An einem gewöhnlichen Montagmorgen betreten wir abrupt eine andere Welt: schwarz gekleidete Menschen, deren Gesichter hinter Masken versteckt sind, kommunizieren in Lauten miteinander, zerren aneinander, schüchtern sich ein, suchen Kontakt, berühren sich und schrecken wieder voreinander zurück. Wir sind mitten in den Masken-Unterricht von Regisseurin und Schauspieldozentin Luisa Brandsdörfer am Schauspiel-Studio Frese geplatzt. Hier unterrichtet die zweifache Mutter nicht nur Improvisation, Rolle und Szene, sondern inszeniert auch das Abschlussstück und ist die Leiterin des Ausbildungsganges Theaterpädagogik. Ursprünglich hat die gebürtige Rumänin Schauspiel studiert, warum sie sich dann doch für die Regie entschieden hat und warum der Tango ihre große Leidenschaft ist, erzählt sie uns im Interview.
Ich wurde in einem Haushalt groß, in dem es immer viel um Theater ging.
femtastics: Haben deine Eltern deinen Berufswunsch unterstützt?
Luisa Brandsdörfer: Ich habe sehr früh entdeckt, dass mein Beruf irgendwas mit Theater zu tun haben muss, da meine Eltern auch in dem Metier sind. Ich bin ein klassischer Wiederholungstäter. Meine Mutter ist Regisseurin und mein Vater ist Schauspieler. Studiert haben sie in Rumänien. Ich wurde in einem Haushalt groß, in dem es immer viel um Theater ging. Beide haben gesagt, mach doch etwas, was vernünftig ist und mehr Geld bringt! Zum Beispiel eine Ausbildung zur Goldschmiedin.
Das heißt, das Kreative war deinen Eltern wichtig, aber sie hätten sich einen Beruf für dich gewünscht, der mehr Planungssicherheit mit sich bringt?
Genau. Ich habe allerdings schon als Kind viel geschauspielt und habe schnell festgestellt, dass ich Regisseurin werden möchte.
Warum Regie und nicht die Schauspielerei?
Der Vorteil, ist, wenn man aus einer Künstlerfamilie kommt, dass man eine andere Schmerzgrenze hat. Ich weiß sehr genau, wie das Leben aussieht, wenn man sich für das Theater entscheidet und mache mir da keine Illusionen. Man ist teilweise wochenlang unterwegs und sieht seine Familie nicht. Wenn ich aber etwas mache, dann nur, wenn ich 150 Prozent davon überzeugt bin. Für was brenne ich wirklich? Für was lohnt es sich, tage- oder wochenlang von der Familie getrennt zu sein? Die Antwort war bei mir nicht die Schauspielerei, sondern die Regie.
Ich habe einen Traum und ich sehe Menschen, die meinen Traum verwirklichen.
Was fasziniert dich an der Regie?
Ich habe einen Traum und ich sehe Menschen, die meinen Traum verwirklichen. Das ist ein großes Geschenk.
Es geht um das gestalterische Moment?
Ich habe eine Fantasie oder eine Art, eine Sache anzusehen und bespreche diese mit Menschen. Ich bin kein Autokrat, der da alleine sitzt und bestimmt. Ich habe Schauspieler um mich, die mich noch mal weiter inspirieren. Der Traum entwickelt sich mit den Menschen weiter.
Wie bist du also Regisseurin geworden?
Von meinen Eltern habe ich erstmal gelernt, dass man nicht sehr früh Regisseurin werden sollte. Man hat ja mit 65- oder 75-jährigen Leuten zu tun, die auf der Bühne stehen und wenn du dann als 21-jähriges Huhn sagst, jetzt geh mal von links nach rechts, dann funktioniert das nicht.
Weil man Lebenserfahrung braucht?
Lebenserfahrung und Weisheit. Also habe ich erstmal Schauspiel studiert. Was ich als Schauspielerin in der Ausbildung lerne, kann mir keiner nehmen.
Hast du von Anfang an gleichzeitig Regie studiert?
Kurz nach der Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt bin ich zur Regieabteilung gegangen und habe da reingeluschert. Der Professor hat mir die Chance gegeben, ein Konzept zu einem Stück zu schreiben, dann konnte ich die Aufnahmeprüfung machen und habe beides studiert.
Regie ist vor allem eine Arbeit mit Menschen.
Du kennst beide Seiten – die Perspektive des Schauspielers und die des Regisseurs – was wahrscheinlich von Vorteil ist.
Es hat Vorteile, aber auch Nachteile. Ich habe Schauspiel und Regie parallel studiert und die Trennung war schon schwer. Also, was mache ich vor der Bühne und was mache ich hinter der Bühne? Aber als Regisseurin denke ich gern vom Schauspieler aus und so hat mir das Studium sehr geholfen. Regie ist vor allem eine Arbeit mit Menschen. Ich finde es nicht geil, zu bestimmen.
Hast du dich nach dem Studium sofort für die Regielaufbahn entschieden?
Schauspiel und Regie ist kräftemäßig gar nicht möglich. Ich habe also im In- und Ausland inszeniert und bin irgendwann mit meinem Mann nach Hamburg gezogen. Seit fünf Jahren bin ich am Schauspiel-Studio Frese. Als ich angefangen habe, war ich hochschwanger. Ich habe bis kurz vor der Entbindung gearbeitet und war sechs Wochen nach der Geburt wieder zurück. Hier habe ich meine künstlerische Heimat gefunden und kann mir meinen Unterricht flexibel legen.
Wie genau sieht dein Unterricht aus?
Ich vermittele das Handwerk und Zugänge zu Emotionen. Es geht darum, frei auf der Bühne zu sein, ohne den „richtig oder falsch“-Gedanken. Das ist der Tod für jede Kreativität.
Das Schlimmste für meine Schüler ist es, den Kopf auszuschalten.
Wie bekommst du die Schüler dazu, sich von diesem Gedanken freizumachen?
Das Schlimmste für meine Schüler ist es, den Kopf auszuschalten. Außerdem wollen sie gefallen. Ich benutze immer ein Bild: Es gibt zwei Arten, Regie zu führen – die eine ist als eine Art Archäologe, der in einem Stück Boden eine verborgene Stadt wähnt und diese freilegt. Oder, ich bin auf einer Blumenwiese und suche mir die schönsten Blumen aus. Bei der ersten Art ist der Schauspieler passiv und wird freigekratzt, eine Art Marionette. Bei dem zweiten Bild, ist es der Schauspieler, der den Regisseur inspiriert.
Und was sagst du deinen Schülern ganz konkret?
Ich sage meinen Schülern, dass sie alle ihre Ängste zurücklassen müssen, wenn sie auf die Bühne gehen. Das ist ein langer Prozess. Als Schauspieler kannst du aber immer sagen: Es ist ja nur eine Probe. Dennoch, die Grundmotivation bei einem Schauspieler ist immer da. Einen Schauspieler dazu bewegen zu müssen, dass er spielen soll, ist völliger Quatsch. Das funktioniert nicht. Die Grundmotivation muss da sein.
Wir haben eben bei der Probe gesehen, dass sehr viele Emotionen im Raum sind, teilweise sehr aggressiv. Wie gehst du damit um?
Ich bin äußerst beflügelt von Momenten, egal ob positiv oder negativ, in denen etwas passiert. Ich sehe, wie meine Schüler loslassen können und das freut mich. Wir setzen uns mit sehr vielen Themen auseinander, von Kindsmord über Vergewaltigung bis Tötung.
Wie gehen die Schüler damit um?
Sie müssen professionell damit umgehen und das klar trennen. Das ist nicht immer leicht, die Geschichten berühren immer. Wir arbeiten im Theater nicht unbedingt mit Logik, sondern transportieren Gefühle. Wichtig ist aber, dass es beim Zuschauer ankommt. Der Kampf mit den Tränen berührt viel mehr, als die Tränen selbst. Generell ist es als Schauspieler total wichtig, dass man offen und durchlässig bleibt. Ich sage meinen Schülern, lest die Nachrichten und lasst euch berühren. Es geht nicht ohne den Kollateraleffekt, dass man emotional beteiligt ist. Man darf als Schauspieler aber nie vergessen, dass man noch jemand anderes ist. Ich muss mich selbst wertschätzen lernen. Das gebe ich meinen Schülern auch mit auf den Weg: Ihr seid nicht nur toll, wenn ihr Schauspieler seid. Es muss auch ohne Kunst gehen, sonst wird Kunst zur Droge.
Die Sucht nach dem Applaus und die Bestätigung.
Wenn du danach süchtig bist, verlierst du die Freiheit. Du bist abhängig.
Aber streben wir nicht alle nach Anerkennung?
Natürlich, aber es gibt Leute, die gar keine Menschen mehr jenseits des Theaters kennen. Das ist nicht gesund. Ich bin auch süchtig, klar!
Es geht ums Reflektieren?
Genau. Kinder helfen da sehr. Denen ist es egal, ob du putzt, kochst oder auf der Bühne stehst, die lieben dich so wie du bist.
Ist diese Gelassenheit vielleicht auch eine Altersfrage?
Du wirst mit dem Alter gelassener und zweifelst nicht mehr so stark an dir selbst, klar. Das erste Jahr in der Ausbildung ist das schlimmste Jahr. Als Künstler fühlt man sich von niemandem verstanden und entfremdet sich von seiner alten Umgebung. Dabei sind die Leute, denen es egal ist, was du machst, die wichtigsten.
Es ist eine Karriere – egal, ob als Schauspieler oder als Regisseur – die Entbehrungen mit sich bringt. Gab es Momente, in denen du gezweifelt hast?
Es gibt meistens sehr persönliche Gründe, warum man Schauspieler wird. Gezweifelt habe ich nie. Ich habe mir aber eine Zeit lang viele Gedanken gemacht, ob ich mit diesem Weg zu einer stabilen Partnerschaft und Familie komme.
Der Künstler an sich ist mit der Idee einer Familie nicht gerade kompatibel.
Ist das ein Grund, warum es so wenige weibliche Regisseurinnen gibt?
Es gab noch nie so viele weibliche Regisseurinnen wie heute. Es ist aber wahnsinnig schwer. Du brauchst Back-up. Am besten jemanden, der dir sechs bis acht Wochen, wenn du auf Tour ist, hinterherfährt und auf die Kinder aufpasst. Regie ist wie auf Montage arbeiten. Aber selbst wenn das klappt, will dein Mutterherz das ganz oft gar nicht mehr, wenn das Kind erstmal da ist. Viele Regisseurinnen bekommen mittlerweile in sehr jungen Jahren Kindern, noch während des Studiums. Dennoch, der Künstler an sich ist mit der Idee einer Familie nicht gerade kompatibel.
Du bist ein gutes Beispiel, dass es doch geht.
Es geht auch. Man muss nur andere Anforderungen an sein Leben stellen.
In deiner Freizeit tanzt du leidenschaftlich gern Tango …
… ich liebe Tango! Tango hat sehr viel mit Improvisation zu tun. Es gibt keinen Grundschritt. Deswegen unterrichte ich auch im Schauspiel-Studio Tango, weil man gezwungen wird, den Kopf auszuschalten. Du kannst nicht konzeptionell sein im Tango. Du musst körperlich im Moment sein und dich auf den anderen einstellen können. Das braucht man auch beim Spielen.
Wann hast du mit dem Tango angefangen?
Ich habe immer mal wieder Kurse gemacht, als Ausgleich zum Theater. Das Schöne für mich ist, dass ich beim Tango ausnahmsweise mal nicht Regie führe, sondern folge. Herrlich! Außerdem kann ich in jeder Stadt Tango tanzen. Ich gehe zu Milongas. Dort nickt man sich zu und dann trifft man sich auf der Tanzfläche.
Was fasziniert dich am Tango?
Tango ist intim und hat die Erotik eines guten Gesprächs. Man ist sich sehr nah, aber nach drei Tänzen ist es vorbei. Ich liebe es, mit meinem Partner auszugehen und ihm beim Tanzen mit anderen Frauen zuzusehen. Ich bin nicht alle Frauen und er ist nicht alle Männer, aber wir gehen am Schluss gemeinsam nach Hause.
Klingt verlockend! Vielen Dank für das Gespräch, liebe Luisa.