere zweite Regel lautet: „Wir machen nur Sachen, die uns selber Spaß machen.“ Dadurch haben wir eben eine All-Profit-Organisation gegründet und keine Non-Profit-Organisation. Wir glauben daran, dass es für alle profitabel sein soll. Dadurch waren wir Vorreiter in Deutschland.
Wertschätze Menschen, die dir ehrlich Kritik geben und dir sagen, was du scheiße machst.
Non-Profit bedeutet: Es geht nicht darum, Profit zu machen im ökonomischen Sinn für die handelnden Akteure. Mir gehören als Gründer keine Prozente. Ich bin festangestellt, krankenversichert. Mega geil, privilegiert, Luxus. All-Profit bedeutet bei uns zum Beispiel, dass ich ganz viele Dinge zu meinem Gehalt dazurechne: Ich kann arbeiten wo ich will. Ich kann Projekte machen, die ich machen möchte. Ich habe keine Strukturen, die mich an der eigenen Potentialentfaltung und an der Potentialentfaltung anderer Menschen hindern. Wir können unsere eigene Unternehmenskultur pflegen und aufbauen. Wir können sagen, wie wir uns Feedback geben wollen, wie wir miteinander arbeiten wollen, welche Rituale wir pflegen wollen.
Ich bin der Letzte, der Tipps in diesem Bereich geben sollte. Am Ende ist alles, was mit Arbeit zu tun hat, eine Frage der Kommunikation. Der wertschätzenden, wohlwollenden, transparenten Kommunikation. Ich glaube, das ist die Königsdisziplin. Genauso wie das Prinzip des aktiven Zuhörens. Ich persönlich habe auch viele Menschen, die mich sehr gut spiegeln, die mir ehrlich auch auf die Fresse hauen, für viele Fehler, die ich schon gemacht habe. Also, wenn ich einen Wink mitgeben darf und jemand das hören möchte: Wertschätze Menschen, die dir ehrlich Kritik geben und dir sagen, was du scheiße machst und hüte dich vor zu Vielen, die dir sagen, das machst du gut. Klar, das ist auch wichtig! Das eine kreiert vor allem dein Ego und das andere kreiert wahre Entwicklung.
Wasser geht jeden was an.
Ich würde nicht mehr für ein Unternehmen arbeiten, das weder das eine noch das andere hat. Das eine ist die Sinnhaftigkeit, dass mein Tun einer höheren Sache als meinem Einkommen oder mir selbst dient. Rein theoretisch wäre das relativ einfach für alle umzusetzen. Man müsste nur die ganzen DAX-Konzerne in ein Solidaritätsprinzip packen und dann wäre alles gut. Ich glaube generell auch an Profit. Es ist völlig in Ordnung, dass man mit seinem Unternehmen Profit machen möchte. Nur ist es eben auch wichtig, wie dann die Profite verteilt werden.
Das Zweite ist, dass ich sehr dankbar bin, die Möglichkeit zu haben, mich im Viva con Agua-Kosmos entwickeln zu dürfen, Coachings zu bekommen und mit Leuten zu arbeiten, die mich weiterbringen und inspirieren. Ich glaube auch, dass viele junge Leute nach so etwas streben. Dass der Chef dir sagt, was richtig ist, ist echt 80ies und sowas von raus. Diese alte, männliche, dominante Form ist für die Komplexität des 21. Jahrhunderts und die Globalität einfach nicht mehr zeitgemäß.
Der Wassermarsch von 2008 war eine Schnapsidee. Daraufhin ist übrigens Viva con Agua Schweiz entstanden. Mittlerweile glaube ich, dass, wenn du Innovation kreieren willst, du dir jemanden ins Team holen musst, der vom Metier keine Ahnung hat. Wenn du beispielsweise ein Auto produzieren möchtest, dann nimm so einen Typen wie mich, der null Ahnung von Physik hat. Der würde einfach ganz anders darüber nachdenken. Vielleicht käme dann heraus, dass man das erste plastikfreie Auto baut. Genau da entsteht Entwicklung: wenn jemand sagt „das hat keinen Sinn“, genau dann nochmal nachfragen. Wer hat das denn behauptet, dass es keinen Sinn hat? Warum? Und für wen? Wir müssen anfangen, die richtigen Fragen zu stellen!
Wenn du Innovation kreieren willst, musst du dir jemanden ins Team holen, der vom Metier keine Ahnung hat.
Die Königsdisziplin ist etwas zu gründen. Es ist der absolute Zeitgeist.
Ich würde die Frage gerne anders beantworten. Die Königsdisziplin ist etwas zu gründen. Es ist der absolute Zeitgeist. Man hat dabei die größte eigene Entfaltung und kann eine Organisation ins Leben rufen, deren Kultur man geil findet. In deren Setting man gerne arbeiten möchte. Man kann sich ganz genau entscheiden, wie man mit wem an welchen Themen arbeitet. Das hat auch das größte Potential für Diversität und Veränderungsprozesse.
Bei uns kann man klassisch spenden, sich in über 55 Städten in Deutschland oder im Ausland engagieren. Fangt einfach an. Man kann unser Wasser, Klopapier oder unsere Kunst kaufen, in die Millerntor Gallery gehen, jedem davon erzählen, auf unsere Events kommen, auf Social Media teilen und uns erklären, was man noch alles machen könnte. Für mich ist Viva con Agua wie die Fantasie: nämlich grenzenlos. Wasser geht schließlich jeden was an.
Fotos: Sarah Buth
Text: Antonia Michael
Layout: Carolina Moscato
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