Schwangerschaftsabbruch muss endlich entkriminalisiert werden!

16. April 2024

Eine Expert*innen-Kommission der Ampel empfiehlt Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen zu legalisieren. Es ist eine Chance, den Eingriff endlich zu entkriminalisieren.

Ein Jahr intensiver Arbeit, eine 600-seitige Analyse und eine klare Forderung: Die Kommission der Ampelkoalition hat gesprochen. Schwangerschaftsabbruch soll in den ersten zwölf Wochen straffrei sein. Doch damit fängt der Wirbel erst an! Eine Debatte brodelt, angeheizt von Gegner*innen wie CSU/CDU. Dabei geht es nicht nur um Paragraphen, sondern um das Recht auf Selbstbestimmung und die Gesundheit von Frauen*. Femtastics Autorin Sarah Kessler fordert in ihrem Kommentar: Es ist Zeit für eine Reform, Zeit für Veränderung – und zwar jetzt!

Die Ampelkoalition hatte in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, von einer unabhängigen Kommission prüfen zu lassen, inwieweit Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden können. Dafür setzte sie vor rund einem Jahr eine Kommission ein, in der 18 interdisziplinäre Expert*innen medizinische, juristische und ethische Perspektiven auf das Thema zusammenbrachten.

Auf 600 Seiten fasste die Kommission die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten 30 Jahre zusammen. So lange ist es her, dass der viel beschworene „Kompromiss“ ausgehandelt wurde, der noch heute gilt. Nach ihm sind Schwangerschaftsabbrüche im Strafgesetzbuch geregelt, nämlich in Paragraf 218 StGB. Schwangerschaftsabbrüche stellen also grundsätzlich eine Straftat dar. Allerdings wird von ihrer Verfolgung unter bestimmten Voraussetzungen abgesehen – nämlich, wenn sie innerhalb der ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft stattfinden, die schwangere Person die Teilnahme an einem Beratungsgespräch zertifiziert bekommt und daraufhin mindestens drei Tage Bedenkzeit verstreichen lässt, bis der Abbruch durchgeführt wird.

Die Forderung ist so klar wie simpel: In den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft sollte ein Abbruch legal sein. Doch genau an ihr bricht gerade eine erbitterte gesellschaftliche Debatte auf

Doch genau um diese grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Abbruchs geht es nun.

Sie sei nicht haltbar, so brachte die Strafrechtlerin Liane Wörner die Ergebnisse der Kommission auf den Punkt. Sie ist als Koordinatorin in der Kommission für das Thema zuständig. „Hier sollte der Gesetzgeber tätig werden und den Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig und straflos stellen“, führte sie aus.

Die Forderung ist so klar wie simpel: In den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft sollte ein Abbruch legal sein. Doch genau an ihr bricht gerade eine erbitterte gesellschaftliche Debatte auf – unter anderem befeuert von CSU/CDU. Bereits vergangene Woche war eine Kurzversion der Ergebnisse der Kommission, mit eben jener Forderung, öffentlich geworden. Daraufhin schrieb Dorothee Bär (CSU) bei Instagram: „Es gibt keinen Grund, aus einem Unrecht ein vermeintliches Menschenrecht der selbstbestimmten Frau zu zimmern. Ein Recht auf Abtreibung haben die Frauen in Deutschland bereits.“ Doch genau das stimmt gerade nicht. Es gibt aktuell in Deutschland kein Recht auf den Schwangerschaftsabbruch, unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen bleibt er schlicht straffrei.

Was auf den ersten Blick nach Haarspalterei klingen mag, hat für Frauengesundheit eine große Bedeutung: Denn eben diese Kriminalisierung führt dazu, dass immer weniger Gynäkolog*innen Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Die Belastung des Fachpersonals ist so groß, dass der Bundestag am vergangenen Mittwoch (10.4.2024) in erster Lesung einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Verbot von Gehsteigbelästigungen, also Protestaktionen von Abtreibungsgegner*innen vor Beratungsstellen, Krankenhäusern oder Arztpraxen, beraten hat. Eben dieses Stigma wirkt sich seit Jahren negativ auf die Versorgungslage von Betroffenen aus. In ländlichen Regionen kommt es beispielsweise vor, dass in dem straffreien Zeitraum nicht alle Zwangstermine (ergo Beratung + Wartezeit) eingehalten werden können.

Es ist jetzt also unbedingt notwendig, politischen Druck zu erhöhen.

Ein Recht auf Abtreibung? Wenn das tatsächlich Status Quo wäre, dann wäre Deutschland in Sachen Frauenrechte einen großen Schritt weiter.

Es ist jetzt also unbedingt notwendig, auf den Handlungsbedarf, den die Ergebnisse der Expert*innen-Kommission wissenschaftlich untermauern, hinzuweisen und politischen Druck zu erhöhen.

Es braucht die ersatzlose Streichung von § 218 StGB. Denn das daraus resultierende Stigma gefährdet die Versorgungslage für Betroffene. Außerdem würde eine Legalisierung auch an der Finanzierungsstruktur etwas ändern, so dass die Abbrüche von der Krankenkasse übernommen werden könnten. Zudem muss eine Reform das Ende der Zwangsberatung und Wartezeit bedeuten. Let me be clear: Beratungsangebote: ja, Beratungszwang: nein. Denn jede Schwangere weiß am besten, ob sie Beratungsbedarf hat oder ob die Entscheidung intrinsisch bereits gefallen ist.

An dieser Stelle möchte ich mir einen kurzen Exkurs erlauben: Immer, wenn wir über Schwangerschaftsabbrüche diskutieren, geht es um das Aushandeln und Gewichten verschiedener Rechtsgüter. Das Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Person ist – vor allem in der Frühphase der Schwangerschaft – dabei das höchste Gut. So sieht es auch die Kommission. Hier knüpft sich nun eine weitere Dimension an: Nämlich eine strukturelle. Was bedeutet es, in Deutschland Kinder zu bekommen? Wer kann sich (mehrere) Kinder finanziell leisten? Unter welchen Bedingungen wird aus einer grundsätzlich gewollten Schwangerschaft aufgrund struktureller Fragen möglicherweise eine ungewollte? Ich denke hier auch an Menschen mit Behinderungen oder schweren chronischen Erkrankungen. Eine solche Pränataldiagnostik führt statistisch gesehen häufiger zu Schwangerschaftsabbrüchen. Und das sage ich ganz wertfrei.

Jede Frau, die sich für einen Abbruch entscheidet hat valide Gründe, die nicht erklärt werden müssen.

Was hingegen erklärt (und hinterfragt) werden muss, sind die gesellschaftlichen Gegebenheiten, die Leben mit Behinderung mehrheitlich als nicht ganz so lebenswert betrachten. Das ist ein Problem. Oder um es mit den Worten der Journalistin Marija Latković zu sagen: „Erst wenn sich die gesellschaftlichen Bedingungen für Leben mit Kindern und für Leben mit Behinderung und/oder schwerer chronischer Erkrankung ändern, wenn man sich also genauso selbstbestimmt dafür entscheiden kann wie dagegen – erst dann ist die Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch wirklich frei.“

Was es auch hierfür braucht: Die Entkriminalisierung der Abbrüche.

Dafür gibt es Dank der wertvollen Arbeit der Kommission nun ein wissenschaftliches Mauerwerk. Es ist nun an der Politik, schnell zu handeln und noch in dieser Legislatur Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen zu legalisieren, insbesondere im Blick auf den Rechtsruck, der bereits Mitten im Gange ist und der sich in den aktuellen Wahlumfragen weiter konkretisiert.

Text: Sarah Kessler

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