Sie ist jung, afrodeutsch und wurde gerade zur Vizepräsidentin des Landtags Schleswig-Holstein gewählt. Die Neumünsteranerin Aminata Touré, 26, setzt sich als Landtagsabgeordnete bei “Bündnis 90/Die Grünen” politisch für die Themen Frauenrechte, Jugend- & Queerpolitik, Anti-Rassismus und Migration ein. Wie ihr Weg in die Politik war, was die täglichen Herausforderungen in ihrer Arbeit sind und was jede*r gegen Rassismus tun kann, erzählt die Politikwissenschaftlerin uns im Telefoninterview.
Jeder Mensch ist politisch und zwar genau in dem Moment, in dem sie oder er eine Meinung zu einem Thema hat.
femtastics: Wann und warum ist Ihr politisches Engagement gestartet? Gab es einen Auslöser?
Aminata Touré: Ich habe ein Praktikum beim Flüchtlingsbeauftragten des Landes Schleswig-Holsteins gemacht und gemerkt, dass bestimmte Dinge in der Flüchtlingspolitik problematisch sind. Es hat für mich absolut Sinn ergeben, selbst politisch zu werden, um etwas zu ändern.
Sie sind dann bei der Partei “Bündnis 90/Die Grünen” eingetreten. Welche Eigenschaften braucht es, um im politischen Betrieb klarzukommen?
Man muss die Angst davor verlieren, dass man bestimmte Dinge nicht weiß. Alles ist erlernbar und das politische System in Deutschland ist so angelegt, dass jede*r, die oder der die deutsche Staatsbürgerschaft hat und volljährig ist, für das Parlamenten kandidieren kann – im politischen Betrieb sogar noch früher und ohne deutsche Staatsbürgerschaft.
Gerade junge Menschen schrecken dennoch aus verschiedensten Gründe davor zurück, sich politisch zu engagieren. Was können Sie dem entgegensetzen?
Viele denken, da habe ich nichts zu melden, ich lese nicht täglich Tageszeitung, ich habe nicht studiert, ich darf da nicht mitmischen. Dazu sage ich immer: All das ist keine Grundvoraussetzung, sondern lässt sich erlernen. Jeder Mensch ist politisch und zwar genau in dem Moment, in dem sie oder er eine Meinung zu einem Thema hat. Das ist der Beginn vom politischen Agieren und deswegen hat jede*r ein Recht darauf, sich politisch einzubringen.
Credit: Sven Wied
Was hält insbesondere Frauen davon ab, sich politisch zu engagieren?
Es gibt sehr viele Frauen, die das bereits tun, sie werden nur nicht stark genug repräsentiert. Gleiches gilt beispielsweise für Menschen mit Migrationshintergrund oder Behinderung. Das Problem sind die abschreckenden Strukturen. Politik ist ein männerdominierter Bereich und es ist anstrengend, sich durch diese Strukturen durchzukämpfen, widerstandsfähig sein zu müssen und gleichzeitig an politischen Inhalten zu arbeiten.
Als Teil einer Gruppe, die Diskriminierung erfährt, macht man den doppelten Teil einer Arbeit. Auf diese Anstrengung hat verständlicherweise nicht jede*r Lust. Dann gibt es Leute, die diese Arbeit machen, in diese Räume reingehen und kämpfen, das ist aber sehr energieraubend – zumal es immer wieder die gleichen Kämpfe sind.
Warum haben Sie sich dennoch für diesen politischen Weg entschieden?
Erstmal habe ich mich entschlossen, in eine feministische Partei einzutreten. Das heißt nicht, dass ich die eben beschriebenen Kämpfe nicht trotzdem führen muss – sowohl in der eigenen Partei als auch außerhalb der Partei. Auseinandersetzungen müssen geführt werden. Ich habe außerdem 2016 beschlossen einen Junggrünen Frauen*stammtisch zu gründen, bei dem wir uns austauschen, diskutieren und empowern. Das Ziel ist, gestärkt rauszugehen. Nun kann nicht jede*r einen Stammtisch gründen oder daran teilnehmen, aber ich empfehle immer, sich mit anderen zusammenzutun, die ähnliche Erfahrungen machen. Das Schlimmste ist zu denken, man sei allein mit seinen Erfahrungen. Sobald man merkt, dass da noch mehr sind, entwickelt man ein anderes Selbstverständnis und eine andere Widerstandsfähigkeit.
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Wie ist es, die zweitjüngste Abgeordnete im Landtag zu sein: Müssen Sie sich Respekt erkämpfen?
Ich wurde gerade vom Parlament als Vizepräsidentin gewählt, das wäre vermutlich nicht passiert, wenn ich diesen Respekt nicht hätte. Wenn kein Mensch dich kennt, muss du dir am Anfang natürlich im Parlament Respekt erarbeiten, das ist ganz normal. Aber es ist für mich nicht vorderrangig, die Leute von mir als Person zu überzeugen. Die müssen sowieso damit leben, dass ich da bin. Viel wichtiger ist es, ein Vertrauensverhältnis und eine Glaubwürdigkeit den Leuten in Schleswig-Holstein gegenüber aufzubauen.
Wie gelingt das?
In dem ich den Menschen vermittle, dass ich für sie erreichbar bin, sie mit mir Termine machen und über die politischen Themen reden können, die ich vertrete. Ich bin mit ihnen immer im Austausch.
Was sind Ihre Aufgaben als frisch gewählte Vizepräsidentin des Landtags Schleswig-Holstein?
Ich bin zusammen mit dem Landtagspräsidenten für die Sitzungsleitung zuständig. Es geht darum, die Plenarsitzung zu leiten und den Ablauf zu organisieren. Also die Redezeiten einzuhalten, dazwischen zu gehen, wenn es zu laut wird, Fragen zuzulassen, die Rednerinnen nach vorne rufen. Dazu kommen offizielle Termine, ich durfte beispielsweise bei dem Treffen mit der dänischen Königin mit dabei sein. Es geht also auch darum, das Parlament nach Außen zu vertreten.
Credit: Jan Gemkow
Es gibt so viele Themen, die Engagement erfordern und für die Sie sich engagieren: Anti-Rassismus, Feminismus & Frauenrechte, Queer, Klimawandel, Kinder & Jugend – welche politischen Schwerpunkte setzen Sie und wie wählen Sie diese aus?
Ich habe bei “Bündnis 90/Die Grünen” mit dem Profil für Migration und Feministische Themen kandidiert, die Sprecherposition habe ich in der Fraktion bekommen und konnte die Agenda des Wahlprogramms verhandeln. Unter anderem setze ich mich dafür ein, dass alle Frauenhäuser in Schleswig-Holstein saniert werden. Außerdem mache ich mich stark für den Aktionsplan gegen Rassismus, der hat es auch in den Koalitionsvertrag geschafft. Dann gibt es noch das Humanitäre Aufnahmeprogramm, im Rahmen dessen 500 Geflüchtete nach Schleswig-Holstein kommen. Ein weiterer Schwerpunkt, den ich mir gesetzt habe, ist die Sicherheit von Frauen als innenpolitisches Thema. Ich möchte die Relevanz der Thematik anheben und neue Inhaltskonzepte entwickeln.
Ohne die afrodeutsche feministische Bewegung wäre ich nicht mit dem Selbstverständnis, was ich für mich entwickelt habe, in die Politik gegangen.
Ein weiteres wichtiges Thema in Ihrer Arbeit ist Feminismus, insbesondere der Schwarze Feminismus. Wie ist hier der Status Quo in Deutschland?
Für mich ist eher die Frage, wie der Mainstream Feminismus unterschiedliche feministische Bewegungen als Teil des eigenen Kampfes wahrnimmt. Die afrodeutsche Frauenbewegung gibt es bereits seit den Achtziger Jahren in Deutschland mit vielen Aktivistinnen, Expertinnen und Wissenschaftlerinnen, die seit Jahrzehnten Pioniersarbeit leisten.
Die aber leider nicht so sichtbar ist, wie sie sein sollte.
Genau und hier ist eben die Frage, wie viel Raum im Feminismus den schwarzen oder beispielsweise auch muslimischen Feministinnen überlassen wird. Also allen, die andere Erfahrungswerte haben als der Feminismus, der sichtbar ist. Ich glaube, dass der Schwarze Feminismus immer sichtbarer wird – dank der Vorarbeit der Akteurinnen der Achtziger Jahre. Ohne die afrodeutsche feministische Bewegung wäre ich nicht mit dem Selbstverständnis, was ich für mich entwickelt habe, in die Politik gegangen.
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Wie bedrohlich empfinden Sie gesamtgesellschaftlich die aktuelle Situation rund um rechtsextreme Gewalt und Rassismus?
Es gibt einen guten Artikel in “Die Zeit”, in dem mehrere People of Color beziehungsweise Menschen mit Migrationshintergrund beschreiben, wie die Situation für sie in Ostdeutschland gerade aussieht, besonders nach den Wahlen. Dass sich all die Formen von Rassismus und Rechtsextremismus in einer Partei vereinigt haben, war für mich unter anderem ein Grund, politisch etwas entgegenhalten zu können und zu müssen.
Rassismus und rechtsextreme Gewalt ist schon immer da gewesen und nicht neu aufgeploppt, beides verschärft sich allerdings immer weiter. Die Frage ist, ob das allen bewusst ist? Betroffene sind sich immer im Klaren über die Situation, da gibt es keinen Schockmoment. Sie haben schon immer rassistische Erfahrungen machen müssen, es wurde ihnen nur nicht geglaubt oder es wurde zerredet. Jede*r sollte sich fragen, ob sie oder er genügend Energie und Kraft aufbringt, um Rassismus etwas entgegenzusetzen. Ich bin der Meinung – und deswegen ist der Aktionsplan gegen Rassismus auch so wichtig für mich – dass wir die Gesellschaft gegen Rechts und gegen Rassismus immunisieren müssen.
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Die Frage ist: In welcher Zeit leben wir eigentlich gerade und was kann mein persönlicher Beitrag sein?
Was kann jede*r gegen Alltagsrassismus tun?
Zuhören, sehen und erkennen – und nicht immer gleich in Erklärungsansätze abdriften, warum Menschen rassistische Begriffe benutzen oder sich rassistisch verhalten. Es ist wichtiger, denjenigen zuzuhören, die sich tatsächlich damit auseinandersetzen, das persönlich erleben und vielleicht sogar wissenschaftlich dazu arbeiten. Rassismus ist ja kein gefühltes Phänomen, sondern es gibt Studien und Wissenschaften dazu. Es gibt Anti-Rassismusexperten wie Tupoka Ogette, die unterwegs sind und versuchen, strukturell dagegen anzugehen. Die „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Bund e.V.“ macht auf Rassismus aufmerksam oder „Die neue deutsche Organisation“ und noch viele mehr. Das kann man googeln und sich schlau machen. Keine*r kann sich heute damit rausreden, sie oder er hätte das nicht gewusst. Es ist nicht jede*r Experte, aber der Zugang zu antirassistischen Organisationen ist leicht.
Außerdem sollte sich jede*r fragen: Wo stehe ich in dem System? Welche Privilegien habe ich? Und welche Privilegien haben andere nicht? Das gilt für mich genauso: Ich habe vielleicht bestimmte Erfahrungen nicht, weil ich beispielsweise nicht transgeschlechtlich bin, dennoch kann ich hier die Augen offen halten, zuhören und versuchen zu verstehen – und nicht als erstes sagen: Ich sehe das aber anders. Viele Menschen wollen gar nicht mehr von ihren individuellen Erfahrungen berichten, weil sie immer gleich in eine Abwehrschlacht geraten. Das ist total anstrengend und ehrlich gesagt auch respektlos diesen Menschen gegenüber.
Und ganz einfach: Keine Rassisten wählen! Ich bin ein Mensch, der so erzogen wurde, dass jede*r von uns etwas aktiv machen kann. Ich bin kein Mensch, der darauf wartet, dass jemand anderes mir sagt, was ich machen soll. Die Frage ist: In welcher Zeit leben wir eigentlich gerade und was kann mein persönlicher Beitrag sein? Das kann sein in einer NGO mitzuwirken, Mitglied einer Partei zu werden oder auf der Straße Paroli zu bieten, wenn jemand angefeindet wird. Jede*r kann etwas tun und jede*r ist auch gezwungen, etwas zu tun. Es nützt nichts, sich vom Sofa aus zu sagen, alles ist voll dramatisch und sich dann mit Leuten, die die gleiche Meinung teilen, zu vergewissern, dass man selbst nicht so unkorrekt unterwegs ist. Das ist zu wenig. Wir müssen proaktiv etwas tun.
Absolut! Vielen Dank für das Gespräch, Frau Touré.
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