„EkelhAfD“, „Faschismus ist keine Meinung“ oder „AfD reimt sich auf Scheiße“ – mit diesen oder ähnlichen Plakaten gingen am Sonntag alleine in Berlin und Potsdam rund 25.000 Menschen gegen rechts auf die Straße. Auch in zahlreichen anderen deutschen Städten fanden Demonstrationen gegen die AfD statt. Auch Olaf Scholz und Annalena Baerbock nahmen teil. Einen Antrag auf Verbotsverfahren stellte der Bundeskanzler bisher jedoch noch nicht. Darüber, ob das längst überfällig ist oder ob das Verfahren der AfD nur noch mehr Aufwind geben würde, scheiden sich die Geister. femtastics Autorin Sarah Kessler wägt für uns die Argumente für und gegen ein AfD-Verbot gegeneinander ab.
Ein Verbot löst keine rechte Gesinnung in Luft auf.
Disclaimer: Mit einem AfD-Verbot ist das Problem nicht gelöst. Selbst, wenn es Erfolg haben sollte. Ein Verbot löst keine rechte Gesinnung in Luft auf. Die Bedrohung von rechts wird bleiben – und wird jedoch unsichtbarer, dadurch für Minderheiten konkret lebensbedrohlicher.
Dass bereits Pläne existieren, wie durch eine Regierung mit AfD-Beteiligung Gesetze auf legale Weise verändert werden können, die ein Machtvakuum begünstigen, ist lange bekannt. So könnte eine AfD-Regierung zum Beispiel zusätzliche Richter*innenstellen für das Bundesverfassungsgericht schaffen und diese aus den eigenen Parteireihen besetzen. Dafür braucht es lediglich eine einfache Mehrheit. Es können die staatlichen Rahmenverträge gekündigt werden, die bisher unabhängigen Journalismus garantieren. Diese Pläne existieren nicht erst seit dem von dem „correctiv“-Netzwerk aufgedeckten konspirativen Treffen der rechtsextremen Szene, an dem auch AfD-Mitglieder beteiligt waren. Doch spätestens seitdem muss auch der letzten Person klar sein: Wer schweigt, macht sich zur Mittäter*in!
Und: Solange die AfD als Partei existiert, erhält sie im Rahmen der Parteienfinanzierung sowohl öffentliche Gelder vom Staat und darf außerdem Großspenden von Privatpersonen annehmen. Das ist eine legale Finanzierung von Strukturen, die unsere Verfassung angreifen.
Schlägt sich die offen menschenfeindliche Politik der AfD in Form einer Regierungsbeteiligung nieder, ist es zu spät. Das darf nicht geschehen. Nicht wieder!
Natürlich kenne ich die Argumente auch derjenigen Demokrat*innen, die sich gegen ein solches Verbotsverfahren aussprechen. So zum Beispiel der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier. Denn: Die Hürden für ein Parteienverbot sind extrem hoch – natürlich zurecht!
Hier ist es wichtig, die erfolglosen NPD Verbotsverfahren zu reflektieren: 2003 (das wegen Verfahrensfehlern gescheitert ist) und 2017 (weil das Gericht die Demokratie aufgrund der politischen Bedeutungslosigkeit der NPD nicht hinreichend bedroht sah). Ein gescheitertes Verfahren würde der AfD vermutlich noch mehr Aufwind verschaffen und die Solidarität mit der AfD weiter erhöhen.
An der Verfassungstreue der AfD dürften so berechtigte Zweifel bestehen, dass ein Antrag begründbar ist.
Spätestens hier wird es kompliziert. Denn die AfD schreibt die Verfassungsfeindlichkeit nicht in die Parteiprogramme. Ein Verbot müsste sich auf verfassungsfeindliche Aussagen der Mitglieder beziehen. Die Recherchen von „correctiv“ können dafür ein wichtiges Indiz sein, das alleine aber noch nicht ausreicht.
Ja, es ist wichtig, die Erfolgschancen eines Verbotsverfahrens realistisch einzuschätzen. Und doch: An der Verfassungstreue der AfD dürften inzwischen so berechtigte Zweifel bestehen, dass ein Antrag begründbar ist.
Denn was dabei auch klar ist: Ein solches Verfahren ist langwierig. Vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, die im September anstehen, wird es nicht entschieden sein. Sollte es zu einem Verfahren kommen, wird es Jahre dauern, bis das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Uns läuft die Zeit davon!
Es verhindert die Möglichkeit der Regierungsbeteiligung und der Parteienfinanzierung. Es sind Babyschritte gegen den Faschismus, aber sie sind nötig, um die demokratischen Strukturen zu schützen.
Ein Parteiverbot verhindert die Möglichkeit der Regierungsbeteiligung und der Parteienfinanzierung.
Was auch klar ist: Selbst mit einem erfolgreichen Parteiverbot ist die antifaschistische Arbeit natürlich nicht getan. Der Anteil der Menschen, die nach einem Verbot schlicht wieder eine demokratische Partei wählen würden, ist nicht ausreichend groß. Zerschlägt man Strukturen, wandert die Bewegung in den Untergrund. Die Gefahr bleibt! Ein Verbotsverfahren kann nur den direkten Angriff auf die Verfassung und damit auf unsere Demokratie abfedern – ich möchte sagen: verschieben!
Und ein Gedanke zum Schluss: Petitionen für ein AfD-Verbot regeln das Problem nicht – vor allem nicht die viel geteilte Petition, die über die Website „innit“ läuft. Denn nur Petitionen, die über die offizielle Website des Bundestages eingereicht werden, sind rechtsbindend und müssen behandelt werden. Unterschreibt alle gerne – oder lasst es bleiben. Es macht keinen Unterschied.
Symbolischer „Instagram“-Aktivismus reicht schon längst nicht mehr.
Symbolischer „Instagram“-Aktivismus reicht schon längst nicht mehr. Es braucht Bildungsinitiativen, antifaschistische Demonstrationen und Haltung: in Diskussionen und Gesprächen, im Kleinen (also im privaten Umfeld) und im Großen (wir sehen uns auf der Straße!).
Autorin: Sarah Kessler
Foto: Adobe Stock
Ein Kommentar
Danke für die sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema. So oder so, wichtig ist die Solidarität mit den von den Vertreibungsphantasien betroffenen Menschen und das Einstehen für die Demokratie, wo immer nötig.