Viele denken beim Wort Zyklus nur an die Periode und verbinden damit Menstruationsbeschwerden wie Schmerzen oder PMS mit Stimmungsschwankungen. Einige Frauen haben bereits einen langen Ärzt*innenmarathon hinter sich und bekommen immer wieder zu hören: “Sie sind eben eine Frau, da müssen Sie einfach durch!” – oder wurden mit der Pille abgespeist. Wenn die Betroffene lieber etwas Natürliches will, gibt es höchstens noch Mönchspfeffer. Dabei gibt es so viel mehr Möglichkeiten, die eigene Zyklusgesundheit selbst in den Griff zu bekommen und sorgenfreie Zyklen zu erleben.
Anne Lippold entwickelte aus eigener Leidensgeschichte heraus – sie selbst litt 15 Jahre unter Regelschmerzen und Stimmungsschwankungen – einen neuen und präventiven Ansatz, Menstruationsbeschwerden vorzubeugen, statt nur zu behandeln. Sie gründete das Unternehmen „Fraulichkeit“ und ist heute eine führende Zyklusexpertin Deutschlands für PMS und Menstruationsbeschwerden. Mit Onlinekursen, Workshops, Büchern und Vorträgen berät sie Privatpersonen und Unternehmen zu zyklusfreundlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen.
Disclaimer: Mit „Frauen“ sind in diesem Artikel alle menstruierenden Menschen gemeint.
Der Zyklus ist viel mehr als nur die Periode, denn auch in den Tagen zwischen den “Tagen” wirkt der Zyklus. So schenkt er zum Beispiel durch Hormone schöne Haut, gesunde Nägel und starke Knochen. Dafür müssen die Hormone allerdings im Gleichgewicht sein. Ob sie das sind, lässt sich an objektiven Merkmalen feststellen.
Den Begriff “Zyklusgesundheit” habe ich genau dafür ins Leben gerufen: Um einen Zyklus zu beurteilen, dürfen wir uns alle Zyklusphasen anschauen. Denn meistens stecken die Ursachen von Zyklusbeschwerden bereits in den vorangegangenen Zyklusphasen.
Haben wir Schmerzen beim Atmen oder Verdauen, werden wir hellhörig; nur beim Zyklus wurde uns beigebracht, dass Schmerzen und andere Beschwerden normal seien.
80% aller Frauen in Deutschland geben an, Menstruationsbeschwerden zu kennen. Damit sind Zyklusbeschwerden sehr häufig. Aber “häufig” bedeutet noch lange nicht “normal”. Eine gesunde Periode ist – genauso wie alle anderen Körperprozesse – nicht schmerzhaft. Haben wir Schmerzen beim Atmen oder Verdauen, werden wir hellhörig; nur beim Zyklus wurde uns beigebracht, dass Schmerzen und andere Beschwerden normal seien.
Ein normaler und gesunder Zyklus darf in der Länge schwanken: zwischen 23 und 35 Tagen ist alles in Ordnung. Der Eisprung sollte circa zwei Wochen vor der nächsten Periode stattfinden und an den letzten Tage des Zyklus sind mehr Appetit und ein leicht gesteigertes Schlafbedürfnis normal. Das zeigt einfach, dass der Körper in der zweiten Zyklusphase mehr Energie verbraucht.
Heftige Stimmungsschwankungen, innere Unruhe, Verdauungsprobleme oder Migräne gehören allerdings nicht in diese Phase. Das sind alles Symptome von PMS – dem Prämenstruellen Syndrom. Das ist eine Sammlung an Herausforderungen, mit denen viele Frauen in der Zeit vor der Periode zu kämpfen haben.
Ein gesunder Zyklus schränkt niemals im Alltag ein!
Ein gesunder Zyklus schränkt niemals im Alltag ein! Sobald man Schmerzen hat, sich seinen Emotionen ausgeliefert fühlt oder aus anderen Gründen sich in seinem normalen Alltag stark ausgebremst fühlst, ist etwas nicht in Ordnung.
Natürlich gibt es nicht die eine Ursache, die bei allen Frauen gleich ist. Dafür sind sowohl die Körper als auch die Lebensumstände zu individuell. In meiner Arbeit mit über 1.000 Frauen konnte ich trotzdem die wichtigsten Stellschrauben für Menstruationsbeschwerden und PMS identifizieren. Und so ungern einige es hören wollen: Es sind nicht nur rein biologische Ursachen, die mit einer Tablette behoben werden könnten.
Bei den allermeisten Menschen sind die Ursachen eine Mischung aus einem für den Zyklus ungünstigen Lebensstil und zu viel Stress. Zum Lebensstil zählt das Schlafverhalten, die Ernährung, das Bewegungspensum und Schadstoffe in Genussmitteln (zum Beispiel Alkohol) und der Umwelt (zum Beispiel hormonwirksame Stoffe in der Kosmetik). Zu Stress gehört neben dem offensichtlichen Stress wie Zeitdruck bei hoher Arbeitslast oder Streit mit den Liebsten auch der Stress, den wir uns selbst machen, wenn wir zum Beispiel negativ über unseren Zyklus denken. Ich spreche hier von einem Angst-Anspannungs-Schmerz-Kreislauf: Bei jedem negativen Gedanken erhöht sich der Muskeltonus. Da die Gebärmutter ein Muskel ist, verspannt auch sie sich und kann während der Menstruation schneller verkrampfen und schmerzen.
Manchmal steckt auch eine Krankheit wie Endometriose, Polypen in der Gebärmutter oder Myome hinter den Beschwerden. Wenn keine der nachfolgenden Tipps helfen, sollten diese möglichen Ursachen abgeklärt werden.
Bei akuten Menstruationsbeschwerden oder wenn Emotionen gerade Achterbahn fahren, kommt vielleicht der Gedanke “Ich habe keinen Bock mehr!” und es erscheint unfair, eine Frau zu sein. Das ist völlig verständlich! Auch ich war früher regelmäßig an diesem Punkt. Wer allerdings bisher unter seinem Zyklus gelitten hat, muss nicht zwingend weiter leiden.
Als Erstes darf das Nervensystem beruhigt werden, damit man sich wieder handlungsfähig fühlt, zum Beispiel mit einer Atemübung. Die 4711-Atmung ist leicht zu merken (Kölnisch Wasser) und schnell umgesetzt: Zähle beim Einatmen bis vier, beim Ausatmen bis sieben und wiederhole das elf Mal. Durch das längere Aus- als Einatmen wird der Parasympathikus, das Entspannungsnervensystem, aktiviert.
Danach kann man sich fragen: Sind alle körperlichen Grundbedürfnisse erfüllt? Habe ich heute genug Wasser oder Tee getrunken? Habe ich ausreichend gegessen? Bin ich ausgeschlafen und habe mich wenigstens kurz im Tageslicht bewegt? Wenn nein, sollten diese Grundbedürfnisse nachgeholt werden. Egal ob hungrig oder unausgeschlafen – sind diese wichtigen körperlichen Bedürfnisse nicht erfüllt, sind wir reizbarer. Sowohl unsere Emotionen als Körperempfindungen werden schneller als störend wahrgenommen.
Helfen können außerdem Neurogenes Zittern, Hüftöffner-Yoga sowie Achtsamkeits- und Mentalübungen. Alles, was die Muskulatur und sich selbst entspannt, hilft auch gegen Zyklusbeschwerden.
Zyklusphasen bauen aufeinander auf und wenn die Bedürfnisse des Zyklus immer wieder berücksichtigt werden, kommen die Hormone gar nicht erst so sehr aus dem Gleichgewicht, dass Beschwerden auftreten. Ich arbeite hier mit dem 3-Stufen-Modell: In der ersten Stufe wird herausgefunden, was akute Linderung verschafft. Das zeigt, dass Einfluss genommen werden kann.
In der zweiten Stufe, dem Vorbeugen, geht es um die wichtigsten Stellschrauben. Für die meisten Menschen reicht es, zwei bis drei Dinge in ihrem Lebensstil zu verändern, um große Veränderungen in ihren Zyklusbeschwerden zu spüren.
Ist mehr Schlaf erforderlich? Sollte regelmäßiger gegessen werden – und mehr Proteine und Gemüse auf den Speiseplan stehen? Ist der Körper mit allen wichtigen Mikronährstoffen und Spurenelementen versorgt? Wird zu viel Koffein getrunken? Wird zu viel Sport mit zu wenig Regenerationsphasen getrieben – oder kommt der Stoffwechsel zu selten in Schwung? Werden zu viele Leber- und Darm-schädliche Stoffe aufgenommen, wie Konservierungsstoffe in Lebensmitteln, Weichmacher in den Küchenutensilien oder hormonwirksame Stoffe in der Kosmetik oder in Putzmitteln? Oder gibt es durch viele negative Erfahrungen mit Menstruationsbeschwerden verständlicherweise Angst vor der nächsten Periode und würde es helfen, das Schmerzgedächtnis umzuprogrammieren?
Am Anfang muss viel ausprobiert werden, werden die Stellschrauben allerdings gefunden, kommt Stufe 3: Die Zyklusroutinen, die mit wenig Aufwand ermöglichen, einen stabilen und sorgenfreien Zyklus zu halten.
Mit den passenden Übungen und kleinen Veränderungen im Lebensstil können sorgenfreie und vor allem beschwerdefreie Zyklen erzielt werden. Selbst mit einer Diagnose wie Endometriose können Symptome deutlich verbessert werden. So besteht die Chance, wieder mehr Lebensqualität zu erreichen und mehr Energie für alle anderen Herausforderungen im Leben zu haben.
Text: Anne Lippold
Foto: Stefanie Lippert
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