Du bist keine schlechte Mutter, Du erlebst Muttertät – wie die „schwesterherzen doulas“ Frauen aufklären wollen

Natalia Lamotte (36) und Sarah Galan (30) sind Schwestern, Mütter und Doulas. Unter dem Namen „schwesterherzen doulas“ bieten sie anderen Frauen emotionale Unterstützung und beraten sie und ihre Partner*innen während der Schwangerschaft, Geburt und dem Wochenbett. Denn aus eigener Erfahrung wissen sie, wie wichtig der Support unter Frauen und das Wissen über die eigenen Rechte ist, sobald der Wandel von der Frau zur Mutter beginnt. Wir sprechen mit den beiden Münchnerinnen über die sogenannte „Muttertät“ („Matrescence“) – eine Lebensphase, die Frauen nicht nur körperlich und hormonell, sondern auch psychisch, spirituell und zwischenmenschlich verändert.

femtastics: Ihr beide habt ursprünglich BWL studiert und in einem großen Telekommunikationsunternehmen gearbeitet. Wie seid ihr dazu gekommen, euch gemeinsam als Doulas selbstständig zu machen?

Natalia Lamotte: Nach der letzten Geburt hat sich bei mir der starke Wunsch geregt, beruflich etwas zu verändern. Ich wollte etwas mit meiner Arbeit bewirken und die Erfahrungen, die ich nach insgesamt drei Geburten gemacht habe, an andere Frauen weitergeben. Jede meiner Geburtserfahrungen war anders. Beim dritten Mal hatte ich endlich raus, worauf es ankommt. Man muss dazu sagen: Sarah und ich sind die totalen Nerds und haben in den vergangenen Jahren so ziemlich alles an Büchern gelesen und Podcasts gehört, was es zum Thema Mutterschaft gibt. Inspiriert von unserer Recherche und unseren eigenen Erfahrungen kam mir die Idee, eine Art Pflegeservice für frisch gebackene Mütter zu gründen.

Sarah Galan: Anders als Natalia bin ich recht jung schwanger geworden und war in meinem Freund*innenkreis die erste, die Mutter wurde. Außer Natalia hatte ich zu dieser Zeit niemanden, mit dem ich mich über meine Veränderung austauschen konnte, dabei hätte ich mir mehr Beratung und Unterstützung gewünscht. In mir wuchs daher der Wunsch, Frauen bereits vor der Geburt besser aufzuklären. Als wir schließlich ein Konzept erarbeitet hatten, das unsere beiden Visionen verbindet – also eine Rundum-Beratung vor und nach der Schwangerschaft – mussten wir feststellen, dass es unsere Erfindung bereits gibt. Genau das ist die Arbeit einer Doula. Anders als eine Hebamme, die auch die medizinische Verantwortung während der Geburt trägt, ist die Doula ganz klar für die emotionalen Belange da. Wir ergänzen uns also mit der Hebamme und sind so etwas wie eine gute Freundin, die die Frauen ab der Vertragsunterzeichnung jederzeit kontaktieren können, um Fragen zu stellen.

Wer sind die Frauen, die sich in der Regel an euch wenden?

Sarah: Die Mehrheit sind Zweit- oder Mehrgebärende, also vor allem Mütter, die schon einmal eine schlechte Geburtserfahrung gemacht haben – oder zumindest eine, die verbesserungswürdig ist. Sie wissen, dass eine Unterstützung vor der Geburt oder im Wochenbett helfen kann. Erstgebärende machen dagegen nur etwa zehn Prozent aus, da sie noch nicht wissen, was auf sie zukommt und dass der psychische Support im Nachhinein oft die bessere Investition ist als die vielen materiellen Anschaffungen. Bei der ersten Geburt tut sich eine komplett neue Welt auf. Da ist es nicht verwunderlich, dass man sich nicht mit allen Dienstleistern auskennt, zumal viele den Begriff Doula in Deutschland gar nicht kennen. Ich persönlich hätte gerne schon bei meiner ersten Geburt gewusst, dass es so etwas gibt.

Die starke Flut an Hormonen, denen schwangere Frauen ausgesetzt sind, bewirkt wie in der Pubertät zwiespältige Gefühle, einen Identitätswandel, ein Durcheinander.

In eurem Beratungsangebot spielt ein Begriff eine wichtige Rolle: „Muttertät“. Was hat es damit auf sich?

Natalia: Der Begriff „Matrescence“, zu Deutsch: „Muttertät“, tauchte erstmals in den 70er-Jahren auf und geht auf die Anthropologin Dana Raphael zurück. Wie es der Zufall so will, ist sie es auch, die den Begriff Doula erfand. Matrescence meint, ähnlich wie der Begriff Adoleszenz, eine hormonell bedingte Phase. Die starke Flut an Hormonen, denen schwangere Frauen ausgesetzt sind, bewirkt wie in der Pubertät zwiespältige Gefühle, einen Identitätswandel, ein Durcheinander – das Gefühl, nicht zu wissen, wer man ist und was man genau will. Aber nicht nur das: Auch Freund*innenschaften, Beziehungen zum Partner oder der Partner*in oder zu den eigenen Eltern verändern sich.

Sarah: Tatsächlich wurden Dana Raphaels Aufzeichnungen zur Muttertät erst im Jahr 2008 von der Psychologin Dr. Aurélie Athan im Archiv einer New Yorker Bibliothek wiederentdeckt. Athan, die an der Columbia University lehrte, hatte im Laufe ihrer Karriere immer wieder mit Frauen zu tun, die ambivalente Gefühle äußerten, wenn es um ihre Rolle als Mutter ging. Sie fühlten sich oft überfordert, vermissten ihr altes Leben und wurden von Schuldgefühlen geplagt, wenn sie mal ohne ihr Kind sein wollten. Anders als von ihnen vermutet, leidete jedoch keine dieser Frauen unter einer postnatalen Depression. Was sie durchlebten war Muttertät.

Sie fühlten sich oft überfordert, vermissten ihr altes Leben und wurden von Schuldgefühlen geplagt, wenn sie mal ohne ihr Kind sein wollten. Anders als von ihnen vermutet, leidete jedoch keine dieser Frauen unter einer postnatalen Depression. Was sie durchlebten war Muttertät.

Natalia: Viele Dinge, wegen derer ich mir wie eine schlechte Mutter vorkam, wurden mir dank dieses Begriffes mit einem Mal klar. Ich wusste endlich, dass meine Erfahrungen und Gefühle normal waren und ich mit ihnen nicht allein bin. Muttertät ist ein gemeinschaftliches Empfinden. Und sie ist eine Phase, die nicht nur sechs Wochen umfasst wie das Wochenbett, sondern – wie die Pubertät – mehrere Monate, manchmal auch Jahre.

Die Schwestern Natalia und Sarah haben gemeinsam „schwesterherzen doulas“ gegründet.

Die holländische Neurowissenschaftlerin Elseline Hoekzema konnte mit Hilfe von MRT-Bildern nachweisen, dass die Struktur des Gehirns einer werdenden Mutter sich eindeutig und langfristig verändert. Es findet quasi eine Neuprogrammierung des Hirns statt. Was bedeutet diese neuronale Veränderung für Mütter, auch in Bezug auf ihre psychische Verfassung?

Natalia: Der Computeralgorithmus kann anhand von MRT-Aufnahmen zu 100 Prozent erkennen, ob eine Frau bereits Mutter ist oder nicht. Das bedeutet also, dass Muttertät nicht nur ein Empfinden ist, sie lässt sich auch wissenschaftlich und neurologisch belegen. Auch hier gibt es Überschneidungen mit der Pubertät. Tatsächlich konnte beim Vergleich der MRT-Bildern von Müttern und jungen Mädchen in der Pubertät gezeigt werden, dass es sich um sehr ähnliche Veränderungen handelt, die durch dieselben Hormone bedingt werden: Progesteron und Östrogen. Beides wird während der Schwangerschaft von der Plazenta exzessiv ausgeteilt wird, genau wie in der Pubertät durch die Hormondrüsen.

Das Besondere an diesem Wandel ist, dass er sich auf fünf Ebenen abspielt: körperlich, beruflich, spirituell, auf psychologischer und auf der Beziehungsebene. Diese fünf Bereiche können (müssen aber nicht) in unterschiedlichem Ausmaß und mit jeder Schwangerschaft variieren.

Das Besondere an diesem Wandel ist, dass er sich auf fünf Ebenen abspielt: körperlich, beruflich, spirituell, auf psychologischer und auf der Beziehungsebene.

Sarah: Fest steht, dass ein Wandel geschieht. Das Empfinden, nicht zu wissen, wohin mit dir, kann daher zusätzlich verstärkt werden, wenn du versuchst, Widerstand gegen die Veränderungen zu leisten. Viele Frauen spüren den Druck, ihre Veränderung nicht offensichtlich zu zeigen. Im Beruf soll man ihnen nicht anmerken, dass sie Mutter sind und gleichzeitig soll man ihnen in ihrer Rolle als Mutter nicht anmerken, dass sie auch ein Berufsleben haben. Sie sollen möglichst die Alte sein, in die alte Jeans passen und genauso spontan und lustig sein wie vorher. Wenn man aber die ganze Zeit versucht, wieder die Alte zu sein und sich dem Persönlichkeitswandel widersetzt, wird die Muttertät nur noch länger und schwieriger und die ambivalenten Gefühle werden stärker. Man arbeitet dann gegen sich selbst.

Wieso ist der Begriff in Deutschland bislang nicht etabliert? Ist Mutterschaft hierzulande – in eurer Wahrnehmung – ein weniger relevantes Thema in der Gesellschaft als in anderen Ländern?

Natalia: Ich glaube, dass es in den anderen Ländern nicht sehr viel anders ist als bei uns. In den USA ist es beispielsweise noch viel schlechter um die Rechte der Mütter bestellt. Dort müssen Frauen nach nur sechs Wochen in ihren Job zurückkehren – und das oft in Vollzeit. Der Druck von der Gesellschaft, die Mutterschaft zu überspielen, als sei nichts gewesen, ist also noch stärker. Überraschenderweise ist der Begriff Matrescence in Frankreich schon etablierter, dennoch konnten wir in der gesamten D-A-CH-Region keinen einzigen Artikel oder Blogbeitrag dazu finden. Wie kann das sein, dass wir davon hier gar nichts mitbekommen? Nach unserer Recherche hatte ich tatsächlich zunächst überlegt, zum Thema Muttertät zu promovieren. Doch ich konnte nach drei Abenden Recherche keinen einzigen Lehrstuhl finden, der sich mit der psychischen Gesundheit der Mutter beschäftigt, wenn es nicht um Depressionen geht.

Sarah: Es geht hier ja um keine Krankheit. In der Medizin ist die Muttertät also kein Thema. Genau wie auch die Pubertät keine Krankheit ist. Was interessant ist, weil es auch hier eine Parallele gibt. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Pubertät noch kein Begriff – und so gab es Jugendliche, die aufgrund ihres Verhaltens als verrückt erklärt wurden. Heute wissen wir: Nicht jede*r rebelliert oder erlebt die äußeren und inneren Veränderungen ähnlich intensiv. Aber jede*r geht durch diesen Wandel, durch den sich Interessen, Beziehungen und die Persönlichkeit verändern. Erst der Begriff führte dazu, dass diesem Wandel ein Rahmen gegeben wurde, wodurch man ihn als normal identifizieren und darüber sprechen konnte. Über Schwangere heißt es oft, dass sie vor lauter Hormonen durchdrehen. Das Verständnis, das wir im Umgang mit Pubertierenden gelernt haben, ist hier noch nicht vorhanden.

(Wie) können Frauen sich besser auf die Veränderungen in allen Bereichen ihres Lebens einstellen? Und wie begleitet ihr sie auf diesem Weg?

Natalia: Es hilft schon, sich aktiv damit auseinanderzusetzen und sich nicht zu stark gegen die eigene Veränderung zu wehren. Wir raten dazu, sich alle Ebenen, die betroffen sind, anzuschauen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und vor allem den Fokus auf die positiven Veränderungen zu lenken. Wichtig ist aber zunächst einmal das Bescheidwissen. Sprache hat eine enorme Macht und wenn man etwas in Worte fassen kann, dann kann man es auch besser beherrschen. Mir hätte es damals sehr geholfen, wenn jemand gesagt hätte: „Pass auf, es wird passieren und es wird auch gut sein. Du wirst definitiv eine Version von dir erleben, die dir besser gefallen wird, das kann ich dir versprechen. Es wird komplex, schön und verwirrend. Und das ist okay. Sei darauf gefasst, du bist deswegen keine schlechte Mutter, du brauchst dich deswegen nicht schlecht fühlen!“.

Wenn man all das weiß, kann man sich sicher genug fühlen, über die eigenen Gefühle und Zweifel zu sprechen. Die meisten schämen sich, wenn sie ambivalente Gefühle spüren. Gedanken wie: „Ich wollte so gern ein Kind, aber jetzt zähle ich schon die Stunden runter, bis es schlafen geht – was bin ich nur für eine Mutter?“ sind völlig normal.

Viele Frauen spüren den Druck, ihre Veränderung nicht offensichtlich zu zeigen. Im Beruf soll man ihnen nicht anmerken, dass sie Mutter sind und gleichzeitig soll man ihnen in ihrer Rolle als Mutter nicht anmerken, dass sie auch ein Berufsleben haben.

Sarah: Es ist uns ein Herzensanliegen, mehr Toleranz und Offenheit zu schaffen, damit Frauen sich untereinander ehrlich über ihre Erfahrungen austauschen können. Denn dann sehen sie, dass sie nicht allein mit ihren Gefühlen sind. Zu wissen, dass du nicht die Einzige bist, hilft schon. Und dass es keine Pathologie ist – also keine Depression. Natürlich gibt es auch Frauen, die tatsächlich unter einer postnatalen Depression leiden, aber die meisten der Frauen, die denken, dass sie ein Problem haben, sind einfach in der Muttertät.

Es ist daher wichtig, nicht nur die Happy Moments, sondern alle Erfahrungen zu teilen. Genauso wichtig sind das Verständnis und Mitgefühl von der Umgebung, das darf man auch nicht vergessen. Für Jugendliche in der Pubertät hat die Gesellschaft heutzutage Verständnis, weil wir wissen, was sie durchmachen. Wir haben die Hoffnung, dass es auch von der Umgebung Verständnis für Mütter gibt, wenn sich der Begriff Muttertät durchsetzt. Und nicht nur von der Umgebung, auch von den Müttern zu sich selbst. Oft ist die eigene Stimme die gemeinste. Wenn die Mütter schon mit ihren Partner*innen darüber reden könnten und ihnen sagen könnten, was sie empfinden, wäre allein schon in der Partner*innenschaft vielen Missverständnissen vorgebeugt.

Ihr sagt, dass viele Frauen nach dem unrealistischen Bild der perfekten Mutter streben, die ihr eigenes Wohl hintenanstellt und gleichzeitig als Mutter die „beste Zeit ihres Lebens“ hat. Woher kommt dieses Bild bzw. der Eindruck, dass Muttersein (selbstgewählte) Selbstaufgabe bedeutet?

Natalia: Das fragen wir uns auch. Sehr wahrscheinlich ist es kulturell bedingt, wir haben beispielsweise hier in Bayern besonders den Eindruck, dass es noch oft heißt, dass Mütter nicht so viel arbeiten sollen. Nach dem Motto: Die ersten zwei Jahre gehört das Kind der Mutter. Gerade in den ländlichen Regionen sind „Krippenkinder“ fast schon verpönt. Von den Müttern wird erwartet, dass sie nur ein Bedürfnis haben: das ihrer Kinder. Ein Job wird noch einigermaßen toleriert, aber beispielsweise der Wunsch, ganz allein eine Stunde in die Stadt zu gehen und einen Kaffee zu trinken? Obwohl man Kinder hat, die zu Hause warten? Wie kann man das wollen? Wenn wir mit Frauen sprechen, bemerken wir oft, dass dieses Mutterbild aus ihrem eigenen Elternhaus stammt, wenn die eigene Mutter nicht gearbeitet hat und ihnen vorgelebt hat, dass sie nur für die Kinder da war und immer als Letztes an sich gedacht hat. Oft sind es also die direkten Vorbilder in der Kernfamilie, aber auch die Nachbarschaft, Gemeinschaft, Social Media und die Gesellschaft haben einen großen Einfluss.

Was, wenn ich nicht dem Bild der „perfekten Mutter“ entspreche, sondern die Mutterschaft manchmal bereue? Geht es vielen Frauen so, eurer Erfahrung nach?

Sarah: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele Frauen sich nicht nur auf Social Media, sondern auch im eigenen Freund*innenkreis oder auf dem Spielplatz mit anderen Müttern vergleichen und dort überwiegend die Highlights des Mutterseins teilen. So haben viele Mütter das Gefühl, dass es bei den anderen leichter läuft und die anderen das Muttersein mehr genießen. Also versuchen sie Gründe dafür zu finden, weshalb ausgerechnet bei ihnen nicht alles perfekt klappt: Das zweite Kind kam direkt nach dem ersten, das Kind hatte anfangs starke Bauchschmerzen, man hatte zuvor nie viel Kontakt zu kleinen Kindern. Jede versucht eine Erklärung dafür zu finden, warum es bei ihr so anstrengend war, dabei ist es anstrengend, weil es anstrengend ist. Es wird zu wenig offen über alle Gefühle gesprochen. Sobald man sagt: „Ganz ehrlich, das geht mit genauso!“, dann kommt oft als Reaktion: „Ja, echt? Darf man so denken? Darf man auch Lust haben, mal ein Wochenende ohne das Kind zu sein?“. Ja, natürlich. Auch wenn es noch so klein ist. Wir erleben selten Frauen, die ganz deutlich sagen, dass sie Probleme haben.

Jede versucht eine Erklärung dafür zu finden, warum es bei ihr so anstrengend war, dabei ist es anstrengend, weil es anstrengend ist. Es wird zu wenig offen über alle Gefühle gesprochen.

Natalia: In den USA wurde vor wenigen Jahren versucht mit dem Hashtag #motherhoodunfiltered normale Situationen zu zeigen und den ganz normalen Alltag von Müttern abzubilden. Damit Frauen sehen, dass alle anderen Mütter auch struggeln. Man bekommt ja sonst immer nur einen Ausschnitt aus dem Leben der anderen mit – und das muss nicht einmal nur auf Social Media so sein. Selbst wenn man seine Freund*innen sieht. Ich war vor den Kindern ein total entspannter und flexibler Mensch. Jetzt mit den Kindern bin ich oft erschrocken, wie laut und ungeduldig ich sein kann. Mein Freund*innenkreis denkt aber nach wie vor, dass ich ruhig und entspannt sei, weil sie nicht alles sehen. Man muss es daher schon deutlich sagen: Ich habe heute wirklich unfair mein Kind zusammengestaucht.

Natalia und Sarah mit ihren Kindern.

Haben sich bei euch durch eure Arbeit und die Erfahrungen mit den anderen Frauen auch in eurem Leben und in eurer Mutterschaft Dinge verändert?

Sarah: Auf jeden Fall. Damals, als ich so früh Mutter geworden bin, war das größte Lob und Kompliment, das ich von meinen Freund*innen bekommen habe, dass man mir die Veränderung gar nicht ansähe und dass ich so sei wie vor der Geburt. Daraufhin habe ich noch mehr dagegen angekämpft, mich zu verändern, um für meine Freund*innen die zu bleiben, die ich in ihren Augen war. Allein durch die Recherche zur Muttertät und die Begrifffindung konnte ich mich dem Prozess nun viel mehr hingeben – und in manchen Bereichen wahrscheinlich auch erst jetzt im Austausch mit anderen Müttern. Ich habe jetzt andere Ansprüche, auch in politischer Hinsicht und frage mich, warum ich bestimmte Dinge vorher nicht so wichtig fand wie heute. Ich möchte nun mit meiner Arbeit etwas Sinnstiftendes leisten und nicht zehn Menschen aus dem Vorstand zuarbeiten. Vielen Frauen spüren diesen Drang nach Aktivismus, wenn sie Mutter werden. Einigen liegt nach der Geburt auch das Thema Umwelt stärker am Herzen und haben Bedarf, sich stärker im Bereich Nachhaltigkeit zu engagieren – auch beruflich.

Natalia: Mir hat es vor allem mehr Erleichterung verschafft. Ich habe viel mehr Mitgefühl mit mir selbst und weiß, wenn ich wütend werde, muss ich hinschauen, woran das liegt. Meistens wurden dann Grenzen überschritten. Jetzt, mit dem Wissen, habe ich auch kein schlechtes Gewissen mehr, wenn ich auf meine Bedürfnisse achte. Ich weiß, es bringt mehr, wenn ich mit den Kids nach Hause komme und mir selbst das erste Brot schmiere. Das ist besser für uns alle. Früher dachte ich, dass es sich so gehört, erstmal drei Kindern drei Runden Brote zu schmieren, obwohl ich dabei selbst schon auf dem Zahnfleisch lief und so aggressiv wurde, dass ich auf einmal total explodiert bin, wenn ein Glas umkippte – was immer passiert. Hätte ich dieses erste Brot einfach gegessen, dann wäre ich damit entspannter umgegangen. Nur weil man an sich selbst denkt, ist man keine Rabenmutter.

Nur weil man an sich selbst denkt, ist man keine Rabenmutter.

Gerade jetzt, wenn die Schulen und Kitas wieder öffnen, sind viele Mütter erleichtert, dass sie die Kinder wieder woanders unterbringen können. Gleichzeitig haben viele das Bedürfnis, sich deshalb zu rechtfertigen: „Ich liebe meine Kinder.“ – Dass man das immer dazusagen muss. Ich liebe meine Kinder, auch wenn ich es super finde, dass sie das Wochenende über bei den Großeltern sind.

Seht ihr in eurer Arbeit auch einen politischen Aspekt? Macht ihr beispielsweise die Erfahrung, dass Frauen, die ihr auf ihrem Weg zur Mutter begleitet, einen Prozess der Emanzipierung durchlaufen, sich Benachteiligungen oder Rollenbilder bewusst werden?

Natalia: Das ist sehr unterschiedlich. Generell ist es so, dass die Frauen, die sich für Doulas interessieren, oft schon wissen, was ihnen zusteht und wie viel Hilfe sie sich organisieren können oder sie im Gegensatz eine sehr schlechte Erfahrung gemacht haben und sich daher aus Angst an uns wenden, nicht noch einmal das Gleiche erleben zu müssen. Das sind dann die, die sich im Krankenhaus als Gast gefühlt haben und nicht als böse Patientin auffallen oder zu viel verlangen wollten. Unsere Aufgabe ist es, sie bei der nächsten Geburt darauf vorzubereiten: „Das ist dein Moment. Die haben dort hundert Geburten in einem Monat, aber für dich ist es dieser eine Moment. Du bist da nicht Gast, die arbeiten für dich. Du darfst entscheiden.“

Von diesem selbstbestimmten Gebären sind wir aber noch weit entfernt, auch wenn ich manchmal einen anderen Eindruck habe, wenn ich mir unsere Instagramfollower*innen anschaue. Das ist aber nur eine Bubble. Die meisten haben keine Ahnung, welche Rechte sie haben, weder bei der Geburt in der Klinik noch danach, wie sie um Hilfe bitten können und dass es okay ist, zu sagen: „Liebe Gäste, kommt vorbei, aber bringt etwas zu Essen mit!“ oder: „Ich kann eine Woche nach der Geburt nicht die perfekte Gastgeberin sein.“.

Sarah: … Oder: „Kommt einfach nicht vorbei in den nächsten vier bis fünf Wochen.“. Viele denken, sie müssten jedem das Baby zeigen und die Leute in ihre Wohnung lassen, egal wie sie sich fühlen. Wenn es um die psychische Gesundheit und Selbstbestimmtheit gegenüber Autoritäten geht, haben wir noch einen Weg vor uns.

Wieso ist die Matrescence etwas, mit dem sich nicht nur angehende Mütter auseinandersetzen sollten? Wie könnten wir alle, die Gesellschaft von mehr Aufklärung und Bewusstwerdung profitieren?

Natalia: In erster Linie sind alle betroffen, denn wenn es den Müttern gutgeht, dann geht es auch der Gesellschaft gut. Die mentale Gesundheit von Müttern ist ein großer Faktor für das Gesundheitssystem. Aktuell ist der Hebammenmangel so stark, dass viele Frauen ohne Nachsorge ihr Kind bekommen müssen. Eine Investition würde sich aber nicht nur hier lohnen, auch im beruflichen Kontext könnte man sich die Mutterschaft zum Vorteil machen. Wenn man die Veränderungen kennt, die eine Frau während der Muttertät durchläuft, weiß man, dass sie deutlich effektiver und strukturierter arbeitet, durch die Geburt und die Zeit mit dem Kind.

Ich hatte mal eine Klientin, die Schriftstellerin war und an einem Schreibworkshop teilnahm. Alle anderen Teilnehmer*innen waren kreative Freelancer*innen, sie war die einzige Mutter – und die Einzige, die jeden Tag von 11:30 Uhr bis 13 Uhr geschrieben hat, während die anderen sich wunderten, wie sie so feste Zeiten einhalten konnte. Sie konnte es, weil sie es musste. Weil sie eben noch einen anderen Job hat: Carearbeit. So geht es vielen Müttern im Job, wenn sie mit Kolleg*innen sprechen: Sie schaffen oft viel mehr in wenig Zeit. Zudem haben sie eine andere Empathie und eine andere Priorisierungsfähigkeit. Das Erlebnis, Mutter zu sein, macht etwas mit ihnen. Diese Veränderung macht sie reifer, was jedoch nicht belohnt wird. Denn in der Regel kehrst du als Mutter in den Job zurück und deine Karriere wird erstmal verlangsamt. So als wärst du das Jahr über keine Verbesserung oder Reifung durchlaufen.

So geht es vielen Müttern im Job: Sie schaffen oft viel mehr in wenig Zeit. Zudem haben sie eine andere Empathie und eine andere Priorisierungsfähigkeit.

Habt ihr auch viel Kontakt und Austausch mit den Partner*innen? Kommen da viele Nachfragen, wie die Mütter besser unterstützt werden können?

Sarah: Auch das ist recht individuell, es gibt ein paar Engagierte, aber es kommen insgesamt schon recht wenige der Partner*innen auf uns zu. Kontakt mit ihnen haben wir meist nur über die Schwangere. Einige sind nur froh, dass die Frau gut aufgehoben ist und dass der ganze Druck nicht nur auf ihnen allein lastet und sie jemanden haben, der sie vor allem unter der Geburt entlastet.

Natalia: Dabei ist es auch wichtig, die Partner*innen darauf vorzubereiten, dass die Frau sich durch die Mutterschaft verändern wird. Auch das ist wie bei der Pubertät. Wenn du als Elternteil weißt, dass dein Kind sich schneller angegriffen fühlt, weil es in der Pubertät ist, dann ist das natürlich auch für dich anstrengend, aber du weißt, dass es sein Verhalten nicht boshaft meint. Genauso hilft es auch Partner*innen, wenn sie wissen, dass die Frau in einer Phase steckt, die vergänglich ist. Gerade nach der Geburt fällt ein Großteil an Hormonen mit der Plazenta ab, was stark auf die Psyche gehen kann.

Genauso ist auch die Pubertät eine Phase, die sehr anfällig für psychische Krankheiten ist. Auch da ist Sensibilität von der Umgebung gefragt und kann viel abfedern und vorbeugen. Wobei man bedenken muss: Der Teenager hat nur sich, er erlebt diesen Wandel und spürt dieses Hin-und-hergerissensein und diese Anspannung, muss sich aber nur um sich und vielleicht noch um die Schule kümmern. Er hat aber nicht zusätzlich noch einen neuen Menschen, um den er sich 24 Stunden am Tag kümmern muss. Diese Erwartung – „Nach der Geburt bin ich: ich und mein Baby“ – die müsste man eigentlich ersetzen. Nach der Geburt ist da das Baby und ein neues Du. Wenn du das weißt, dann kannst du auch anders auf dich achten.

Inwiefern spielt die Bildung einer Community für euch, aber auch für die Frauen, mit denen ihr arbeitet, eine Rolle?

Natalia: Wir arbeiten gerade an einem Workshop für interessierte Mütter, in dem wir über die Muttertät sprechen und ihnen individuell helfen und herausfinden, was sich konkret bei ihnen verändert hat. Gleichzeitig erleben sie, wie es bei den anderen Teilnehmerinnen ist und können sich mit ihnen über ihre Erfahrungen austauschen und so auch mehr Toleranz für die anderen aufbringen. So können sie eine Peergroup bilden und auch einander um Hilfe bitten. Man muss nicht erst warten, bis ein Problem entstanden ist, um sich Hilfe zu suchen. Es hilft auch schon, in dieser neuen Situation Menschen zu haben, mit denen man sprechen kann. Vor allem, wenn man wie Sarah die erste im Freund*innenkreis ist und auf diese Weise andere kennenlernt, die in derselben Situation sind.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

Hier findet ihr „schwesterherzen doulas“:

Fotos: Katarina Fedora

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