Autor und Journalist Fabian Hart arbeitete jahrelang für zahlreiche Print-Titel – auch für Männermagazine, bei denen es inhaltlich „immer auf dieselbe Nummer hinauslief: Fußball, Autos, Grillen, Sixpack, Männerpflege in Stahl-Optik.“. Er entschied sich, diesem stereotypen Männerbild ein neues Verständnis von Männlichkeiten entgegenzusetzen – freier und vielschichtiger. Das tut er in sozialen Medien wie Instagram, mit seinem Podcast „Zart Bleiben“, seiner Kolumne „Das neue Blau“ auf Vogue.de sowie als Coach in der ARD-Serie „Ganz schön Berlin“. Warum das traditionelle Männlichkeitsbild ein Gefängnis für alle ist, welche Rolle Männer* für den Feminismus spielen und umgekehrt, warum Fabian weiterhin in einem Crop-Top durch die Stadt laufen wird, und was sich in unserer Gesellschaft dringend verändern muss – darüber haben wir mit dem Hamburger bei einem Spaziergang gesprochen.
Fabian Hart: Ich verwende diesen Begriff selten, weil er meistens falsch verstanden wird. Überhaupt müssen wir die Konversation um Männlichkeiten weniger elitär und wissenschaftlich führen. Wenn wir mit Buzzwords wie „toxische Männlichkeit“ um uns werfen, schalten viele ab, weil sie denken, das habe mit ihrem Alltag nichts zu tun und Männer würden per se als giftig gelten. Aber „Mann* sein“ und „Männlichkeit“ sind eben nicht dasselbe. Mann* Sein beschreibt deine Geschlechtsidentität, dein inneres Wissen, welchem Geschlecht du dich zugehörig fühlst; und Männlichkeit ist nichts Anderes als ein Sammelbegriff für alles, was in unserer Gesellschaft als traditionell männlich gilt: Stärke beweisen und keine Schwäche zeigen, Mut haben, dominant und kompetitiv sein, nicht emotional werden, nicht „lange rumreden, sondern machen“.
Nicht jede dieser Eigenschaften ist schlecht. Mut haben ist ja eine gute Sache. Aber wenn du dich rein auf diese Eigenschaften reduzierst, also immer der Mutige bist, der immer auf Risiko geht, immer der Boss, der Macher, das Familienoberhaupt, dann limitiert und unterdrückt das deine Persönlichkeit und auch deine Familie, Personen, mit denen du befreundet bist oder arbeitest. Dann stumpfst du irgendwann ab, weil du nur einen begrenzten Handlungsspielraum hast und weil Wut einfacher abzurufen ist als alle anderen Emotionen und du deshalb auch sensible Themen und Gespräche verdrängst und meidest. Und Männlichkeit muss eben immer auch bewiesen und verteidigt werden. Da sind wir ganz schnell bei Aggression und auch Gewalt. Das ist das „Toxische“ an Männlichkeit.
Wenn du immer der Mutige bist, der immer auf Risiko geht, immer der Boss, der Macher, das Familienoberhaupt, dann limitiert und unterdrückt das deine Persönlichkeit.
Meine eigene Persönlichkeit! Nicht mehr ständig meine Gedanken, Gefühle und mein Verhalten abzugleichen mit der allgemeinen Vorstellung davon, was „ein richtigen Kerl“ ist. Traditionelle Männlichkeit ist ja ein ganzer Anforderungskatalog, nach dem wir von klein auf „angelernt“ werden. Zu begreifen, dass die Kleidung, die wir tragen, die Sportarten, die wir ausüben, unsere Hobbys, Emotionen, Körperhaltung, Lieblingsfarben und -filme auch geschlechtsspezifischen Zuschreibungen unterliegen. All das setze ich dem entgegen.
Als Mann keine Lust auf Fußball, aber auf Pilates zu haben. Als Mann zu weinen. Öffentlich! Fleisch nicht in den Mittelpunkt meiner Ernährung zu stellen. Autos eher als Umweltproblem statt Prestigeobjekt zu sehen. Mit anderen Männern* über die Dinge zu sprechen, die einem Angst machen. Überhaupt Intimität, also nicht-romantischer Art, zwischen Männern* nicht als Grenzüberschreitung wahrzunehmen, Termine für Vorsorgeuntersuchungen vereinbaren und und und. An die eigene Persönlichkeit ranzukommen hinter diesen Zuschreibungen – das ist nicht nur eine radikale Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, sondern führt zwangsläufig dazu, dass man die Rollenbilder infrage stellt, die man in der Schule, zu Hause, in der Politik, in den Medien, in Filmen und Serien, in Social Media und Magazinen und auch in der Werbung so vorgesetzt bekommt.
Der Kapitalismus verkauft uns wörtlich Geschlechterrollen. Von Frauen wird regelrecht erwartet, dass sie sich an ungefähr jeder Körperstelle rasieren. Aber das Thema Rasur ist gleichzeitig etwas Urmännliches. Es muss natürlich auch okay sein, einem traditionellen Männlichkeitsbild entsprechen zu wollen – seh‘ dich gern als Vertreter des „starken Geschlechts“, aber werte andere Personen nicht automatisch als „schwach“ ab.
Im Grunde genommen meint das nichts anderes als Feminismus, das Vorantreiben von Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit. Nur muss diese Bewegung eben auch von Männern* ausgehen, nicht nur von Frauen* und LGBTQI*. Feminismus ist von Frauen* initiiert, Geschlechtergerechtigkeit muss aber auch ein Männerthema werden. Dieser Schritt ist unumgänglich. Und als Erstes müssen wir Männer* die Scham überwinden, Dinge zu tun, die „weiblich“ oder „feminin“ scheinen.
Ich glaube, viele Männer fürchten den Feminismus schon allein deshalb, weil darin das Wort „feminin“ steckt und traditionelle Männlichkeit nun mal die stete Ablehnung von allen Eigenschaften ist, die als feminin gelten. Vom Beine Überschlagen bis zum Männer* untypischen Sport – warum finden wir es eigentlich lächerlich, wenn Männer* Dinge tun, die als weiblich gelten? Weil es degradierend ist für einen Mann mit dem „schwachen Geschlecht“ in Verbindung gebracht zu werden. Ganz schön frauenfeindlich, oder?
Feminismus ist von Frauen* initiiert, Geschlechtergerechtigkeit muss aber auch ein Männerthema werden.
Der queere Aspekt ist ein sehr großer, weil alle, die sich nicht in dieses heterosexuelle Mann-Frau-Gefüge einordnen können – und damit meine ich nicht nur die Sexualität, sondern auch die Geschlechtsidentität – aus der Sicht traditioneller Männlichkeit abgewertet werden. Traditionelle Männlichkeit legt Heterosexualität und Cis-Geschlechtlichkeit als Norm fest, als Regelwerk und wertet alles Andere ab. Es gibt auch Hierarchien zwischen Männlichkeiten: Du bist da nicht nur als schwuler Mann ganz unten, sondern auch, wenn du zum Beispiel mit einer Behinderung lebst, schwach wirkst, klein bist, Person of Color, etc. All das führt dazu, dass du als „kein richtiger“ Mann oder Junge angesehen wirst, zum Hänfling gemacht wirst, Schwächling oder aufgrund der Hautfarbe zum Aggressor.
LGBTQI+ Stimmen sind wichtig für den Podcast, aber „Zart Bleiben“ richtet sich nicht an eine bestimmte Community. Traditionelle Männlichkeit unterdrückt alle Personen, auch Cis-geschlechtliche, heterosexuelle Männer, wie eben schon gesagt. Ich möchte niemandem das Gefühl geben, dass ich ein altes Männerbild durch ein Neues ersetzen möchte. Nicht jeder Mann* muss plötzlich im Crop-Top herumlaufen, sich schminken und Pilates machen – aber es sollte normal sein, dass ich das mache.
Ich möchte mit „Zart Bleiben“, über Social Media, mit meiner Kolumne und egal auf welcher Plattform diverse Bilder von Männlichkeit abbilden. Neulich hat mir eine Hörerin geschrieben, dass sie immer mal mit ihrem Vater über das Thema sprechen wollte, aber nie einen Zugang gefunden hat. Dann hat sie ihm den Link geschickt zu meiner Podcast-Folge mit Herbert Grönemeyer und danach hatten beide einen Aufhänger für das Gespräch. Das fand ich schön.
Nicht jeder Mann* muss plötzlich im Crop-Top herumlaufen, sich schminken und Pilates machen – aber es sollte normal sein, dass ich das mache.
Seitdem ich begriffen habe, warum mein Schwulsein für viele so ein großes Problem ist. Warum haben eigentlich so wenige Frauen* ein Problem mit Homosexualität, aber Männer* umso mehr? Das liegt daran, dass Queerness – in meinem Fall Homosexualität – zur Gefahr wird für Männlichkeit, weil ich quasi den Ruf der Männer schände und mich „zur Frau degradiere“, wenn ich mit einem anderen Mann Sex habe.
Ich habe als Journalist auch für zahlreiche Männermagazine gearbeitet, bei denen es inhaltlich immer auf dieselbe Nummer hinauslief: Fußball, Autos, Grillen, Sixpack, Männerpflege in Stahl-Optik … Das kam mir fast wie eine Art Drag vor: „Damit kommt ihr richtig gut als Mann durch!“.
In der Grundschule hat meine Klassenlehrerin mal in mein Zeugnis geschrieben, ich würde Talent beweisen in „rhythmisch-tänzerischen Bewegungen“. Dafür hatte ich mich so geschämt, weil ich wusste, das würde zu Hause Ärger geben. Dass meine Stiefmutter mich auslachen würde. Also habe ich unter Tränen meine Klassenlehrerin gebeten, das Zeugnis umzuschreiben. Das ist letzten Endes natürlich nicht geschehen. Zu der Zeit hat meine Stiefmutter auch immer wieder gesagt: „Der wird bestimmt mal schwul …“. Ich hatte noch überhaupt keine Ahnung von Sexualität, und war doch längst mit Homophobie konfrontiert. Ich nahm also an, dass Schwulsein etwas Lächerliches sei, etwas Unmännliches. Später als Jugendlicher kam die Angst vor HIV/Aids hinzu.
Ich glaube, bis zum Ende meiner Zwanziger hatte ich nicht einen Moment, in dem ich easy war mit dem Thema und auch Sex etwas Freies, Unbeschwertes war. Erst heute, in meinen Dreißigern, habe ich einen halbwegs gesunden Umgang mit meiner Sexualität und lebe meinen Pride. Ich konnte mich sonst eher beruflich ausleben. Der Grund, weshalb ich so lange nur über Mode geschrieben habe, ist sicherlich auch, dass Mode etwas Eskapistisches hat, eine Welt für sich ist mit eigenen Regeln. Einhaltung von Geschlechterrollen ist sicherlich keine.
Ich hatte noch überhaupt keine Ahnung von Sexualität, und war doch längst mit Homophobie konfrontiert
Mode ist ein Ausdrucksmedium und manchmal kann ein Outfit genauso viel sagen wie ein Text. Wenn du als Mann Chiffon trägst oder einen Rock, wirst du schnell zur Zielscheibe. Dabei hat ein Stoff kein Geschlecht. Wer sagt, dass Chiffon „weiblich“ ist und Cord maskulin? Nach patriarchalem Verständnis ist es völlig okay, sich als Frau* ein Beispiel am Mann* zu nehmen, das wertet dich auf – „Was für eine toughe Business-Lady!“. Aber als Mann „entmännlichst“ du dich, wenn du dich an femininen Dresscodes bedienst. Das ist doch schon der Beweis dafür, wie stark Geschlechterungerechtigkeit noch Thema ist.
Nach patriarchalem Verständnis ist es völlig okay, sich als Frau* ein Beispiel am Mann* zu nehmen, das wertet dich auf – „Was für eine toughe Business-Lady!“. Aber als Mann „entmännlichst“ du dich, wenn du dich an femininen Dresscodes bedienst.
Das lässt sich auf den ersten Blick sicherlich so sehen. Ich treibe aber keinen Sport fürs Bodybuilding, sondern, um beweglich zu bleiben und fit und weil ich diesen Körper wertschätze. Er trägt mich und bewegt mich und ist gesund und das ist schon ein Wunder. Zudem ist die Sportart, die ich mache, für die meisten ganz schön „unmännlich“: eine Kombi aus Pilates und Aerobic. Ich bin meistens der einzige Typ im Kursraum …
Das bedeutet aber nicht, dass ich mich selbst nicht kritisch mit meiner eigenen Männlichkeit auseinandersetze. Ich bin mir im Klaren darüber, dass ich alleine der Tatsache wegen, dass ich ein Mann bin, selbstverständlich Raum einnehmen kann. Ich hatte auch lange Probleme damit, vor anderen Schwäche zuzugeben, nach dem Motto „Alles gut, muss ja.“. Wie sehr der Tod meiner Mutter und die schwierige Beziehung zu meiner Stiefmutter auch meine psychische Gesundheit gefährdet hat, wollte ich mir jahrelang nicht eingestehen. Schon gar nicht vor anderen und auch nicht, dass ich ja mal um Hilfe fragen könnte …
Seelische Gesundheit ist ein großes Tabu für viele Männer und das liegt eben auch an dieser Vorstellung vom Mann als Fels in der Brandung, die Schulter zum Anlehnen. Traditionelle Männlichkeit hindert Männer an einem gesunden Umgang mit sich selbst, daran, sich um sich selbst zu kümmern. Nicht nur wirtschaftlich zu versorgen.
Ich habe festgestellt, dass ich nicht mehr nur auf einer Plattform unterwegs sein möchte und nicht nur meine Perspektive teilen möchte. Deshalb hat jede Folge einen anderen Gast.
Wenn wir sagen, dass wir auf einem guten Weg sind, dann klingt das alles schon so geebnet, so als könne alles so weitergehen und würde dann automatisch besser. Aber viele Themen unserer Zeit sind mühsam, weil sie unsere Weltordnung berechtigterweise infrage stellen. Feminismus, Anti-Rassismus, Pride – all diese Bewegungen sind Kämpfe bisher unterdrückter Personengruppen, die an den Rand unserer Gesellschaft gedrängt wurden. Noch nie zuvor konnten sich einzelne Personen so leicht finden und gruppieren wie heute. Soziale Medien sind voll von Trolls, aber sie helfen uns auch, zueinander zu finden. Diese Communitys sind nicht mehr überhörbar und warten auf keinen am Platz am Tisch der alten Herren.
Wenn wir über traditionelle Männlichkeit sprechen und das Patriarchat, dann müssen wir auch über Rassismus sprechen, über Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Transphobie, über Intersektionalität. Das westliche Männlichkeitsbild ist eben weiß und heterosexuell und Cis-geschlechtlich. Wir können gerade alle beobachten, dass bislang als gegeben akzeptierte Machtstrukturen an vielen Stellen aufbrechen. Für viele, die bisher selbstverständlich an der Macht waren, fühlt es sich nach Unterdrückung an, wenn es jetzt darum geht, diese Macht zu teilen. Das sagt auch Susanne Kaiser in ihrem Buch „Politische Männlichkeit„, das ich sehr empfehlen kann.
Wenn wir über traditionelle Männlichkeit sprechen und das Patriarchat, dann müssen wir auch über Rassismus sprechen, über Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Transphobie, über Intersektionalität.
Traditionelle Männlichkeit ist sicherlich auch eine Generationenfrage. Es gibt längst viele heterosexuelle Männer*, die ein völlig neues Selbstverständnis von Männlichkeit leben. Auf der anderen Seite dürfen wir aber auch keine Statistiken beschönigen, die immer noch beweisen, dass sich Männer als Hauptverdiener verstehen, mit Care-Arbeit nicht viel zu tun haben, dass es, wie eben schon angesprochen, um die seelische Gesundheit von Männern nicht gut steht. Die Selbstmordrate bei Männern* liegt dreimal höher als bei Frauen. Alkoholsucht ist die häufigste seelische Krankheit bei Männern* …
Sicherlich gibt es die, aber das kann auch einfach nur ein Look sein. Da trägt ein Mann sein Baby in einem Tragetuch und schon heißt es: „Ich weiß gar nicht, was euer Problem ist, Frauen! Männer kümmern sich doch schon.“. Aber was ist, wenn es darum geht, wer Care-Arbeit übernimmt, wer in Elternzeit geht? Da wird es unbequem.
Es gibt wenig neue diverse Männlichkeitsbilder, die in den traditionellen, großen Medien zu sehen sind. Ich spreche vom „im Mainstream“ angekommen. Riccardo Simonetti, den ich sehr wertschätze, hat es zum Beispiel geschafft, sich als queere Person im Mainstream zu etablieren. Aber leider bekommt er immer wieder auch das Image des Paradiesvogels aufgedrückt. Ich finde das ignorant. Das passiert Queers ganz oft. Ich bin nicht euer Paradiesvogel, nur weil ihr mir das Gefühl geben wollt, dass ich nicht dazugehöre. Auf diese Schublade lass ich mich nicht ein.
Ich bin nicht euer Paradiesvogel, nur weil ihr mir das Gefühl geben wollt, dass ich nicht dazugehöre.
Dass wir Männlichkeit diverser verstehen und sehen. Ich wünsche mir, dass es genauso viele Männlichkeiten wie Männer* gibt. Ich wünsche mir eine queere Person als Bundeskanzler oder Bundeskanzlerin. Dass mehr Frauen* Führungspositionen in großen Unternehmen einnehmen. Dass Sport fernab von Fußball zelebriert wird. Dass Männer* sich auch außerhalb der Fankurve in den Arm nehmen und Zuneigung zeigen. Dass wir Berufsgruppen nicht mehr als weiblich* oder männlich* verorten. Ich wünsche mir mehr Erzieher, mehr Pfleger und Hausmänner. Ich wünsch‘ mir Narrative in Filmen und Serien, die diverse Charaktere selbstverständlich abbilden: Wie wäre es mit einem Schwarzen Trans-Mann als James Bond? Oder einer Frau mit einem Mr. Moneypenny als Side-Kick?