Sie ist Zeit des Umbruchs, Zeit der Sinnsuche, Zeit der körperlichen und seelischen Veränderungen – und manchmal hört sie gefühlt nie auf. Die Pubertät ist und bleibt eine Phase voller Herausforderungen vor allem für die Pubertierenden, aber auch für die Eltern und das Umfeld. Mädchen haben dabei noch mal ganz andere innere Konflikte, Sorgen und Ängste. Die approbierte Hamburger Kinder- & Jugendlichenpsychotherapeutin Annalena Thomas hat mit Blossoomm einen Raum geschaffen, der mit Hilfe von Workshops und Yoga das Selbstwertgefühl junger Mädchen stärkt. Hier können sie sein, wie sie sind, bekommen Feedback jenseits von Äußerlichkeiten und entwickeln ein Gruppengefühl, das Selbstvertrauen gibt. Wir sprechen mit Annalena Thomas darüber, wie komplex die Welt heute für Teenager zwischen Instagram und Fridays for Future ist, wie viel Selbstreferenz für Frauen gesund ist und wie Eltern Kinder in der Pubertät unterstützen können.
Bei Klein und Groß ist wenig Raum da, um sich mit dem Inneren zu beschäftigen. Was für Wünsche habe ich? Was sind meine Träume?
Wir treffen Kinder – und Jugendlichenpsychotherapeutin Annalena Thomas in ihrem Workshop-Raum in Hamburg-Eimsbüttel.
Annalena Thomas: Der Platz wird immer kleiner. Ich erlebe sowohl in meiner Praxis als auch privat, dass bei Klein und Groß wenig Raum da ist, um sich mit dem Inneren zu beschäftigen. Was für Wünsche habe ich? Was sind meine Träume? Wer bin ich eigentlich und was will ich schaffen? Das ist besonders wichtig im Teenageralter: Zu überlegen, wer bin ich – und wer bin ich nicht. Nur so kann sich ein stimmiges Selbstbild entwickeln und gleichzeitig die Frage beantwortet werden, wo mein Platz in dieser Welt ist. Es fehlt der Freiraum, sich frei zu fühlen.
Jede*r beschäftigt sich mit dieser Frage und bemerkt eine Ambivalenz. Aus Kinderperspektive sind die Räume kleiner geworden. Wir sind eine Leistungsgesellschaft, Leistung ist das Wichtigste. Ab der ersten Klasse merken Kinder, dass sich die Welt plötzlich schneller dreht. Dadurch, dass wir Eltern mehr arbeiten, haben Kinder längere Schulzeiten. Das hat auch positive Auswirkungen – es ist nie schwarz/weiß – aber zeitlich gesehen fehlt es an Freizeit. Zum Beispiel gibt es kaum Zeit für Langeweile. Dabei ist Langeweile als Stimmung total wichtig. Gerade auch um kreativ werden zu können, um Sachen auszuprobieren und rauszufinden, worauf ich eigentlich Bock habe und was mir liegt.
Unternehmen müssen dafür Sorge tragen, dass Männer sich nicht mehr schämen, Elternzeit zu nehmen oder in Teilzeit zu gehen.
Ich erlebe in der Praxis oft, dass Kinder sehr früh aufstehen, in der Schule sind – die ganze Zeit unter einem gewissen Geräuschpegel, danach etwas mit Freunden unternehmen und dann komplett fertig ins Bett fallen. Sie kommen abrupt zum Stillstand und dann macht Langeweile Angst, sie fühlt sich wie Leere an.
Deutschland hat hier ein großes Problem. Männer müssen viel mehr ins Boot geholt werden. Unternehmen müssen dafür Sorge tragen, dass Männer sich nicht mehr schämen, Elternzeit zu nehmen oder in Teilzeit zu gehen. Und ja, Finnland ist ein super Beispiel – verringerte Arbeitszeit ist ein richtiger und wichtiger Schritt. Aber Frauen sollen sich auch von Schuld- und Schamgefühlen lösen. Es gibt hier kein richtig oder falsch: Manche Frauen wollen noch nicht zurück zur Arbeit und lieber bei den Kindern bleiben. Andere Frauen betrachten die Arbeit als wichtigen Teil ihrer Identität oder müssen schlichtweg aus wirtschaftlichen Gründen früh wieder zurück in den Job.
Eine beliebte Methode in den Blossoomm Workshops ist das Journaling.
Jedes Mädchen und eigentlich jede Frau beschäftigt sich mit der Frage: Reiche ich? Bin ich genug?
Ab 10 Jahren geht es ungefähr bei Mädchen los, bei Jungs ab 12 – hormonell und mit den körperlichen Veränderungen. Das ist aber natürlich bei jedem unterschiedlich. Mit spätestens 19 Jahren ist sie meistens vorbei. Viele Teenager sagen dann, dass sie wieder bei sich sind und gar nicht genau wissen, was da eigentlich los war. Tatsächlich ist die Zeit zwischen Jugendzeit und Erwachsensein heute allerdings deutlich verlängert und kann bis 27 Jahre anhalten. Das nennt man „Emerging Adulthood“.
Jedes Mädchen und eigentlich jede Frau beschäftigt sich mit der Frage: Reiche ich? Bin ich genug? Männer beschäftigen sich auch mit der Frage, aber anders. Frauen haben ein vollkommen übertriebenes Ich-Ideal und sehr hohe Ansprüche an sich selbst, die schnell zu Scham und Schuldgefühlen führen. Wir werden oft von klein auf so erzogen, zu gefallen – Mamas, Papas, Lehrern etc. – und der Norm zu entsprechen. Diese Ansprüche internalisieren wir und pflegen diese als Idealbilder von uns selbst weiter. Dazu kommt der Leistungsdruck der Schule, der im letzten Jahrzehnt noch größer geworden ist, sowie Instagram, TikTok oder Snapchat. Soziale Medien sind ein großes Thema: Habe ich genügend Freunde? Was machen meine anderen Freunde? Gehöre ich dazu? Bin ich attraktiv genug? Studien zeigen mittlerweile, dass Instagram einen negativen Effekt auf unseren Selbstwert und unser Selbstbewusstsein hat.
Genau. Probleme in der Familie oder Freundschaften, die auseinander gehen zum Beispiel. Prüfungsangst ist auch ein Thema.
Annalena Thomas ist leidenschaftliche Yogini und Yoga-Lehrerin.
Sie können zunächst die Rückmeldung geben, dass Stimmungsschwankungen und körperliche Veränderungen normal sind und somit ein Bewusstsein schaffen, dass es eben normal ist, sich anders zu fühlen. Es ist eine Phase, in die man reinwachsen darf. Generell ist es wichtig, möglichst nicht zu werten. Eltern sollten neugierig fragend sein und die Wünsche, Motive und Gefühle des Kindes erkennen. So können sie eine Brücke bauen zwischen sich und dem Kind.
Was hier vielleicht hilft, sind die magischen 30 Prozent. Diese Zahl stammt aus der Wissenschaft und besagt, dass wenn 30 Prozent der Interaktionen Bindungs-gut gelingen, ist das vollkommen ausreichend. Dann entwickelt sich ein prächtiges Kind. Das sollten sich Eltern öfters vor Augen führen. Sowohl in der Zeit 0 bis 3 Jahre als auch in der Pubertät brauchen Eltern unbedingt Entlastung. Holt euch Unterstützung und entwickelt auch Verständnis für euch selbst!
Holt euch Unterstützung und entwickelt auch Verständnis für euch selbst!
Der Zeitfaktor ist hier wichtig. Stimmungsschwankungen und depressive Phasen des Rückzugs, also die Sinnfrage, aber auch Überperfektionismus sind normal während der Pubertät. Wenn das Bauchgefühl der Eltern aber sagt, dass es sich nicht mehr um eine Phase handelt, die zwei bis drei Wochen anhält, sondern das sich festsetzt und vier bis sechs Wochen anhält, dann sollte man hellhörig werden. Kinder geben immer Feedback, manchmal im Stillen, manchmal in Worten. Spätestens, wenn sie sagen, dass sie selbst nicht mehr aus der Phase kommen und das Familiengespräch oder Hobbies nicht helfen, sollte man externe Hilfe holen. Die Experten können dann nach einem Erstgespräch einschätzen, ob eine ambulante Therapie sinnvoll ist – dann kann man immer noch entscheiden, ob man das möchte. Wichtig ist, dass Kinder selbstbestimmt entscheiden.
Meine Grundhaltung ist: Du darfst kommen, wie du bist. Wenn jemand sich selbst lange ignoriert und wenig Zeit hat, um zur Ruhe zu kommen, dann meldet sich irgendwann der Körper oder die Seele. Bei Blossoomm darfst du immer kommen, egal, wie du dich an dem Tag gerade fühlst. Du darfst mit deinen Ängsten und Sorgen hier sein, ohne etwas machen zu müssen. Ich nehme also erstmal Druck raus. Dann gibt es wunderschöne selbstwertstärkende Methoden und Yoga, was gerade für junge Mädchen super ist.
Die Grundsätze vom Yoga sind: Ich bin mir selbst gegenüber offen, ich mag mich, ich schätze mich, ich muss nichts leisten, ich vergleiche mich nicht. Ich gebe den Mädchen ein Gruppengefühl, was fern vom Ego ist. Wenn ich mich schützen will, verstecke ich mich hinter meinem Ego: fake it, till you make it. Das kann Sinn machen, aber hier geht es darum, sich anderen zu öffnen. Feedback von anderen zu bekommen ist total wichtig – fernab von äußeren Merkmalen. Die Mädchen fühlen, wie andere sie sehen und trauen sich, Komplimente zu machen und anzunehmen. Wenn ich einen festen inneren Kern habe, kann mich nichts so schnell aus der Bahn werfen. Das möchte ich den Mädchen mitgeben.
In der Pubertät muss ich erstmal wissen, wer ich bin. Ständige Fokussierung auf dich selbst bringt aber natürlich nichts, ich muss immer in die Welt rausgehen. Wenn ich immer nur den Blick auf mich selbst richte, hängt alles von mir ab und es entsteht total viel Druck.
In meinem Umfeld beobachte ich, dass es vermehrt den Impuls gibt, Frauennetzwerke zu gründen – vor allem in der Wirtschaft. Du meinst natürlich noch das Tiefere. Ich denke, dass es uns allen ein inneres Bedürfnis ist, Teil einer größeren Gesellschaft oder Community zu sein. Wir haben das durch die Individualisierung etwas verloren, gerade in den Großstädten wurden wir total separiert. Das ist nicht gut, weil so der Druck entsteht, dass ich immer allein alles schaffen muss. Dabei ist es total inspirierend, sich anderen gegenüber zu öffnen und von Verletzlichkeiten zu erzählen. Das macht anderen Mut. Wir sind alle Menschen mit Höhen und Tiefen. Daraus lernen wir. Ich finde, es wird gerade mehr Trend, sich anderen zu öffnen und Communities zu bilden. Hier darf aber noch mehr passieren: Erfolge gemeinsam feiern, sich für andere freuen, weniger Konkurrenzdenken, über Fehler sprechen, Hilfe holen.
Das Problem unserer Zeit ist: Wir sehnen uns nach Echtheit und brauchen Tools, um das überhaupt wieder zu lernen.
Das Problem unserer Zeit ist: Wir sehnen uns nach Echtheit und brauchen Tools, um das überhaupt wieder zu lernen. Dank der Digitalisierung gibt es viele Möglichkeiten, sichtbarer zu werden und sich digital und im echten Leben zu vernetzen. Bei den jungen Mädels ist das aber noch nicht so. Sie haben diese Vorbilder, gerade auf Krisensituationen bezogen, nicht. Wir brauchen Sturm um alte Strukturen abzuschütteln. Wenn ich genug Resilienzen habe, um die Krise durchzustehen, kann ich daran wachsen und gestärkt herausgehen.
Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs. So, wie wir bisher gelebt haben, klappt es nicht mehr, vor allem nicht für die nachkommenden Generationen. Die gehen zurecht auf die Barrikaden – aber nicht nur aus einem Angstimpuls heraus. Hoffnung ist hier ebenfalls ein Antrieb.
Voll nicht! Es geht nicht um Neid. Die Nachfolgegeneration hat schiere Angst. Entwicklungspsychologisch ist Angst ein wichtiges Thema in der Pubertät. Die Pubertät ist eine Baustelle mindestens so groß wie die Elphi. Die Stirnlappen wachsen und die brauche ich, um weitsichtig denken und Lösungen finden zu können. Deswegen reagieren Teens impulsiver und können ihre Gefühle manchmal gar nicht steuern, einige entwickeln Autoaggressionen. Jugendliche sind suchend nach Sinn und offen für philosophische Themen. Sie kriegen Nachrichten aus aller Welt in Echtzeit mit, ungefiltert. Hier von Neid zu sprechen, finde ich anmaßend – das ist sowieso kein kindertypisches Denken.
2 Kommentare
Tolles Interview mit einer tollen Frau!
Hi Anna, ich bins, Corinna aus der Ambulanz in Göttingen. Was für eine wunderbare Sicht auf Mädchen und Frauen und toll, was du (ihr) da aufgebaut habt.
Stolze Grüße
Corinna