Coaching-Kritik: Wie manipulativ ist die Coaching-Branche?

Coachings boomen – insbesondere Life Coachings, spirituelle Coachings, Finanz-Coachings und Ähnliche, die versprechen, dass dein Leben besser wird, du deine Ziele erreichst und deine Wünsche erfüllst. Aber nicht alle dieser Coaches meinen es gut mit den Menschen – manche arbeiten mit sehr manipulativen Strategien, um gezielt Menschen anzusprechen, die gerade in einem psychisch fragilen Zustand sind und Hilfe suchen.

Charlotte Raven beschäftigt sich kritisch mit der Coaching-Branche. Sie hat selbst die Erfahrung gemacht, in eine sektenartige Coaching-Community hineingezogen zu werden, und hat Coaching-Anbieter*innen hinter den Kulissen kennengelernt. In unserer neuen Folge von „femtastics Deep Dive“ sprechen wir mit ihr darüber wie sich manipulative Marketing-Strategien erkennen lassen und auf welche Red Flags man bei der Auswahl von Coaches achten sollte.

In unserer Gesellschaft leben wir in einer Hyper-Individualisierung, wo wir alle sehr auf uns fixiert sind.

femtastics: Warum spricht Coaching heutzutage so viele Menschen an?

Charlotte Raven: Viele Faktoren spielen da eine Rolle. In unserer Gesellschaft leben wir in einer Hyper-Individualisierung. Wir sind alle sehr auf uns fixiert und erleben weniger Gemeinschaft. Unser kapitalistisches System führt zudem zu einem ständigen Mangelgefühl. Wir glauben, immer mehr konsumieren zu müssen, was sich auf unsere Psyche auswirkt. Wenn uns die Verbindung fehlt und wir stattdessen materielle Dinge konsumieren, entsteht eine gewisse Unzufriedenheit. Dazu kommt, dass die Welt gerade sehr komplex und chaotisch ist. Social Media verstärkt dies, indem es uns ständig Bilder von erfolgreichen Menschen zeigt, was unsere eigene Unzufriedenheit steigert.

Gleichzeitig nutzen manipulative Marketing-Techniken diese Unzufriedenheit aus. Es gibt viele psychische Herausforderungen und viel Unsicherheit in der Welt. Früher hatten Menschen Halt im Glauben und in der Kirche, doch das hat heute weniger Bedeutung, besonders für junge Leute. Sie suchen an anderen Orten nach Gemeinschaft. Spirituelles Coaching bietet eine neue Form von Glauben, zum Beispiel an das Universum, und verspricht Lösungen für all unsere Probleme. Wenn dann schnelle Hilfe versprochen wird, greifen viele Menschen zu und geben viel Geld aus. Diese Coaching-Events sind sehr einnehmend und erzeugen durch ihre hohen Energielevel und die Gemeinschaft ein Gefühl von Euphorie, was süchtig machen kann. Es ist also ein komplexes System aus Hoffnungen, Manipulation und fehlendem Halt, das dazu führt, dass so viele Menschen von diesen Coachings angezogen werden.

Ich bin in eine Art „spiritual bypassing“ geraten, wo ich meine echten Probleme verdrängte und mich nur auf positive Energie konzentrierte.

Du hattest selbst ein Burnout und eine depressive Phase. Hast du damals selbst nach Coachings gesucht? Was genau hat dir dann geholfen, dass du dich wieder besser fühlst?

2016 hatte ich einen absoluten Tiefpunkt erreicht. Ich war nicht nur depressiv und ausgebrannt, sondern hatte auch suizidale Gedanken. Ich erinnere mich an einen Moment, als ich bei meiner Mutter im Bett lag und einfach nicht mehr konnte. Ich hatte keinen Therapieplatz bekommen und war völlig verzweifelt. Dann sah ich eine Werbeanzeige für eine Meditations-App auf „Instagram“ und dachte, vielleicht ist das ein Zeichen.

Ich begann, kostenlose Inhalte zu konsumieren und trat verschiedenen Communitys bei. Ein Mentor führte mich tiefer in Therapiemethoden ein. Ich habe dann viele Coaching-Programme ausprobiert und es fühlte sich zunächst hilfreich an. Aber ich bin immer mehr in eine Art „spiritual bypassing“ geraten, wo ich meine echten Probleme verdrängte und mich nur auf positive Energie konzentrierte. Das führte zu einer toxischen Positivität und letztlich zur nächsten Depression.

Später arbeitete ich als Unternehmensberaterin und Webdesignerin für Coaching-Anbieter. Dadurch bekam ich einen tieferen Einblick hinter die Kulissen und sah die manipulativen Mechanismen. Es dauerte eine Weile, bis ich meine Zweifel zuließ und dann meine Meinung änderte.

Wann hast du deine Meinung geändert?

Die ersten Zweifel hatte ich schon, bevor ich mein erstes Coaching gemacht habe, aber ich war so verzweifelt, dass ich mich davon überzeugen ließ. Der Wendepunkt kam nach der Geburt meines Sohnes. Ich hatte alles positiv manifestiert, mein Sohn war aber sehr sensibel und schrie viel, da wurde mir klar, wie absurd der Gedanke ist, dass man solche natürlichen Prozesse beeinflussen kann. Ich begann, alles zu hinterfragen und merkte, wie oberflächlich und manipulativ viele dieser Coachings waren.

Wie bist du aus der Szene herausgekommen?

Ich habe nie wirklich aufgehört zu arbeiten, sondern begann, über meine Erfahrungen zu schreiben, was eine Art Therapie für mich war. Als ich kritische Beiträge veröffentlichte, wurde ich sofort aus vielen Gruppen ausgeschlossen und verlor viele Freundschaften. Das Schreiben und der Austausch mit anderen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, haben mir geholfen, einen klaren Kopf zu bekommen und einen gewissen Abstand zu gewinnen.

Heute sehe ich die unterschiedlichen Graustufen: Nicht alles im Coaching ist schlecht und auch Spiritualität hat ihre positiven Seiten. Es ist nur wichtig, die manipulativen und schädlichen Aspekte zu erkennen und zu vermeiden.

Welche Red Flags sollte man bei der Auswahl eines Coachings beachten?

Man sollte darauf achten, wie die Coach*innen ihre Dienste anbieten. Wenn eine Website stark auf Verkauf getrimmt ist und mit Dringlichkeit arbeitet, wie z.B. „Das Angebot gilt nur noch heute“, sollte man vorsichtig sein. Solche Techniken sind oft ein Hinweis auf manipulative Praktiken. Überzogenen Versprechungen sollte man immer skeptisch gegenüber stehen und am besten auch nach ehrlichen Bewertungen und Erfahrungen anderer Teilnehmer*innen suchen.

Problematisch ist es, wenn Coach*innen versuchen, emotionale Abhängigkeiten zu schaffen oder unterschwellige Drohungen aussprechen und wenn schnelle und große Erfolge versprochen werden, etwa innerhalb weniger Monate sechsstellig zu verdienen.

Generell ist es wichtig, sein Bauchgefühl zu hinterfragen. Ein echtes Bauchgefühl ist leise und drängt sich nicht auf.

Das ganze Interview mit Charlotte Raven hört ihr in unserer Podcast-Episode!

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Collage: „Canva“
Bild: Charlotte Raven

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