Die besten Zutaten wachsen überall – und sie sind sogar umsonst: Mit ihrem Projekt Wildesgrün beweist Tine Knauft der Welt, welche Power in Wildkräutern steckt. Brennnesseln statt Chiasamen, Löwenzahnsirup statt klassischem Honig: In Tines Kursen lernen vor allem junge Großstädter, wie sie Kräuter selbst sammeln und verarbeiten können. Wir trafen die Kölnerin auf ihrem Lieblingsbauernhof und sprachen mit ihr über perfekte Einstiegskräuter, die Angst vor Giftpflanzen und darüber, wie wir alle in jeder Stadt auf Wildkräutertour gehen können.
Die meisten Menschen wissen gar nicht, was möglich ist und wie schnell es geht, Produkte aus Wildkräutern herzustellen.
Tine Knauft: Es ist der Wahnsinn, was man alles aus ihnen machen kann. Die meisten Menschen wissen gar nicht, was möglich ist und wie schnell es geht, Produkte aus Wildkräutern herzustellen. Ich mache zum Beispiel meine Haarspülungen und meine Gesichtspflege selbst und bin insgesamt viel weniger abhängig von Supermärkten. Heute weiß man ja kaum noch, was in den ganzen Produkten drin steckt, das ist bei Kosmetik fast noch schlimmer als bei Lebensmitteln. Ich koche auch total gerne mit Wildkräutern, sie enthalten superviele Nährstoffe und sind deshalb vor allem für Veganer interessant. Mich zieht es einfach immer wieder zu Wildkräutern, deshalb habe ich sie zu meinem Beruf gemacht.
Wir hatten immer einen Garten, ich bin damit groß geworden, Kartoffeln zu graben und Gemüse zu ernten. Essen aus der Dose kannte ich als Kind nicht. Irgendwann habe ich angefangen, selbst Tees mit Kräutern aus dem Garten zu kochen. Dann hat es sich immer weiterentwickelt, ich habe Kräuter zum Kochen verwendet, es ist über den Garten hinausgewachsen. Ich habe angefangen, mich mit Selbstversorgung zu beschäftigen, vor allem in der Stadt, wenn man keinen Garten hat, um Produkte anzubauen. Dann landet man natürlich immer wieder bei Wildkräutern.
Eigentlich wollte ich Gärtnerin werden, aber alle haben mir gesagt: „Da verdienst du nichts, lern lieber etwas Anständiges.“ Also habe ich eine kaufmännische Ausbildung gemacht und sechs Jahre in einem klassischen Bürojob gearbeitet. Ich war am Ende Projektleiterin und habe gutes Geld verdient, aber irgendwann habe ich gemerkt, dass ich einen Break brauche, weil ich die Erdung verloren hatte. Deshalb habe ich gekündigt und bin für zwei Monate auf einen kleinen Selbstversorgerhof in Eschweiler gegangen. Dort habe ich meine Arbeitskraft gegen freie Unterkunft getauscht. Ich habe überlegt, was ich mit meinem Leben machen möchte und bin immer wieder bei Ernährung und Wildkräutern gelandet. Also habe ich erst eine Ausbildung zur Fachfrau für Bio-Gourmeternährung und dann zur zertifizierten Kräuterpädagogin gemacht. Im Jahr 2016 habe ich dann Wildesgrün gegründet.
Gerade junge Leute haben total Bock auf Wildkräuter und finden das alles spannend.
Noch fahre ich zweigleisig: 20 Stunden pro Woche arbeite ich bei einem Geigenbauer und kümmere mich dort um alles Kaufmännische. Mit Wildesgrün gebe ich etwa drei bis acht Kurse im Monat. Das sind Wildkräuter-Wanderungen oder -Werkstätten, ich biete auch das Thema „Wilde Küche“ an. Inzwischen sind die Kurse immer voll und ich könnte noch mehr von ihnen geben. Erst einmal behalte ich aber meinen Teilzeitjob, gerade wegen Aspekten wie der Krankenversicherung ist mir das noch lieber. Aber es wäre in jedem Fall das Potenzial da, Wildesgrün in Vollzeit zu betreiben.
Eigentlich ist es ja eine totale Nische, aber ich merke tatsächlich, dass Wildkräuter aktuell boomen. Ich biete auch auf Festivals Touren an, die werden super angenommen. Gerade junge Leute haben total Bock auf Wildkräuter und finden das alles spannend. Einige ältere Menschen, vor allem aus der Nachkriegsgeneration, haben eher Angst vor dem Thema. Die sind oft mit Fertigprodukten aufgewachsen und fürchten sich davor, Dinge zu essen, die nicht aus dem Supermarktregal kommen.
Eigentlich ist das nicht gefährlich, aber natürlich muss man die Pflanzen schon erkennen. Ich habe auch schon einmal versehentlich in eine Giftpflanze gebissen, die habe ich mit anderen Kräutern gepflückt und einfach nicht genau hingesehen. Das war Aronstab, der hat zum Glück sofort ganz furchtbar gestochen und ich habe ihn ausgespuckt – aber nicht alle giftigen Pflanzen machen das. Deshalb ist es ganz wichtig, dass man beim Sammeln achtsam ist und genau hinsieht, was man pflückt.
Am besten fängt man mit Pflanzen an, die man kennt. Brennnesseln, Löwenzahn oder Gänseblümchen sind den meisten Menschen vertraut, aber nur wenige haben sie schon verarbeitet. Aus Löwenzahn kann man zum Beispiel tollen Löwenzahnhonig machen, indem man die Blüten in eine Zuckerlösung einlegt, die Mischung leicht aufkocht und 20 Minuten leicht sieden lässt. Dann filtert man die Blüten ab und hat einen fertigen Sirup, mit dem man ganz viele verschiedene Dinge machen kann. Für Veganer ist das ein sehr guter Honigersatz.
Ich mache aus Brennnesselsamen meine Haarspülung: Dafür legt man die Samen etwa zwei Wochen in Apfelessig ein, dann mischt man einen Esslöffel davon mit einem oder zwei Litern kaltem Wasser – je nachdem, wie lang die Haare sind. Damit spült man die Haare nach dem Waschen oder tunkt die Spitzen in diese Flüssigkeit. Danach hast du einen tollen Glanz und die Haare werden gestärkt. Man muss allerdings mit einer Umstellungszeit rechnen: Vor allem bei den Haaren dauert es, bis sie sich daran gewöhnt haben. Aber dann ist es wirklich super.
Mein Lieblingsrezept ist tatsächlich Brennnesselsuppe, die total schnell gemacht ist. Aber auch die Samen sind super. Ich sage immer, dass Brennnesselsamen die besseren Chiasamen nichts. Sie kosten nichts und sind supergesund: Es sind viele ungesättigte Fettsäuren enthalten, außerdem Vitamin A, C und E und viele Antioxidantien. In Brennnesselsamen steckt total viel Power, sie helfen auch gegen Ermüdungserscheinungen, wenn man schlapp ist. Man kann jeden Tag einen Löffel nehmen, zum Beispiel im Smoothie, auf einem Brot oder im Salat. Das ist das einfachste Rezept für mehr Energie. Aber bei allen Kräutern ist es am Anfang wichtig, nicht zu übertreiben, weil sich der Körper erst an die hohe Nährstoffdosis gewöhnen muss. Etwa eine Handvoll Wildkräuter täglich sind zum Start super.
Es sind auch Männer dabei, aber Kräuter waren in der Geschichte schon immer Frauensache. Frauen waren früher dafür zuständig, Pflanzen zu sammeln und Krankheiten zu behandeln, während die Männer auf der Jagd waren. Mit Beschwerden ging man zu den weisen Heilerinnen, die mit Kräutern geholfen haben. Es gibt aber auch besonders viele Frauenheilkräuter – vielleicht auch, weil Frauen grundsätzlich empfänglicher dafür sind. Zum Beispiel werden noch heute Himbeerblätter am Ende der Schwangerschaft benutzt, weil sie das Gewebe weicher machen. Und viele Hebammen räuchern mit Beifuß, wenn sich das Baby im Bauch drehen soll. Ich habe tatsächlich schon von vielen Frauen gehört, bei denen das geklappt hat.
Räuchern wirkt natürlich schnell ein wenig wie Hokuspokus und grundsätzlich macht der Kopf immer viel aus. Aber auch bei schulmedizinischen Medikamenten gibt es einen Placebo-Effekt und immer mehr Studien belegen den Effekt der Kräuter. Viele Pflanzen sind ja als Heilkräuter zugelassen: Johanniskraut wird zum Beispiel erfolgreich bei der Behandlung von Depressionen eingesetzt. Und es ist ganz einfach so, dass Wildkräuter viel mehr Nährstoffe als das normale Kulturgemüse haben: In Brennnesseln steckt 50-mal mehr Vitamin C als in einem Kopfsalat. Da kann man sich selbst ausrechnen, wie gesund die wilden Pflanzen sind.
Grundsätzlich ja, aber es gibt einige Dinge, die man beachten sollte: Von großen Straßen sollte man etwa 100 Meter Abstand halten. Außerdem sollte man nicht an Bahntrassen sammeln, weil dort Metallsplitter umherfliegen und ich meide immer die Gegenden rund um konventionelle Landwirtschaft. Aber sonst gibt es in jeder Stadt gute Gegenden. Hier in Köln gehe ich gerne an die Seen oder in den Grüngürtel, man kann aber auch einfach mit dem Rad am Rhein entlangfahren, da gibt es total viele Kräuter. In allen Städten sind Gebiete rund um Schrebergärten gut geeignet, da ist es meist relativ grün. Oder man fragt einfach bei Biobauern, ob man auf ihrem Gelände sammeln darf, die sind oft sehr offen dafür. Ich gebe auch auf dem Gelände eines Biobauern meine Kurse. Es ist jedenfalls vor allem für Großstädter super, mal ins Grüne zu kommen, den Kopf auszuschalten und sich total auf das Sammeln zu konzentrieren. Das entspannt total und ist noch ein guter Nebeneffekt.
Ja, total. Und ich merke immer wieder, wie sehr sie sich freuen, wenn sie mit Wildkräutern kochen und dann wissen: Wahnsinn, das habe ich alles selbst gesammelt. Das ist wie immer bei Handwerk, es schafft ganz viel Freude und Selbstvertrauen. Viele Großstädter kennen das nicht und ich freue mich total, wenn ich das miterlebe oder mir nachher Teilnehmer schreiben, was sie aus ihren Kräutern gemacht habe. Ich begleite auch alle gerne dabei, tiefer in das Thema einzusteigen. Wer Tipps für Bücher oder Blogs braucht, kann sich jederzeit bei mir melden.
Ich merke gerade, dass ich die Balance halten möchte: Ich will mein Wissen natürlich weitergeben und am liebsten viel mehr Kurse anbieten, aber gleichzeitig soll meine eigene Leidenschaft dabei nicht untergehen. Deshalb plane ich im nächsten Jahr eine Sommerpause, ich möchte viel reisen und dann auch unterwegs Kurse anbieten. Vielleicht kann ich dort, wo ich gerade bin, spontan Wildkräuter-Führungen veranstalten und im Gegenzug bei Einheimischen übernachten – es muss dabei ja nicht immer um Geld gehen. Aber für mich ist klar, dass Wildkräuter mein Thema sind und es auch bleiben. Deshalb ist es natürlich mein Traum, irgendwann hundert Prozent meiner Zeit in Wildesgrün zu stecken.
Ein Kommentar
Super cool! Das ist mal ein Trend nach meinem Geschmack 🙂