Social Media Plattformen bringen immer wieder Trends zum Vorschein, die irritierend bis gefährlich sind. Seit einiger Zeit trendet das Hashtag #ThatGirl. Dahinter verbergen sich Bilder und Videos gepaart mit Tipps rund um den scheinbar perfekten Alltag vorrangig von jungen Frauen*. Gezeigt wird Selbstoptimierung vom Aufwachen bis zum Schlafengehen, das Leben stets voll im Griff. Femtastics-Autorin Blessing Adejoro schreibt, warum dieses Phänomen der vermeintlichen Perfektion insbesondere problematisch für diejenigen Personen ist, die sowieso am Rande der Gesellschaft stehen.
Im World Wide Web sind wir nur einen Post entfernt vom perfekten Leben der Anderen.
Wer tut es nicht, die extra Meile gehen, um das Leben in die richtigen Bahnen zu lenken?
Wo ich auch hinschaue, jede*r einzelne versucht alles zu tun, um das Spiel des Lebens zu perfektionieren, in- und auswendig zu lernen, es gar auszutricksen.
Als die Corona-Pandemie ausbrach, entwickelten viele von uns den Ansporn, als die beste Version von sich selbst aus dem Lockdown herauszukommen. Wir schwörten einander und öffentlich, dass wir auf der Journey von der Raupe zum Schmetterling seien. Aus den zwei Wochen zu Hause wurden zwei Monate und irgendwann zwei Jahre mit dem Virus. Das Virus veränderte sich, aber der Wunsch nach Perfektion blieb bei vielen bestehen.
Auf „Instagram“, „TikTok“ und „YouTube“ sehen wir Bilder vom perfekt inszenierten Bummel über den Wochenmarkt, strahlend weiße Bettlaken, Matcha Latte zum Frühstück (nach der Fitness-Einheit natürlich) und gesunde Bowl zum Lunch. Dank des World Wide Webs sind wir nur einen Post entfernt vom perfekten Leben der Anderen und damit vermeintlich eben nur eine Entscheidung entfernt vom eigenen idealen Leben.
„That Girl“, zu Deutsch „Das Mädchen“ – mit der Betonung auf dem „das“ – ist der neue Trend aus den sozialen Medien und steht für die Manifestation der makellosen Frau*. Eine Frau*, die es sich lohnt, zu sein. Und schauen wir ganz genau hin, dann ist sie überall. Sie ist weiß, Influencerin, in unserer Werbung oder die Frau* von nebenan. Sie beginnt ihren Tag um 4:30 Uhr im Netz, mit Millionen von Augen auf ihrer Morgenroutine. Sucht man nach dem Hashtag #ThatGirl in den sozialen Medien, so bestätigt sich, die Menge an Content unter diesem Hashtag wächst.
Für „That Girl“ dient Selfcare der Produktivität, damit sie alles sein kann, was von ihr erwartet wird.
„That Girl“ ist eine optimierte Mischung aus den Seriencharakteren Blaire Waldorf aus „Gossip Girls“ und Emily Cooper aus „Emily in Paris“. Bei dieser gesamten Idee der idealen Frau* geht es um die ständige Optimierung ohne Einschränkungen. Für „That Girl“ dient Selfcare der Produktivität, damit sie alles sein kann, was von ihr erwartet wird.
Aber wie realistisch ist dieses Frauenbild, wenn ich Frauen* um mich herum sehe, die so von dieser Norm abweichen? Ist in diesem Trend Platz für Echtheit, Wahrheit und Transparenz? Meine beste Freundin Maya, 26 Jahre, sagt dazu: „Mir macht das schon Druck. Mit Mitte 20 findet man doch gerade erst heraus, wer man ist. Es fühlt sich an wie eine zweite Pubertät. Wie soll ich zusätzlich zu all meinen Pflichten auch noch ein Leben leben, das ästhetisch genug für Instagram ist?“.
Wenn „That Girl“ eine anders verpackte Wellness-Kultur sein soll, warum tut sie dann nicht allen von uns gut? Was bringt dieser Trend uns wirklich, wenn doch weibliche Identität so vielschichtig und intersektionell ist, dass es gar nicht die eine für alle passende Morgenroutine gibt?
Ist dieser Trend eine Reinkarnation von Toxic Positivity? Eine neue Version einer bereits existenten und nicht zu erfüllenden Erwartungshaltung an Schönheits- und Produktivtätsidealen für Frauen*? „Manchmal fühlt sich mein Alltag im Vergleich zu den Reels und Vlogs, die ich sehe, einfach nicht so gut an. Aber irgendwie ist es manchmal eben cooler, sich die Highlights anderer anzuschauen“, sagt meine Freundin Nicole.
Wenn „That Girl“ eine anders verpackte Wellness-Kultur sein soll, warum tut sie dann nicht allen von uns gut?
Dieses Phänomen nennt sich Negativity Bias und meint die Angst vor dem Verständnis, dass man selbst nicht „genug“ sein könnte (siehe „Negativity bias, negativity dominance, and contagion – Personality and Social Psychology Review“ von Paul Robin und Edward Royzman).
Meine Freundin Paula sagt: „Was wir nicht vergessen dürfen, ist, dass das Internet nicht immer ehrlich zu uns ist.“ Sie hat recht. Content, der inspirieren soll, ist eben ein grauer Bereich und erinnert uns daran, alles mit einem kritischen Blick zu konsumieren und uns nur das rauszupicken, was auch wirklich zu uns, unseren Umständen und unserem Leben passt.
Es geht nicht darum, „That Girl“ abzulehnen, sondern viel mehr zu verstehen, dass sie ein oberflächlicher erster Anstoß zu etwas sein kann, das tiefer liegt. Sie hilft uns, in uns hineinzuhorchen und uns zu fragen, was wir wirklich brauchen, um den Tag, die Woche, den Monat zu überstehen. „That Girl“ zwingt uns von Außen nach Innen zu schauen und nach Gemeinschaft zu suchen – jenseits von Perfektionismus und Performativität.
Und zum Glück gibt es Influencer*innen im deutschsprachigen Raum wie Madeleine Daria Alizadeh (@dariadaria) oder Gesina (@Gesinadem), die uns zeigen, was Mensch sein jenseits dieser Rolle ausmacht.
Es ist aber wie bei allem wichtig, eine gesunde Balance zu wahren und sich in diesem Prozess nicht zu verlieren.
Auch wenn Muster, an welchen wir uns orientieren können, wichtig sind – denn das macht den Menschen menschlich – sollte vielleicht eher das Ziel sein, nicht bei diesen zu verharren und das Leben lieber als Journey zu betrachten. „That Girl“ kann uns vielleicht daran erinnern, wie gut es sich anfühlen kann, Lebensziele zu erreichen (und regelmäßig Sport zu treiben).
Es ist aber wie bei allem wichtig, eine gesunde Balance zu wahren und sich in diesem Prozess nicht zu verlieren. Das Gemeine an der idealen Person ist eben, dass sie ein Ideal ist. Eine neue Möglichkeit diesen Trend zu betrachten, könnte also sein, „That Girl“ als eine stetige Erinnerung daran zu sehen, Dinge in einem gesunden Maß zu tun. Ohne Druck und nach unserem eigenen Tempo, einfach für unser persönliches Wohlbefinden.
Collage: Kaja Paradiek