Wer sich irgendwie am feministischen Diskurs in Deutschland beteiligt, kennt Hengameh Yaghoobifarah. Die gebürtige Kielerin schreibt als Autorin kluge Texte mit Kampfansagen rund um Themen wie Antirassismus, Queer Culture, Gender und Popkultur für Missy, Mädchenmannschaft oder die taz. Sie legt in ihrer Wahlheimat Berlin Platten auf, stylt starke Frauen und hat selbst einen süper guten Stil, den sie auf ihrem Blog Queer Vanity dokumentiert. Als sie vor kurzem einen Vortrag an der Hamburger Universität ankündigte, mussten wir sie unbedingt treffen, zumal es um eines unserer Lieblingsthemen geht: Stinkt Pink? Als Inhaberinnen eines Büros mit rosa Wand ist unsere Meinung ganz klar: Nein, Pink stinkt nicht. Pink kann man neu besetzen und sollte dies sogar. Aber sieht Hengameh das genauso?
Die Farbe Pink ist schon immer mit dem Thema Feminismus besetzt.
femtastics: Stinkt Pink?
Hengameh Yaghoobifarah: Auf keinen Fall. Die Farbe Pink ist schon immer mit dem Thema Feminismus besetzt und eine wichtige Farbe in der Queer Community. Also nein, Pink stinkt nicht!
Warum und womit ist Pink aufgeladen?
Früher war Rosa als „das kleine Rot“ für Jungs reserviert. Es galt als aggressive Farbe und als Synonym für Blut und Kampf. Mädchen trugen lieber Hellblau, was für Reinheit und Unschuld stand. Während der Zeit des Nationalsozialismus‘ mussten schwule Männer dann rosafarbene Winkel an ihren Jacken tragen, wurden zwangsgeoutet und gewaltvoll sanktioniert. In den Neunzigern wurde Pink durch die Riot Grrrls neu besetzt und heute nutzt Nicki Minaj die Farbe und konnotiert sie mit starker Femininität und Feminismus. Rosa und Pink sind sehr sexualisiert und als konstruiertes Symbol von Femininität sichtbar. Femininität bedeutet dann aber nicht nur Frau sein, sondern auch schwach, irrational, hyperemotional, passiv und künstlich sein – zumindest im sexistischen Patriarchat.
Was ist mit Klassenunterschieden?
Frauen in pinkfarbenen Jogginganzügen, die nicht gerade Paris Hilton sind, werden als „billig“ gelesen, geschmacklos und künstlich und werden der Arbeiterklasse zugeordnet. Die Kunstfigur Cindy aus Marzahn ist ein Beispiel dafür. Dann gibt es aber auch die Männer in rosafarbenen Polohemden von Lacoste. Sie gelten als stilvoll, dekadent und mutig. Pinkfarbene Kinderkleider beim Textildiscounter sind oft günstiger.
Pink steht aber auch für Glamour.
Für ein Diva-Image, Exzentrik und Raumeinnahme, ja. Gut zu sehen in dem belgischen Film „La Vie en Rose“ von 1997, in dem ein sechsjähriges Kind ein Familiendrama verursacht, in dem es sich nicht an die ihm als Junge zugeschriebenen Regeln hielt. In der ersten Szene kommt er im rosafarbenen Prinzessinnenkleid zur Grillparty.
Sollte Pink boykottiert oder neu besetzt werden?
Auf jeden Fall sollte Pink neu besetzt werden, so wie es ja auch schon geschieht. Junge feministische Künstlerinnen wie Petra Collins, Mars, Arvida Byström oder Maria Pizzeria lehnen in ihrer Ästhetik ja auch an Rosa und anderen Pastelltönen an – eine Optik, die an Mädchenzimmern aus den Neunzigern erinnert.
Seitdem ich Femme-ness an mir selber zelebriere, liebe ich Rosa und Pink.
Wie ist deine persönliche Herangehensweise?
Früher fand ich dieses Farbspektrum auch grässlich, ich wollte nie als Tussi gelesen werden, weil diese Art von Mädchen das war, von dem ich mich abgrenzen wollte – auch, weil sie nicht gerade meine Genderperformance respektiert haben. Später habe ich mich mehr damit auseinandergesetzt und realisiert, was eigentlich hinter dieser Aversion steckt. Seitdem ich Femme-ness an mir selber zelebriere, liebe ich auch Rosa und Pink. Mir ist es wichtig, dass die Farbe nicht nur für Frauen steht, ich selber identifiziere mich auch nicht als solche, sondern in unterschiedlichen Genderausdrücken Platz finden darf. Das Problem sind nicht rosafarbene Werkzeugkästen, sondern, dass sie als kapitalistisches Produkt für eine bestimmte, gegenderte Zielgruppe hergestellt werden.
Warum entscheiden gerade junge Mädchen sich so oft für Pink?
In vielen Kindergärten oder Schulen gilt die Farbe als Trendattribut für alles Mögliche. Junge Menschen mögen Trends, es hat viel mit Identifikation, früher Imitation von Gender und auch Gruppendynamiken zu tun. Es gibt aber auch sehr viele Mädchen, die Pink schlimm finden. Und wiederum Jungen, die von der Farbe träumen.
Wie kann man sich gegen das Gender-Marketing wehren?
Das ist schwierig, weil hier viel Gruppenzwang hinter steckt. Wenn eine Freundin der Tochter eine Barbie hat, will die Tochter auch eine Barbie. Die Farbzugehörigkeit ist sehr basic für die Identifikation von Kindern. Ein Aufbrechen von Genderteilungen in Läden kann helfen und ein offener, kritischer Dialog über Gender in Kindergärten und Schulen. Dafür müsste aber das kapitalistische, imperialistische, rassistische, cisnormative Heteropatriarchat hinterfragt werden.
Danke dir vielmals für das Interview, Hengameh!
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