Wie soll intuitiv essen gesund sein, wenn ich immer nur Lust auf Pizza habe?

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Zeit fürs Abendessen, aber nichts zu Hause und auch irgendwie keine Lust auf Kochen. Du schmeißt also Deliveroo an und machst dich auf die Suche nach deinem perfekten Abendessen. In deinem Kopf spielen sich blitzschnell verschiedene Gedanken ab: Eigentlich solltest du ein paar Vitamine zu dir nehmen, also wird’s wohl einer dieser überteuerten Salate werden. Du kennst schließlich die einschlägigen Wellnessblogs und weißt, was Sache ist. Auf der anderen Seite hast du neulich auch von intuitivem Essen gehört. Dieses Konzept ermutigt uns dazu, zu essen, was wir wollen, wenn wir Lust drauf haben. Vitamine hin oder her. Wenn du auf deine Intuition hörst, schreit die gerade ziemlich laut Pizza. Oder wahlweise Pasta in Käsesauce. Wenn man lange genug zuhört, wünscht sie sich zur Vorspeise auch noch eine Burrata. Und wenn du fertig bist, erinnert dich deine Intuition daran, dass es noch jede Menge Weihnachtsschokolade in deinem Schrank gibt … Essen kann einfach so unglaublich befriedigend sein und das ist auch deiner Intuition schon aufgefallen.

Aber wenn du dir heute Abend die Kalorienbomben mit Käse, weißem Mehl, Sahne und Zucker reinfährst, wird es dir danach wahrscheinlich nicht super gehen. Und dass du morgen früh schwungvoll und energiegeladen aus dem Bett hüpfst, ist wohl auch eher unwahrscheinlich. Solltest du also trotzdem auf deine Intuition hören und beim Italiener bestellen? Solltest du, sagt Dr. Evelyn Tribole, Ernährungsberaterin, Autorin und eine Vorreiterin in Sachen intuitivem Essen.

Zusammen mit ihrer Kollegin Elyse Resch hat sie Mitte der Neunziger die Zehn-Punkte-Methode für intuitives Essen entwickelt. Diese wird mittlerweile von vielen Ernährungsberater*innen eingesetzt und soll den Anwender*innen helfen, ihren Frieden mit dem Essen zu machen und zu lernen, die tägliche Nahrungsaufnahme ohne Hintergedanken an Vitamine, Fette oder Kalorien zu genießen.

Intuitives Essen soll dir dabei helfen, zu essen, was du wirklich brauchst. Und wenn das ab und an mal eine Pizza ist, dann ist das total in Ordnung.

Die Regeln hören sich erstmal einfach an: Löse dich von jeglichem Denken in Diäten, erkenne deinen Hunger an, schließe Frieden mit dem Essen, fühle dich nicht schlecht, wenn du angeblich ungesunde Sachen isst, achte darauf, wann du satt bist, entdecke dein Befriedigungsgefühl, erkenne deine Gefühle an, ohne ihnen mit Essen zu begegnen, respektiere deinen Körper, mache Sport und unterstütze deine Gesundheit mit einer schonenden Ernährungsweise. Diese Regeln sollen dir, zusammen mit deiner Lebenserfahrung, dabei helfen, zu essen, was du wirklich brauchst. Und wenn das ab und an mal eine Pizza ist, dann ist das total in Ordnung. Und zwar ohne wenn und aber.

Manche Leute verstehen intuitives Essen falsch und halten es für eine faule Ausrede, um schlichtweg alles in sich hineinzustopfen, was sie so wollen. Aber so einfach ist es nicht. Traditionelle Diäten verlaufen häufig nach Schema F: Verbote und strikte Regeln führen zu Gewichtsreduktion. Dass diese Diäten alles andere als nachhaltig sind und oftmals zum Jojo-Effekt führen, ist mittlerweile bekannt. Alyssa Pike ist eingetragene Ernährungsberaterin bei der International Food Council Foundation und sagt, dass der Jojo-Effekt für den Körper wesentlich ungesünder ist, als einfach ein bestimmtes Gewicht zu halten.

Um das klarzustellen: Intuitiv zu Essen ist keine Abnehmmethode.

Um das klarzustellen: Intuitiv zu Essen ist keine Abnehmmethode. Es ist unmöglich, vorauszusehen, wie einzelne Personen körperlich darauf reagieren, sagt die Ernährungsberaterin Kathleen Meehan. „Wenn jemand sich jahrelang alles Mögliche verboten hat, kann es durchaus sein, dass diese Person zunimmt, wenn sie anfängt, sich mehr darauf zu konzentrieren, was ihr Körper tatsächlich braucht.“ Doch es ist auch erwiesen, dass Menschen, die intuitiv essen, seltener mit Gewichtsschwankungen zu kämpfen haben. Sie erreichen einfach ein bestimmtes Gewicht, bei dem sie dann bleiben, anstatt mit ihrem Gewicht vor und nach Crash Diäten immer wieder extrem auszuschlagen.

Laut Ernährungsberaterin Pike haben Studien gezeigt, dass intuitives Essen die Beziehung von Menschen zu ihrer Nahrung verändert. Sie haben nicht mehr so viel Angst vor dem Essen und sind seltener von Ess- und Körperbildstörungen betroffen. Viele Leute probieren intuitives Essen aus, nachdem sie schon eine Reihe von Diäten hinter sich haben. So auch die 35 Jahre alte Victoria, die vor einigen Jahren das erste Mal von der Methode hörte. Sie hatte schon einige Low Carb- und ketogene Diäten ausprobiert und wusste, dass sie etwas anderes brauchte, wenn sie wirklich abnehmen wollte. Doch schon bald änderte sich ihre Zielsetzung: „Je mehr ich über intuitives Essen lernte, desto klarer wurde mir, dass sich meine Beziehung zu Essen nicht ändern würde, wenn ich gleichzeitig weiterhin versuchte abzunehmen.“

Daneben herrscht außerdem der Irrglaube, dass intuitives Essen vielleicht nicht für jede*n funktioniert. Ernährungsberaterin Meehan jedoch sagt, dass tatsächlich alle von der Methode profitieren können. „Intuitiv zu essen kann positiv beeinflussen, wie du über Essen denkst und deine Mahlzeiten und auch deinen Körper wahrnimmst und wertschätzt. Ganz unabhängig davon, welches Verhältnis du bisher dazu hattest.“

Doch zurück zum Salat-gegen-Pizza-Dilemma. Auch beim intuitiven Essen geht es um Nährstoffe. Der letzte Punkt des Programms lautet: „Erkenne deine Gesundheit an.“ Ernährungsberaterin Cara Harbstreet erklärt, dass dieser Punkt bewusst der zehnte der Methode ist. Bevor du dir wieder Gedanken um Nährwerte machen solltest, musst du erstmal verinnerlicht haben, intuitiv zu essen und eine wertfreie Beziehung zu Nahrung aufgebaut haben.

„Unsere Betrachtung auf Gesundheit ist ganzheitlich – physisch wie mental. Es geht nicht nur darum, was du isst, sondern auch darum, wie du dich dabei fühlst.“

Denn dann bist du in der Lage zu entscheiden, dass du jetzt auch mal eine Pizza essen möchtest. Denn klar mag ein Salat mehr Vitamine und Nährstoffe haben als eine Pizza, die Pizza könnte aber trotzdem die bessere Wahl sein, weil sie deine Gelüste gerade einfach besser befriedigt. Deinem Körper das gegeben zu haben, was er haben wollte, kann für deine (emotionale) Gesundheit zuträglicher sein, als dir auf Biegen und Brechen Salat herunterzuwürgen, auf den du gerade eigentlich gar keine Lust hast. Da wären wir auch schon bei zwei besonders wichtige Lehren, die die Anwender*innen laut Dr. Evelyn Tribole aus intuitivem Essen ziehen sollen: Befriedigung verspüren und keine Schuldgefühle empfinden. Du solltest dir grundsätzlich kein Nahrungsmittel verbieten: „Unsere Betrachtung auf Gesundheit ist ganzheitlich – physisch wie mental. Es geht nicht nur darum, was du isst, sondern auch darum, wie du dich dabei fühlst.“

Unsere emotionale Gesundheit hat erheblichen Einfluss auf unser körperliches Wohlbefinden. Wenn dir beigebracht wird, dass du verschiedene Sachen nicht essen darfst, sorgt das meist nur dafür, dass dein Verlangen danach wächst. Die intuitive Essensmethode basiert darauf, dass es keinerlei Verbote oder Urteile geben sollte: Alle Nahrungsmittel sind gleich gut und du darfst immer alles essen, worauf du Lust hast. Wenn dich die Angst befällt, dass das dazu führen könnte, dass dein Essverhalten komplett außer Kontrolle gerät, du nur noch Süßigkeiten isst oder regelmäßig über die Stränge schlägst, gibt Dr. Tribole Entwarnung. Diese Reaktion zeigt nur, wie lange du dich selbst gegeißelt hast und wird nicht ewig vorhalten.

Ernährungsberaterin Harbstreet nennt dieses Verhaltensmuster „den Kreislauf von Verbieten, Rebellieren und Bereuen“. Sobald wir etwas vermeintlich nicht haben dürfen, wollen wir es umso mehr, übertreiben es maßlos und fühlen uns anschließend schlecht. Wir beschließen also, dieses Nahrungsmittel zukünftig zu meiden, heben es aber tatsächlich damit auf ein Podest und wollen es nur umso mehr. „Dann bleiben wir diesem Essen eine Zeit lang fern, bis wir irgendwann sagen: Egal, ich will das jetzt aber, her damit. Weil wir es uns so lange verboten haben, können wir unser Verlangen aber nicht mehr beherrschen und essen viel zu viel davon. Unser Ziel sollte also, wie so oft, der gesunde Mittelweg sein: Manchmal haben wir ein wenig mehr Lust drauf, dann essen wir ein bisschen was davon, manchmal haben wir nicht so viel Lust darauf, dann lassen wir es. Hauptsache, keine Extreme.“

Wenn du weißt, dass du immer wieder Schokolade essen kannst, wenn du Lust darauf hast, nimmt das den Druck raus. Du musst nicht die ganze Tafel jetzt sofort essen.

Entgegen der weit verbreiteten Meinung führt ein Nahrungsmittel dann zu essen, wenn du wirklich Lust darauf hast, dazu, dass es weniger interessant für dich wird. Dr. Tribole sagt: „Wenn du weißt, dass du immer wieder Schokolade essen kannst, wenn du Lust darauf hast, nimmt das den Druck raus. Du musst nicht die ganze Tafel jetzt sofort essen.“ Was oftmals passiert, wenn Leute ihre Beziehung zu bestimmten, vormals verbotenen Lebensmitteln ändern, ist, dass sie feststellen, dass sie sie gar nicht so gerne mögen. Auch Victoria hat diese Erfahrung gemacht und ist mittlerweile viel entspannter: „Ich hatte früher ständig ein schlechtes Gewissen, weil ich mich hatte gehen lassen und habe mich unter Druck gesetzt. Jetzt nehme ich einfach jeden Tag so, wie er kommt.“

Wenn du längere Zeit intuitiv isst, wird dein Körper nach verschiedenen Lebensmittel verlangen, denn genauso funktioniert er einfach, sagt Ernährungsberaterin Rumsey: „Auch wenn du im Einklang mit deinem Körper bist, wird er einige Dinge wie Pizza oder Schokolade von Zeit zu Zeit haben wollen. Aber eben nicht mehr rund um die Uhr. Die meisten Menschen merken irgendwann, dass sich ganz ohne ihr bewusstes Zutun eine Balance eingestellt hat zwischen nährstoffreichen Mahlzeiten und Essen, dass einfach nur Spaß macht.“

Was bedeutet das jetzt aber? Mit Hilfe der Methode wählst du intuitiv Nahrungsmittel aus, die sowohl deiner Gesundheit als auch deinen Geschmacksknospen gut tun, ohne dich dabei so darauf zu versteifen, dass das Thema Essen dein Denken bestimmt, erklärt Pike. Das bestätigt auch Victoria, für die der größte Vorteil von intuitivem Essen ist, dass sie einfach ihr Leben leben kann, ohne sich ständig unter Druck zu setzen, auch ja „das Richtige“ zu essen: „Dieser ständige Kampf zwischen dem, was ich essen will und essen sollte, ist einfach nicht mehr da. Ich kann mittlerweile ganz entspannt mit Freund*innen auswärts essen gehen oder mit meinem Sohn einen Kuchen backen, ohne das Gefühl zu haben, gerade nicht meine Diät einzuhalten.“

Doch leider bedeutet das noch lange nicht, dass intuitiv zu essen immer total einfach ist. Für Victoria gibt es immer noch einige Aspekte, die ihr die Ernährungsweise nicht bietet. „Ich muss langsam akzeptieren, dass ich damit nicht abnehmen werde. Auch wenn es mir mit diesem Essverhalten mental viel, viel besser geht, ist meine Ernährungsumstellung nach außen hin für andere nicht sichtbar. Das Lob, das man bekommt, wenn man abgenommen hat, bekomme ich jetzt nicht.“

In Wahrheit sind es eher die Verbote, die zu unkontrolliertem Essverhalten führen. Wenn du dir bewusst Dinge erlaubst und versuchst, darauf zu achten, was deinem Körper guttut, wird das deiner Gesundheit zuträglich sein.

Dieses vermeintliche Problem kennt auch die Ernährungsberaterin Kathleen Meehan: „Einige Leute sagen, dass die Methode nicht gesund ist, weil sie ja impliziert, dass die Leute immer alles essen dürfen.“ Das führt dazu, dass manche Menschen annehmen, dieses Verhalten würde Leuten eine Entschuldigung für ihre Fressorgien liefern. „Was ich allerdings sehe, ist, dass es in Wahrheit eher die Verbote sind, die zu unkontrolliertem Essverhalten führen. Wenn du dir bewusst Dinge erlaubst und versuchst, darauf zu achten, was deinem Körper guttut, wird das deiner Gesundheit zuträglich sein.“ Und tatsächlich gibt es Studien, die beweisen, dass intuitives Essen dazu führt, dass die Menschen sich selbst mehr akzeptieren und zufriedener mit ihrem Körper sind. Das kann auch die psychische Gesundheit maßgeblich verbessern.

Harbstreet verspricht, dass du, wenn du eine Zeit lang dabei bist, irgendwann selbst merkst, welche Nahrungsmittel dir ein gutes Gefühl geben und welche nicht. „Das ist von Person zu Person unterschiedlich, von Tag zu Tag und von Mahlzeit zu Mahlzeit.“ Wenn du also die Deliveroo-App öffnest und spürst, dass dir heute mehr nach Salat als nach Pizza ist, dass du auch satt und zufrieden sein wirst, wenn du dich dafür entscheidest, dann kannst du diese Entscheidung treffen. Doch egal worauf deine Wahl fällt, du solltest der ganzen Sache keine Beurteilung beimessen. „Salate sind nicht nur was für Moralapostel“, sagt Harbstreet und lacht.

 

 

Text: Cory Stieg

 Illustration: Stefanie Berkmann für femtastics

 

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