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Wellbeing

Warum gerate ich immer an den*die Falsche*n? Wie alte Prägungen unsere Beziehungen lenken

25. Juli 2025

geschrieben von Alicia Metz-Kleine

Warum gerate ich immer an den Falschen?

Beziehungsmuster wie Co-Abhängigkeit oder das Gefühl, immer wieder an narzisstische Partner*innen zu geraten, sind vielen Menschen vertraut. Doch was steckt wirklich dahinter? Traumatherapeutin und Bestsellerautorin Verena König erklärt im Gespräch, warum sich bestimmte Dynamiken immer wiederholen, welche Rolle unser Nervensystem dabei spielt – und wie wir herausfinden können, ob unsere Muster auf frühen emotionalen Verletzungen basieren. Ein Interview über Schutzmechanismen, Selbsterkenntnis und die heilsame Kraft sicherer Bindung.

"Die meisten Muster, die wir in unserem Leben praktizieren oder ausleben, laufen zu einem großen Teil unbewusst ab."

femtastics: Viele Menschen berichten von Beziehungsmustern, wie „immer an Narzissten zu geraten“ oder in Co-Abhängigkeit zu rutschen. Warum ist es für Menschen so schwer zu erkennen, dass ihre heutigen Beziehungsmuster möglicherweise aus frühen Prägungen stammen? Und trifft das überhaupt immer zu?

Verena König: In der Psychologie und in der Medizin sprechen wir von “typischerweise” statt von “immer”. Diese Differenzierung ist prima, weil sie deutlich macht, dass wir nicht alle gleich sind und dass individuell betrachtet werden muss.

Aus meiner therapeutischen Sicht laufen die meisten Muster, die wir in unserem Leben praktizieren oder ausleben - dazu gehören auch unsere Beziehungsmuster - zu einem großen Teil unbewusst ab. Das hat mit der Art zu tun, wie unser Gehirn funktioniert. Wir überlegen nicht jedes Mal neu, sondern wählen den einfachsten Weg, um Situationen einschätzen zu können: Ist das hier gerade sicher oder bedrohlich für mich? Unsere Muster helfen uns dabei, uns sicher zu fühlen. Vor allem diese unbewussten Muster entstehen in der Regel durch Anpassungsleistungen. Sie fallen nicht auf, wenn sie nicht mit Stress verbunden sind.

"Wenn Muster mit Angst oder Stress verbunden sind, kann man davon ausgehen, dass dahinter stressreiche Prägungen liegen."

Hast du dafür ein Beispiel?

Ein Muster kann zum Beispiel sein, freundlich und mit einem Lächeln auf Menschen zuzugehen. Wenn das nicht mit Stress verbunden ist, dann fällt dieses Muster nicht als Muster auf, sondern es ist dann vielleicht die Persönlichkeit. Man wird als freundlicher Mensch wahrgenommen und trotzdem ist es unter Umständen ein Verhaltensmuster, das im Alltag ein gutes Zurechtkommen unterstützt.

Anders ist es, wenn dieses Muster durch Anpassung an stressreiche Situationen entstanden ist. Dann wird das Muster auch heute Stress auslösen. Um bei dem Beispiel mit dem Lächeln zu bleiben: Wenn wir jemanden anlächeln mit dem Hintergrundgefühl “Ich muss mich gut stellen, weil ich sonst Angst habe, mit dieser Situation nicht zurechtzukommen.” Dahinter kann die Angst stecken, ausgeschlossen, bewertet oder abgewertet zu werden. Dann ist es ein Muster, das sich belastend anfühlt. Menschen, die solche Erfahrungen gemacht haben, sind auf dieses Muster angewiesen, um sich sicher zu fühlen. Sie sind auf dieses Verhalten angewiesen, weil sie damit das Gefühl haben, die Beziehung “sicher” zu gestalten. Sie sind dann schwer in der Lage, Neues zu erfahren oder sich auf einen anderen Menschen einzulassen.

Einfach gesagt ist es nicht immer so, dass Muster in unseren Beziehungen mit Stress oder Trauma zu tun haben. Aber wenn Muster mit Angst oder Stress verbunden sind, kann man davon ausgehen, dass dahinter stressreiche Prägungen liegen.

"Ein Bewusstsein für die eigenen Muster zu entwickeln, ist ein ganz wesentlicher Prozess."

Es ist gar nicht so einfach, so etwas zu erkennen. Also: Was macht mir Stress? Was an der Situation, dem Job oder der Freundschaft ist eigentlich so anstrengend? Gibt es bestimmte Anzeichen, an denen man erkennt: Hier wiederholt sich ein altes Muster?

Ein Bewusstsein für die eigenen Muster zu entwickeln, ist ein ganz wesentlicher Prozess. Manchmal haben wir Situationen im Leben, in denen wir etwas blitzartig erkennen. Vielleicht durch eine Auseinandersetzung oder durch ein Beispiel, das wir hören, oder durch etwas, was jemand anderes erlebt und mit uns teilt. Aber ganz oft ist es so, dass wir wirklich eine Art Prozess brauchen - Selbstentwicklung und Selbsterkenntnis-, um unseren eigenen Mustern auf die Spur zu kommen. Menschen, die zum Beispiel ein Buch kaufen, auf dem “Trauma und Beziehungen” steht, befinden sich in diesem Prozess.

Was geht dem voraus?

Oft beginnt es damit, dass Menschen bemerken, dass sie nicht glücklich sind. Dass etwas dem eigenen Wohlergehen und den eigenen Wünschen im Weg steht. Sie haben häufig das Empfinden “Eigentlich ist alles okay, aber ich bin nicht glücklich”. Das ist oft so ein Moment, in dem Menschen merken, dass irgendwas nicht stimmt. Wiederum andere sind auf dem Weg, weil sie bemerken, dass sie gar nicht kontrollieren können, was in ihrem Leben und in ihren Beziehungen passiert. Sie haben das Gefühl, dass ihnen immer wieder dasselbe passiert, ohne dass sie Einfluss darauf haben. Häufig geht das damit einher, dass sie niemandem mehr vertrauen können. Kurz zusammengefasst könnte man sagen: Meine Werte und Wünsche passen nicht zu meiner Lebensrealität. Und da ist eine Differenz, die sich nicht überbrücken lässt.

"Trauma entsteht dann, wenn uns diese Verarbeitung im Nachhinein nicht gelingt."

Du schreibst in deinem Buch “Trauma und Beziehungen”, dass sich frühe emotionale Verletzungen tief im Nervensystem einschreiben. Wie kann man sich das konkret vorstellen?

Unser Nervensystem ist gerade in Bezug auf Trauma ein ganz wesentliches Element. Wir können uns das so vorstellen, dass Trauma - also als ein Ereignis oder eine Lebensphase, die uns über all unsere Grenzen herausbringt - in uns Überlebensmechanismen aktiviert. Diese Überlebensmechanismen sind landläufig bekannt als Kämpfen, Fliehen oder Erstarren. Diese Überlebensreaktionen werden durch unser autonomes Nervensystem erzeugt und versetzen uns in Ausnahmezustände. Um eine solche Situation zu verarbeiten, müssen wir auch mit dem Nervensystem arbeiten.

An einem konkreten Beispiel erklärt: Wenn wir eine potenziell traumatische Situation erleben, zum Beispiel einen Autounfall, bei dem wir Todesangst haben, bringt uns das in die Überlebensreaktion. Das passiert autonom, ganz ohne unser bewusstes Zutun. Wir sind dann vielleicht in einem Schockzustand, total neben der Spur. Innerhalb von ein paar Wochen wird dieses Erlebnis im Nervensystem und im Körper sozusagen "verstoffwechselt". Das heißt, die Stresshormone werden abgebaut, die Bilder werden ins Gedächtnis abgelegt. Es kommt ein Verarbeitungsprozess zustande und das Nervensystem kehrt wieder in eine Balance zurück. Trauma entsteht dann, wenn uns diese Verarbeitung im Nachhinein nicht gelingt. Dann bleibt unser Nervensystem in der Stressaktivierung stecken. Das heißt, es herrscht immer noch ein Empfinden, als wäre die Gefahr noch präsent. Menschen erleben sich dann als schreckhaft, sie können nicht schlafen, sie finden keine Ruhe mehr, sie sind ängstlich, sie werden vielleicht wieder ganz kindlich und können nicht mehr alleine sein. Manche werden auch aggressiv und können ihre Impulse nicht mehr kontrollieren, wieder andere werden depressiv. Das Symptomspektrum ist groß.

Oft sprechen wir in Bezug auf Bindungsmuster von Liebesbeziehungen, sie spielen aber auch im Arbeitsumfeld oder Freundschaften eine Rolle. Welche Unterschiede gibt es da?

Unsere Muster, die unter Stress entstanden sind, zeigen sich in der Regel immer in den Kontexten, in denen wir uns nicht sicher genug fühlen. Wenn ich mich zum Beispiel in einer Freundschaft sicher genug fühle, wird meine alte Verletzung, mein Schmerz nicht so sehr berührt. Dann kann es sein, dass ich dort diese alten Schutzmuster gar nicht hochfahren muss. Während ich vielleicht in einer partnerschaftlichen Beziehung ganz nah an diese Schmerzpunkte komme, weil die Nähe so intensiv wird. Weil die Person so eine große Wichtigkeit erlangt, dass dann dort die Muster aktiviert werden.

Das heißt, es kann sein, dass sich Muster überall zeigen, wenn Beziehungen grundlegend als Gefahr wahrgenommen werden. Es kann aber auch sein, dass wir in ganz unterschiedlichen Beziehungen unterschiedlich intensiv oder auch unterschiedliche Muster erleben, je nachdem, was die Beziehung für uns für eine Bedeutung hat. Am deutlichsten zeigen sich unsere Muster in den ganz nahen und intimen Beziehungen, also in Partnerschaften oder in den Beziehungen zu unseren Kindern und Eltern.

"Eine sichere Bindung ist ein Heilungselixier für jede Art von Verletzung, auch von traumatischer Verletzung."

In deinem Buch sprichst du von der Heilkraft erfüllender Beziehungen. Kann man lernen, sich sicher zu binden, wenn man das nie erfahren hat?

Mit erfüllenden Beziehungen meine ich sichere Bindungen. Eine sichere Bindung ist ein Heilungselixier für jede Art von Verletzung, auch von traumatischer Verletzung. Unter traumatischem Stress geht Sicherheit verloren. In der Folge entsteht dann ein grundlegendes Gefühl von Stress. Eine sichere Bindung zu finden im Leben, kann dann eine große Veränderung und ein Schritt in Richtung Heilung sein. Das muss auch nicht sofort eine partnerschaftliche Beziehung sein, diese Bindung kann auch vielleicht erst mal zu einem Tier entstehen oder zu jemandem, der*die einem ein bisschen ferner ist, aber trotzdem Sicherheit vermitteln kann. Dadurch bekommen wir wieder Zugang zu unserem “wahren Ich”.

Solange wir in Überlebensmustern stecken, können wir uns nicht entspannen und entfalten. Wir können unsere wirklichen Wünsche und Bedürfnisse nicht spüren und auch nicht unsere Kompetenz und unsere Liebe einbringen. Wenn wir permanent unter Stress stehen, sind wir sehr eingeschränkt in der Wahrnehmung und im Ausdruck. In einer sicheren Bindung können wir uns wieder verbinden mit dem, was eigentlich hinter den ganzen Schutzmustern ist.

Wie kommt man dahin? Das ist eine spannende Reise, die aus vielen kleinen Schritten besteht und auch aus der Entscheidung, sich auf den Weg zu machen, statt sich zu verstecken oder weiter zu schützen vor möglichen Verletzungen. Es bedeutet auch viel Selbstreflexion. Es bedeutet, das eigene Leben in die Hand zu nehmen, statt sich von alten Mustern kontrollieren zu lassen. Das geht, indem man bewusst Aktivitäten, Kontexte, Menschen und Umfelder sucht, in denen man kleine oder auch größere korrigierende Erfahrungen machen kann. Ein konkretes Beispiel kann ein therapeutischer Kontext sein. Hier kann ich üben, ein bisschen mehr von mir zu zeigen, ein bisschen über das zu sprechen, was mir echt Stress macht. Das kann eine korrigierende Erfahrung sein.

Welche Rolle spielen Selbstmitgefühl und bewusster Körperwahrnehmung dabei?

Es ist wichtig, den Körper mitzunehmen, wenn es um Trauma oder generell um ein gesundes Leben geht. Im Körper, also im Nervensystem, ist der Stress gespeichert und allein kognitiv können wir diese Themen nicht bewältigen, weil das Empfinden von Sicherheit nicht nur kognitiv stattfindet, sondern eben auch im Körper empfunden wird. Deswegen können Körperansätze sehr helfen, um in diese gesünderen und glücklicheren Zustände zu kommen.

Auch Selbstmitgefühl kann ein wesentlicher Aspekt sein. Für viele Betroffene ist genau das ein Wendepunkt, weil sie kein gutes Bild von sich haben. Da sind tiefe Überzeugungen: “Mit mir stimmt was nicht.” “Ich bin falsch, ich bin schlecht.” “Ich bin nicht liebenswert.” “Hätte ich doch mal was anders gemacht.” Da ist oft sehr viel Selbstabwertung im Spiel, häufig aus frühen Prägungen heraus, weil man gelernt hat, dass man nicht gut genug sei. Deswegen ist es ein wesentlicher Blickwinkelwechsel, Selbstmitgefühl zu entwickeln. Weil man sich selbst dann als jemanden sehen kann, der*die aus guten Gründen so fühlt, so handelt, sich so verhält und Gewisses noch nicht kann. Das öffnet die Tür zur sicheren Bindung mit sich selbst. Und das ist ein ganz wesentlicher Aspekt auf dem Weg.

"Es gibt eine Schnittmenge zwischen dem undifferenzierten, intuitiven Wahrnehmen und der harten wissenschaftlichen oder auch psychiatrischen Diagnose."

Die Begriffe “Trauma” und “traumatisiert” werden in den sozialen Medien oft in einem falschen Kontext verwendet. Werden diese Begriffe zu inflationär benutzt?

In den letzten Jahren ist der Begriff sehr undifferenziert und inflationär verwendet worden. Das liegt unter anderem daran, dass er für ganz viele Menschen etwas umschreibt, das sie irgendwie intuitiv fühlen und sich damit auch identifizieren können. Allerdings fehlt die klare Abgrenzung, das ist nicht im Sinne der Diagnostik, die eigentlich dahinter steht.

Traumafolgen entstehen durch traumatische Ereignisse oder traumatische Lebensumstände. Und um eine Traumatisierung wirklich festzustellen, müsste man eine Diagnostik machen. Das bedeutet gleichzeitig, dass man in eine pathologische Definition übergeht, also dass man Trauma als eine Thematik mit Krankheitswert betrachtet. Das ist wissenschaftlich und fachlich korrekt. Gleichzeitig ist es so, dass wir Trauma und den Begriff etwas weiter fassen können, ohne diese wissenschaftliche Basis zu verlassen. Es gibt eine Schnittmenge zwischen diesem undifferenzierten, intuitiven Wahrnehmen und der harten wissenschaftlichen oder auch psychiatrischen Diagnose. Es ist sehr sinnvoll, den Begriff ins Alltagsbewusstsein zu integrieren, weil es eine sehr häufig übersehene Belastung darstellt.

"Das Risiko bei dieser inflationären Verwendung ist, dass wir die Resilienz eines Menschen dabei vergessen."

Wie viel hat das mit dem individuellen Empfinden zu tun? Es gibt Lebensereignisse und Umstände, die für nahezu alle Menschen traumatisch sind, ganz klar. Aber es gibt bestimmt auch Erlebnisse, die für einen Menschen traumatisch sind und für den anderen vielleicht nicht.

Absolut. Das ist ein wichtiger Punkt, den ich immer wieder deutlich mache. Nicht jeder Mensch wird durch ein gewisses Ereignis zwangsläufig traumatisiert. Auch in diesem Zusammenhang wird der Begriff undifferenziert verwendet. Da gibt es solche Aussagen wie: “Alle Menschen sind traumatisiert”, “Das Schulsystem traumatisiert” und “Jede Geburt löst ein Trauma aus”. Aus meiner fachlichen Perspektive sage ich ganz entschieden: Das ist schlicht und ergreifend falsch. Das Risiko bei dieser inflationären Verwendung ist, dass wir die Resilienz eines Menschen dabei vergessen.

Es gibt Menschen, die aus Kriegsgebieten flüchten und traumatisiert sind. Es gibt Menschen, die aus Kriegsgebieten flüchten, dasselbe erlebt haben, aber nicht traumatisiert sind. Es ist sehr individuell, ob ein Mensch durch Belastungen Traumafolgen entwickelt. Es hängt von ganz vielen inneren Faktoren ab, also von psychologischen Persönlichkeitsfaktoren, aber auch von Resilienzfaktoren, wie der eigenen Kindheit. Auch äußere Faktoren sind entscheidend, zum Beispiel, wie privilegiert Menschen sind. Haben sie Zugang zu Unterstützung? Wie sehr sind sie eingebunden in ein soziales Netzwerk, das sie hält und das die Belastungen abfedert? Wenn jemand ein Trauma erlebt, der unter Armut leidet, dann hat er es schwerer, sein*ihr Trauma zu verarbeiten, weil seine*ihre Kapazitäten im Alltagskampf gebunden sind.

Hier findet ihr Verena König: