Sich mit der Heldin im Lieblingsbuch identifizieren zu können, mit einer Puppe zu spielen, die so aussieht wie man selbst oder ein Bild von der Familie mit unterschiedlichen Hautfarben zu malen, sind Bedürfnisse, die vielen Kindern verwehrt bleiben. Kinder aus Regenbogenfamilien, mit Behinderung oder unterschiedlichsten kulturellen, ethnischen oder religiösen Hintergründen, sehen sich in der Regel kaum in Spielzeugen und Büchern repräsentiert. Das wollen die zwei Berliner Gründerinnen Tebbi Niminde-Dundadengar und Olaolu Fajembola von „tebalou“ ändern. Mit ihrem Onlineshop vertreiben sie Bücher, Spielzeuge, Eltern-Ratgeber und Bastelmaterialien für alle Kinder unabhängig von dem Geschlecht, der Familienkonstellation, Hautfarbe oder Religion. Damit wollen sie zu einer diverseren Spielewelt beitragen und eine anti-rassistische und anti-diskriminierende Grundhaltung in der frühkindlichen Erziehung stärken. Wir haben mit der 39-jährigen studierten Psychologin Tebbi Niminde-Dundadengar über die Gründung, Diversität und Repräsentation gesprochen.
Wir sind beide Kinder der 1980-er Jahre und hatten keine Spielzeuge, in denen wir repräsentiert wurden.
Tebbi Niminde-Dundadengar: Wir sind beide Kinder der 1980-er Jahre und hatten keine Spielzeuge, in denen wir repräsentiert wurden. Vereinzelt gab es damals zwar Schwarze Puppen, allerdings waren Figuren in Büchern, die aussahen wie wir, eine Rarität. Ausschlaggebend war für uns beide der Zeitpunkt als wir Mütter wurden und dann festgestellt haben, dass sich in dem Bereich nur wenig getan hat. Inzwischen hat sich die Auswahl etwas vergrößert, aber in einer großen Buchhandlung finde ich immer noch nicht einfach Bücher, in denen sich meine Kinder wiederfinden. Ich muss genau wissen, was ich suche und muss es dann bestellen. Die Buchhändler*innen sind in der Regel nicht spezialisiert auf das Thema, sodass sie mich nicht beraten können.
Viele Eltern wollen, dass ihre Kinder auch in dem Feld Diversität gebildet werden und sich hier auskennen.
Wir möchten eine Plattform für Eltern schaffen, die ihre Kinder bisher kaum oder nicht genügend repräsentiert sehen. Aber auch für Eltern, deren Kinder nicht betroffen sind, wird Vielfalt ein immer wichtigeres Thema. Viele Eltern wollen, dass ihre Kinder auch in dem Feld Diversität gebildet werden und sich hier auskennen. Jedes Kind soll das richtige Buch oder Spielzeug finden können. Wir möchten die Themen Anti-Rassismus und Multi-Diversität vorantreiben. Daher sind wir nicht nur ein Shop. Wir haben eine Message und ein Ziel und hoffen, dass Kitas und Schulen sensibler werden.
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Kitas schon sehr sensibilisiert sind. Das betrifft insbesondere die Kitas, die bei Initiativen wie Demokratie leben, mitmachen. Es gibt aber auch immer wieder Situationen, in denen Eltern uns davon berichten, dass sie Kitas angesprochen haben und diese die Dringlichkeit des Themas Diversität nicht sehen. Wir glauben, dass Vielfalt noch stärker mit in die Ausbildung der Kita-Mitarbeiter*innen eingebracht werden muss. Es findet gerade ein Momentum statt, in dem ganz Deutschland für das Thema Diversität sensibilisiert ist. Auch von großen Medien wird die Thematik endlich aufgegriffen. Wir hoffen, dass eine Rückkopplung in die Pädagogik stattfindet.
Vielfalt bedeutet für uns die Repräsentation aller Kinder und Menschen, und zwar diskriminierungsfrei und frei von Stereotypen. Insbesondere in unseren Büchern treten Kinder als aktive Protagonist*innen ihrer eigenen Geschichten auf.
Auf der Grundschule meiner Kinder gibt es einen großen Teil an muslimischen Kindern. Wir haben gemerkt, dass sie sich in Spielzeugen und Büchern kaum wiederfinden. Es besteht noch eine ganz große Lücke zwischen der Lebensrealität der Kinder und dem, was aktuell angeboten wird. Die Prägung verläuft in beide Richtungen. Ich schaue mir an, welche anderen Kinder im Leben meiner Kinder sind. Wenn diese Kinder nach einem Buch fragen würden, könnte ich ihnen zum einen Bücher zu ihrem Lebensthema geben. Zum anderen erkennen Olaolu und ich – weil wir sensibilisiert sind – wo auf dem Markt noch Defizite sind. Meine Kinder sind zum Beispiel nicht auf einer Inklusionsschule und haben kaum Kontakt zu Kindern mit Behinderung. Ich schaue dann, dass ich über Bücher Behinderung thematisiere und wir dann darüber sprechen.
Wir glauben, dass Rassismus ein Thema ist, das nicht ausgeblendet werden kann.
Wir glauben, dass Rassismus ein Thema ist, das nicht ausgeblendet werden kann. Es gibt auch keinen Grund dafür, erst ab einem gewissen Alter damit anzufangen darüber zu sprechen. Ich glaube, dass ein kindgerechter Start ein Buch sein kann, in dem Vielfalt gelebt wird. Dann muss nicht über Polizeigewalt in den USA gesprochen werden, sondern das Thema kann positiv begonnen werden, indem man sagt: Diversität ist schön und wir leben sie in unserem Alltag. Mit Kindern, die von Rassismus betroffen sind, muss das Thema ohnehin besprochen werden. Aber auch, wenn man feststellt, dass das eigene Kind ein anderes Kind herausstellt und ihm Namen gibt, ist es spätestens dann höchste Zeit über Rassismus zu sprechen und zu erklären, wie wir miteinander umgehen wollen.
Olaolu und ich sind mittlerweile nicht nur Co-Gründerinnen, sondern auch Freunde. Wir haben uns Ende 2016 das erste Mal getroffen und es war Liebe auf den ersten Blick. Wir haben mehrere gemeinsame Bekannte und so kam es, dass ich an einem Abend bei Olaolu in der Wohnung saß. Sie selbst stieß eine Stunde später dazu. Wir haben sofort angefangen zu reden, gar nicht aufgehört und alles um uns herum nicht mehr beachtet. Wir haben uns gegenseitig von unseren Ideen erzählt und festgestellt, dass wir tatsächlich 1:1 die gleiche Idee hatten: ein Onlineshop für vielfältige Spielzeuge und Bücher. Total verrückt!
Wir haben am selben Abend per Handschlag beschlossen, dass wir es zusammen machen. Von da an hat es noch etwas gedauert. In Hamburg habe ich in der Jugend- und Erwachsenenbildung mit Schwerpunkt Antirassismus gearbeitet. Als ich dann nach Berlin gezogen bin, habe ich dort mein Psychologiestudium abgeschlossen. Olaolu ist Kulturwissenschaftlerin und hat bis zum Beginn unserer Gründung für die Berlinale gearbeitet. Da wir beide keinen betriebswirtschaftlichen Background haben, haben wir ein halbjähriges Gründer*innenseminar besucht. Hier haben wir uns weitergebildet und an einem Businessplan-Wettbewerb teilgenommen. Ich hatte das Privileg, dass ich mich voll und ganz auf das Gründungsseminar konzentrieren konnte. Anfang August 2018 haben wir gegründet und am 15.8.2018 sind wir mit unserem Shop online gegangen.
Irgendwann kommt aber der Punkt, an dem man sagt: Es reicht. Wir machen es!
Es war eine total aufregende Zeit. Wir haben viel über Ideen und Excel Tabellen gebrütet. Den Moment der Gründung kann man ja immer weiter hinauszögern, um noch perfekter planen zu können. Irgendwann kommt aber der Punkt, an dem man sagt: Es reicht. Wir machen es! Wir springen jetzt ins kalte Wasser und tun es einfach. Eine gründliche Vorbereitung war trotzdem sehr hilfreich für uns. Letztendlich werden immer wieder neue Dinge auf einen zukommen, mit denen man nicht gerecht hat oder über die man sich noch nicht en detail Gedanken gemacht hat. Es ist seitdem eine schöne, spannende Zeit, die vor allem viel Spaß macht. Wir sind auch mit anderen Frauen im Kontakt die gegründet haben. Hier hören wir immer wieder, dass sich Viele wünschen, auch Geschäftspartner*innen zu haben, um sich austauschen und Arbeitsbereiche aufteilen zu können. Wenn uns eine E-Mail erreicht, die in Olaolus Bereich fällt, weiß ich, dass ich sie ignorieren kann. Es ist total schön zu wissen, dass man nicht jeden Brand löschen muss. Das ist sehr entlastend. Anderen Gründerinnen würde ich empfehlen, sich gute Partner*innen zu suchen. Die Suche kann publik gemacht werden, zum Beispiel über den eigenen Social Media Kanal.
Olaolu ist hauptsächlich für den Einkauf und Kundenanfragen zuständig. Wir bekommen viele Anfragen, bei denen es darum geht, dass Kunden für bestimmte Thematiken Bücher suchen. Olaolu kennt unser Sortiment aus dem Effeff. Ich kümmere mich hauptsächlich um Social Media und die Buchhaltung.
Alle. Wir haben sowohl Privatpersonen als auch Institutionen als Kunden. Gerade Kitas und Schulen haben einen Bildungsauftrag und die Verpflichtung, dass sich jedes Kind repräsentiert und wohlfühlt und dass jedes Kind über Diversität lernt. Bei den Privatpersonen sind es Bezugspersonen, wie Eltern, Onkel, Tanten oder Großeltern, die sagen: Mein Kind ist in den klassischen Spielsachen und Büchern nicht repräsentiert. Mir ist es aber wichtig, dass sich mein Kind in seinen Spielsachen wiederfindet. Ebenso haben wir Eltern als Kunden, die sagen: Mein Kind ist zwar repräsentiert, aber seine/ihre Freund*innen und die Lebensrealität sehen ganz anders aus. Daher möchte ich, dass sich dies im Spielzimmer widerspiegelt. Wir denken, dass eine homogene Repräsentation in Kinderbüchern nicht mehr zeitgemäß ist. Deshalb sollten alle bei uns einkaufen (lacht).
Bücher stellen für viele den ersten Zugang zu Diversität dar.
Wie bei jedem Start-up ging es zunächst langsam los, dafür hatten wir gleich mit der Eröffnung die ersten Bestellungen. Lange Zeit haben wir noch sehr lokal im Berliner Raum beliefert und sind nicht über den Tellerrand hinaus gekommen. Wir haben letztes Jahr die Auszeichnung Kultur- und Kreativpiloten 2019 von der Bundesregierung erhalten. Das hat viel an Presse und Aufmerksamkeit mit sich gebracht. Inzwischen erhalten wir Bestellungen aus ganz Europa, wobei unser Fokus noch die DACH-Region ist, da wir unsere Social Media Accounts auf deutsch führen.
Mehr als die Hälfte der Produkte sind Bücher. Vom Pappbuch bis zum Jugendroman ist alles dabei. Außerdem bieten wir Puppen, Gesellschaftsspiele, Puzzle und Bastelartikel an. Dazu gehören auch die bekannten Hautfarbenstifte und Vorlagen mit Gesichtern in verschiedenen Farben. Bücher machen den größten Teil aus, da sie für viele den ersten Zugang zu Diversität darstellen. Die Hautfarbenstifte werden vorwiegend von Institutionen wie Kitas und Grundschulen gekauft. Aber auch Spiele sind sehr beliebt. Wir haben zum Beispiel ein Kartenspiel, bei dem es um feministische Themen gibt. In einem Skatspiel können Königinnen genauso viel Wert sein, wie der König. Wir alle sind nun einmal auf eine bestimmte Art und Weise sozialisiert, sodass es ein hartes Stück Arbeit ist, stetig zu reflektieren – gerade in der Kindererziehung. Der Großteil unserer Bücher ist deutsch, allerdings haben wir auch eine immer größer werdende englische Buchsammlung. Das ist einfach dem Umstand geschuldet, dass die Engländer und US-Amerikaner viel weiter sind was Diversität angeht. Englischsprachige Bücher beziehen wir daher direkt aus England. Spielzeuge erhalten wir aus ganz Europa und insbesondere aus Spanien, England und Frankreich.
Am Anfang haben wir Listen zurate genommen, die durch Elternkreise in Facebook-Gruppen zirkulieren. Aber auch handelsrelevante Messen, wie die Spielzeugmesse in Nürnberg sind wichtig für uns, da wir die Artikel dort live sehen können. Inzwischen werden wir direkt von Autor*innen angeschrieben, die sich in ihren Büchern mit Vielfalt befassen. Wir haben mit der Zeit festgestellt, dass es bestimmte Verlage gibt, die explizit auf Diversität achten. Diese, und andere Verlage lassen uns ihren Katalog mit Vermerken zu möglicherweise relevanten Büchern zukommen. Häufig erhalten wir Kundenanfragen zu bestimmten Themen, sodass wir uns dann gezielt auf die Suche begeben. Leider gibt es oft gut gemeinte, aber schlecht umgesetzte Beispiele – gerade bei Büchern. Ganz typisch ist die Geschichte vom kleinen schwarzen Schaf, das von den weißen Schafen nicht gemocht wird und dann etwas Tolles tut, sodass es doch akzeptiert wird. Um derartige Narrative nicht weiterzugeben, lassen wir uns immer ein Rezensionsexemplar schicken, wenn wir das Buch nicht selbst schon kennen.
Genau, seit Neuestem geben wir dreiwöchige Eltern-Workshops für PoC und Schwarze Eltern, in denen es um Rassismuserfahrungen der Kinder und den Umgang der Eltern damit geht. Gerade aktuell zu Corona-Zeiten fehlt eine Vernetzung. Angefangen haben wir mit Workshops in Unternehmen zu dem Thema Vielfalt in der frühkindlichen Bildung. Der größte Auftraggeber war letztes Jahr der Fernsehkanal KiKA. Hier haben wir die Redakteur*innen beraten.
Aktuell thematisieren wir Rassismus auf Social Media und insbesondere auf Instagram. Wir merken, dass es gerade ein guter Zeitpunkt ist, an dem wir Geschichten teilen können und diese auch gehört und nicht abgetan werden.
Es reicht nicht aus zu sagen: Ich bringe meiner Tochter bei sich durchzusetzen. Ich muss meinem Sohn genauso sagen: Sei kein Sexist.
Ich würde mich total freuen, wenn sich alle Menschen mit den Themen Rassismus und Diskriminierung in unterschiedlichsten Formen beschäftigen würden und die Themen mit Freude angehen. Man muss keine Angst davor haben. Ich habe manchmal das Gefühl, dass das Wort Rassismus in Deutschland fast ein Unwort ist. Lasst es uns gar nicht soweit kommen, sondern direkt Vielfältigkeit und Diversität leben und darauf achten, dass alle sich wohlfühlen. Dann brauchen wir im Nachhinein nicht so viel dafür zu arbeiten. Es ist wichtig, dass Eltern sowohl in der Kita, als auch in der Schule schauen, ob ihre Kinder und deren Freunde sich in den Büchern und Spielzeugen wiederfinden. Das Gleiche gilt für Themen wie Sexismus. Es reicht nicht aus zu sagen: Ich bringe meiner Tochter bei sich durchzusetzen. Ich muss meinem Sohn genauso sagen: Sei kein Sexist. Nur so kann es funktionieren – wenn wir als Gesellschaft alle zusammenarbeiten.
Bei uns steht demnächst ein Umzug in größere Räumlichkeiten und die erste Anstellung an. Wir hoffen, dass Corona sich irgendwann verzieht und wir wieder auf Kongresse und Veranstaltung gehen können, wo wir unseren Kunden begegnen.
Layout: Kaja Paradiek
3 Kommentare