Chronisch krank? Chronisch gut! Wie Podcasterin Helene Anschütz mit ihrer chronischen Erkrankung umgeht
08. September 2025
geschrieben von Lisa Aschenbrenner

Gesund oder krank – und dazwischen gibt es nichts? Das Gesundheitssystem liebt klare Kategorien. Doch das Leben funktioniert anders. Krankheit kommt oft leise. Und manchmal bleibt sie einfach. Was tut man, wenn eine Diagnose nicht mehr vergeht? Wenn Symptome bleiben und man plötzlich immer krank ist? Für Menschen mit chronischen Erkrankungen beginnt der Wendepunkt nicht mit einer Diagnose, sondern mit dem Moment, in dem klar wird: Das wird nicht mehr weggehen.
Helene Anschütz lebt seit über zwanzig Jahren mit Morbus Bechterew, einer chronischentzündlichen Autoimmunerkrankung. Lange funktionierte sie weiter: als Theaterfrau, als Mutter, als Angestellte in der Kommunikationsabteilung eines Theaters. Bis der Körper laut wurde – und sie zum ersten Mal öffentlich sagte: „Ich bin krank.“ Heute ist sie Speakerin für chronische Erkrankungen, Health Care Influencerin und spricht in ihrem Podcast „Chronisch gut“ über den Alltag mit chronischer Krankheit, Eigenverantwortung ohne Selbstoptimierungswahn und über ein Gesundheitssystem, in dem es Zeit und Raum zum Zuhören braucht.
"Ich hatte das Gefühl, in einer Abwärtsspirale zu stecken – und funktionierte trotzdem weiter."
femtastics: Wann wurde bei dir eine chronische Erkrankung diagnostiziert und wie bist du mit der Diagnose damals umgegangen?
Helene Anschütz: Vor über zwanzig Jahren, mitten im Studium, wurde bei mir Morbus Bechterew diagnostiziert. Eine Autoimmunerkrankung, die ich lange ignoriert habe – das Leben lief einfach weiter, irgendwie. Erst in der Schwangerschaft, als die Schmerzen zunahmen, wurde mein Körper lauter. Vieles war jahrelang unbehandelt geblieben, dann folgten Operationen, neue Symptome, stärkere Beschwerden. Ich hatte das Gefühl, in einer Abwärtsspirale zu stecken – und funktionierte trotzdem weiter.
Wie ließ sich die Erkrankung mit deinem Beruf vereinbaren?
Ich war beim Theater: Bühne, Regie, Kunst – das war meine Welt. Ich habe immer gern gearbeitet, tue es bis heute. Arbeit gibt mir Struktur, sie gibt mir Identität. Vor allem, als ich Mutter wurde, war es mir wichtig, etwas zu haben, das mich aus dem Haus holt. Ich übernahm eine Stelle in der Kommunikationsabteilung eines Theaters und baute während der Pandemie die Social-Media-Redaktion mit auf. Es war intensiv. Viel Arbeit, viel Verantwortung – und wenig Pausen. Denn Social Media kennt keinen Feierabend.
Mit der Zeit verschlimmerten sich meine Symptome. Und obwohl ich litt, konnte ich nicht aufhören. Bis mein Körper so deutlich „Nein“ sagte, dass ich nicht mehr weghören konnte. Auch mein Mann hielt mir den Spiegel vor: „Du funktionierst nur noch. Du brauchst eine Pause.“ Und er hatte recht. Ich nahm mir eine Auszeit – nicht leichten Herzens, aber es ging nicht anders.
Du hast dann eine Erkrankung öffentlich gemacht. Kam dadurch die Idee, den Podcast „Chronisch gut“ zu machen?
Als ich öffentlich machte, dass ich krank bin und mich krankschreiben ließ, war die Resonanz überwältigend. Menschen meldeten sich und bedankten sich für meine Offenheit. Ich merkte, dass es ein großes Bedürfnis gibt über Krankheit zu sprechen – ehrlich, ohne Tabus. Und genau da begann der Weg hin zu „Chronisch gut“. Social Media war schon lange mein Sprachrohr. Jetzt wurde es zu einem Ort, an dem ich gemeinsam mit anderen Raum schaffen wollte – für Austausch, für Geschichten, für alles, was chronisches Kranksein bedeutet.
"Krank zu sein bedeutet nicht automatisch, schwach zu sein. Und umgekehrt: Nur weil jemand gesund wirkt, heißt das nicht, dass er oder sie auch leistungsfähig ist."
Was ist die größere Vision dahinter? Was treibt dich an?
Ich wünsche mir einen anderen, offeneren Umgang mit Krankheit – gesellschaftlich, medizinisch, kommunikativ. Denn krank zu sein bedeutet nicht automatisch, schwach zu sein. Und umgekehrt: Nur weil jemand gesund wirkt, heißt das nicht, dass er oder sie auch leistungsfähig ist. Diese Gleichsetzungen sind tief verankert – und sie greifen viel zu kurz.
Was mich antreibt, ist der Wunsch nach mehr Differenzierung. Ich möchte dazu beitragen, dass wir anders über chronische Erkrankungen sprechen – und über das Leben mit ihnen. Es geht um Alltagsrealitäten, die oft unsichtbar bleiben. Um Schmerzen, die nicht immer messbar sind. Um Erschöpfung, die sich nicht in Zahlen fassen lässt. Und um die ständigen Balanceakte zwischen Funktionieren und Fürsorge.
Ich möchte Verständnis schaffen – in beide Richtungen. Zwischen Mediziner*innen und Patient*innen, zwischen Arbeitgeber*innen und Mitarbeitenden, zwischen Betroffenen und ihrem Umfeld. Ich glaube an die Kraft von Offenheit und von Humor. Und daran, dass Sichtbarkeit kein Selbstzweck ist, sondern ein politischer Akt.
"Ich lasse Raum – für Einbrüche, für Regeneration, für Unvorhersehbares."
Wie hast du gelernt, mit deiner chronischen Erkrankung umzugehen – auch beruflich?
Früher habe ich einfach weitergemacht – trotz Schmerzen, trotz Erschöpfung. Ich habe mich durch den Alltag gearbeitet, oft mit dreimal täglich „Ibu 800“. Funktionieren um jeden Preis – das war lange mein Modus. Heute gehe ich anders mit meiner Erkrankung um. Ich plane bewusster, setze meine Termine selbst, baue Puffer ein. Ich lasse Raum – für Einbrüche, für Regeneration, für Unvorhersehbares.
Der wichtigste Schritt war: raus aus einem System, das nicht zu meiner Realität passt. Ich arbeite immer noch viel, aber selbstbestimmt. Und wenn mein Körper heute sagt: „Pause“, dann höre ich zu. Nicht immer sofort, aber immer öfter. Ich habe gelernt mich selbst ernst zu nehmen. Das klingt banal, ist aber ein fortwährender Prozess. Ich bestimme mein Tempo – so gut es eben geht. Ich weiß inzwischen, was mir guttut. Aber ich weiß auch, wann ich übertreibe.
Es ist ein ständiges Austarieren zwischen Akzeptanz und Aktivismus: Ja, ich bin krank. Aber ich bin auch kreativ, selbstständig, wirksam. Ich kann meine Krankheit nicht kontrollieren – aber ich kann Verantwortung übernehmen. Für mich, für mein Umfeld, für die Art, wie ich arbeite und wie ich lebe.
Das hört sich so an, als hätte sich deine Beziehung zu deinem Körper verändert?
Absolut. Ich nehme meinen Körper heute viel ernster. Früher habe ich Warnsignale ignoriert – heute erkenne ich sie schneller. Ich weiß zum Beispiel: Frieren ist Gift für mich, Wetterumschwünge schlagen sofort durch. Ich habe auch gelernt, dass mir die Opferrolle nicht liegt. Ich bin krank, ja – aber nicht machtlos. Ich kann Entscheidungen treffen. Diese Form von Selbstermächtigung ist für mich zentral – und genau das will ich auch im Podcast zeigen.
"Ich bin krank, ja – aber nicht machtlos. Ich kann Entscheidungen treffen. Diese Form von Selbstermächtigung ist für mich zentral."
Vom Stichwort Selbstermächtigung zum Stichwort Eigenverantwortung: Wie viel Eigenverantwortung ist bei einer chronischen Erkrankung eigentlich zumutbar – und wo wird sie zur Überforderung?
Ohne Eigenverantwortung geht es nicht – aber sie darf nicht in Selbstoptimierungsdruck kippen. Ich habe irgendwann begriffen: Es liegt an mir, gut mit mir umzugehen. Ich kann nicht darauf warten, dass jemand anderes mich rettet. Aber das heißt nicht: „Reiß dich zusammen.“ Sondern eher: „Spüre hin, informiere dich, triff Entscheidungen – so gut es eben geht.“
Für mich war das ein Lernprozess. Ich habe mir über die Jahre viele Skills angeeignet, viel ausprobiert. Und ja, ich ziehe mich da auch selbst immer wieder raus – das ist für mich gelebte Selbstermächtigung. Aber: Ich halte nichts davon, Menschen zu bewerten, wenn sie das gerade nicht schaffen. Nicht jede*r hat die gleichen Ressourcen oder Startbedingungen.
"Zeitmangel untergräbt die Empathie – und damit die Beziehungsarbeit, die medizinisch so entscheidend ist. Aber nur wenn beide Seiten ein echtes Miteinander wollen, kann Vertrauen entstehen."
Du betonst im Podcast immer wieder, wie wichtig dir der Dialog mit Ärzt*innen ist. Warum?
Weil wir aus diesem Denken in Schuldzuweisungen rauskommen müssen. Ich bekomme viele Nachrichten von Frauen*, die schreiben: „Mein Arzt hat mir nicht geglaubt.“ Und ja – solche Erfahrungen kenne ich nur zu gut. Es wird übergangen, falsch eingeschätzt, nicht zugehört. Aber ich denke, dass es auf beiden Seiten mehr Kompetenz braucht - und mehr Dialogbereitschaft.
Patient*innen können lernen, sich besser vorzubereiten, Symptome einzuordnen, gezielter zu kommunizieren. Und Ärzt*innen brauchen Zeit, Empathie – und die Fähigkeit, unter Zeitdruck trotzdem zuzuhören. Genau hier liegt das eigentliche Problem: im System. Zeitmangel untergräbt die Empathie – und damit die Beziehungsarbeit, die medizinisch so entscheidend ist. Aber nur wenn beide Seiten ein echtes Miteinander wollen, kann Vertrauen entstehen.
Einer der berührendsten Momente für mich war, als sich ein Arzt nach einer Podcast-Folge bei mir meldete und sagte: „Danke. Diese Perspektive hatte ich so noch nie.“ Das hat mir alles bedeutet. Und es zeigt mir: Genau deshalb lohnt es sich, dranzubleiben
Wenn es eine Sache gäbe, die du mit deinem Podcast „Chronisch gut“ verändern könntest, was wäre es?
Ich wünsche mir eine bessere Kommunikation zwischen Mediziner*innen und Patient*innen. Und ja, beide Seiten müssen dazulernen. Patient*innen brauchen mehr Gesundheitskompetenz, mehr Klarheit über ihre Bedürfnisse. Mediziner*innen mehr Zeit, Empathie – und die Bereitschaft zuzuhören. „Chronisch gut“ soll ein Raum sein, in dem genau dieser Dialog möglich wird. Nicht in Fronten denken, sondern gemeinsam besser werden.
Ich lade Patient*innen ein, aber auch Mediziner*innen – weil wir miteinander reden müssen, nicht übereinander. Mein Ziel? Weniger System-Bashing, mehr ehrliche Gespräche. Mehr Gesundheitskompetenz – und mehr Menschlichkeit in der Medizin.
Hier findet ihr Helene Anschütz:
Foto/Collage: Andreas Etter, "Canva"