Irgendwie war alles Zufall, aber ein sehr schöner. 2016 legt Christine Prechsl einen Instagram-Account für ihre Bergleidenschaft an. Schnell merkt sie: Sie hat ins Schwarze getroffen. Die “Munich Mountain Girls“ sind geboren! Sie gründet eine Facebook-Gruppe und immer mehr bergliebende Frauen im Großraum München vernetzen sich – sei es zum Wandern, für Skitouren, zum Mountainbiken oder zum Klettern. Beim ersten Stammtisch stößt auch Journalistin Katharina Kestler, genannt Kaddi, dazu. Schnell findet sich eine Gruppe von Frauen, die sich dem Projekt annehmen, Logo inklusive. Und die Community wächst und wächst. Es werden Tourentipps ausgetauscht, Materialfragen beantwortet und jede, die für einen Ausflug eine nette Begleitung sucht, kann einfach posten. So sind über die Jahre viele enge Freundschaften entstanden, eine begeisterte Gemeinschaft und Projekte wie ein Podcast in Kooperation mit dem „Bayrischen Rundfunk“. Das Jahr 2020 läuft auch für Christine und Kaddi anders als geplant. Corona hat auch den Bergsport verändert. Im Interview sprechen sie über dumme Sprüche am Berg, die Entstehung von ihrem Herzensprojekt und die schwierige Frage: Wem gehören eigentlich die Berge?
Katharina Kestler: Ich komme eigentlich aus Bamberg. Ich bin mit meinen Eltern früher immer in die Berge gefahren. Im Sommer zum Wandern und im Winter zum Skifahren. Ich habe mir schon viele Gedanken darüber gemacht: Man ist ein Bergmensch – oder man ist es eben nicht. Für mich ist es eine schöne Erinnerung an eine Zeit, in der irgendwie alles einfach war, weil als Kind alles einfach war.
Man ist ein Bergmensch – oder man ist es eben nicht. Für mich ist es eine schöne Erinnerung an eine Zeit, in der irgendwie alles einfach war, weil als Kind alles einfach war.
Kaddi: Als Kind findet man es immer so mittellustig. Ich mochte keine Gondeln und bin so oft aus dem Skilift gefallen, dass mich mein Skilehrer nicht mehr erkannt hat. Natürlich fand ich wandern nicht uneingeschränkt toll mit fünf Jahren, aber eine dauerhafte Trotzphase hatte ich nicht.
Christine Prechsl: Bei mir war es ähnlich. Ich war früher immer in den Bergen, komme aber aus Stuttgart. Mein Vater kommt aus Bayern. Deshalb waren wir oft wandern, besonders in Südtirol. Ich hatte tatsächlich eine Teenie-Trotzphase und wir sind eh Richtung Heilbronn gezogen, da waren die Berge noch weiter weg. In den Zwanzigern nach dem Studium habe ich es aber wiederentdeckt.
Kaddi: Große Frage. Kompromiss?
Christine: Ich würde vielleicht nicht Gemeinschaft sagen. Wir machen keine Gruppenausflüge. Wir ermöglichen Freundschaft. Die Gruppe ist groß und man hat so viel Zugang zu potenziellen Freund*innen. Viele finden ihre neue beste Bergfreund*in.
Zu einem Bergmenschen, egal ob männlich oder weiblich, gehört die Fähigkeit, selbst zu reflektieren und sich einzuschätzen. Wir versuchen, uns als „Munich Mountain Girls“ an bestimmte Dinge zu halten und immer zum Nachdenken anzuregen.
Kaddi: Ein grundsätzlicher Punkt. Wir stellen uns in der Facebook-Gruppe nicht hin und sagen: „Mädels, so wird es gemacht und das sind die Regeln.“ Das wünschen sich allerdings viele. Es wird natürlich viel diskutiert. Letztlich ist jede*r für sich selbst verantwortlich. Das Einzige, was wir machen können, ist zu sagen: Hey Leute, denkt vielleicht zweimal über bestimmte Dinge nach. Es gehört immer Eigenverantwortung dazu. Das trifft auch auf Touren-Tipps zu: Leute beschweren sich, wie eine Tour vorgeschlagen werden kann, wo sie doch so gefährlich und anspruchsvoll sei. Ich finde zu einem Bergmenschen, egal ob männlich oder weiblich, gehört die Fähigkeit, selbst zu reflektieren und sich einzuschätzen. Wir versuchen, uns als „Munich Mountain Girls“ an bestimmte Dinge zu halten und immer zum Nachdenken anzuregen.
Christine: Es gibt da immer diesen Zwiespalt. Was empfehlen wir und wo machen wir eine starke Positionierung? Das Thema draußen übernachten war so ein Fall. Da haben wir klar gesagt: Auf gar keinen Fall. Weil tatsächlich irgendwelche großen Gruppen Zelte irgendwo am Gipfel aufgebaut hatten. Wir weisen zum Beispiel auch darauf hin: Jede*r soll bitte seinen Müll wieder mitnehmen und fremden aufsammeln, wenn man ihn sieht. Wir setzten auf Eigenverantwortung.
Wem gehören die Berge? Als jemand, der nicht hier aufgewachsen ist, hat man immer den Eindruck, die gehören allen außer mir.
Kaddi: Dahinter steht eine riesengroße Frage: Wem gehören die Berge? Als jemand, der nicht hier aufgewachsen ist, hat man immer den Eindruck, die gehören allen außer mir. Sie gehören dann vielleicht dir, weil du aus München kommst, aber mir gehören sie auf keinen Fall.
Kaddi: Dann weißt du, was ich meine. Es gibt Leute, die sagen, ich bin da schon immer hin und habe eine bestimmte Erziehung genossen. Die Menschen, die jetzt kommen, sind nur von Social Media beeinflusst und wissen nicht, wie man sich verhält. Ich finde diese Aussage zu einseitig. Es gab schon immer Bergmedien, die auf Touren hingewiesen haben. Es ist keine Erfindung von Social Media, schöne Motive wie das Matterhorn zu verwenden. Natürlich ist die Reichweite eine andere und es werden auch Leute erreicht, die nicht schon immer ambitionierte Alpinist*innen waren. Die Menschen gehen trotzdem in die Berge und es wird auch immer so sein.
Je mehr es zur Digitalisierung kommt, je mehr die Menschen in Städten leben, desto mehr wird es diesen Drang geben, raus in die Natur zu gehen. Wir können den Leuten immer nur mitgeben, sich zu fragen: Wie verhalte ich mich richtig? Ich glaube, wir machen mit unserer Facebook-Gruppe schon gute Arbeit. Dort können sich Frauen verabreden, fahren dann nicht alle in eigenen Autos, Parken nicht die wenigen Parkplätze zu und können sich gegenseitig Tipps geben, wie: Nimm deine Wanderstecken mit, auf der Route liegt schon Schnee und es kann rutschig werden.
Kaddi: So wie es sich teilweise im Sommer angekündigt hat, kann ich es mir vorstellen. Die Nationalparks in den USA sind so ein Beispiel. Dort gibt es eine bestimmte Besucherzahl und dann ist Ende. Bei Schwimmbädern ist es ähnlich. Da gab es schon immer eine begrenzte Besucherzahl und zu Corona-Zeiten sowieso. Wenn es sich so weiter entwickelt, wird es nicht anders zu lösen sein. Ich finde nicht, dass die sozialen Medien oder unsere Community daran schuld sind. Niemand sagt: „Jetzt kommen auch noch die Frauen in die Berge!“ Bei ehrlichen Gesprächen mit Locals heißt es immer: „Wir finden es schön, wenn mehr Frauen in die Berge gehen. Die bereiten sich gut vor und machen vielleicht sogar einen Kurs.“ In deren Wahrnehmung bereiten sie sich besser vor als Männer.
Christine: Ich glaube, die haben in ihren Studien plötzlich festgestellt: Die Frauen treffen oft die Kaufentscheidungen und deshalb liegt da Cash herum. Es ist wohl in Richtung Kaufkraft gedacht.
Je mehr es zur Digitalisierung kommt, je mehr die Menschen in Städten leben, desto mehr wird es diesen Drang geben, raus in die Natur zu gehen. Wir können den Leuten immer nur mitgeben, sich zu fragen: Wie verhalte ich mich richtig?
Christine: Regelmäßig. Ich habe mich auch irgendwann mal mit einem Bergführer angelegt. Wir hatten die Orientierung übernommen, weil er sie verloren hatte. Dann hat er Sprüche geklopft und ich habe es drauf angelegt und meinte, dann machen wir jetzt einen Trailrun draus. Es gibt aber auch Dinge wie das “Gipfel-Bussi“ oder Kommentare, weil ich den Rucksack trage und nicht mein Freund. Viele komische Geschichten.
Christine: Konzept und Plan gab es nie. Es war immer ein Reagieren auf Bedürfnisse, die da sind. Wie zum Beispiel eine Gruppe für Ü40 Frauen oder die “Bergmami“-Gruppe. Es gibt auch regionale Untergruppen und gerade haben wir unser neues Forum gelauncht. So sind wir eigentlich offen für alle Themen und Needs, die es gibt.
Christine: Vor den Sommerferien haben wir eine Umfrage gestartet, wie sich die Community die Zukunft vorstellt. Gibt es bestimmte Wünsche? Zum Beispiel eine App. Dann setzten wir uns noch mal zusammen und überlegen, was wir machen können. Da geht es in die Richtung einer Strategie oder eines Konzepts.
Wenn ich mitbekomme, wie Frauen sich gefunden haben und jetzt über Jahre hinweg beste Freundinnen sind, das finde ich berührend. Menschen zu verbinden ist großartig.
Kaddi: Das Projekt hat mir bestimmt drei sehr gute Freundinnen und sieben gute Bekannte gegeben. Sehr viele Kontakte in alle Richtungen, auch beruflich. Sehr viele persönliche Inspirationen. Der Begriff Dankbarkeit klingt sehr groß, aber ich merke es auch mit dem neuen Podcast: Das Bedürfnis von Frauen, sich mit anderen Frauen zu vernetzten, ist da. Vielleicht haben sie sich davor alleine nicht getraut und können sich jetzt mit anderen zusammen tun. Das mitzukriegen finde ich mega.
Christine: Total. Es hat mir ermöglicht, Dinge zu tun, die ich gut finde. Ich bin eine visionäre, kreative Denkerin. Ich konnte es einfach umsetzten, ohne dass mir jemand gesagt hat: „Lohnt sich nicht, zu teuer.“ Die ganzen Kontakte und Menschen, die ich kennengelernt habe. Kooperationen, durch die ich am Montagmorgen am Gardasee in Norditalien im Klettersteig saß – früher war ich im Büroalltag fest angestellt. Super glücklich machen mich immer und immer wieder die Freundschaftsgeschichten. Wenn ich mitbekomme, wie Frauen sich gefunden haben und jetzt über Jahre hinweg beste Freundinnen sind, das finde ich berührend. Menschen zu verbinden ist großartig.
Christine: Ich habe die Community phasenweise in Vollzeit betreut. Ein starkes Team aus sechs Frauen supportet zudem ehrenamtlich. Mit Corona sind unsere Kooperationen und Events – unsere Kooperationen mit Industrie und Marken sind teilweise strategisch, teilweise kommerziell – alle ausgefallen. Das war natürlich nicht so schön. Aber wir arbeiten aktuell an der neuen Webseite, haben ein neues Online Forum an den Start gebracht und die Stammtische finden einfach online statt. Wir machen das Beste aus der Situation, wie alle anderen eben auch.
Christine: Es ist ja nicht nur Hobby, sondern auch eine Lebenseinstellung.
Kaddi: Bei mir hat sich einfach das Hobby parallel zu meiner Arbeit als Journalistin weiterentwickelt, jetzt überschneidet es sich manchmal. Das ist meistens cool, manchmal auch anstrengend.
Christine: Wenn man alleine in die Berge geht, keine Fotos machen muss und keinen Auftrag hat, ist es ein ganz anderer Bergtag. Eine Instagram-Story ist viel Arbeit und viel Aufwand. Es ist ein normaler Job. Das würde ich getrennt betrachten.
Fotos: Christine Prechsl / Privat; Teaserbild: Bayerischer Rundfunk / Bergauf Bergab
Ein Kommentar
Schöner Beitrag und richtig tolle Idee, habe schon häufiger davon gehört.
Ich wohne in Garmisch und bin oft, eigentlich immer, allein unterwegs und würde mich über Gesellschaft ab und an sehr freuen.
Es ist total schade, dass die MMG nur über FB zu erreichen sind, das schließt sicher viele Menschen aus. Ich habe kein FB und möchte mich auch deswegen nicht anmelden. „Früher“ gab es noch Forums. Das wäre für mich persönlich wohl das Richtige.
Liebe Grüße