Selbstsabotage: Warum stehen wir uns so oft selbst im Weg?

Mit welchen Glaubenssätzen sabotieren wir uns selbst – und was hilft dagegen? Ein Interview mit Master-Coachin Jula Meyer-Schwickerath.

Ob bei der Arbeit, in Beziehungen oder im Alltag – wir alle kennen Momente, in denen wir uns selbst sabotieren. Trotz guter Absichten scheitern wir dabei oft an unseren eigenen Verhaltensmustern. Doch was genau steckt hinter dieser Selbstsabotage, und wie können wir sie erkennen und überwinden? 

Darüber sprechen wir mit der Diplompsychologin und Master-Coachin Julia Meyer-Schwickerath. Sie gibt uns Einblicke in die Ursachen und bietet praktische Tipps, um den Teufelskreis zu durchbrechen. In ihrer Arbeit möchte Julia Frauen dabei unterstützen, mentale Selbstsabotage aufzulösen, innere Stärke zu entwickeln und ein Leben voller Lebensqualität und ohne Kompromisse zu führen.

Wir lassen uns von Glaubenssätzen leiten, die uns unter Druck setzen, klein halten, ängstlich machen.

femtastics: Ab wann spricht man von Selbstsabotage?

Julia Meyer-Schwickerath: Wenn wir uns durch unsere eigenen Gedanken blockieren, statt selbstwirksam als freie, erwachsene Menschen zu handeln. Das geschieht meistens unbewusst – wir lassen uns von Glaubenssätzen leiten, die uns unter Druck setzen, klein halten, ängstlich machen oder dazu führen, dass wir uns ständig mit anderen vergleichen, unsere eigenen Träume nicht verwirklichen oder das Gefühl haben, „getrieben zu sein“. Sie haben jedoch häufig wenig mit der eigenen Realität zu tun. 

Welche Glaubenssätze sind das genau, mit denen wir uns selbst sabotieren?

Ich arbeite mit den sieben Grundmustern nach Dr. Petra Bock. Das erste ist das Katastrophen-Denken: „Wenn ich irgendwas nicht tue, lauert sofort die Katastrophe um die Ecke“. Dieses Denken erlebe ich besonders bei hochqualifizierten Frauen*, die glauben, ihre Karriere zu verlieren, wenn sie eine Aufgabe oder ein Projekt in der Arbeit nicht übernehmen. 

Selbstverleugnungs-Denken tritt auf, wenn ich die Interessen anderer über meine eigenen stelle und mich dabei selbst zurücknehme. Ein typisches Beispiel ist, wenn ich als Mutter erst die Bedürfnisse aller anderen erfülle, bevor ich mich um meine eigenen kümmere. 

Das Druckmacher-Denken zeigt sich, indem ich mich selbst, aber auch andere unter Druck setze: „Du musst das jetzt schaffen“ oder „Du musst funktionieren“. Das Bewertungs-Denken basiert auf starkem Perfektionismus. Da höre ich oft Aussagen wie: „Die ist aber eine schlechte Mutter/Führungskraft.“ Häufig resultiert das aus der eigenen Unsicherheit, weil man sich selbst ständig auf- und abwertet und an einem Ideal misst. 

Das Regel-Denken zwingt uns, uns an völlig überholte und unhinterfragte Regeln zu halten, wie „Als Frau* und in meinem Alter macht man das nicht“ oder „Die Frau* ist für den Haushalt zuständig“, anstatt sich an dem zu orientieren, was uns persönlich wichtig ist. Beim Misstrauens-Denken misstraut man sich selbst und anderen chronisch: „Ich schaffe das eh nicht“ oder „Wenn ich das jetzt mache, denkt der andere schlecht von mir.“ 

Das Übermotivations-Denken ist in unserer heutigen Gesellschaft besonders verbreitet. Es äußert sich durch das Verdrängen von Herausforderungen, extreme Euphorie und ständige Über-Motivation. Ein typischer Satz ist: „Du schaffst das alles!“ Vor allem bei Frauen* hat Selbstsabotage mit diesem sehr hohen Anspruch an sich selbst zu tun. Ich bezeichne das als das Superwoman-Syndrom – der Glaube, alles mitbringen und alles haben und sein zu müssen: Superkarriere, Superbody, Superliebhaberin, Supermama, Superfreundin. Das löst einen unheimlichen Druck aus, alles schaffen zu müssen, selbst wenn man das gar nicht möchte.

Kritische Personen können in der Erziehung einen großen Einfluss haben.

Wie kommt es, dass sich diese Denkmuster etablieren?

Sie entstehen vor allem durch die Normen, die uns zu Hause und in der Gesellschaft vorgegeben werden. Zum Beispiel können kritische Personen in der Erziehung einen großen Einfluss haben. Mädchen werden in solchen Fällen oft darauf konditioniert, lieb, nett und brav zu sein und bloß nicht anzuecken. So ist es nicht verwunderlich, dass viele von uns später zu People-Pleasern werden. Entscheidend ist, dass wir diese Denkmuster unbewusst übernehmen und zunächst nicht hinterfragen. Aber auch unsere eigenen Glaubenssätze, die durch unsere individuellen Erfahrungen entstehen, prägen unser Denken, Fühlen und Handeln enorm!

Sind also Menschen mit bestimmten Eigenschaften und Biografien anfälliger für Selbstsabotage als andere? Was können Eltern tun, um ihre Kinder vor solchen Gedanken zu schützen?

Ich würde sagen, nein. Jeder Mensch hat in irgendeiner Form mit Selbstsabotage zu kämpfen, nur die Ausprägungen sind sehr unterschiedlich. Die eigentliche Frage ist daher: Wie werde ich innerlich stärker, um meine Neigungen schneller zu erkennen und sie langfristig zu minimieren? Bei Kindern ist es wichtig, ihre Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung zu fördern, zum Beispiel indem man ihnen in herausfordernden Situationen Fragen stellt wie: „Wie fühlst du dich dabei?“ oder „Was ist dir wichtig?“. So stärkt man ihren inneren Kompass.

Man denkt bipolar, alles ist entweder gut oder schlecht, es gibt keine Grauzone.

Wie erkenne ich aber, ob ich mich selbst sabotiere oder doch auf meine Intuition höre?

Selbstsabotage fühlt sich unstimmig und fremdgesteuert an und wird häufig von Angst begleitet. In solchen Momenten verfällt man entweder in einen kindlichen Zustand, in dem man sich hilflos, ängstlich oder trotzig fühlt, oder in einen elterlichen Zustand, in dem man sehr kritisch mit sich selbst ist und sich unter Druck setzt. 

Das äußert sich oft im Ton, wie man mit sich selbst spricht. Man benutzt harsche Formulierungen und ist fies mit sich. In diesen beiden Zuständen reagiert man nur auf die Außenwelt, während man im erwachsenen Zustand Verantwortung übernimmt. Diese Muster spiegeln sich auch im Denken wider: Man denkt bipolar, alles ist entweder gut oder schlecht, es gibt keine Grauzone. Man neigt dann auch dazu, einfache, linear-kausale Erklärungen für komplexe Zusammenhänge zu finden.

Für viele meiner Kundinnen ist es ein erschreckender Moment, ihren negativen Self-Talk schwarz auf weiß zu sehen.

Wenn ich merke, dass ich mich selbst sabotiere, was sollte ich tun?

Zunächst einmal ist es entscheidend, überhaupt wahrzunehmen, was man da tut. Es geht darum, die eigenen Muster zu erkennen, in dem man sich bewusst macht, was man denkt und fühlt (zum Beispiel niedergeschlagen und klein bei dem Gedanken „das schaffst du sowieso nicht“). 

Ich empfehle gerne, diese negativen Gedanken über mehrere Tage oder Wochen in einem Reflexionstagebuch aufzuschreiben und zu beobachten, in welchen Situationen sie auftreten. Gibt es wiederkehrende Muster? Für viele meiner Kundinnen ist es ein erschreckender Moment, ihren negativen Self-Talk schwarz auf weiß zu sehen – schließlich sagt man Dinge zu sich, die man nie zu seiner Freundin sagen würde. 

Dieser Prozess kann aber auch sehr befreiend sein und Klarheit schaffen. Im zweiten Schritt sollte man den Wahrheitsgehalt dieser Gedanken hinterfragen, ohne sofort dagegen zu argumentieren – einfach sagen: „Das muss gar nicht stimmen, was ich da denke.“ Anschließend ist es wichtig, die eigene innere Haltung zu ändern und sich zu fragen: „Wenn ich als freier, selbstwirksamer, erwachsener Mensch auf die Situation blicke, wie sieht sie dann aus?“ Mit dieser neuen Perspektive kann man lösungsorientiert und konstruktiv nach vorne blicken und ganz neue Erfahrungen machen. Das ist oft schon ein echter Gamechanger. 

Und was kann ich konkret tun, wenn ich bei mir bestimmte Blockademuster erkenne?

Das ist dann der vierte Schritt: Sich bewusst für neues Denken und Handeln zu entscheiden.

Wenn man ständig das Schlimmste erwartet, gibt es zwei hilfreiche Ansätze: Erstens, die Horrorszenarien im Kopf bis zum Ende durchzudenken. Oft stellt man dann fest, dass man auch mit dem schlimmsten Szenario umgehen könnte – oder dass dieses gar nicht so wahrscheinlich ist. Zweitens hilft es, eine neugierige Haltung einzunehmen: Was könnte passieren, wenn ich mutig und unerschrocken bin?

Für Frauen*, die an sich selbst zweifeln, ist es wichtig, sich der eigenen Stärken und Erfolge bewusst zu werden und sich zu fragen: „Was ist der nächste kleine Schritt, der mich in die richtige Richtung bringt?“ So sammelt man Selbstvertrauen.

Hinter einer starken inneren Kritikerin steckt häufig die Angst, nicht gut genug zu sein.

Was kann man noch tun?

Wer zur Selbstkritik neigt, kann sich in solchen Momenten bewusst überlegen, was man in dieser Situation der besten Freundin sagen würde. Hinter einer starken inneren Kritikerin steckt häufig die Angst, nicht gut genug zu sein. Dem kann man entgegenwirken, indem man lernt, das eigene Tun und Sein voneinander zu trennen.

Stellt man fest, dass man sich zu fest an „fremde“ Regeln hält, gilt es herauszufinden, welche Regeln man in seinem Leben überhaupt haben möchte. Was macht für mich Sinn? Sich mit den eigenen Werten, Wünschen und Zielen auseinanderzusetzen, kann sehr hilfreich sein.

Es klingt so, also würde man eigenständig schon sehr viel erreichen können. Ab wann sollte man ein*e Coach*in aufsuchen? 

Man kann auf jeden Fall vieles selbst schaffen. Schwierig wird es, wenn man die eigenen Blockaden nicht erkennt und/oder sich nicht aus festgefahrenen Denkmustern lösen kann. Viele Frauen*, mit denen ich arbeite, können zum Beispiel ihre innere Kritikerin nicht von ihrem eigenen Ich unterscheiden. Sie müssen erst lernen, dass diese Stimme nur ein Teil von ihnen ist – und dafür ist oft ein Blick von außen notwendig. 

Frauen* stehen täglich vor realen gesellschaftlichen Hürden und Rollenzuschreibungen. Deshalb ist es mir wichtig, mit ihnen zusammenzuarbeiten und ihnen zu zeigen: Die sozialen Erwartungen und Gegebenheiten hat man nicht in der Hand, aber gegen die eigenen Blockaden kann man sehr wohl etwas tun.

Vielen Dank für das Gespräch!

Hier findet ihr Julia Meyer-Schwickerath:

Interview: Veronika Lukashevich
Collage/Foto: „Canva“/Mirjam Kilter


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