Wie entsteht passiv-aggressives Verhalten – und wie reagiert man darauf?
15. Juli 2024
geschrieben von Fiona Torke

Psychologin Anna Wilitzki erklärt, was hinter passiv-aggressivem Verhalten steckt.
„Dann halt nicht“, „Wenn du meinst“, „Ist jetzt auch egal“, „Was soll schon sein?“… Wir alle kennen diese Sätze, weil sie uns schon mal rausgerutscht sind oder sie zu uns gesagt wurden. Dahinter versteckt sich sogenanntes passiv-aggressives Verhalten. Die eigentliche Emotion wird versteckt, schwingt aber in der Aussage mit. Doch was macht es mit uns, wenn ein solches Verhalten zu einem Muster wird? Und was steckt dahinter, wenn Menschen so kommunizieren? Wie kann ich selbst diese Verhaltensweise ablegen oder meinen Partner oder meine Partnerin dabei unterstützen, offener mit mir ins Gespräch zu gehen?
Darüber sprechen wir mit Anna Wilitzki, Psychologin und emotionsfokussierte Paartherapeutin in ihrer Praxis in Berlin. In ihrem Arbeitsalltag trifft sie immer wieder auf Paare, bei denen eine Partei oder beide passiv-aggressives Verhalten zeigen. Als emotionsfokussierte Paartherapeutin blickt sie insbesondere auf die Emotionen, die sich hinter einer solchen Verhaltensweise verbergen. Gerade ist ihr Buch „Einfach lieben: Expedition zu einer glücklichen Beziehung“ erschienen, in dem sie sechs Kurzgeschichten aus der Praxis teilt.
Passiv-aggressives Verhalten wird gezeigt, wenn ungelöste Themen vorliegen.
femtastics: Was genau versteht man unter passiv-aggressivem Verhalten?
Passiv-aggressives Verhalten wird häufig gezeigt, wenn ungelöste Themen vorliegen. Das sind beispielsweise eigene Unsicherheiten und Ängste, die eigenen Emotionen zu zeigen. Die Person schafft es nicht, in die Konfrontation zu gehen und etwas anzusprechen, sondern zeigt stattdessen passiv-aggressives Verhalten. Das äußert sich beispielsweise in ironisch-sarkastischen Aussagen, in Stille und Ignoranz oder darin, dass Vereinbarungen nicht mehr eingehalten werden.
Ist der Person, die passiv-aggressives Verhalten zeigt, dieses Verhaltensmuster selbst bewusst?
Oft ist es eine Art Schutzmechanismus, der automatisch abläuft. Wenn beispielsweise in einer Paarbeziehung auf die Frage „Alles gut bei dir?“ ein „Ja klar“ in einem passiv-aggressiven Ton kommt, dann liegt das häufig daran, dass wir das Gefühl haben, nicht gesehen oder angenommen zu werden. Wir haben eine gewisse Erwartungshaltung, die nicht erfüllt wird – nämlich, dass unser*e Partner*in bereits weiß, was mit uns los ist. Durch ein passiv-aggressives Verhalten zeigen wir, dass wir uns nicht verstanden fühlen.
Es gibt auch die Ebenen von passiv-aggressivem Verhalten, bei dem das aggressive stärker ausgeprägt ist. Hier möchte die Person aktiv etwas in der anderen Person auslösen und sie auf ihre Ebene holen, sprich ihr geht es nicht gut und sie möchte, dass sich die andere Person genauso fühlt.
Welche Emotion steckt hinter passiv-aggressivem Verhalten?
Die meisten Menschen zeigen passiv-aggressives Verhalten, wenn sie sich selbst verletzlich fühlen. Diese Verletzlichkeit kann das Resultat von Unsicherheiten und Ängsten sein, aber auch von Scham, Schuld oder Frustration. Man kann sagen, dass fast jede verletzliche Emotion gepaart mit der Unbeholfenheit, seine Gefühle offen zu kommunizieren, zu passiv-aggressivem Verhalten führen kann.
Dieses Verhalten kann unter anderem in der Kindheit erlernt sein.
Woher kommt dieses Verhalten?
Dieses Verhalten kann unter anderem in der Kindheit erlernt sein. Wenn wir beispielsweise eine Mutter haben, die uns häufiger passiv-aggressiv abspeist mit Sätzen wie „Na, wenn du dich darüber freust“ oder ähnlichem, dann schützen wir uns, indem wir dieses Verhalten übernehmen. Wir haben auch kein alternatives Verhalten erlernt, mit dem wir es wieder ausbügeln können.
Auch in einer Partnerschaft kann dieses Verhalten erlernt werden. Angenommen, wir wurden selbst mehrere Jahre in einer Beziehung mit passiv-aggressivem Verhalten erniedrigt und dann verlassen, dann kann es das Gefühl auslösen, zu schwach gewesen zu sein. Das wiederum kann den Wunsch auslösen, stärker zu sein und so bringen wir das Verhalten mit in die nächste Beziehung.
Was löst passiv-aggressives Verhalten in der Person aus, die damit konfrontiert wird?
Das kommt darauf an, welche Ressourcen wir mitbringen. Wenn wir das Verhalten von zu Hause gar nicht kennen, dann kann es zu Irritation und Frustration führen. Diese Menschen können es häufig auffangen und ins Gespräch gehen. Menschen, die von zu Hause selbst Verletzungen mitbringen, fühlen sich möglicherweise klein, unwichtig und schuldig. Sie nehmen an, dass sie dieses Verhalten ausgelöst haben: „Ich habe der Person ein schlechtes Gefühl gegeben, nur deswegen verhält sie sich so.“ Es kann ein negativer Kreislauf entstehen, wenn die negative Emotion transportiert und weitergegeben wird.
Passiv-aggressives Verhalten ist eine Form der Erniedrigung, auch wenn es nicht so gemeint ist.
Passiv-aggressives Verhalten ist eine Form der Erniedrigung, auch wenn es nicht so gemeint ist. In Paarbeziehungen kann dies auf Dauer zum Rückzug führen. Die Person behält häufig ein schlechtes Gefühl und Selbstbild. Wenn wir nicht für uns einstehen können und es nicht zu einer Veränderung kommt, dann fühlen wir uns diesem Verhalten ausgeliefert und es werden neue Ängste geschürt.
Wie kann ich mich als Partner*in konstruktiv verhalten, um das passiv-aggressive Verhalten der anderen Person aufzulösen?
Es kann hilfreich sein, in die offene Kommunikation zu gehen, indem man das Verhalten auf Emotionsebene anspricht, statt in einer Vorwurfshaltung. Man könnte beispielsweise sagen: „Es verletzt mich, wenn du mich ignorierst/sarkastisch bist. Ich würde mir wünschen, dass wir es schaffen, darüber zu sprechen, was eigentlich gerade das Thema ist, das darunter liegt?“ Das Verhalten direkt als passiv-aggressiv zu benennen, kann ein zu harter Vorwurf sein, da das Wort Aggression in unserer Gesellschaft sehr negativ behaftet ist.
Wenn ich selbst an mir bemerke, dass ich dieses Verhalten zeige, was kann ich tun, um dieses Muster aufzulösen?
Wenn man sich in der Beziehung unterstützt fühlt, kann man direkt nach Hilfe fragen, indem man es offen anspricht: „Ich brauche da deine Hilfe, ich merke, dass dieses Verhalten nicht in Ordnung ist, und ich möchte das verändern. Es würde mir helfen, wenn du dann nicht gleich super sauer oder genervt bist, sondern mich darauf hinweist.“
Und dann gilt es, das eigene Muster zu beobachten. Erstmal kann man schauen, was auf körperlicher Ebene in so einem Moment passiert. Vielleicht bemerke ich, dass sich meine Brust zusammenzieht und kann dann reflektieren, in welchen Momenten das sonst passiert. Daraus kann ich ableiten, welche Emotion dahintersteckt und woher ich diese Gefühle kenne.
Woher kenne ich das Verhalten? Wann wurde mit mir so umgegangen? Das soll nicht als Ausrede genutzt werden, sondern als Wegweiser. Indem man reflektiert und erkennt, dass man ein Verhalten zeigt, das man nicht zeigen möchte, kann man in die Veränderung kommen. Man kann sich aufschreiben, was man in so einem Moment fühlt, wie man reagiert und sich alternative Verhaltensweisen überlegen. So kann man sich selbst quasi beibringen, das Muster aufzubrechen. Viele Menschen, die passiv-aggressives Verhalten zeigen, haben ein Thema mit Stress. Sie können dann selbst gar nicht einordnen, woher ihr Verhalten kommt. Hier kann es sich dann auch lohnen, hinzuschauen, wie man mit Stress anders und besser umgehen könnte oder wo sich Stressoren reduzieren lassen.
Wenn die Anspannung sehr hoch ist, gibt es dann für den Moment ein Ventil, das ich anstelle des passiv-aggressiven Verhaltens nutzen kann?
Das ist ein großes Thema in der emotionsfokussierten Therapie: Wie kann ich aus einem sehr starken Gefühl erstmal herauskommen? Hier muss jede*r schauen, was ihm oder ihr hilft. Es gibt dafür einige Methoden, beispielsweise die 5-4-3-2-1-Methode. Bei dieser Achtsamkeitsübung zählt man in angespannten, überfordernden Situationen fünf Dinge, die man sehen kann, vier Dinge, die man hören kann, dann drei Dinge, die man spüren kann, danach zwei Dinge, die man riechen kann und zuletzt eine Sache, die man schmecken kann. Diese Übung bringt einen zurück ins Hier und Jetzt und lindert hohe Spannung. Auch Atemübungen können helfen, genauso wie ein kurzer Spaziergang.
Mit passiv-aggressivem Verhalten bekommt man auf Dauer nicht das, was man sich wünscht.
Was man auch immer tun kann, ist, es offen anzusprechen. Indem man klar benennt, dass man selbst merkt, dass man etwas Bestimmtes äußern möchte, aber weiß, dass es nicht okay ist, ebnet man den Weg, stattdessen über die eigentlichen Gefühle zu sprechen. Langfristig sollte man sich Kommunikationsstränge überlegen, mit denen man kommunizieren kann, ohne verletzend zu werden, aber trotzdem zu den eigenen Gefühlen zu stehen. Es klappt aber nun mal nicht, alles auf einmal zu verändern und das ist okay.
Was man sich immer vorhalten sollte, ist, dass man mit passiv-aggressivem Verhalten auf Dauer nicht das bekommt, was man sich wünscht. Diese Verhaltensweise ist missverständlich und führt nicht dazu, dass die eigenen Bedürfnisse erfüllt werden. Es geht also bei der Veränderung zum einen darum, dass man Mitmenschen nicht verletzt, aber zum anderen auch darum, wirklich das eigene Ziel zu erreichen. Man kommt mit passiv-aggressivem Verhalten nicht weiter.