Dauersingle? Dr. Sharon Brehm erklärt, warum es mit der Beziehung nicht klappt

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2. September 2024

Das steckt hinter scheiternden Kennenlernphasen und dem Status Dauersingle, trotz Beziehungswunsch.

Verabredungen, die zu nichts führen, Situationships, die immer wieder scheitern, und das ewige Swipen auf Dating-Apps – wenn man sich bereit für eine Beziehung fühlt, aber es einfach nicht funktionieren will, kann das mit der Zeit Frustration auslösen. Als Paartherapeutin hilft Dr. Sharon Brehm Paaren, die ihre Verbindung verloren haben, wieder zueinander zu finden und berät Einzelpersonen im Coaching rund um das Thema Bindung und Beziehungen.

Dr. Sharon Brehm ist überzeugt, dass wir prinzipiell alle beziehungsfähig sind. In ihrem Buch „Smart Loving“ erklärt sie die verschiedenen Bindungstypen, Beziehungsdynamiken und Muster, die dazu führen, dass es mit der Liebe nicht so klappt wie wir es uns vielleicht wünschen. Wir sprechen mit ihr darüber, was hinter scheiternden Kennenlernphasen und dem Status Dauersingle, trotz Beziehungswunsch, steckt.

Wichtiger Disclaimer vorab: Es ist völlig in Ordnung, sein Singleleben in vollen Zügen zu genießen und es spricht überhaupt nichts dagegen, in keiner festen Beziehung zu sein. Es soll in diesem Artikel nur um die Personen gehen, die sich selbst eine feste Bindung wünschen und aktiv auf der Suche danach sind.

femtastics: Gibt es bestimmte Muster oder wiederkehrende Gründe, warum es mit einer Beziehung einfach nicht funktioniert, obwohl man sich bereit fühlt?

Dr. Sharon Brehm: Dass es zu keiner festen Beziehung kommt, kann sowohl gesellschaftliche als auch individuelle, persönliche Gründe haben. Zu den individuellen Gründen kann gehören, dass eine Person ihren eigenen Bindungsstil noch nicht kennt und sich immer wieder auf Menschen einlässt, mit denen eine Art „Katz-Maus-Spiel“ entsteht.

Wenn ich beispielsweise einen ängstlichen Bindungsstil habe, suche ich mir häufig eine Person mit einem vermeidenden Bindungstypen. Das ist anfangs häufig sehr romantisch und intensiv, jedoch können und wollen Personen mit einem vermeidenden Bindungsstil diese Intensität gar nicht permanent. Wenn sich die Person dann zurückzieht, signalisiert dies Menschen mit einem ängstlichen Bindungsstil: „Ich habe etwas falsch gemacht, ich bin das Problem“. Sie reagieren meist mit noch mehr Nähe. Dies wiederum ist der anderen Person zu viel und sie zieht sich noch mehr zurück. Das kann dazu führen, dass man sich sehr lange nicht wirklich auf jemanden einlässt.

Viele von uns suchen erstmal die Schuld bei der anderen Person.

Wie lässt sich so ein wiederkehrendes Muster aufbrechen?

Zunächst einmal braucht es ein Bewusstsein für das eigene Muster. Viele von uns suchen erstmal die Schuld bei der anderen Person. Als ängstlicher Bindungstyp beispielsweise kann man sich vielleicht gar nicht vorstellen, dass zu viel Nähe auch bedrohlich sein kann. Man selbst denkt, das, was man gibt, ist nur Liebe und diese wollte die Person doch anfangs. Wie soll man vor einem liebevollen Wesen Angst haben?

Dabei merkt die Person nicht, dass eine übertriebene Fürsorge für eine Person mit vermeidendem Bindungsstil teils übergriffig wirken kann. Alle Bedürfnisse sind berechtigt und sie dürfen variieren. Manche Menschen sind hungriger als andere, das ist einfach so.

Genauso brauchen manche Menschen mehr Nähe als andere. Hier ist es wichtig, zu erkennen, dass man selbst beispielsweise viel Nähe braucht und dass man sich immer wieder Menschen sucht, die weniger Nähe brauchen. Darüber hinaus sollte man sein eigenes Overthinking reflektieren und akzeptieren, dass die andere Person andere Bedürfnisse hat und dass diese ebenfalls berechtigt sind.

Alle Bedürfnisse sind berechtigt und sie dürfen variieren.

Kann es auch sein, dass meine Ansprüche zu hoch sind? Oder sind hohe und spezifische Erwartungen legitim?

Hier muss man zwischen Dingen unterscheiden, die für ein Zusammenleben wirklich essenziell sind und solchen, die es nicht sind. Wenn ich mir eine monogame Beziehung wünsche, dann ist es nur richtig, keine polyamore Person zu daten. Es ist auch völlig in Ordnung zu erwarten, dass die andere Person mich nicht absichtlich emotional verletzt und dass sie empathisch ist.

Wenn jemand mit mir in eine Beziehung gehen möchte, darf ich auch die Erwartung haben, dass die Person bereit ist, Zeit und Gedanken in die Bindung zu investieren. Diese Art der Erwartungen ist nicht zu viel, manchmal stellen wir sie nur an die falsche Person. Wenn ich Lust auf ein deftiges 3-Gänge-Menü habe, dann kann ich nicht zu einem Eisladen gehen und erwarten, dass mein Bedürfnis gestillt wird.

Wenn jemand mit mir in eine Beziehung gehen möchte, darf ich auch die Erwartung haben, dass die Person bereit ist, Zeit und Gedanken in die Bindung zu investieren.

Wenn eine Person merkt, dass es mit einer Beziehung bei ihr immer wieder nicht richtig funktionieren will, was kann das in ihr auslösen?

Manche meiner Klient*innen schildern ein Gefühl von Scham, das Gefühl, falsch zu sein. Andere spüren Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, bis hin zu Dating-Fatigue oder einem Dating-Burnout. Wenn ich mich immer wieder auf eine Person einlasse und emotional involviert bin, es aber trotzdem nicht zum Ziel führt, kann das dazu führen, dass man sich ausgebrannt fühlt. Bei manchen Personen entsteht irgendwann eine Art Gleichgültigkeit oder Abwertung, aus Selbstschutz heraus.

Manche Personen wünschen sich, zu daten, aber haben Ängste und trauen sich erst gar nicht, neue Menschen kennenzulernen. Was würdest du ihnen raten?

Diese Gefühle sind nachvollziehbar, denn beim Dating, gerade beim Online-Dating, ist man in einer Bewertungssituation. Man zeigt sich, man postet ein Bild von sich und muss eine kleine Beschreibung von sich selbst verfassen. Das ist erstmal unangenehm. So zu tun, als wäre das einfach, wird der Sache nicht gerecht.

Gleichzeitig gilt: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Es ist von den wenigsten Menschen ein Hobby, sich auf Dating-Plattformen zu tummeln. Aber es ist eine Möglichkeit, um neue Menschen kennenzulernen. Die Alternative, Menschen im echten Leben anzusprechen, ist genauso unangenehm. Es braucht etwas Mut, das unangenehme Gefühl auszuhalten. Egal, wer mich bewertet, es wird mich nicht umbringen. Es wird mich nicht mein Haus kosten. Es ist erstmal unangenehm, aber es kann angenehm werden.

Gibt es auch den Zustand, in dem ich einfach noch nicht bereit für eine Beziehung bin und wenn ja, woran spüre ich das?

Viele Menschen, die in einer Situation einen ängstlichen Bindungsstil haben, haben in einer anderen Situation einen vermeidenden Stil. Sie kontrollieren dann in dem Rahmen selbst, wie viel Nähe da ist. Wir alle kennen auch jemanden, der oder die sagt „Mich spricht nie jemand an“, obwohl es ganz viele Menschen gibt, die Interesse hätten.

Natürlich muss uns nicht jede Person gefallen, der wir gefallen, aber viele Menschen mit einem ängstlichen Bindungsstil haben einen negativen Selbstwert. Sie haben den Eindruck, nicht gut genug zu sein. Wenn eine Person ihnen dann die Liebe gibt, die sie suchen, dann kann sich das im ersten Moment wie ein kleiner Schock anfühlen. Ich gehe raus aus meinen Mustern, das fühlt sich unangenehm an. Wie kann es sein, dass die Person mich mag? Im Rahmen von therapeutischer Arbeit kann man das reflektieren.

Wir müssen es wagen, neue Erfahrungen zu sammeln.

Ist der erste Step somit die Selbstwertarbeit?

Die Arbeit am Selbstwert und am Selbstmitgefühl ist ganz wichtig, keine Frage. Aber egal, wie viel Liebe und Selbstwert wir uns geben, es ist nicht das Gleiche wie die Liebe von außen. Wir müssen es wagen, neue Erfahrungen zu sammeln. Auch wenn ich das Gefühl habe, es ist mir zu eng, muss ich mich darauf einlassen.

Vielleicht ist es nicht mein typisches Muster einer Person, sonst habe ich mich eher auf Menschen eingelassen, die sehr selbstbewusst und mir gegenüber etwas gleichgültig waren. Ich muss dann akzeptieren, dass die Person wirklich süß zu mir ist und ich schauen darf, wie sich das anfühlt. Therapie hilft, um alte Muster zu reflektieren: Woher kommt etwas? Was habe ich über Nähe gelernt? Warum fühlt es sich vertrauter an, wenn jemand nicht verfügbar ist? Letztlich geht es aber darum, bewusst eine neue Erfahrung einzuleiten.

Du hattest das Thema Dating-Burnout angesprochen. Wie kann ich es schaffen, nicht den Mut und vor allem auch nicht den Spaß am Dating zu verlieren?

Manchmal müssen wir einfach eine Pause einlegen und etwas Abstand zu allem gewinnen. Wenn mein Ziel grundsätzlich ist, in Beziehung zu sein, dann hilft es, erstmal meine Kräfte zu sammeln und etwas anderes zu machen.

Manchmal geraten wir in ein Dating-Burnout, weil wir uns selbst davon überzeugt haben, dass wir keine Zeit verlieren dürfen. Es ist absolut legitim und normal, einen Moment zu brauchen, in dem Wissen, dass die Lust aufs Dating wiederkommt.

Was generell wichtig ist: Wir dürfen uns professionelle Hilfe holen. Wir haben nicht viel über Dating gelernt. Tipps im Internet kommen teilweise von sogenannten Pick-Up-Artists. Dort stecken Manipulationstechniken hinter, die mit dem negativen Selbstwert von Personen arbeiten und darauf abzielen, künstlichen Aufregung zu erzeugen. Diese kann sich nach Verliebtsein anfühlen, obwohl eigentlich Verunsicherung dahintersteckt. Echte Bindung und Liebe sind etwas Anderes.

Vielen Dank für das Gespräch!


Hier findet ihr Dr. Sharon Brehm:



Collage: „Canva“

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