Christiane Wurm hatte besonders durch die Geburt ihres ersten Kindes unter Angststörungen zu leiden. Zunächst genießt sie die Schwangerschaft und freut sich auf ihr Kind, doch plötzlich wird sie während der Geburt ihres Sohnes wieder von ihrer Angststörung eingeholt – ein ehrlicher Text über Verzweiflung, Panickattacken, Zusammenhalt und Mutterliebe.
Wir bekommen ein Baby! – Dieser Satz verändert dein ganzes Leben.
„Wir bekommen ein Baby!“ Dieser Satz verändert dein ganzes Leben – egal ob du die Mama oder der Papa bist. Auch mein Leben hat dieser Satz verändert, vor gut einem Jahr. Unser Sohn war nicht geplant, ist aber ein Wunschkind. Ein ungeplantes Wunschkind eben!
Nachdem sich der erste Schock über den Familienzuwachs gelegt hatte, kam die ganz große Freude. Ich ging völlig in meiner Mommy-to-be-Rolle auf: Ich häkelte, strickte, bastelte und shoppte wie eine Verrückte. Ich lernte (zumeist online) andere werdende Mütter kennen und verbrachte die Schwangerschaft mit Kaffee, Klatsch und Kindertalk. Das war die schöne Seite. Genauso wie der kugelrunde Bauch – was habe ich den geliebt! Schließlich wohnte da drin mein größter Schatz.
Aber wie alles im Leben hat auch so eine Schwangerschaft ihre Schattenseiten. Angefangen von fast unerträglichen Rückenschmerzen, bis hin zu unerklärlicher Wut auf bestimmte Menschen und gipfelnd in den fast unerträglich dämlichen Sprüchen zu meinem riesigen Bauch.
Meinen Geburtsplan gab ich Wochen vor der Entbindung in der Klinik ab und eine Hebamme hatte ich schon in der 12. Schwangerschaftswoche „reserviert“. Auch die Geburt sollte perfekt werden. Interventionsarm, ohne PDA (eine rückenmarksnahe Anästhesie), am liebsten im Wasser. Keinesfalls ein Kaiserschnitt. Soweit der Plan. Die Realität war eine völlig andere. Mein Sohn und ich hatten gar nicht erst die Gelegenheit, alles einfach geschehen zu lassen. Es war das völlige Gegenteil und darunter habe ich gelitten.
In diesem Moment war für mich völlig klar, dass ich sterbe.
Nach drei Tagen der Einleitung, angeordnet von Ärzten, die der Meinung waren, unser Kind sei gigantisch groß (war er nicht!), war ich am Ende meiner Kräfte. Nichts schien sich zu tun, trotz eines Großaufgebots an Medikamenten. Am Ende wurde wirklich alles getan, was ich nicht wollte. Details erspare ich an dieser Stelle. Irgendwann war der Muttermund dann doch bei 9 cm und ich sollte pressen. Also presste ich und ich schrie um mein Leben. In diesem Moment war für mich völlig klar, dass ich sterbe. Doch selbst die Hebamme erschrak sich über meine extreme Reaktion und wir brachen ab. Drei Tage nach Beginn der Einleitung und rund 15 Stunden nach Blasensprung. Zu diesem Zeitpunkt war ich gut 60 Stunden wach und der letzte Ausweg hieß Kaiserschnitt.
Alle Beteiligten wussten um meinen Wunsch einer natürlichen Geburt und um meine Angststörung, unter der ich seit nunmehr sieben Jahren leide. Erschwerte Bedingungen. Aber alle wussten Bescheid und alle haben einen sensationellen Job gemacht – die Hebamme, die Anästhesistin und mein Freund, der einfach da war.
Was dann folgte, war für mich mein persönlicher Horror. Fünf Tage nach der Geburt musste ich zurück in die Klinik.
Was dann folgte, war mein persönlicher Horror. Fünf Tage nach der Geburt musste ich zurück in die Klinik. Dieses Mal wegen psychischer Probleme. Was war passiert? Nicht viel im Grunde. Mein Magen machte plötzlich Probleme und ich konnte nicht schlafen. Unser Baby war unwahrscheinlich lieb, mein Freund versuchte alles, um mich zu unterstützen, aber ich bekam Panik. Die wahnsinnige Angst davor, meinen Sohn nicht mehr versorgen zu können, brachte mich schier um den Verstand.
Ich war sicher, ihm würde wegen mir etwas zustoßen. Nicht eine Sekunde war fehlende Liebe das Problem. Es war eher die Intensität der Liebe zu ihm, die mich fast in den Wahnsinn trieb. Bis heute kann ich nicht genau erklären, wovor ich Angst hatte. Fakt ist aber (und nur das ist bei einer Angststörung in diesem Moment von Belang), ich hatte Todesangst!
Eine Panikattacke fühlt sich für den Betroffenen so unglaublich real an. Im Moment einer Attacke denkt man nicht nur, dass man stirbt, man weiß es. Mein Partner tat, was er konnte, redete beruhigend auf mich ein, hielt mich im Arm, aber es half nichts. Niemand konnte mir in dem Moment helfen. Also rief ich meine Hebamme an. Sie merkte schnell, wie ernst die Lage war und schickte mich umgehend zurück ins Spital. Ich war am Ende. Die Verzweiflung kann sich kein Mensch vorstellen, der es nicht erlebt hat.
Auf der Station hat man sich sehr gut um mich gekümmert. Es kamen die verschiedensten Ärzte zu uns, von der Gynäkologin über Kinderärzte bis zum psychologischen Notdienst. Der Arzt war sehr nett, auch wenn er mir erklärte, dass ich ohne Tabletten nicht wieder auf die Beine kommen werde. Er riss mir einmal mehr den Boden unter den Füßen weg. Aber ich ergab mich, ich war einfach nicht mehr in der Lage zu kämpfen. Ich nahm die Tabletten und fühlte mich elend damit.
Nach vier langen Tagen ging es mir nur sehr langsam besser. Zwar durfte ich das Zimmer jederzeit (nach Abmeldung beim Pflegepersonal) verlassen, wohl war mir dabei aber nicht. All die glücklichen neuen Mamas kamen mir so angeberisch vor. Als würden sie sagen „Schau her! So macht man das. Man freut sich gefälligst über dieses kleine Wunder und bekommt nicht plötzlich einfach Todesangst. Was erlaubst du dir?!“
Also blieb ich die meiste Zeit in meinem Zimmer, aß weiterhin nicht und versank in Selbstmitleid. Bis zu dem Tag, an dem ich beschloss, offen damit umzugehen und mich jemandem aus meinem Privatleben anzuvertrauen. Ich rief also eine gute Bekannte an, ähnliches Alter, ähnliche Geschichte. Selbst genau ein Jahr zuvor Mutter geworden, litt auch sie unter grässlichen Panikattacken und starken Selbstzweifeln. Dieses Gespräch hat mich vielleicht gerettet. Das Verständnis und die wirklich hilfreichen Tipps und Denkanstöße haben dazu geführt, dass ich zwei Tage später entlassen werden konnte und mich besser fühlte. Viel besser!
Keiner fragte so wirklich nach mir, denn keiner ahnte, wie schlecht es mir ging.
Heute geht es mir gut und das ist viel mehr als ich je zu hoffen gewagt habe. Nach dem Krankenhausaufenthalt startete ich sofort mit einer ambulanten Therapie in einer integrierten Psychiatrie, die auf weibliche Patienten im Allgemeinen und Mütter im Speziellen ausgerichtet ist. Meine Psychologin sagte, dass die quasi reale Todesangst und die Schmerzen bei der Geburt meine Panikattacken wieder geweckt hatten – und auch die Hormone spielten laut ihrer Aussage eine große Rolle.
Die wöchentlichen Termine helfen mir nach wie vor sehr und ohne die Therapie wäre ich nicht wieder auf die Beine gekommen. Der erste Schritt zurück gelang mir, als ich 11 Tage nach der Geburt wieder richtig essen konnte. Ich hatte mich endlich auch meiner Mama anvertraut, sie kam sofort den über 300 km langen Weg zu mir und mir ging es schlagartig besser. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt 17 Kilo Gewicht verloren, 11 Kilo davon innerhalb von 8 Tagen.
Und dann habe ich mich entschieden, richtig offen und ehrlich zu sein. Mein Instagram Account, den ich zu Beginn der Schwangerschaft gestartet hatte, zeigte bisher nur eine hauptsächlich schöne, wenn auch anstrengende und teilweise schmerzhafte Schwangerschaft – immer mit einem Lächeln. Als ich aber nach der Geburt recht wenig aktiv war, fingen die Fragen an. So viele fragten mich, ob es dem Baby gut ginge, was denn los sei. Keiner fragte so wirklich nach mir, denn keiner ahnte, wie schlecht es mir ging.
Als ich genau 14 Tage nach der Geburt den Post mit meinem Geständnis verfasste, war das Feedback überwältigend! Nicht nur die Kommentare, sondern vor allem die vielen vielen Nachrichten von Frauen*, denen es wie mir ging, die sich aber nicht trauten, dazu zu stehen. Das fand ich erschreckend. Noch erschreckender fand ich aber die Gründe, die sie dazu bewegten, nichts zu sagen. Scham vor Familie, Partner und (Instagram-)Freund*innen, Angst vor Kindesentzug aufgrund einer „psychischen Störung“, die Befürchtung, die*der Partner*in könne sie verlassen – all diese Ängste kann ich verstehen, hatte ich doch all diese Ängste selbst.
Gerade die Angst vor dem Kindesentzug kann ich an dieser Stelle aber jeder Mama und jedem Papa nehmen. Niemand wird euch euer Kind wegnehmen – schon gar nicht, wenn ihr euch Hilfe nehmt. Ganz im Gegenteil.
Aus meiner Geschichte entstand schließlich mein Label „Mom;“ (gesprochen Momi). Die Idee ist es, anderen Betroffenen zu vermitteln, dass sie nicht alleine sind. Ich wollte über meine Geschichte reden, Aufmerksamkeit für das Thema schaffen. Auf Instagram gibt es das Label nun seit August 2018 und die Reaktionen sind überwältigend. Wichtiger ist aber der Austausch, der Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl. Der Begriff „Mutterliebe“ hat sich für mich neu definiert.
Text & Fotos: Christiane Wurm