Alexandra Zykunov: Wann sind wir denn jetzt gleichberechtigt?

10. Januar 2024

Das direkt vorweg: Nein, wir sind leider noch immer nicht gleichberechtigt. Journalistin Alexandra Zykunov kennt alle Zahlen, die das belegen – ganz egal, in welchem Lebensbereich. Bei der Recherche für ihr neues Buch „Was wollt ihr denn noch alles?!“ dazu, welche Zahl eigentlich am schockierendsten ist, konnte sie sich gar nicht entscheiden. Wir stellen euch in unserer neuen Podcast-Episode einige Gender Gaps vor (wetten, dass ihr noch gar nicht alle kennt?) und versuchen einen Ausblick darauf zu wagen, was wir tun können, um endlich mehr Gleichberechtigung zu erreichen (Spoiler: Information ist der erste wichtige Schritt!). 

femtastics: Wie blickst du auf das Jahr 2024? Was stimmt dich persönlich positiv?

Alexandra Zykunov: 2024 kann nur besser werden als 2023. Aber genau das dachte man ja auch schon von 2023. Wahrscheinlich zeigt das einfach, dass wir Menschen sehr optimistisch sind oder naiv, je nachdem. Es gab ja in Bezug auf Frauen* und Gleichstellung 2023 sowohl Pushbacks als auch vorwärtsgewandte Schritte. Ich hoffe, dass wir 2024 noch mehr solcher vorwärtsgewandten Schritte erleben werden.

Es ist heftig, wie wenig man darüber weiß, wie schlecht es tatsächlich aussieht.

Wir möchten heute mit dir über das Thema Gleichberechtigung und dein neues Buch sprechen. In dem schreibst du, dass du dir im Vorfeld überlegt hast, welche Zahlen zur fehlenden Gleichberechtigung wohl am schockierendste für deine Leser*innen sein könnten, um sie direkt am Anfang zu fesseln. Und deine Antwort war: alle. Sieht es wirklich so schlecht aus in Bezug auf die Gleichberechtigung?

Es ist heftig, wie wenig man darüber weiß, wie schlecht es tatsächlich aussieht. Das ist fast das Schockierende daran, denn würden wir jetzt nur unter uns sprechen, würden wir wahrscheinlich sagen: Na ja, es gibt bestimmte Aspekte, die nicht so cool sind. Der Gender Pay Gap mit 18 %, das ist nicht so cool. Dass jede dritte Frau* in Deutschland in ihrem Leben Gewalt erleben wird in ihrer Beziehung, ist nicht so cool – um es mal lapidar auszudrücken, das ist sogar ziemlich schrecklich. Aber wir würden denken: Ja, okay, Bezahlung und Gewalt gegen Frauen* – aber grundsätzlich sieht es doch ganz gut aus. Wir sind doch auf dem richtigen Weg!

Selbst mir, die sich mit den Themen seit Jahren beschäftigt, waren die Abgründe überhaupt nicht bewusst. Zum Beispiel in der Medizin, also, dass eine Frau* eine 32% höhere Wahrscheinlichkeit hat, bei einer Operation zu sterben, wenn sie von einem männlichen Chirurgen operiert wird. Oder, dass Medikamente grundsätzlich am europäischen, weißen, heterosexuellen Mann* erprobt werden und damit Zyklen, Wechseljahre, Hormone, Schwangerschaft und Co. überhaupt nicht mitbedacht werden. Was zur Folge hat, dass manche Medikamente bei Frauen* gar nicht funktionieren oder sogar Nebenwirkungen hervorbringen und nicht helfen. Sowas kann lebensgefährlich für Frauen* sein.

Wir brauchen in Deutschland noch in etwa 131 Jahre, um wenigstens den Gender Pay Gap auszuhebeln, also dass Männer* und Frauen* gleich viel verdienen.

Wie weit sind wir von der Gleichberechtigung entfernt in Deutschland?

Wir brauchen in Deutschland noch in etwa 131 Jahre, um wenigstens den Gender Pay Gap auszuhebeln, also dass Männer* und Frauen* gleich viel verdienen. Das werden wir also nicht mehr erleben, und unsere Kinder auch nicht. Wir können uns auch andere Bereiche anschauen, Politik zum Beispiel. Aktuell sind 91% aller Bürgermeister*innen männlich in Deutschland. Ein anderes Beispiel: 75% aller Professuren an Universitäten sind männlich besetzt.

Wut ist ein Gefühl, das Frauen* per se aberzogen wird.

Am Anfang deines Buches beschreibst du eindrücklich deine eigene Wut. Und, dass diese dich nicht lähmt, was vielleicht einige annehmen könnten. Wut kann nämlich durchaus konstruktiv sein. Kannst du noch mal erläutern, warum Wut für dich so wichtig ist?

Wut ist ein Gefühl, das Frauen* per se aberzogen wird, Mädchen haben nicht wütend zu sein. In der Schule werden Jungs gern neben das ruhige Mädchen gesetzt, damit sie so ein bisschen runterkommen. Was übrigens für Mädchen ganz schön krass ist, weil sie dann teils hibbelige Jungs neben sich haben, die sie stören.

Wir kennen das auch vom politischen Parkett, Frauen* sind hier oft die Deeskalierenden in der Politik, sind oft für diplomatischen Beziehungen zuständig. Das ist auch in Ordnung, aber ganz grundsätzlich werden Frauen* und Wut nicht gern zusammen gesehen, man gilt als Frau* schnell als „Zicke“. Oder es ist von „Stutenbissigkeit“ die Rede, komischerweise gibt es aber keine „Hengstbissigkeit“. Männer* werden als „durchsetzungsstark“ betitelt und Frauen* sind „anstrengend“, „zickig“, „hysterisch“ oder „haben ihre Tage“.

Deswegen bin ich gerne wütend. Einfach, um es nach außen zu tragen. Wut kann man kanalisieren.

Und man kann die Wut nutzen, um gegen Missstände vorzugehen?

Jede*r Einzelne von uns kann etwas tun. Wir sind alle Teil des Systems. Wir alle arbeiten in irgendeiner Form mit Menschen zusammen. Zum Beispiel als Lehrer*in, der*die Einfluss nehmen kann. Welche vielleicht veralteten Rollenklischees, Lehrbücher oder Arbeitsblätter lege ich meinen Schulkindern vor und welche vielleicht nicht? Wenn ich Erzieher*in bin, sage ich dann zu einem Jungen, der eine Glitzerhose an hat: „Das ist nur was für Mädchen!“ Oder verkneife ich mir solche Sprüche?

Wir alle sind in der Lage, in unserem kleinen System Dinge zu hinterfragen und vielleicht anders zu machen oder solche Klischees nicht mehr weiter zu tradieren. Hier hilft die Wut sehr, um sich erstmal überhaupt darüber klar zu werden, dass diese Ungerechtigkeiten existieren.

Das ganze Interview mit Alexandra Zykunov hört ihr in unserer Podcast-Episode!

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Foto: Hans Scherhaufer

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