Dieser Text erschien zuerst auf Refinery29.de, Facebook, Instagram
Ich bin eine depressive Person. Das berechtigt mich, glaube ich, dazu, darüber zu berichten, wie du anderen depressiven Personen helfen kannst. Zu allererst ist es wichtig zu verstehen, dass natürlich nicht jede*r Depressive gleich ist. Was mir hilft, kann für einen anderen Menschen ganz schrecklich sein und umgekehrt. Trotzdem möchte ich versuchen, dir einige Handlungsoptionen aufzuzeigen, dir dir den Umgang mit deinen depressiven Angehörigen, Freund*innen oder Partner*innen erleichtern.
Der Umgang mit depressiven Menschen kann eine echte Herausforderung sein. Besonders in Beziehungen fühlt man sich oft hilflos, man will ja irgendwie helfen und für die betroffene Person da sein, hat aber natürlich trotzdem Angst mit falschem Verhalten alles schlimmer zu machen. Oft reicht schon eine falsche Geste oder sogar die falsche Betonung eines Wortes, um Depressive zu triggern. Klar, dass das schnell überfordernd für alle Beteiligten sein kann. Darüber hinaus ist es auch nicht gerade hilfreich, dass depressive Menschen oft Schuldgefühle wegen ihrer Depression haben und daher sowieso schon nur selten zugeben, ob und welche Hilfe sie benötigen. Lass dich dadurch aber nicht entmutigen, biete immer wieder Aktivitäten oder deine Hilfe an. Die folgenden neun Tipps sollen eine Art Leitfaden dafür sein, bieten aber natürlich kein Allheilmittel gegen Depressionen.
1. Pass auf dich auf
Du kannst nur für andere Leute da sein, wenn es dir selbst gut geht, denn sonst verliert ihr euch schnell in einem Strudel aus Depressionen und zieht euch nur gegenseitig runter. Gönne dir Ruhepausen und Zeit für dich, stecke deine Grenzen ab und achte darauf, dass diese nicht überschritten werden. Klar, du willst am liebsten 24/7 helfen, aber das geht nicht, denn auch die größten Energiereserven sind irgendwann aufgebraucht. Gönne dir also Zeit, um deine Akkus aufzuladen, und kommuniziere deutlich, wenn du etwas nicht möchtest. Depressive Menschen können oft nicht so gut mit Ablehnung umgehen, da es sie in ihrer Meinung bestärkt, nichts wert zu sein. Achte also darauf, rechtzeitig und vorsichtig zu kommunizieren, wenn du Zeit für dich benötigst und nicht im letzten Moment zu explodieren oder einfach zu verschwinden. Die Situation ist für alle Beteiligten wirklich nervenaufreibend und es ist ganz normal, dass du ab und zu Zeit für dich brauchst. Kommunikation ist hier der Schlüssel zum Erfolg, denn wenn du offen und ehrlich darüber sprichst, was du kannst und was nicht und wo deine Grenzen sind, ist ein großer Konfliktherd schon einmal aus der Welt geräumt.
2. Hör zu, ohne zu verurteilen
Vielleicht wollen Depressive über ihre Probleme reden, vielleicht auch nicht. Es kann sein, dass es manchmal plötzlich aus ihnen heraussprudelt, wenn ihr gerade einen Film schaut oder beim Einkaufen seid und es kann auch sein, dass du dir die gleiche Geschichte 15 Mal anhören musst. Verurteile aber bitte nicht, höre zu und unterstütze. Achte auf deine Wortwahl, denn gut gemeinte Ratschläge, wie „lach doch mal“, „ist doch alles halb so wild“, „stell dich nicht so an“ oder auch „ich kann’s nicht mehr hören“ sind alles andere als hilfreich. Depressive haben oft das Gefühl, allen Menschen lästig zu sein und diese Kommentare spielen genau dort rein. Ratschläge wirken in dem Moment vielleicht sinnvoll, sind aber in den seltensten Fällen wirklich umsetzbar, da Depressive durch ihre Krankheit oft wie gelähmt sind und ihnen gut gemeinte Ratschläge nur vor Augen führen, was sie alles nicht können. Es reicht, wenn du einfach nur zuhörst, wirklich. Wenn sie einen Ratschlag hören wollen, dann fragen sie dich danach.
Beispiele wie „Hast du heute schon gegessen?“, eine Einladung zum Spaziergang oder eine helfende Hand beim Putzen können direkt erwidert werden und Gold wert sein.
3. Sage nicht „Sag Bescheid, wenn du etwas brauchst“
Gut gemeint, aber leider auch knapp daneben. Denn dieser Satz ist so breitgefächert und fordert einer depressiven Person so viel Eigeninitiative ab, die sie, wenn sie gerade einmal aus dem Bett gekommen ist, es aber schon nicht schafft zu duschen oder sich Frühstück zu machen, einfach nicht aufbringen kann. Wahrscheinlicher ist, dass sie Weltmeister im Stepptanz wird oder ein Wundermittel gegen schlechtes Wetter erfindet. Stattdessen kannst du, wann immer es dir möglich ist und du dich dazu bereit fühlst, selbstständig den Kontakt suchen und proaktiv und gezielt Hilfe, Zeit oder dein Ohr anbieten. Beispiele wie „Hast du heute schon gegessen?“, eine Einladung zum Spaziergang oder eine helfende Hand beim Putzen können direkt erwidert werden und Gold wert sein.
Auch wenn du nichts von ihnen hörst, ist es durchaus sehr wahrscheinlich, dass sie dich wie wahnsinnig vermissen. Sie trauen sich einfach nur nicht, dich zu kontaktieren, denn sie wollen nicht lästig sein oder stören oder sie reden sich mal wieder ein, dass du sie sowieso nicht liebst. Was für einen gesunden Menschen beinahe absurd klingt, ist für Depressive leider häufig Alltag. Es kann sein, dass du manchmal über deinen Schatten springen musst, weil auch du eingeschnappt bist, dass sie sich so lange nicht bei dir gemeldet haben. Der Unterschied zu dir und einer depressiven Person ist allerdings, dass du über deinen Schatten springen kannst, während Depressive in einem ewigen Strudel aus düsteren Gedanken gefangen sind.
4. Überfordere nicht
Biete leichte Aktivitäten an, wie einen kurzen Spaziergang oder gemeinsames Abhängen auf dem Balkon. Allzu krasse Aktivitäten, wie Partys oder Wochenendtrips können schnell überfordern, da es für viele Betroffene schon eine Herausforderung ist, überhaupt das Bett zu verlassen. Es kann auch super überfordernd sein, sich in einem Café zu treffen, denn dorthin müssen sie alleine gehen und dann sind da noch so viele andere Menschen und uiuiui. Mir hilft es, wenn mir Freund*innen eine Nachricht schicken und sagen, sie könnten in 20 Minuten vor meiner Tür sein, mich abholen und dann schlendern wir kurz durch den Kiez, essen ein Eis oder glotzen für 20 Minuten Schwäne an. Das mag banal klingen, bedeutet für Depressive aber die Welt. Sie fühlen sich dann nicht mehr so alleine und geliebt, sind stolz auf sich, weil sie etwas gemacht haben an diesem Tag und du wirst beobachten können, wie ihre Laune zumindest etwas aufhellt. Erwarte aber bitte keine Wunder.
5. Ablenkung ja, aber die richtige
Es mag naheliegend sein, die schlechte Laune einfach wegzufeiern. Schnell auf ein paar Biere treffen und ein bisschen lachen, denn Lachen ist ja schließlich die beste Medizin, oder? Richtig, Lachen hilft, allerdings solltest du nicht sogenanntes selbstschädigendes Verhalten unterstützen. Depressive neigen nämlich dazu, nicht ganz so nett zu sich selbst zu sein und auf ihre Gesundheit zu achten. Oft wird viel ungesundes Zeug gefuttert, es werden Alkohol oder andere Substanzen konsumiert, was wirklich mehr als kontraproduktiv ist. Schlage lieber gemeinsame Zeit vor, die nichts mit Rausch oder Junkfood zu tun hat. Schaut euch einen Film an oder irgendeine Trash Show, kocht gemeinsam ein gesundes Essen oder hört euch einen witzigen Podcast an.
6. Frage nicht „Wie geht’s dir?“
Auf diese Frage wirst du wahrscheinlich keine ehrliche Antwort bekommen. Geht es dir heute etwas besser? Wahrscheinlich nicht, nein. Ich weiß, diese Gewissheit, dass es der anderen Person super doof geht, ist schwer auszuhalten und man hofft dann doch irgendwie jeden Tag, dass es heute besser ist. Aber lass es einfach. Es führt Depressiven nur immer wieder vor Augen, dass ihr Umfeld erwartet, dass es ihnen schnell besser geht.
Wichtig ist zu verstehen, dass du niemanden dazu zwingen kannst, sich Hilfe zu suchen, der Impuls muss von selbst kommen.
7. Hilf der Person dabei sich Hilfe zu suchen
Es ist ziemlich super, dass Therapie in Deutschland weitestgehend kostenlos ist, allerdings muss man sich echt sehr bemühen, einen Therapieplatz zu bekommen. Erst muss man zur Hausärztin, die schreibt dann eine Überweisung und dann geht das Gesuche nach einem Therapieplatz los. Dazu muss man sämtliche Therapeut*innen in der Umgebung abtelefonieren und ihnen auf den Anrufbeantworter quatschen. Oder Betroffene wenden sich erst mal an eine Beratungsstelle, da muss man auch oft persönlich antanzen, was wirklich sehr aufregend und gruselig sein kann. Es kann eine große Hilfe sein, wenn du sie zu diesen Beratungsstellen oder zur Hausärztin begleitest und mit ihnen gemeinsam im Warteraum wartest. Du kannst auch dabei helfen, Telefonnummern von Psycholog*innen herauszusuchen, allerdings sollten sie schon selbst dort anrufen. Biete an, einfach daneben zu sitzen, wenn sie die Kontakte durchtelefonieren. Wichtig ist aber zu verstehen, dass du niemanden dazu zwingen kannst, sich Hilfe zu suchen, der Impuls muss von selbst kommen. Auch solltest du nicht die Art der Therapie oder die Entscheidung, Medikamente zu nehmen oder nicht, verurteilen. Jede*r geht einen anderen Weg zur Genesung und das ist vollkommen okay.
8. Nimm Ablehnung nicht persönlich
Vielleicht machst du immer wieder Angebote, die alle abgelehnt werden. Vielleicht meldest du dich jeden Tag und bekommst nie eine Antwort. Ja, es ist hart, so sehr auf Granit zu stoßen, aber du kannst jetzt akut nichts daran ändern. Nimm es bitte nicht persönlich, Depressive sind oft von Sozialkontakten überfordert. Oder sie haben sich so lange eingeredet, eine Last für alle zu sein, dass sie schlichtweg Angst davor haben, nach einer ausgestreckten Hand zu greifen. In jedem Fall hat ihre Ablehnung eher etwas mit ihrem eigenen miesen Selbstbild als mit dir zu tun. DU hast sehr wahrscheinlich nichts falsch gemacht und wenn du kannst, dann versuche einfach, dich weiterhin zu melden. Es mag absurd klingen, aber auch wenn deine Kontaktaufnahmen ignoriert werden, können sie doch helfen und es kann Depressive sehr verletzten, wenn nichts mehr kommt. Das ist dann wie so eine Art Bestätigung: Wusste ich doch, dass mich niemand liebt. Gib der Person einfach etwas Zeit und melde dich dann wieder, zumindest ab und zu.
9. Hilf bei den kleinen Aufgaben im Haushalt
Kleine Aufgaben können zu großen Hürden werden. Wäsche waschen? Unmöglich! Den Müll runterbringen! Nicht in diesem Leben! Abwaschen? Wieso nicht gleich den Mount Everest besteigen? Vielen ist aber eben genau das peinlich, also werden sie es nur schwer zugeben, dass sie Hilfe benötigen. Du kannst ja bei einem Besuch ganz nebenbei etwas aufräumen oder den Abwasch machen, während ihr in der Küche eine Tasse Tee trinkt und etwas schnattert. Oder du bietest an, die Wäsche aufzuhängen, die schon viel zu lange fertig gewaschen in der Waschmaschine hockt. Oder du gießt heimlich die Zimmerpflanzen. Ich habe Freund*innen, die tun immer so, als wären sie gerade im Supermarkt nebenan und schreiben mir dann, ob ich Klopapier oder so etwas brauche. Wenn sie dann gehen, nehmen sie oft wie selbstverständlich den Müll mit runter. Für Mitbewohner*innen ist es natürlich leichter, diese Hilfe anzubieten, aber auch wenn ihr nicht zusammen wohnt, kannst du trotzdem eine Hilfe im Haushalt sein. Bitte mache Depressiven keine Vorwürfe, es würde dreckig bei ihnen sein oder sage ihnen, sie sollen doch gefälligst mal wieder putzen, denn damit streust du nur Salz in die depressive Wunde und ehrlich gesagt ist das auch gegenüber gesunden Menschen nicht gerade sehr nett.
Text: Sophia Giesecke
Illustration: Stefanie Berkmann für femtastics
Wollen wir immer das, was wir nicht haben können?
6 Nachrichten, die du verschicken kannst, wenn es dir nicht gut geht
Hilft Tanztherapie wirklich gegen Angststörungen & Depressionen?
Ein Kommentar