Depression: Warum mein Körper die Notbremse zog und wie ich zurück zu mir selbst fand

23. September 2024

In ihrem bewegenden Erfahrungsbericht erzählt femtastics Autorin Lisa Aschenbrenner von ihrer Reise durch die Tiefen der mentalen und körperlichen Erschöpfung und den langen Weg zurück zu sich selbst. Lisas Geschichte zeigt wie komplex das Thema Gesundheit ist und wie wichtig es ist, Eigenverantwortung zu übernehmen, Akzeptanz zu üben und Vertrauen in den eigenen Heilungsprozess zu finden.

DE-PRESS-ION: Drei Silben, die eine*n verändern

Zehn Buchstaben, jeder einzelne so überraschend wie Schnee im August. Man hat schon davon gehört. Und doch ist es anders. Ohne Vorbereitung überzieht es alles mit feinen weißen Flocken, die, je länger man zusieht, zu einer dichten Decke werden. Aber keine wärmende, gemütliche Decke, mit der man gern vorm Kamin sitzt. Eher eine schwere, eine alles erschwerende, einen erdrückende.

Ich dachte immer, mein Fall sei keine „klassische“ Depression. Aber was soll das überhaupt sein? Die stinknormale Depression. Ich glaube eine Depression ist so vielseitig wie der Mensch, der sie hat. Es ist seelischer Schmerz, der sich körperlich zeigt. Und bei mir fing es mit dem Moment an, als mein Körper einfach nicht mehr konnte. Nach der unüberlegten Einnahme eines Antibiotikums, dass für seine starken und langanhaltenden Nebenwirkungen bekannt ist*, brach mein Nervensystem Stück für Stück zusammen.

Auch wenn mir gesagt wurde, dass ich Ruhe bräuchte, um meinen Körper zu heilen, kam ich nicht zur Ruhe.

Das überlastete Nervensystem

Es war überlastet. Überfordert. Es war schlichtweg zu viel, also begann mein Körper sich zu wehren. Er wollte gehört werden. War er doch rückblickend viel zu lange falsch behandelt worden und durch innere Prozesse absolut im Überlebensmodus. Ich kämpfte mit Symptomen der chronischen Erschöpfung, Reizüberflutung und Schmerzen. Auch wenn mir gesagt wurde, dass ich Ruhe bräuchte, um meinen Körper zu heilen, kam ich nicht zur Ruhe.

Ich machte einfach weiter. Ich konnte nicht akzeptieren, dass es mir so ging, wie es mir ging. Ich rannte weg und verrannte mich im Drama. Ich sah nicht, dass ich damit immer weiter gegen mich und meinen Körper handelte. Dass ich genau das tat, was ich schon Jahrzehnte machte. Ich verbrauchte so viel Energie darauf gesehen, gehört und gemocht zu werden, dass ich mich selbst dabei komplett verlor. Ich machte so lange weiter, bis mein Körper – geschwächt und angegriffen von den Tabletten – mich schließlich in die Knie zwang und ich während eines Umzugs in eine andere Stadt einfach zusammenbrach. Ich war gezwungen, endlich Ruhe zu geben. Vor allem war ich gezwungen, mit allem in mir zur Ruhe zu kommen.

Über den eigenen Körper staunen

Heute betrachte ich meinen Körper oft mit Staunen und stelle mir vor, wie lange er durchgehalten hat. Wie stark er sein musste. Und wie stark er wieder ist. Die Reise „zurück“ in mein Leben geht nun schon drei Jahre. Dabei gab es nie ein „zurück“. Und ich glaube erst, als ich das akzeptierte, begann meine Heilung. Denn ich konnte nicht zurück. „Zurück“ war ein Umgang mit mir selbst, der mich erschöpfte. Eine Art und Weise mein Leben zu leben, die mich wahrscheinlich auch ohne die sechs kleinen Tabletten, denen ich lange Zeit die Schuld an allem gab, irgendwann zum Stillstand gebracht hätte.

Geht es dem Körper nicht gut, schlägt sich das auf die Psyche nieder.

Mein Körper hätte einen anderen Weg gefunden, sich Gehör zu verschaffen. Oder sollte ich an der Stelle wohl eher Körper und Geist schreiben? Denn geht es dem Körper nicht gut, schlägt sich das auf die Psyche nieder. Gibt es psychische Stressoren, spürt man diese irgendwann körperlich. Ich bin davon überzeugt, dass man Körper und Geist nie getrennt voneinander betrachten kann. Und glaubt mir, ich habe es versucht. Erst auf Körperebene. Dann auf mentaler. Und doch muss es am Ende „ineinandergreifen“.

Das fehlende Puzzle-Teil

Ich habe gefühlt alles ausprobiert. Ich habe zig Ärzte und Ärztinnen konsultiert, sündhaft teure Infusionen in mich reinlaufen lassen, mit Heiler*innen gesprochen, mich neuen Therapeut*innen geöffnet, Emotional Release Events mitgemacht, Ernährung von Hü nach Hott umgestellt, mich mit den „optimalen“ Supplements gepimpt, bis ich Anfang des Jahres nach einem erneuten Aufschrei meines Körpers, den Entschluss fasste, in eine psychosomatische Klinik zu gehen. Die Entscheidung fiel mir nicht leicht, obwohl sie sich gleichzeitig wie das fehlende Puzzle-Teil anfühlte. Etwas, was ich schon viel früher hätte machen sollen.

Ich spürte mich nicht. Ich wusste gar nicht, was ich brauche oder was mir guttut.

Ich hatte schon lange Zeit vor meinem Zusammenbruch verschiedenste körperliche Symptome ignoriert und nicht bemerkt, dass ich permanent mehr Energie verbrauchte, als ich sie auftankte. Ich spürte mich nicht. Ich wusste gar nicht, was ich brauche oder was mir guttut. Und bis zu dem Moment, als mein Körper nicht mehr konnte, war mir gar nicht bewusst, dass meine Energie nicht grenzenlos ist. Es wurde wohl Zeit sich das „große Ganze“ anzuschauen.

Die Klinik

Exakt acht Wochen verbrachte ich an einem Ort, für den ich mich mit einer großen Portion Unsicherheit und gleichzeitig großen Erwartungen entschied. Ein Ort, den ich – als ich ankam – absolut ablehnte. Ich fand es schrecklich. Alles. Den Ort. Die Ärzte und Ärztinnen. Die Patient*innen. Nun saß ich täglich in einem Speisesaal, so laut wie ein bayrisches Wirtshaus, wo ich doch mit Reizüberflutung kämpfte. Was sollte ich hier?

Ich hockte selbst als Patientin in einer psychosomatischen Klinik und verurteilte die Menschen um mich herum. Ich fand sie komisch, spann Klischees in meinem Kopf, war genervt und vor allem hatte ich das Gefühl, ich gehörte hier nicht hin. Und doch wurde dieser Ort nach ein paar Wochen zu genau dem, was ich mir heute in meinem „normalen“ Umfeld aufzubauen versuche. Mein eigener Kosmos, in dem ich mich wohlfühle und gleichzeitig gefordert bin. Denn das ist es, was mir guttut. Auch wenn das banal klingt.

Was ich wirklich brauche

Ich brauche die richtige Mischung aus Sicherheit und Freiheit. Ich muss lernen, dass ich nicht der Mittelpunkt der Welt bin und gleichzeitig die Hauptrolle in meinem eigenen Leben. Ich brauche Routinen und eine Geschwindigkeit, die ich halten kann. Vor allem muss ich lernen, dass Pausen keine verlorene Zeit sind. Und dass ich mir diese nicht erst verdienen muss. Ich denke viel darüber nach, was mir an der Klinikzeit am meisten geholfen hat. Was genau war in der Klinik anders als in meinem „normalen“ Alltag? Für mich waren das vor allem feste Strukturen und ein geschützter Raum, in dem ich lernen konnte, mich abzugrenzen, ohne mich zu verschließen. Das muss nicht unweigerlich in einem stationären Setting sein. Aber es ist nicht einfach sich zu verändern, wenn das Umfeld gleich bleibt. Es kann helfen sich für eine Zeit aus dem Alltag rauszunehmen. Vor allem, wenn dieser nicht mehr möglich ist.

Ich suche immer noch jeden Tag die Geschwindigkeit, die für mich im Moment funktioniert.

Zunächst ließ die Erfahrung in der Klinik einen kleinen Teil in mir enttäuscht zurück. Ich schreibe heute diese Zeilen und bin noch immer nicht vollständig geheilt. Ich suche immer noch jeden Tag die Geschwindigkeit, die für mich im Moment funktioniert und stoße dabei jeden Tag aufs Neue an Grenzen, die ich seit drei Jahren zu überwinden versuche. Aber was hatte ich auch erwartet? Es bleibt ein Prozess.

Erwartungen standen mir auf dem Weg zur Heilung am meisten im Weg. Vor allem die Erwartungen an „das Außen“. Als ich krank wurde, wünschte ich mir oft die eine Person, die genau weiß, was ich brauche. Die eine Tablette, die mich wieder gesund macht. Aber die Wahrheit ist, dass kein Mensch dieser Welt für meine eigene (mentale) Gesundheit verantwortlich ist. Niemand weiß, wie es sich anfühlt in meiner Haut zu stecken. Und vor allem kann niemand anderes als Ich damit anfangen, sich gut um mich selbst zu kümmern. Veränderung ist schmerzhaft und anstrengend. Veränderung macht Angst. Das Umfeld reagiert auf Veränderung und das ist nicht immer angenehm. Auf meiner Reise zu einer stabilen Gesundheit und mentalen Ausgeglichenheit waren es tausend Kleinigkeiten, die geholfen haben. Im Allgemeinen sind es drei Dinge, die ich jeden Tag aufs Neue übe:

Eigenverantwortung.
Akzeptanz.
Vertrauen.

Und ich weiß, wie groß diese Worte klingen.

Aber nur wenn ich Eigenverantwortung übernehme, werde ich von einer Patientin zur Expertin für meinen eigenen Körper. So kann ich die passenden Begleiter in ärztlicher Form finden. So kann ich mir eine Meinung über Therapieformen bilden und das für mich nutzen, was sich gut anfühlt. Alles andere wird mich nur enttäuscht zurücklassen, auch wenn es anfangs einfacher scheint, die Verantwortung abzugeben. 

Nur wenn ich meine eigene Realität akzeptiere, kann ich sie verändern.

Akzeptanz für den Status Quo. Das ist das Schwerste. Ich verzweifle bis heute fast täglich daran. Und doch setzt es genau die Energie frei, die es braucht, um zu heilen. Es bringt nichts, woanders sein zu wollen, wo ich nicht bin. Nur wenn ich akzeptiere, dass es im Moment so ist, wie es ist, kann ich dem was ist, Gutes abgewinnen. Nur wenn ich meine eigene Realität akzeptiere, kann ich sie verändern.

Vertrauen lässt einen durchhalten. Ohne Vertrauen geht es nicht. Es kann beängstigend sein, wenn man nicht weiß, wann und ob Dinge jemals wieder besser werden. Dafür braucht es Vertrauen, um jeden Tag aufs Neue für sich selbst einzustehen. Dieses Vertrauen muss in einem selbst gepflegt werden. Durch Momente, in denen man auch die kleinsten Erfolge feiert. Durch Menschen, die einen anfeuern. Auch wenn man selbst den Grund dafür nicht sieht. Durch Träume, die einen motivieren und gleichzeitig Schritt für Schritt erreichbar sind.

Vielleicht mag es einfach erscheinen, diese Worte zu schreiben. Schlaue und irgendwie unkonkrete Ratschläge zu geben, die sich nach leeren Worthülsen anfühlen, wenn man doch einfach nur gesund sein möchte. Ich fühle das. Ich habe aber gelernt, dass jede*r seine*ihre eigene Reise hat. Jede*r hat sein*ihr eigenes Gepäck und wird an unterschiedlichsten Stationen halten. Und jede*r nimmt dabei sein*ihr inneres Kind am besten liebevoll an die Hand und findet gute Freunde auf dem täglichen Weg. Was wir tun können ist, uns ehrlich auszutauschen und gütig im Umgang miteinander zu sein. Ebenso im Umgang mit uns selbst. Ich glaube, dass es am Ende genau das ist, was uns hilft.

Hinweis der Autorin zur Einnahme von Fluorchinolonen: Fluorchinolone sind eine Gruppe von Antibiotika, die sehr toxisch wirken. Es gab in den letzten Jahren immer wieder Rote Hand Briefe für Ärzte und Ärztinnen. Generell sollte der*die Patient*in aufgeklärt werden und bei Einnahme Schaden und Nutzen in Relation gestellt werden. Bei leichten Infektionen sollten Fluorchinolone nicht als Mittel der ersten Wahl verwendet werden. Weitere Informationen hier.



Collage/Foto: „Canva“/Hannes Thun

Ein Kommentar

  • Elfi Aschenbrenner sagt:

    Ein sehr berührender und beeindruckender Artikel . Ich hoffe Lisa findet zurück ins harte Leben denn ihr Weg scheint der richtige zu sein . Eine starke Frau und sehr offen und ehrlich , was nicht immer leicht ist .

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