Achtung, Triggerwarnung – die heutige Kolumne dreht sich um das Thema Fehlgeburten.
Zwei Wochen ist es her, dass Meghan Markle sich in einem Essay für die „New York Times“ dazu bekannt hat, diesen Sommer eine Fehlgeburt erlitten zu haben. Ihre Offenheit hat eine Lawine der Anteilnahme losgetreten. Wie vielen Frauen sie wohl aus dem Herzen gesprochen hat, als sie schrieb: „Losing a child means carrying an almost unbearable grief, experienced by many but talked about by few.. (…) Yet despite the staggering commonality of this pain, the conversation remains taboo (…)?“ Wir wissen es nicht! Denn die meisten Frauen reden nicht darüber. Nicht, weil sie es nicht wollen, sondern weil ihre Trauer einfach keinen Platz hat in einer Gesellschaft, in der alles ersetzbar scheint und Leben erst mit der Geburt beginnt.
Denn auch, wenn dieses Baby nicht geblieben ist, so wird es doch immer mein Baby bleiben, das seine ganz eigene und besondere Aufgabe in unserem Leben hatte.
Dabei ist Meghan Markle natürlich nicht die erste Frau, die so offen über ihre Fehlgeburt spricht und damit erneut ein Tabu bricht und doch ebnet sie als Person des öffentlichen Lebens damit vielen anderen Frauen neue Wege, sich ebenfalls zu trauen, ihre verlorenen Kinder zum Gegenstand von Gesprächen zu machen – ohne, dass plötzlich alles verstummt. Klar, über den Tod wird nicht gern gesprochen, schon gar nicht, wenn das Leben noch nicht einmal begonnen hat. Und doch habe ich mich entschieden meine heutige Kolumne diesem Thema zu widmen – denn auch das ist Frauengesundheit.
Ihr ahnt es wahrscheinlich schon – auch ich reihe mich in die Statistik und bin eine von drei Frauen, die ein Baby verloren hat. So sehr die Erfahrung geschmerzt hat, habe ich ihr auch viel zu verdanken. Denn auch, wenn dieses Baby nicht geblieben ist, so wird es doch immer mein Baby bleiben, das seine ganz eigene und besondere Aufgabe in unserem Leben hatte. Die Reaktionen in meinem Umfeld waren nach der Nachricht wie zu erwarten durchmischt: von Sprachlosigkeit bis hin zu viel Anteilnahme und Aussagen wie „Probiert es einfach noch einmal“ war alles dabei. Kaum jemand hat gefragt, wie es mir geht – vielleicht auch, weil alle geglaubt haben, die Antwort zu kennen oder sich nicht sicher waren, ob sie selbst in der Lage sein würden, den Schmerz zu ertragen. Ich hatte jedoch Glück, denn ich befand mich gerade mitten in einer zweiten Doula-Ausbildung mit Schwerpunkt auf Yoga und Ayurveda und durfte zwei Wochen lang so viel weinen, wie ich wollte, während mich zuweilen 20 Frauen gehalten haben. Ich kann jeder Frau so viel emotionalen Beistand und Raum für Trauer über den Verlust nur wünschen. Einen Raum, den wir scheinbar nicht haben, wohl aber dringend brauchen, sonst hätte auch Meghan Markle nicht die große Bühne genutzt, auf dieses Thema aufmerksam zu machen.
Aber von vorn: Es war meine zweite Schwangerschaft, mein Sohn war gerade zwei Jahre alt und die Erinnerung an diese besondere Kugelzeit noch sehr frisch. Auf dem Weg zu meiner zweiten Untersuchung beim Frauenarzt in der 11. Schwangerschaftswoche war ich voller Vorfreude und Neugierde. Ich konnte es kaum erwarten, Würmchen Nummer Zwei über den Bildschirm tanzen zu sehen. Die Schwangerschaft war zwar nicht geplant und musste erst einmal kurz verdaut werden, war dann aber die schönste Überraschung überhaupt. Zwei Tage vor dem Frauenarzttermin gab es einen Moment, in dem ich kurz das Gefühl hatte, etwas stimme nicht, es aber sofort wieder verworfen habe. Als mein Arzt beim Ultraschall sehr lange auffällig still war, wusste ich, dass sich mein Gefühl bewahrheiten würde. Er entschuldigte sich mit den Worten, dass er leider keinen Herzschlag finden könne. Mir wurde schwarz vor Augen. Ich riss mich zusammen, bat zum großen Erstaunen meines Arztes um das Ultraschallbild und verabschiedete mich.
Mein Frauenarzt bot mir an, am nächsten Tag in die Klinik zu kommen und eine Curettage machen zu lassen, eine Ausschabung der Gebärmutter. Ich wollte die Nachricht aber erst verdauen und mich angemessen verabschieden. Zuhause angekommen, habe ich 24 Stunden im Bett verbracht – weinend, meinen Partner und meinen Sohn an meiner Seite. In diesem Moment ärgerte ich mich sehr darüber, dass wir noch niemandem von der Schwangerschaft erzählt hatten – denn alles, was ich wollte, war reden. Also wurde das engste Umfeld über die Schwangerschaft unterrichtet, um dann die Nachricht hinter her zu schieben, dass wir das Baby leider verloren haben und jetzt drauf warten, dass es sich verabschiedet. Ich würde nach dieser Erfahrung zumindest beim engsten Umfeld nie wieder abwarten, die freudige Nachricht zu verkünden.
Mein Baby, dessen Herz aufgehört hatte zu schlagen, war noch in meinem Bauch, während ich ein anderes Baby auf dieser Welt begrüßen durfte. So bittersüß dieser Moment war, das ist das Leben und das wusste ich.
Weil ich zu dem Zeitpunkt schon als Doula gearbeitet habe, wusste ich: Ich habe alle Zeit der Welt zu entscheiden, wie es weitergehen soll. Am Tag darauf wurde ich zu einer Geburt gerufen, die in der Situation natürlich eine große Herausforderung, aber auch Trost war. Mein Baby, dessen Herz aufgehört hatte zu schlagen, war noch in meinem Bauch, während ich ein anderes Baby auf dieser Welt begrüßen durfte. So bittersüß dieser Moment war, das ist das Leben und das wusste ich. Drei Tage später habe ich meinen Arzt angerufen und ihm gesagt, dass ich warten wolle – was er nur bedingt befürwortete. Er hätte es lieber gesehen, wenn ich noch am selben Tag in die Klinik gekommen wäre. Ich musste ihm versprechen, ihn jederzeit anzurufen, wenn es losgeht. Das tat ich nicht. Stattdessen rief ich meine Hebamme an, die mich in der Situation ganz wunderbar begleitet hat, ebenso wie meine Doula.
Wir tendieren dazu, schmerzhafte Situationen lieber schnell hinter uns bringen zu wollen, anstatt sie bewusst zu spüren und vielleicht auch zu zelebrieren – nicht als Fest, aber eben als das, was sie sind: als ein Teil des Lebens.
Ich schaute in der Zeit besonders auf meine Ressourcen, meldete mich beruflich krank (ohne eine Ausrede zu erfinden) und suchte mir emotionale Unterstützung. Ich wollte meinem Körper wieder vertrauen und ihn machen lassen, wollte aber auch vorbereitet sein. Und ich wollte ein Wochenbett. Vielleicht keine ganze acht Wochen, aber mein Körper hatte auch nach einer kleinen Schwangerschaft und einer kleinen Geburt eine Pause verdient! Warum erzähle ich das? Weil ich Frauen inspirieren möchte, sich auch in so einer Situation über ihre Möglichkeiten und Wünsche bewusst zu werden. Wir tendieren dazu, schmerzhafte Situationen lieber schnell hinter uns bringen zu wollen, anstatt sie bewusst zu spüren und vielleicht auch zu zelebrieren – nicht als Fest, aber eben als das, was sie sind: als ein Teil des Lebens. Ich wollte dieser Schwangerschaft, diesem Baby und dieser Trauer Raum geben. So viel Raum, wie notwendig sein würde. Und es gab viele Dinge, mit denen ich meinen Körper in dieser Phase unterstützen konnte: Belly Binding, Bauchmassagen, Kräutertees und -tinkturen, Vaginal Steaming, warme Bäder, Abschiedsrituale, Journaling, darüber reden, nicht allein sein, usw.
Mein Körper hat sich zwei Wochen Zeit gelassen und pünktlich zum Vollmond und mit dem eigentlichen Beginn meines nächsten Zyklus’ das Baby verabschiedet. Neben all der Trauer über den Verlust, war ich auch fasziniert von der zyklischen Genauigkeit, mit der er diese Schwangerschaft letztlich beendete. Das heißt nicht, dass dieser Weg der richtige für jede Frau sein muss. Das heißt auch nicht, dass ich mich dafür ausspreche, dergleichen auf eigene Faust zu machen, so wie wir – meine Hebamme war währenddessen nur telefonisch zugeschaltet. Das heißt lediglich, dass es nach diesem großen Vertrauensverlust keine bestärkendere Erfahrung für mich hätte geben können, um meinen Körper nicht des Versagens zu verurteilen. Im Gegenteil! Ich war dankbar und stolz. Am meisten hat mich diese Erfahrung aber gelehrt, dass jedes Mal, wenn ich sie mit anderen Frauen geteilt habe, ich ihnen die Erlaubnis gegeben habe, ihren Erfahrungen ebenfalls Raum zu geben. Und wie schön waren diese Gespräche im Anschluss, wie schön war es, unseren ungeborenen Kindern, die für immer in unseren Herzen sein werden, so viel Platz im realen Leben zu geben, so viel über sie sprechen zu können. Und wie schön war es, endlich die Frage aller Fragen zu hören: „Wie geht es dir damit?“.
Wir können mit Vielem umgehen, wenn wir uns erlauben, es anzuschauen und auszusprechen. Das Thema tot zu schweigen, schürt einen unfassbaren Druck, Versagensängste und Unsicherheit, anstatt die Gewissheit, dass wir damit nicht allein sind und niemand Schuld hat!
Wenn ihr selbst betroffen seid: Bittet um Unterstützung und macht es nicht mit euch selber aus! Oder falls ihr Frauen in eurem Umfeld habt, die diese Erfahrung gemacht haben oder gerade machen, habt keine falsche Scheu davor, Unterstützung anzubieten. Oft reicht schon eine warme Suppe, eine starke Schulter zum Ausweinen und das simple Angebot, den Weg mit ihnen gemeinsam zu gehen. Halten, einfach halten und es wird irgendwann weniger weh tun. Oder um es mit Meghan Markles Worten zu sagen: „Perhaps the path to healing begins with three simple words: Are you OK?“
Über die Autorin:
Stephanie ist Doula und Female Health Mentorin und lebt und arbeitet in Wien und Berlin. Nach der Geburt ihres Sohnes beschloss sie kurzerhand das österreichische Doula Training bei Angelika Rodler und die DONA-Ausbildung bei Debra Pascali-Bonnaro zu absolvieren. In den Jahren darauf folgten eine Kundalini Yoga Doula-Ausbildung bei Gurujagat, das Postpartum Training bei Kimberly Ann Johnson und eine Vaginal Steaming Facilitator- und Ayurveda-Kochausbildung. Im Moment steckt sie mitten in der Ausbildung zum Holistic Health & Wellness Coach und Katonah Yoga-Teacher. Stephanie arbeitet außerdem als Journalistin und Autorin zu den Themen Gesundheit, Fempowerment und Spiritualität. Sie hat ein Buch über das Wochenbett geschrieben und das Wellness-Label „Joni Joni“ gegründet.
Fotos: Hadas Strobl-Aloni Photography
Illustration: Helena Ravenne