Vor drei Jahren entscheiden sich die Stylistin Ulla Doyen und die Finno-Ugristin und Rechtswissenschaftlerin Sandra von Ahn dazu, ihre bisherigen Jobs aufzugeben und in das Business ihrer finnischen Mutter mit einzusteigen. Statt den Laden „Kaisumari“ in Aurich in Niedersachsen zu übernehmen, holen sie das finnische Design in die Onlinewelt und gründen von Hamburg aus ihren eigenen gleichnamigen Onlineshop. Wir besuchen die Zwillingsschwestern, die in Ostfriesland aufgewachsen sind, in Ullas Gartenlaube in Hamburg-Bahrenfeld und sprechen mit ihnen über ihre Finnland-Faszination, Herausforderungen bei der Gründung und ihren Weg zu mehr Nachhaltigkeit im Leben. Außerdem erzählen sie von ihrer Bullerbü-Kindheit in Finnland, warum sie lieber mit weniger auf kleinem Raum leben, welche internen Work-Family-Regeln sie aufgestellt haben und wie der Schrebergarten zu ihnen gefunden hat.
Finn*innen nutzen die Natur zur Regeneration und sehen sich selbst als Teil des Ganzen.
Sandra von Ahn: Ich finde so toll, dass es in Finnland ganz normal ist, jeden Tag oder wenigstens dreimal die Woche Ausflüge in die Natur zu machen. Egal, wo du bist, du bist schnell im Wald. Die Finn*innen nutzen den Wald, sie gehen nicht einfach auf einem Weg spazieren, sondern gehen richtig hinein, zum Beeren oder Pilze Sammeln. Viele machen auch Orientierungsläufe. In Finnland findet eine Interaktion mit der Natur statt, ein Miteinander, und das gibt den Menschen total viel. Finn*innen nutzen die Natur zur Regeneration und sehen sich selbst als Teil des Ganzen.
Es ist natürlich schwierig, für ein gesamtes Land zu sprechen, aber grundsätzlich besteht ein großes Bewusstsein für Nachhaltigkeit, auch im Alltag. Wenn man das Haus verlässt, werden beispielsweise alle Stecker gezogen, weil die Geräte sonst immer noch Energie verbrauchen. Es ist dort ganz normal, solche Kleinigkeiten zu beachten. So haben wir das auch in unserer Familie gelernt. Und obwohl in Finnland so viel Platz pro Einwohner*in ist, dass die Finn*innen alle riesengroße Häuser bauen könnten, machen sie es nicht. Die Häuser sind alle relativ klein. Sie breiten sich nicht so aus und das finde ich super sympathisch.
Sandra: Unsere Mutter ist in den Siebzigern nach Deutschland ausgewandert. Wir waren meistens in unseren Ferien da, in den Frühjahrsferien mit Mama zum Skifahren und im Sommer mit der ganzen Familie. Meistens waren wir bei unseren Großeltern auf dem Bauernhof ganz im Norden an der Grenze zu Lappland – die hatten viele Tiere, es war ganz urig.
Das Haus hatte drei Eingänge und es roch so gut nach Holz. In dem einen Flur stand eine ganz lange Bank voller Gummistiefel – man hat immer einfach irgendein Paar genommen, das einigermaßen passte. Das war lustig.
Ulla Doyen: Im Winter lag der Schnee so hoch, wir haben riesige Iglus gebaut und Kerzenständer aus Eis gebastelt, das war unfassbar schön.
Sandra: Das finnische Design ist sehr naturverbunden und es wird traditionsgemäß viel Wert auf eine gute Qualität gelegt, auch bei jungen Designer*innen. Auch das Thema Nachhaltigkeit ist sehr präsent.
Ulla: Seit den Sechziger Jahren soll sich in Finnland jede*r richtig gut gemachte Sachen leisten können, die zeitlos sind und lange halten. Leute mit weniger Einkommen sollen keinen Trash kaufen müssen, der dann schneller kaputt geht, wodurch die ständige Wiederbeschaffung am Ende teurer ist.
Unsere Mutter hat das Geschäft letztes Jahr aufgegeben und ist in Rente gegangen. Als sie das Geschäft noch hatte, waren viele Leute, die mal in Finnland gewesen sind, verwundert, weil sie das Geschirr, was sie im Laden verkauft hat, zum Beispiel dort im Supermarkt gesehen hatten. Hierzulande ist das ja meistens von nicht so guter Qualität, aber in Finnland ist es so gedacht, dass sich jeder Haushalt das gute Geschirr leisten können soll. Deswegen gibt es dort die Marke “Iittala” im Supermarkt. Außerdem ist das finnische Design sehr von Kontrasten geprägt und von der Natur inspiriert: Die Kälte, die Mitternachtssonne, die Dunkelheit …
Sandra: Es gibt auch eine Verbindung zum japanischen Design, zum Minimalismus. Die Japaner*innen haben eine ähnliche Formensprache und einen ähnlichen Ansatz mit ihrem “Wabi-Sabi”: Lieber eine Sache pflegen und in Ehren halten, anstatt immer wieder etwas Neues zu kaufen.
Die größte Herausforderung ist der Schritt in die Selbstständigkeit gewesen: Du brauchst einen langen Atem und eine stärkende Familie im Rücken.
Sandra: Die größte Herausforderung ist der Schritt in die Selbstständigkeit gewesen: Du brauchst einen langen Atem und eine stärkende Familie im Rücken. Ich bewundere immer Menschen, die komplett alleine gründen. Das ist alles nicht so leicht. Ich bin happy, dass wir zu zweit sind und ich einen Partner habe, der mir den Rücken stärkt. Auch finanziell. Du machst ja nicht sofort Gewinne und musst erstmal eine Durststrecke überwinden. Man muss Geduld haben und dranbleiben, das finde ich herausfordernd, aber davor steht ja jede*r, die/der gründet.
Außerdem hast du keine Sicherheit, dass sich dein Einsatz nach zwei Jahren lohnen wird, du musst dir vorher überlegen, wieviel Zeit und Energie du bereit bist zu investieren, mit der Möglichkeit, dass das vielleicht auch alles umsonst war. Und es ist definitiv eine Herausforderung, das eigene Business und die Familie unter einen Hut zu bekommen, besonders mit kleineren Kindern.
Es fühlt sich nicht wie Arbeit an, wir könnten Tag und Nacht rumrödeln.
Ulla: Mein Job als Stylistin hat mir von der Materie her immer Spaß gemacht, aber teilweise hast du da auch Leute, mit denen es echt anstrengend ist.
Jetzt ist es so entspannend, du hüpfst morgens aus dem Bett und es macht so viel Spaß! Es ist schwierig, das im Zaum zu halten, die Arbeit mal beiseite zu legen und sich um die Familie zu kümmern. Es fühlt sich nicht wie Arbeit an, wir könnten Tag und Nacht rumrödeln. Es kommt auch tolles Feedback von den Kund*innen, wir können die Freude teilen. Damals habe ich eine Fotoproduktion abgeschlossen und nichts mehr mitbekommen. Jetzt bekommen wir direktes und oft sehr persönliches Feedback von unseren Kund*innen.
Sandra: Wir stellen langsam immer mehr Regeln auf, was wir zu Beginn nicht gemacht haben. Wir arbeiten zwei Tage die Woche ein bisschen länger, aber den Rest der Woche sind wir um 15 Uhr spätestens raus und dann ist Familienzeit. Auch das Wochenende ist Familienzeit. Man muss sich ein bisschen dazu zwingen, aber es ist total gut für einen selbst, so sieht man die Dinge wieder mit anderen Augen und es kommen neue Ideen.
Ulla: Wir haben begonnen, alles zu bündeln, beispielsweise sammeln wir die Bestellungen und verschicken nur noch an zwei Tagen in der Woche. Das läuft besser als wenn man ständig am Rotieren ist.
Ulla: Ich kann an einer Hand abzählen, wann wir uns mal gestritten haben. Als unser Vater letztes Jahr verstorben ist, waren alle ein bisschen angestrengt und da gab es wegen irgendeiner Kleinigkeit einen Disput. Da haben wir uns beide erschrocken, das kennen wir gar nicht von uns. Wir haben aber auch keinen Vergleich, wir wissen ja nicht, wie es mit anderen Geschwistern gewesen wäre. Wir waren immer eng verbunden und ich genieße es total. Wir kennen uns so gut und können uns daher gut einschätzen, es funktioniert prima!
Sandra: Das ist auch einer der Gründe, warum mir unser Projekt so viel Spaß macht: Wir können so gut als Team zusammenarbeiten.
Ich kaufe Klamotten nur noch, wenn ich wirklich etwas brauche. Es ist sehr schön, sich mit den Dingen zu umgeben, die einem viel Wert sind und einige wenige gute Sachen zu besitzen.
Sandra: Es ist ein großer Begriff und man muss das auch so umfassend sehen. Es geht um die Ressourcen der Erde, aber auch um eigene Ressourcen. Man sollte auch mit den eigenen Ressourcen schonend umgehen und überlegen, wie man sie Welt ein Stück besser machen kann. Nachhaltigkeit ist eine Ressourcenfrage.
Was unseren Einkauf angeht, haben wir viele verschiedene Firmen, die alle unterschiedliche Ideen zum Thema Nachhaltigkeit haben und auf ihre Weise ein Stück beitragen, dass die Welt ein bisschen besser wird. Die Firma „Myssyfarmi“ zum Beispiel arbeitet mit einem kleinen Dorf zusammen, in dem es zwei Farmen gibt, die uralte Rassen von Schafen züchten und sie wie Haustiere behandeln. Die haben alle einen Namen und werden vom ganzen Dorf betüddelt. Die einen kümmern sich um die Schafe, die anderen färben die Wolle auf natürliche Weise ein und die Omas sind am Stricken. Das finde ich so super cool, da geht es nicht nur darum, ob das Biowolle ist, sondern es ist ein kleiner Gegenentwurf, wie wir die Welt schöner gestalten können. Auch wenn klar ist, dass man das nicht auf die ganze Welt übertragen kann. Aber wenigstens die machen es da so und das gibt Hoffnung.
Ulla: Privat sind wir relativ genügsam unterwegs. Damals als Stylistin musste ich unheimlich viel shoppen und das hat mich immer gestresst. Nun shoppe ich kaum. Ich kaufe Klamotten nur noch, wenn ich wirklich etwas brauche. Es ist sehr schön, sich mit den Dingen zu umgeben, die einem viel Wert sind und einige wenige gute Sachen zu besitzen. Wir sind da relativ minimalistisch unterwegs und ich finde das total befreiend.
Sandra: Man gewinnt so viel, wenn man sich keine 200 Quadratmeter große Wohnung in Hamburg leisten muss. Wir kommen auf kleinem Raum total gut klar und dafür hat man Ressourcen für andere Dinge.
Sandra: Es fällt auf, dass pro Person immer mehr Platz beansprucht wird – das stresst die Familie, weil beide Geld ranschaffen müssen, um die Wohnung zu bezahlen und all die Kosten zu decken. Am Ende muss man sich doch fragen, ob das wirklich so sein muss. Es geht viel Zeit mit Arbeit verloren. Du steckst die Zeit in die Arbeit, um dir die Quadratmeterzahl leisten zu können, kommst nach Hause in die riesige Wohnung und bist total gestresst!
Ulla: Wir leben zum Beispiel zu fünft in einer 75 Quadratmeter Wohnung. Klar ist das eng, aber andererseits auch schön!
Beide: Wir sind uns immer einig! (lachen)
Ulla: Wir haben immer ähnliche Vorstellungen, gehen nach unserem Bauchgefühl und was wir selbst gut finden. Natürlich sind wir stark von unserer Mama beeinflusst und mit ihren Vorstellungen aufgewachsen, da klaffen die Ideen nicht weit auseinander.
Sandra: Wir gucken gerne abseits der bekannten Wege. Ulla hat gute Kontakte nach Helsinki zu Leuten, die sich für Design interessieren, da bekommt man so manches mit.
Ulla: Ich finde, wir haben eine spannende Mischung aus ganz traditionellen Sachen und jungem Design.
Mein Mann hatte sich vor acht Jahren auf die Warteliste für einen Schrebergarten setzen lassen. Er hatte das schon fast vergessen und bekam dann eine E-Mail, wir wären dann jetzt dran! (lacht)
Ulla: Mein Mann Sönke und ich haben ihn vor drei Jahren bekommen. Er hatte sich vor acht Jahren beworben und auf die Warteliste setzen lassen. Er hatte das schon fast vergessen und bekam dann eine E-Mail, wir wären dann jetzt dran! (lacht) Wir haben uns das Stück hier angeguckt, das Haus war total verhutzelt und zugebaut, aber in unserer Fantasie hatten wir uns gleich ausgemalt, wie schön es werden könnte.
Der Garten ist kein perfektes gärtnerisches Werk, sondern ein Naturgarten, hier darf wachsen, was möchte.
Der Schrebergarten war ein tolles Projekt für uns als Paar. Sönke ist Bauingenieur und baut einfach los, ohne dass wir groß etwas planen. Einmal rief er mich an und sagte, er habe jetzt eine Terrasse gebaut (lacht) … Es ist so ungezwungen und stressfrei, das macht es so schön. Der Garten ist kein perfektes gärtnerisches Werk, sondern ein Naturgarten – hier darf wachsen, was möchte. Er gibt viel her, weil er schon so lange besteht, wir müssen nur schauen, dass er nicht zuwuchert. Es ist unsere Chill-out-Zone für die ganze Familie. Im Sommer sind wir viel zum Feierabend hier und essen, machen ein Feuer und den Grill an. Wir haben mit den Kindern schon viele schöne Momente erlebt. Die lieben es, sich hier zu entspannen.
Ulla: Genau, eigentlich muss man einen dunklen Raum nicht unbedingt weiß streichen, ich finde es auch gemütlich, mit hellen Akzenten. Weniger ist mehr und daher arbeiten wir mit schönen natürlichen Materialien wie Holz, Leinen und Wolle. Viele schleppen ausgemusterte Sachen aus der Wohnung in die Gartenlaube. Ich finde es schöner, es mir gemütlich zu machen und mich mit schönen Accessoires wie einer Leinentischdecke, schönen Kissenbezügen und schönem Geschirr zu umgeben. Bei uns ist es daher ganz schön skandinavisch, das ist ja nicht jedem in die Wiege gelegt und muss nicht so sein. Ich mag es ganz gerne, es passt alles gut zusammen und man kann nicht viel falsch machen.
Sandra: Eine zeitlang hatten mein Mann und ich überlegt auszuwandern, er hätte sich für einen Lehramtplatz bewerben können, er ist zur Hälfte Ungar. Wir könnten also entweder nach Helsinki gehen oder nach Budapest oder in eine andere Stadt in den beiden Ländern. Da man sich aber nicht richtig aussuchen kann, wo man landet, haben wir es nicht gemacht.
Ulla: Kurz nach meinem Studium habe ich in Helsinki gelebt und gearbeitet. Zu dem Zeitpunkt hat auch Sandra dort gelebt. Für mich und meine Familie stand es aber nie wirklich zur Debatte, nach Finnland auszuwandern. Wir sind in Hamburg sehr verwurzelt, die Kinder gehen hier zur Schule. Sönke kann sich schon vorstellen, ins Ausland zu ziehen, wenn er nicht mehr arbeiten muss beziehungsweise die Kinder nicht mehr in der Schule sind. Ich kann mir eher vorstellen, ein Ferienhäuschen in Finnland zu haben.
Unsere Eltern hatten auch mal überlegt, auszuwandern, aber es ist generell unheimlich schwierig mit der Sprache. Wir verbinden Finnland mehr mit Urlaub. Unter dem sozialen Aspekt ist es für Familien toll, da zu leben, es herrscht ein anderer Lebensstandard und das Schulsystem ist besser. Ich habe schon oft bereut, dass unsere Kinder nicht in Finnland zur Schule gehen. Das Schulsystem ist unheimlich fortschrittlich, die Kinder können aufstehen und sich bewegen, wann sie wollen. Das Schulkonzept ist darauf ausgerichtet, dass der Mensch eigentlich nicht dafür gemacht ist, zu sitzen und sich stundenlang zu konzentrieren.
Fotos: Jasmin Göttling
Layout: Kaja Paradiek
2 Kommentare
Was für ein schöner Artikel, und er trifft das Wesen der beiden Schwestern sehr gut. Meine Lebensgefährtin hatte einen Artikel im Onlineshop der beiden entdeckt und ich habe ihn für sie bestellt. Ich bin aufs Angenehmste überrascht, dass es heute noch Unternehmen gibt, die mit soviel Herzlichkeit und Liebe zum Detail arbeiten. Eine handgeschriebene Karte mit Dank für die Bestellung???? Was für ein fantastisches Beispiel dafür, wie man ein Unternehmen führen kann, dass größten Wert darauf legt, mit seinen Kunden eine intensive „Beziehung und Bindung“ einzugehen. Es macht Hoffnung, dass noch andere Unternehmen umdenken und den Menschen wieder in den Mittelpunkt rücken. Erst danach bin ich dann auf diesen Artikel gestoßen. Und ich kann sagen, der trifft es in perfekter Weise. Ich wünsche den beiden alles erdenklich Gute und viel geschäftlichen Erfolg, denn so viel Engagement muss belohnt werden. Mit herzlichen Grüßen Jürgen K.
Vielen Dank für Ihren netten Kommentar. Wir freuen uns, wenn wir mit unserem Beitrag dem Online-Shop der Schwestern noch mehr Gesicht geben und Hintergrundinformationen zum Shop teilen konnten. 🙂