„Lasst uns die Menstruation feiern!“ – Heike Kleen

14. November 2017

Wenn Heike Kleen Freunden bei einer Party erzählt, dass sie ein Buch über die Menstruation schreibt, bekommt sie vielfältige Reaktionen beziehungsweise Gesichtsentgleisungen zu sehen: von kraus gezogenen Nasen bis hin zu tiefen Stirnfalten ist alles dabei. Ein fast schon symptomatischer Reflex, denn nach wie vor will sich niemand so wirklich mit der Thematik beschäftigen, die nahezu alle Frauen betrifft. Heike Kleen hat es trotzdem getan und bei der Recherche für ihr Buch „Das Tage-Buch“ allerhand Skurriles und Neues über die Menstruation erfahren. Ihr Fazit: Wir müssen das negative Image der Menstruation ins Positive umkehren, mehr über sie reden und: die Menstruation feiern!

femtastics: Kommt die rote Revolution und wie wird sie aussehen?

Heike Kleen: Mein Traum ist, dass Frauen nach einem Tampon wie nach einem Taschentuch fragen. Dass Tampons und Binden überall in Schulen, Sekretariaten und generell Toiletten bereit liegen und keiner extra danach fragen muss. Dass unsere Kinder ganz normal über die Menstruation sprechen können und nicht, wenn es soweit ist, die Mütter verschämt eine Binde aus der Ecke ziehen mit dieser Mentalität: „Tut mir leid, jetzt hast du den Mist auch an der Backe!“ In den USA und Kanada gehen Frauen gegen die Tamponsteuer auf die Straße. In Deutschland tut sich relativ wenig, auch wenn die Medien langsam mehr darüber berichten.

Was wirst du machen, wenn deine Tochter zum ersten Mal ihre Tage bekommt?

Ich werde es zelebrieren und den Tag als etwas Besonderes feiern – natürlich nur, wenn sie das möchte. Vielleicht lade ich nicht gerade alle ihre Freundinnen und die Nachbarschaft zur roten Grütze ein …

… warum eigentlich nicht?!

(Lacht) Klar, wenn sie das will! Wir können aber auch einfach zusammen etwas Schönes an dem Tag machen, ich schenke ihr vielleicht ein Armband, was sie ihr Leben lang hat und sie an den besonderen Tag erinnert. Ich möchte positiv an die Menstruation herangehen. Und ich wünsche mir, dass die Werbung sich ändert – man sieht in Anzeigen für Tampons oder Binden immer noch makellose Frauen, die Tag und Nacht voller Energie durch die Gegend springen. Das nervt! Man kann auch mit Humor an die Sache herangehen und das Thema anders und natürlicher aufbereiten.

Heike Kleens Buch "Das Tagebuch" ist ab dem 14. November 2017 erhältlich!

Heike Kleens Buch „Das Tagebuch“ ist ab dem 14. November 2017 erhältlich!

Was können Mütter noch ändern?

Wenn die Mütter vorleben, dass die Menstruation die schlimmste Sache der Welt ist und furchtbar weh tut, dann ist es schwer für die Töchter, da anders heranzugehen. Und Mütter sollten sich nicht andauernd dafür entschuldigen, dass sie ihre Tage haben.

Das betrifft auch die Väter, die gern Kommentare ablassen wie „Eure Mutter ist nicht gut drauf, sie bekommt ihre Tage.“

Es ist wichtig, dass Männer mehr über die Menstruation wissen. Dass sie wissen, dass PMS mit dem Östrogenspiegel zu tun hat, der in den Keller geht, während das Progesteron gleichzeitig nach oben rauscht. Forscher wissen ja bis heute nicht, warum es PMS überhaupt gibt und was genau es ist …

… was ein Skandal ist! Wenn Männer unter PMS leiden würden, wäre dies vermutlich schon längst erforscht.

Ganz genau! Das betrifft auch die Endometriose. Diese Themen sind nicht richtig erforscht. Ebenso wie mögliche Giftstoffe in Tampons und Binden. Es interessiert keine Sau – beziehungsweise keinen Mann.

Hätten Männer ihre Tage, würden sie sich abfeiern: „Oh Mann, hab ich wieder geblutet! Die größten Tampons brauchte ich! Dass ich das überlebt habe!“

Dabei hat die Menstruation einen Einfluss auf die Wirtschaft, wenn Frauen aufgrund der starken Schmerzen beispielsweise nicht arbeiten können.

Es finden sich immer mehr Frauen in höheren Positionen in der Medizinwissenschaft, die das zum Glück interessiert, aber es ist sehr schwer, Forschungen in dem Bereich durchzusetzen. Bei dem Thema werden Frauen immer noch schief angeguckt oder belächelt. Hier müssen noch mehr Frauen nach vorne gehen, wie die Gründerinnen der Menstruationsunterwäsche Thinx zum Beispiel. Oder auch Ida von der Zyklus-App Clue oder die Gründerinnen von Livia, ein Tool gegen Schmerzen. Sie haben es geschafft, Geld für ihr Start-up zusammenzutragen.

Ich denke oft, hätten wir Frauen unsere Tage nicht, hätten wir schon längst die Weltherrschaft übernommen …

Wahrscheinlich! Es hätte auch geholfen, wenn man uns nicht immer eingeredet hätte, dass es so etwas Doofes ist, seine Tage zu haben. Hätten Männer ihre Tage, würden sie völlig anderes damit umgehen. Sie würden sich abfeiern: „Oh Mann, hab ich wieder geblutet! Die größten Tampons brauchte ich! Dass ich das überlebt habe! Ich bin ein medizinisches Wunder! Ich muss sofort einen Tag frei bekommen und eine Prämie kassieren!“ Und natürlich: „Wie? Ihr Frauen blutet nicht? Und ihr wollt irgendwas mitbestimmen? Ihr wollt mehr Geld? Das ist ja Quatsch! WIR bluten ja!“

Müssen wir Frauen uns exakt diese Attitüde aneignen?

Nein, aber Frauen dürfen selbstbewusster sein und ruhig auch mal sagen: Ich habe meine Tage – und das ist gut so.

Oder den Mut haben, auch mal zu Hause zu bleiben, wenn die Schmerzen zu doll sind.

Klar, das auch. Wobei ich nicht für Menstruationsurlaub plädieren würde. In Italien wird darüber gesprochen. Aber die Arbeit bleibt die Gleiche und es würde nur dazu führen, dass Frauen mehr Überstunden machen und Chefs vielleicht weniger Frauen anstellen.

Wir treffen Heike Kleen im neuen ZEIT Café in Hamburg.

Wir treffen Heike Kleen im neuen ZEIT Café in Hamburg. (Ilustration rechts: Susanne Kracht)

Ich erinnere mich an Mädchen, die früher den Sportunterricht schwänzten, weil sie ihre Tage hatten. Ich habe sie verspottet und ihnen das teilweise nicht abgekauft. Heute schäme ich mich dafür.

In Sachen Frauensolidarität gibt es noch viel zu tun! Das hängt aber auch wieder mit den Hormonen zusammen. Wenn die Frau ihren Eisprung hat, dann will sie den besten Erzeuger für ihr Kind. So ist sie einfach genetisch programmiert. Wenn andere Frauen daher kommen, werden die einfach weggebissen. Da können Frauen fies und zickig sein, obwohl sie es sonst gar nicht sind. Sie können da im Moment nichts für!

Das heißt, der Eisprung steht der Frauen-Solidarität im Weg?

Ja, so traurig das ist. Hier helfen Zyklus-Apps zumindest zu wissen, wann es soweit ist. Und die App warnt dich vor PMS. Wenn ich etwas Wut in mir spüre und ich kurz davor bin, eine bitterböse E-Mail zu verschicken, oder wenn ich denke, ach hätte ich doch bloß nie Kinder bekommen, was für ein komplett anderes Leben ich jetzt führe würde … dann schaue ich in meine App und sehe die Gewitterwolken, die mein PMS anzeigen.

Aber schafft du es dann, so rational zu sein und dein PMS zu kontrollieren?

Zumindest schicke ich dann bestimmte Mails nicht ab, beantworte die erst in ein paar Tagen oder lasse noch mal jemanden anderes drüber lesen. Ich sage meiner Familie: Ich ziehe mich jetzt zurück. Ich will nicht gemein und böse werden. Man kann einfach sagen: Es tut mir leid, aber es kann sein, dass ich jetzt etwas schlecht drauf komme – gebt mir Schokolade, Bananen und Nüsse! Und je mehr Männer darüber wissen, desto weniger blöd reagieren sie auch.

Es gibt Frauen, die fühlen sich, als würde ihnen jemand mit einem Messer die Eingeweide mixen.

Wie stark können die Schmerzen während der Regel wirklich sein?

Die sind natürlich bei jeder Frau anders. Ich zum Beispiel habe kaum Schmerzen – das traue ich mich gar nicht zu sagen – das ist höchstens ein kleines Ziehen. Aber es gibt Frauen, die fühlen sich, als würde ihnen jemand mit einem Messer die Eingeweide mixen. Für das Buch habe ich mich viel mit dem Thema Schmerzen auseinandergesetzt und Tipps von Wärme über spezielle Tee-Mischungen bis Yoga-Übungen gesammelt.

Wenn es ganz schlimm ist, helfen natürlich auch Hormone, die den Zyklus runterfahren. Die Schmerzen entstehen ja, wenn sich die Muskeln in der Gebärmutter zusammenziehen und bei manchen Menschen ziehen die sich zuviel zusammen. Dagegen kann man etwas tun. Das muss man mit einem guten Frauenarzt besprechen und wenn man das Gefühl hat, dass der einen nicht ernst nimmt, sollte man den Arzt wechseln. Homöopathie kann auch helfen. Auch ein Orgasmus lindert Schmerzen, denn die Gebärmutter wird zusammengezogen und man hat zwar einmal mehr Blutung, ist aber auch schneller mit dem Thema durch. Gleiches gilt für Sport.

Apropos: Warum finden manche Menschen Menstruationsblut beim Sex ekliger als Sperma?

Die Menstruation hat einfach ein super schlechtes Image, das sich über Jahrtausende aufgebaut hat. Schon in der Bibel steht, dass die Frau sieben Tage lang unrein und alles, was sie anfasst, dann auch unrein sei. Bei diesem Punkt sind sich die Religionen erstaunlich einig! Es sollen Tauben geschlachtet und geopfert werden und dann würde es langsam besser. Auch die alten Griechen, von Pythagoras bis Aristoteles bis hin zu den Kirchenvätern im Mittelalter, haben sich sehr viele Gedanken gemacht, was denn bloß mit der Frau los ist und warum sie zwischendurch ausläuft. Sie kamen zu dem Schluss, dass die Frau ein schadhafter Prototyp ist.

Die Frau ist nicht richtig ausgereift!

Genau! Dieses Image bekommen Frauen seit Jahrtausenden aufgedrängt und werden systematisch aus der Kirche oder dem Gebetshaus ausgeschlossen – bis heute. Auch Eigenschaften, die den Hexen zugeschrieben werden, sind ungefähr die gleichen, die man menstruierenden Frauen zugeschrieben hat. Was wirklich im Frauenunterleib los ist, hat man erst 1840 herausgefunden. Also, dass es Eizellen gibt und so weiter. Aber dass das Menstruationsblut giftig und eklig sei, das Märchen hat sich natürlich gehalten. Menstruierende Frauen durften sogar bis in die 70er Jahre kein Blut spenden.

Wie kann ich mir den Zyklus zunutze machen?

Wenn ich weiß, dass ich PMS habe, sollte ich einen Gang runterschalten und mich mit etwas Humor und Abstand betrachten und sagen, jetzt dreh mal nicht durch! Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus!

Eigentlich ein schöner Gedanke: Man hält bewusst inne und nutzt die Zeit, um etwas achtsamer auf sich selbst zu schauen.

Es ist eine besondere Phase im Monat, in der ich mit gutem Gewissen auch mal einen Termin absagen kann, der mich total stressen würde. Stattdessen setze ich mich mit mir selbst aufs Sofa, bestelle mir leckeres Essen, hole die ganz besondere Tafel Schokolade aus dem Schrank und gönne mir etwas. Es ist eine Zeit, in der man empfindsamer ist – auch im Positiven. Man denkt eher über sein Leben nach, also: Wo stehe ich gerade, wer bin ich und ist das alles so richtig? So kann man vielleicht zu neuen Erkenntnissen kommen …

… anstelle sich selbst nicht zu trauen, weil man sich während der Zeit rund um die Menstruation nicht für voll nimmt!

Man sollte sich erst recht mal für voll nehmen! Man kann die Zeit nutzen, um Erkenntnisse über sein Leben zu gewinnen und dann Konsequenzen zu ziehen. Der Körper bereitet sich in der Zeit ja eigentlich auf eine Schwangerschaft vor und schmeißt das Alte raus. Aber es muss nicht immer ein Baby sein, es kann auch eine Vision sein.

Aber auch umgekehrt können wir den Zyklus nutzen. So ist man rund um die Zeit des Eisprungs besonders attraktiv. Es gibt Fotos von Frauen einmal während ihres Eisprungs und einmal ohne. Du siehst auf dem Eisprung-Bild, dass irgendetwas anders ist – aber du weißt nicht, was es ist. Frauen sondern außerdem während des Eisprungs besondere Duftstoffe ab und die Männer kriegen das unterbewusst mit. Man zieht sich aufreizender an und kauft anders ein. Man ist mehr damit beschäftigt, sich herauszuputzen, ist aber auch kreativer, schlagfertiger, witziger und schneller. Bewerbungsfotos kann man also eher in der Zeit um den Eisprung machen, ebenso wie Termine für die Gehaltsverhandlung – sofern ich einen Chef habe. Wenn ich eine Chefin habe, sieht die Sache natürlich wieder anders aus!

Was ist dein persönliches Fazit aus deinem Buch?

Wir nutzen die Menstruation, kehren ihr schlechte Image ins Positive um und feiern uns selbst!

Wir feiern mit! Vielen Dank für das spannende Gespräch, liebe Heike.

 

Hier findet ihr Heike Kleen:

Fotos: femtastics

2 Kommentare

  • Sylvie sagt:

    Ganz ganz wichtig. Wer hat sich eigentlich ausgedacht das eine absolut normale Körperfunktion ekelig ist? Und wie wäre das wohl in der Arbeitswelt wenn Männer menstruieren würden? Statt dumme Blicke eher Gratis Wärmekissen?
    An meiner Menstruation ist nichts komisch, peinlich oder ekelig. Mich darf sie nerven wenn ich vor Bauchkrämpfen nicht mehr laufen kann aber niemand anderen. Punkt. Danke für die Message!
    Love, Sylvie von https://www.miss-interpreted.com

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