Wie diskriminierend ist die Medizin?

1. Mai 2024

Ärzt*in Sabina Schwachenwalde über Ungerechtigkeit und Diskriminierung in der Medizin

Fehldiagnosen, Vernachlässigung und falsche Behandlungsanweisungen – das haben sicher schon viele Frauen* in unserem Gesundheitssystem erlebt. Gesundheit ist politisch, weil unser Gesundheitssystem und die Medizin an vielen Stellen diskriminierend sind. Der Grund dafür: “Wer heute das Sagen über unsere Gesundheit hat, ist meist weiß, cis-männlich, heterosexuell, nicht-behindert und finanziell privilegiert.” 

Das schreibt Ärzt*in und Feminist*in Sabina Schwachenwalde in ihrem Buch “Ungleich behandelt”, in dem sie erklärt, wie strukturelle Benachteiligungen in unserem Gesundheitssystem verankert sind. Wir sprechen mit ihr in unserer neuen Folge vom „femtastics Deep Dive Podcast“ darüber, warum und wie unser Gesundheitssystem diskriminiert – und wie eine gerechtere Gesundheit aussehen könnte.

Sabina, du hast das Buch „Ungleich behandelt“ geschrieben. Darin geht es um das Gesundheitssystem, das, wie du schreibst, die meisten Menschen diskriminiert. Inwiefern tut es das?

Sabina Schwachenwalde: Unser System der Medizin, was wir im Moment haben, ist auf einen ganz spezifischen Typ Mensch und auf einen ganz bestimmten Typ Körper ausgerichtet. Es gibt diese Norm, dass der Körper, auf den sich alles ausrichtet, der Körper einer Person ist, die männlich, weiß und hetero ist sowie keine absehbare Behinderung hat.

Alle anderen fallen mal mehr, mal weniger an vielen Stellen durchs Raster und sind eben nicht mitgedacht. Sie sind nicht vorgesehen und werden nicht berücksichtigt. Das führt natürlich zu strukturellen und auch zwischenmenschlichen Benachteiligungen und Diskriminierungen.

Wie und wann ist dir aufgefallen, dass unser Gesundheitssystem so ungerecht ist?

Ich bin ins Gesundheitssystem gestartet mit einer Ausbildung als Rettungssanitäter*in. Das war eigentlich direkt der Moment, in dem ich gemerkt habe: ‚Wow, das sind ziemliche Ausnahmesituationen, in die man sich begibt und es ist ein sehr spezielles System.‘ Ich erinnere zum Beispiel an einen meiner ersten Rettungseinsätze: Eine Zwangseinweisung einer Person, die eigentlich nicht mit ins Krankenhaus mitkommen wollte. Es lag dann quasi beim medizinischen Personal, die Entscheidung zu treffen.

Ich habe das als eine sehr gewaltvolle Situation empfunden und war schockiert, mit welcher Selbstverständlichkeit diese Gewaltausübung passiert ist. An ganz vielen Stellen im Gesundheitssystem befinden sich Betroffene ins Ausnahmesituationen. Man hat gesundheitliche Beschwerden und begibt sich in dieses System, weil man Hilfe braucht.

Für das Personal auf der anderen Seite ist es ja gar keine Ausnahmesituation, sondern Alltag. Zumindest meistens. So entsteht ein gewisses Machtgefälle, was alle spüren können, die schon mal Patient*innen im Krankenhaus waren. Das betrifft alle. Wer dann auch noch gesellschaftlich marginalisiert ist und sowieso schon Diskriminierung erfährt, diese Personen spüren dieses Machtgefälle noch mehr. Das Risiko ist noch mal höher, schlechte Erfahrungen zu machen.

Der Gender Data Gap bezieht sich konkret auf Forschungslücken – was genau verbirgt sich dahinter?

Der Gender Data Gap ist ein Phänomen, das zum Glück inzwischen schon mehr im allgemeinen Diskurs angekommen ist. Der Begriff bezeichnet, dass es geschlechtsspezifische Datenlücken gibt. Also, dass noch bis vor Kurzem fast jegliche Forschung sich auf männliche Menschen bezogen hat, sowohl bei der Frage, was überhaupt erforscht wird, als auch in Bezug auf die Menschen bzw. Versuchstiere, die untersucht wurden. Diese sind zu einem überwältigenden Teil männlich. Dadurch entstehen riesengroße Wissens- und Datenlücken über Erkrankungen, die hauptsächlich Frauen* oder auch alle betreffen, sich aber vielleicht bei manchen Geschlechtern anders zeigen.

Das ganze Interview mit Sabina Schwachenwalde hört ihr in unserer Podcast-Episode!

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Foto: Paula Winkler

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