“Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau” lautet der Titel des neuen Buches von Model, Aktivistin und Podcasterin Phenix Kühnert. Phenix ist eine trans Frau. Das bedeutet, das Geschlecht, das ihr spätestens bei ihrer Geburt zugewiesen wurde, entspricht nicht dem, was sie eigentlich ist. Nämlich eine Frau. In ihrem Autorinnen-Debut nimmt sie uns mit auf ihre persönliche Reise zu sich selbst und erzählt auf anekdotische Weise von ihren ganz individuellen Erfahrungen. Mit viel Sensibilität, Offenheit und Humor. Im Interview spricht Phenix darüber, wozu sie Menschen mit ihrem Buch einladen möchte, was wir in unserer Gesellschaft noch brauchen, um mehr Diversität und Inklusion zu leben und warum Empathie dabei eine große Rolle spielt.
Phenix Kühnert: Manche Menschen behaupten, man könne sich Dinge einfach an-identifizieren, also als wenn man sich morgens im Kleiderschrank aussucht, als was man sich denn heute identifiziert. Das halte ich für absolut unpassend, wenn es um das trans sein geht. Sich damit nur zu identifizieren, wirkt viel distanzierter als zu sagen: “Das bin einfach ich!” Das möchte ich damit ausdrücken.
Was ist heute meine Sexualität? Es ist mir ehrlich gesagt egal. Ich date Menschen so, wie es sich für mich gerade richtig anfühlt.
Rückblickend betrachtet war es schon in meinen ersten Erinnerungen so, dass ich mich da nicht so ganz wohl mit fühlte. Dass ich es wirklich offen ausgelebt habe und immer offener damit umgegangen bin, muss so mit ungefähr 20 gewesen sein. Junge Menschen versuchen immer ganz stark, sich in Kategorien einzuordnen. Das ist menschlich, denn das tun wir alle. Ich musste ein gewisses Alter erreichen, um selbst als queere Person und als nicht Cis-geschlechtliche Person zu verstehen, dass Kategorien oder Schubladen natürlich einen gewissen Halt und eine gewisse Sicherheit geben können. Aber man muss sich nicht so toxisch in einer Schublade halten, das ist totaler Quatsch. Das habe ich vor allem in Bezug auf meine Sexualität gemerkt.
Was ist heute meine Sexualität? Es ist mir ehrlich gesagt egal. Ich date Menschen so, wie es sich für mich gerade richtig anfühlt. Genau so versuche ich das auch auf mein Geschlecht zu übertragen. Deswegen war es mir ganz wichtig, in meinem Buch zu schreiben: Ich bin ein Mensch, ich entwickele mich weiter und vielleicht schreibe ich in fünf Jahren ein ganz anderes Buch. Dann ist das aber genauso valide. Wir sind Menschen und so wie wir sind, sind wir okay. Und genauso wichtig ist es als Gegenüber, immer den Menschen zu respektieren, ernst zu nehmen und als valide zu betrachten.
Eigentlich hatte ich gar keine Wahl. Ich habe schon immer gerne viel über mein Leben geteilt, da gehörte das trans sein für mich ab einem gewissen Punkt dazu. Und ich habe realisiert, wie wenig Wissen teilweise auch mein eigenes Umfeld hat und wie dadurch mit mir umgegangen wurde. Meine Intention ist – egal ob das nur ein oder zwei Leute sind, denen ich irgendwie helfen kann – dass deren Weg letztendlich ein bisschen einfacher wird. Es reicht schon, wenn ich nur ein paar Leuten etwas gezeigt oder gesagt habe, das sie sich wirklich zu Herzen nehmen, mitnehmen und irgendwo weitertragen. Das finde eine schöne Vorstellung.
Ich bin nun seit ungefähr zehn Jahren auf den sozialen Medien unterwegs. Und die ersten neun Jahre davon waren ehrlich gesagt von sehr wenig Erfolg geprägt. In dieser Zeit meiner Medienkarriere habe ich versucht, anderen Leuten nachzueifern und war nicht ich selbst. Ich habe immer versucht herauszufinden: Was ist cool? Was machen die anderen Leute? In welche Nische könnte ich passen? Erst als ich angefangen habe, wirklich mich selbst mitzuteilen und authentisch zu sein, kam der Erfolg auf Social Media.
Je mehr Repräsentation Diversity erfährt, desto mehr Menschen werden darüber aufgeklärt, dass das wichtig und normal ist.
Das ist für mich eine schwierige Frage, weil ich mich aus Selbstschutz hauptsächlich in meinen Bubbles bewege und mich mit “meinen” Leuten umgebe. Besonders in den Sozialen Medien. „TikTok“ beispielsweise nutze ich nicht so gerne, weil ich da meiner Erfahrung nach weniger Kontrolle darüber habe, wer meinen Content sieht und kommentiert.
Generell bin ich optimistisch und glaube, wir sind auf einem guten Weg. Menschen wie ich erfahren immer mehr Repräsentation. Und je mehr Repräsentation Diversity erfährt, desto mehr Menschen werden darüber aufgeklärt, dass das wichtig und normal ist. Ich vermute und hoffe, dass die Gruppe von Menschen, die etwas dagegen haben, immer kleiner wird. Wenn ich nicht das Gefühl hätte, dass wir uns dahingehend in eine gute Richtung bewegen, hätte ich mein Buch nicht geschrieben.
Es ist nicht meine Intention, mich in einer Diskussion über Diversity als Opfer darzustellen. Wenn wir gefühlt nicht bereits an einem Punkt wären, wo es möglich ist ohne diese Opferhaltung darüber zu sprechen, hätte ich es gar nicht erst gemacht.
Grundsätzliche Probleme, die wir in der gesamten Gesellschaft haben, lassen sich oft auf die queere Community übertragen. Natürlich auf einer anderen Skala oder in einer anderen Ausprägung. Dennoch gibt es Rassismus in der Community, genauso wie in der gesamten Gesellschaft. Auch was verschiedene Geschlechtsidentitäten angeht, mag ich es persönlich nicht, wie die Community manchmal untereinander und miteinander umgeht. Können wir nicht das Haten den anderen überlassen? Da bin ich echt kein Fan von. Das ist immer dieser Kampf um die eigene Daseinsberechtigung.
Die Menschen da draußen – egal wie wenige das sind – die mir das Gefühl geben, dass sie sich durch mich gesehen, gehört und repräsentiert fühlen. Meine liebsten Nachrichten, die mich auf den Sozialen Medien erreichen, sind die von Eltern, die ihre Kinder sehr offen erziehen. Vor allem, was die Geschlechtsidentität angeht. Darüber freue ich mich sehr, weil ich eben weiß, wie wichtig es ist, dass ein Kind dahingehend eine Offenheit spürt.
Es ist etwas super Individuelles. Etwas, das sehr in dir selbst ruht. Ein intuitives Empfinden. Das ist einfach in mir drin und alles was nach außen passiert, richtet sich sehr nach gesellschaftlichen Konstrukten, die es zu hinterfragen gilt. Das ist jetzt eine sehr vage Antwort, aber viel definitiver kann ich es nicht ausdrücken.
Ich persönlich versuche mich immer zurückzuhalten, wenn es darum geht, Begriffe aus unserem Wortschatz zu streichen. Ihn neu zu denken ist natürlich etwas anderes. Es ist wichtig, dass wir uns alle mehr Gedanken darüber machen, was Geschlecht ist und was es bedeutet. In meinem Buch schreibe ich beispielsweise “männlich” und “weiblich” in Anführungsstrichen und frage mich, was das eigentlich am Ende des Tages überhaupt noch ist?
Ich lege so viel Wert auf Empathie, weil es mir wichtig ist, dass Menschen einander zuhören und sich respektvoll behandeln. Mehr Akzeptanz und Toleranz in unserer Gesellschaft erlangen wir nur, wenn wir uns gegenseitig zuhören und so Empathie aufbauen. Man kann Empathie am einfachsten aufbauen, indem man sich mit anderen Lebensrealitäten beschäftigt. Wenn man sich damit auseinandersetzt, wie eine Person beispielsweise aufgewachsen ist. Und sich fragt, wie da vielleicht eines zum anderen geführt hat.
Empathie ist für mich auch in gewisser Weise ein Gegenentwurf zu Egoismus. Weil man sich mit anderen beschäftigt und nicht nur selbstzentriert agiert. Vor allem in Bezug auf Menschen aus marginalisierten Gruppen müssen vorrangig weiße Deutsche, die ein privilegiertes Leben leben, ihre Scheuklappen ablegen und sich ein bisschen mehr umschauen, was in der Welt so passiert. Bestes Beispiel dafür ist, wenn jemand sagt “Ach ja in den 90ern und 00ern war alles so schön entspannt…”. Ja, für dich vielleicht, Monika. (Lacht.)
Mehr Akzeptanz und Toleranz in unserer Gesellschaft erlangen wir nur, wenn wir uns gegenseitig zuhören und so Empathie aufbauen.
Ich kann natürlich nicht voraussehen, was die Leute empfinden werden, wenn sie mein Buch lesen. Aber ich habe versucht, alle abzuholen. Auch die, die sich wirklich gar nicht mit der Thematik auskennen. Es hat ein Glossar, damit man Begriffe nachschlagen kann. Dort stehen tatsächlich mehr Begriffe als ich letztendlich verwendet habe. Beim Schreiben habe ich immer mal wieder an meine Oma gedacht, die dem Thema definitiv offen gegenüber ist und durch mich natürlich schon das ein oder andere erfahren hat. Ich möchte, dass sie mindestens so viel versteht, dass sie Spaß hat beim Lesen. Diese beiden Punkte waren mir wichtig und ob mir das gelungen ist, wird sich im Feedback der Leute zeigen.
Also ich persönlich möchte mich gerne noch auf der Bühne des „Eurovision Song Contest“ sehen in diesem Leben. Für Deutschland, Österreich oder San Marino, ist mir vollkommen egal. Als Act, im Catsuit und mit fliegenden Haaren und vielen Tänzerinnen um mich herum. So richtig schön queer und hot. (Lacht.) Für die Gesellschaft würde mir etwas mehr Respekt, Empathie und Miteinander wünschen. Am Ende des Tages leben wir doch alle nur auf dieser Welt, um Spaß zu haben und geliebt zu werden. Unser Leben ist nur ein Fingerschnippen. Lasst uns doch alle mal mehr Gemeinschaft leben.
Fotos: Lina Tesch
Interview: Sara di Mare
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