Melodie Michelberger: Wie Diet Talk und Schönheitsideale zu einer Essstörung führen können

7. September 2023

TW Essstörung: Schon früh lernen wir, Körper zu beurteilen. Den eigenen ebenso wie die Körper anderer Menschen. “Die Frau* sollte das lieber nicht tragen!”, “Willst du das wirklich noch essen?”, “Du siehst gut aus! Hast du abgenommen?”, “Pass lieber auf, sonst wirst du dick und kriegst später keinen Mann ab!” … Oft ganz nebenbei gesagt können solche Sätze – neben den vorherrschenden, oftmals unerreichbaren Schönheitsidealen in Medien und Werbung – großen psychischen Schaden anrichten. Im schlimmsten Fall führen sie in eine Essstörung und/oder zur Diskriminierung anderer Menschen. 

In der neuen Folge unseres Podcasts „femtastics Deep Dive“ erzählt uns Körperaktivistin Melodie Michelberger ihre ganz persönliche Geschichte und appelliert, dass wir alle kritischer darüber nachdenken wie wir Körper beurteilen.

femtastics: Lass uns über dein Verhältnis zu deinem eigenen Körper sprechen. Kannst du kurz umreißen, wie das früher war und wie es sich über die Jahre entwickelt hat?

Melodie Michelberger: Im Alter von sieben wurde mir von meiner Mutter gesagt, dass ich einen bestimmten Rock nicht anziehen kann. Das war ein bunter Rock mit Volants, der so ganz bauchig und voluminös war – also eigentlich genauso ein Kleidungsstück, wie ich es heute noch liebe. Meine Mutter sagte: „Nee, der betont deinen dicken Hintern noch mehr!“. Dieses Erlebnis ist mir in Erinnerung geblieben, denn rückblickend gab es für mich ein Vorher und ein Nachher. Ich war wirklich ein furchtloses Mädchen, bin Rollschuh gefahren, auf Bäume geklettert, aber ab dem Moment bekam ich das Gefühl, dass mein Körper nicht richtig sei. Dass ich etwas falsch gemacht habe, dass mein Körper so aussieht und dass ich aus diesem Grund bestimmte Kleidungsstücke anscheinend nicht tragen darf.

Ich habe angefangen, mich kritisch im Spiegel anzuschauen. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich richtig doll anstrengen muss, um mal schön zu sein und auch von außen Lob zu bekommen für meine Figur.

Wie ging das dann weiter?

Das hat sich in den Jahren danach verstärkt, auch begleitet von Kommentaren in meinem Umfeld. Mein Vater hat mich, circa im Alter von zehn Jahren, „Nilpferd“ genannt. Es gab viele Sticheleien und Kommentare wie „Willst du das wirklich noch essen?“ oder „Nur Schweine essen, bis sie satt sind“ oder „Du musst aufpassen, wenn du groß bist, dass du nicht dick wirst!“.

Als wenn es das Schlimmste der Welt sei, dick zu sein.

Genau. Aber das Resultat war, dass ich mich für meinen Körper geschämt habe. Dabei war ich ja ein Kind. Ich habe angefangen, mich kritisch im Spiegel anzuschauen. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich richtig doll anstrengen muss, um mal schön zu sein und auch von außen Lob zu bekommen für meine Figur. Mit zwölf habe ich meine erste Diät gemacht. Rückblickend frage ich mich jetzt schon, warum damals niemand was gesagt hat im Sinne von „Hey, das musst du doch nicht, was soll das? Du bist doch Heranwachsende, du brauchst die Energie. Geh lieber raus und spielen.“

Wurde es also eher positiv aufgefasst damals?

Es wurde eher als etwas Positives gesehen, ja. Es waren aber auch die Achtzigerjahre. Meine Mutter, meine Oma, meine Tanten, alle waren konstant auf Diät und haben eigentlich immer nur negativ oder abwertend über ihre eigene Körper gesprochen. So bin ich aufgewachsen. Ich hatte keine weiblichen Vorbilder in meiner Familie oder in meinem engsten Umfeld, die positiv oder überhaupt nur neutral über ihre Körper gesprochen haben. Für mich war total klar, dass ich auch eine Diät machen muss. Also habe ich eine Diät gemacht und noch eine Diät und noch eine Diät und bin sehr schnell in eine Spirale gerutscht.

Ich habe das System schnell durchschaut und gemerkt, dass ich ja gar keine Diäten brauche. Vorschriften brauchte ich nicht, ich machte mir meine eigenen Vorschriften – und die wurden immer härter. Ich wurde immer unerbittlicher mir selbst gegenüber. Hungern war dann relativ schnell normal, ohne da jetzt weiter in die Tiefe zu gehen, weil ich weiß, dass es für viele Menschen unglaublich triggernd ist, darüber zu sprechen.

In unserer Gesellschaft ist es normalisiert, abwertend über den eigenen Körper zu sprechen oder irgendwelche Regeln beim Essen zu befolgen.

Warum ist das so?

Viele Menschen haben eine Geschichte von esssgestörtem Verhalten. Sie wissen das aber vielleicht gar nicht, weil es in unserer Gesellschaft so normalisiert ist, abwertend über den eigenen Körper zu sprechen oder irgendwelche Regeln beim Essen zu befolgen. Bei mir hat es sich schnell darum gedreht, was ich nicht esse und ich bin erst in eine Essstörung und als Teenager in eine Magersucht gerutscht.

Hast du irgendwann selbst erkannt, dass du eine Essstörung hast?

Ich habe das sehr viele Jahre nicht erkannt. Auch, weil ich ausschließlich positive Kommentare dazu bekam, dass ich abgenommen habe. Ich muss dazu sagen, dass nicht jeder weiß – und eigentlich sollte das auch keine Rolle spielen -, dass ich ein völlig durchschnittlich Kind war. Ich habe mich immer nur dick gefühlt. Also dieses Gefühl, zu viel zu sein und aus diesem Grund falsch zu sein, nicht schön genug zu sein, nicht richtig zu sein. Das war sehr, sehr stark.

Dass ich gar nicht dick war – das habe ich früher ja tatsächlich auch in Interviews behauptet -, sondern meiner eigenen Lüge aufgesessen bin, habe ich erst viel später erkannt. 2020 saß ich hier auf meinem Boden und hatte alle Fotos, die es von mir gibt, um mich herum ausgebreitet. Da erst habe ich festgestellt, dass ich mich selbst belogen habe. Mir ist aufgefallen, wie stark dieses Gefühl war, falsch zu sein. Und auch, dass vermeintlich alles automatisch besser würde, wenn ich erst mal diese eine Figur erreicht hätte.

Wenn ich erst mal dünn wäre, wäre ich auf einmal anerkannt und schön und ich könnte mich verlieben und alles anziehen, was ich will. Dieser Moment ist aber nie gekommen. Das fand ich interessant.

Irgendwann sagte ich, dass ich ganz schön dankbar bin, dass mein Körper noch da ist, obwohl ich so viele Jahre so scheiße zu ihm war.

Wie hast du es geschafft, das zu überwinden und aus diesem, wie du selbst sagst, Kreislauf wieder rauszukommen?

Es hat viele Jahre gedauert und ich habe viele Therapien gemacht, die mich aus dieser Spirale aus Scham und Selbsthass herausgeholt haben. Ich hatte immer wieder kurze Momente, in denen ich dachte „Okay, ich schaffe das, ich muss überhaupt nicht dünn sein, ich kann so sein, wie ich bin.“ Aber es gab auch viele Rückschläge. Auch, weil ich beruflich immer mit Körpern und Mode gearbeitet habe, als Moderedakteurin und als Pressefrau.

Es ging immer um Mode, um Größen, um Körper, um Models. Als ich vor ein paar Jahren einen Burnout hatte, habe ich meinem Therapeuten erzählt, dass ich eine Essstörung hatte. Damals dachte ich, ich hätte sie nicht mehr. Der Therapeut frage mich: Wofür sind Sie Ihrem Körper dankbar? Ich saß auf diesem Stuhl und dachte: „Was ist das jetzt für eine esoterische Frage!? Ich hasse meinen Körper, er sieht einfach nicht so aus, wie ich ihn haben will.“

Diese Frage empfand ich als vollkommen losgelöst von mir. Aber er fragte das ein paar Mal wieder und irgendwann sagte ich, dass ich ganz schön dankbar bin, dass mein Körper noch da ist, obwohl ich so viele Jahre so scheiße zu ihm war. Und da war auf einmal so ein Gefühl da, also wirklich so ein ganz kleines, zaghaftes Gefühl.

Ich habe langsam eingesehen, was ich all die Jahrzehnte mit meinem Körper gemacht habe: diese konstante Mangelernährung, das Hungern in dem Glauben, damit mir etwas Gutes zu tun, zehn Kilometer Rennen morgens vorm Frühstück, um die Fettverbrennung in Schwung zu bringen. Mein ganzer Fokus lag darauf, mich zu schrumpfen. Das hat damals meine Perspektive und auch das Gefühl für mich verändert. Am Anfang ging es ganz viel um ein Gefühl, also, will ich wirklich so weiterleben und mich nicht mit dem versorgen, was ich eigentlich brauche? Nämlich Energie und Nahrung, aber auch Liebe und Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit für mich selber. Genau das hat in den Gang gesetzt, was ich heute mache und mit welchen Themen ich mich heute beschäftige.

Das ganze Interview mit Melodie Michelberger hört ihr in unserer Podcast-Episode!

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Foto: Julia Marie Werner

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