Triggerwarnung Depression: Depressionen sorgen für einen enormen Leidensdruck – für den*die Betroffene*n selbst, aber auch für das Umfeld. Gerade in einer Beziehung kann der Umgang mit den Depressionen des*der Partner*in für Unsicherheiten sorgen und auf längere Sicht zu einer hohen Belastung für beide – und auch für die Partnerschaft – werden.
Wir haben mit Sonja Unger, psychologischer Psychotherapeutin in eigener Praxis, darüber gesprochen, wie ein guter Umgang mit dem Thema aussehen kann und wie man sich richtig verhalten und zugleich selbst schützen kann, wenn die*der Partner*in depressiv ist. Sonja ist seit 2014 selbstständig und bietet in ihrer Praxis verhaltenstherapeutische Psychotherapie an. Mit ihrem Buch „Depressionen überwinden“ bietet sie einen neue Ansatz zur Selbsthilfe bei Depressionen. Auf „Instagram“ klärt sie außerdem über verschiedene psychologische Themen, wie auch den Umgang mit Depressionen, auf.
Sonja Unger: Wenn man im Verhalten deutliche Unterschiede wahrnimmt, jemand weniger unternehmen und lieber zuhause bleiben möchte, kann das ein erstes Anzeichen sein. Wenn ich spüre, dass die Stimmung dauernd gedrückt ist und die Person wiederkehrend Selbstzweifel und vermehrt kritische Bemerkungen über sich und auch über andere äußert, dann ist das ebenfalls ein Indiz.
Auch der Verlust der Libido kann ein Hinweis sein, ebenso wie Konzentrationsschwierigkeiten und eine erhöhte Erschöpfung. Häufig verändert sich bei Depressionen das Schlafverhalten: Betroffene schlafen mehr, unruhiger oder haben Schlafstörungen. Wenn diese Symptome länger als zwei Wochen andauernd auftreten, dann würde ich anfangen, mir Gedanken zu machen und versuchen, das Gespräch zu suchen, und meine Sorgen zu äußern.
Der erste Schritt ist immer ein offenes Gespräch.
Ja, der erste Schritt ist immer ein offenes Gespräch. In einer Partnerschaft ist man sich in der Regel vertraut genug, um solche Sorgen zu äußern. Das kann der erste Schritt sein, damit der*die Partner*in auf die Problematik aufmerksam wird, denn vielleicht hat er*sie es sich selbst noch gar nicht eingestanden.
Gerade Männer wehren sich häufig gegen die Diagnose Depression. Wenn die Symptomatik schon ein paar Monate anhält, wäre der nächste Schritt ein Besuch bei dem*der Hausärzt*in, wo auch die Blutwerte abgenommen werden können, denn manchmal liegt auch ein Problem des Stoffwechsels vor. Dadurch ist manchmal schon die erste Hürde überwunden und gegebenenfalls kann sogar schon eine Diagnose gestellt werden.
Ich kann dann versuchen, herauszufinden, welche Faktoren ihn oder sie belasten – beispielsweise Stress auf der Arbeit – und darüber dann möglicherweise erste Lösungsansätze finden. Wenn das nicht fruchtet, dann habe ich eigentlich nur die Chance, das Thema immer wieder anzusprechen, zu äußern, dass ich mir Sorgen mache und mich auch selbst dadurch belastet fühle. Ich kann auch ansprechen, dass mir mein*e Partner*in fehlt und dass mir die gemeinsame Zeit fehlt. Es ist dann auch in Ordnung, die Beziehung in die Waagschale zu werfen und zu sagen, dass man so keine Partnerschaft führen möchte.
Ich kann anbieten, dass ich den ersten Anruf tätige und einen Termin vereinbare, wenn meine*r Partner*in gerade der Antrieb fehlt. Es kann sinnvoll sein, mit zum Termin zu kommen und auch die eigene Wahrnehmung zu schildern. Theoretisch kann man auch direkt einen ersten Termin beim Patientenservice (116117) vereinbaren.
Das ist aber eine dünne Gratwanderung und kann gegebenenfalls auch schon als übergriffig wahrgenommen werden. Bei einem direkten Anruf in der Praxis ist es auf jeden Fall besser, wenn die*der Patient*in selbst anruft. Man kann aber beispielsweise anbieten, zum ersten Gespräch mitzukommen.
Das Wichtigste ist wirklich, die Gefühle des*der Partner*in zu validieren.
Das Wichtigste ist wirklich, die Gefühle des*der Partner*in zu validieren. Wenn jemand über die eigene Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit spricht, sind gut gemeinte Ratschläge meist wenig hilfreich. Es ist besser, der Person zu sagen, dass man es sieht, versteht und nachvollzieht. Mehr muss man manchmal am Anfang gar nicht machen.
Dann kann man aber langsam schauen, wie man mit dem Alltag umgeht. Man kann gemeinsam schauen, welche Aufgaben man abnehmen kann und was die betroffene Person selbst noch machen kann. Auch hier ist es eine Gratwanderung zwischen Hilfestellung und Forderung. Für die Betroffenen kann nämlich ein Gefühl von Wertlosigkeit dazu kommen, wenn sie immer weniger Tätigkeiten übernehmen. Ich kann als Partner*in also schon darauf achten, dass die Person morgens aufsteht, sich pflegt und fertig macht, vernünftig isst und auch vielleicht kleine Unternehmungen wie einen Spaziergang mitmacht.
Man kann immer nachfragen, ob die Person über die Erkenntnisse der Sitzungen sprechen möchte. Erfahrungsgemäß wird in der Therapie über die Vergangenheit und generell über sehr belastende Faktoren gesprochen. Das kann zu einer Erstverschlimmerung führen, denn die erste Phase ist meist ziemlich anstrengend. Man kann fragen, was der*die Partner*in braucht – ob er*sie abgeholt werden möchte, danach noch Zeit verbringen mag, um den Kopf freizubekommen oder ob er*sie lieber allein sein mag. Man kann als Partner*in anfangs mit in die Therapie kommen und dort direkt nachfragen, was man selbst machen kann beziehungsweise was für ein Bedürfnis er*sie hat. Oft ist das sehr individuell und es ist sinnvoll, das zu dritt in der Therapie zu klären.
Wenn man jemanden während einer Depression begleitet, kann das auch die eigene Stimmung stark drücken oder sogar überspringen.
Es ist auf jeden Fall hilfreich, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, um zu verstehen, was in dem Menschen vor sich geht. Es gibt viele Bücher für Angehörige, in denen hilfreiche Tipps zu finden sind. In größeren Städten gibt es immer mehr Selbsthilfegruppen für Angehörige, wo man andere Menschen treffen, sich selbst die Last von der Seele sprechen kann und spürt, dass man nicht allein ist.
Wenn man jemanden während einer Depression begleitet, kann das auch die eigene Stimmung stark drücken oder sogar überspringen. Ich sollte also stark darauf achten, meine eigenen Kontakte zu pflegen, etwas allein zu machen, um Energie aufzutanken, Selbstfürsorge zu betreiben und im Leben zu bleiben. Wenn ich alles für den*die Partner*in aufgebe, ist das auch für ihn*sie nicht hilfreich, da dieser die Abhängigkeit spürt – was wiederum auf den Selbstwert geht. Wenn die Depression sehr stark ausgeprägt ist und der*die Partnerin wirklich nur noch im Bett liegt, dann ist es meist sinnvoll, sich auch selbst professionelle Unterstützung zu suchen.
Das würde ich in jedem Fall mit dem*der Partner*in absprechen. Anfangs kann es schwierig sein, sich selbst einzugestehen, dass man krank ist. Depressionen haben leider immer noch ein Stigma. Die meisten Menschen schämen sich und fühlen sich schwach oder so, als hätten sie versagt. Wenn ich dann anfange, das herum zu erzählen, dann kann das die Scham verstärken. Ich würde nachfragen, was ich erzählen darf oder wie ich darauf reagieren soll, wenn mich nahestehende Personen darauf ansprechen.
Die Frustration kann vor allem dann aufkommen, wenn ein Ohnmachtsgefühl entsteht, weil die*der Partner*in beispielsweise gar nicht mehr aktivierbar ist oder Vereinbarungen nicht eingehalten werden. Man kann das durchaus ansprechen und sagen, dass man sich ärgert und frustriert ist. In einer Partnerschaft sind in der Regel so viel Bindung und Vertrauen da, dass sie das tragen kann. Es kann zu einem Konflikt kommen, aber den kann man gemeinsam bewältigen. Es kann für die*den Partner*in auch ein wichtiger Anstoß sein.
Die Partnerschaft ist ja eine wichtige Ressource. Wenn es also noch Dinge gibt, die man gemeinsam trotzdem gerne unternimmt, dann würde ich diese fokussieren. Da kann man auch ein bisschen Druck machen, diese weiter aufrecht zu erhalten.
Wenn auch Themen in der Beziehung bestehen, die zur Belastung beitragen, kann man überlegen, ob man gesondert eine Paartherapie macht. Da können auch frustrierte Bedürfnisse Raum finden. Generell ist es in dieser Zeit wichtig, offen miteinander zu sprechen und in Kontakt zu bleiben. Das hilft auch den Betroffenen, die oft schlimme Fantasien im Kopf haben und sehr verunsichert sind. Wenn man darüber spricht, was man fühlt, muss sich der*die andere weniger eigene Gedanken darum machen.
Das sollte man auf jeden Fall ernst nehmen. Es gibt einzelne Menschen, für die das ein Hilferuf und der Wunsch nach Aufmerksamkeit ist. Viel mehr Menschen sprechen aber aus, was sie wirklich innerlich bewegt. Als Partner*in darf ich meine Sorgen und Ängste sehr deutlich aussprechen und sagen, dass jetzt wirklich nach Lösungen gesucht werden muss – beispielsweise durch eine passende Medikation oder einen stationären Aufenthalt. Ich würde sofort reagieren und versuchen, die bereits bestehende Hilfe zu intensivieren. Viele denken immer noch, dass Personen, die über Suizid sprechen, es nicht machen würden. Das ist aber nicht so.
Im Notfall kann man immer die Polizei, einen Krankenwagen, den Bereitschaftsdienst oder eine psychiatrische Klinik anrufen. Im Zweifelsfall sollte man lieber einmal zu viel als einmal zu wenig anrufen. Und selbst wenn ich einmal zu viel angerufen habe, dann kann die Partnerschaft das in der Regel gut tragen. Die*der Partner*in fühlt sich dadurch auch ernstgenommen und in Sicherheit.
Es gibt Hoffnung. Es kann sich erstmal anfühlen wie eine ewige, anstrengende Reise. Depressionen sind aber behandelbar.
Was ganz wichtig zu wissen ist: Es gibt Hoffnung. Es kann sich erstmal anfühlen wie eine ewige, anstrengende Reise. Depressionen sind aber behandelbar. Wenn die Person eine Therapie macht, sind die Chancen sehr gut, dass es ihm*ihr nach einer gewissen Zeit wieder besser geht.
Wenn jemand aber wirklich den Eindruck hat, er oder sie kann das nicht halten und merkt selbst, dass Depressionen aufkommen, dann kann in manchen Fällen eine temporäre Trennung die einzige Lösung sein. Als Begleiter*in darf ich mich da auch selbst ernst nehmen und schützen. Das ist wie mit der Sauerstoffmaske im Flieger – wenn ich mich nicht um mich kümmere, kann ich auch anderen nicht helfen.
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