178 Demonstranten „gegen Merkel“ stehen 10.000 singende und tanzende Hamburger gegenüber, die für Vielfalt auf die Straße gehen. So geschehen an einem Mittwoch im September. Zu verdanken ist dieses wichtige Signal in Zeiten von Chemnitz, Köthen und kruden Äußerungen Seehofers und Maaßens nicht nur der Toleranz, Weltoffenheit und den am rechten Fleck sitzenden Herzen der Hamburger, sondern unter anderem auch Jannes Vahl. Seines Zeichens einer der umtriebigsten Hamburger überhaupt – bekannt durch den gemeinnützigen Verein Clubkinder, seine Werbeagentur Polycore, dem Spendenclub Unterm Strich und und und – hat Jannes kurzerhand die Demo „Hamburger Stimmen für Vielfalt“ angemeldet. Was ihn dazu motiviert hat, welche besonderen und aufregenden Momente es bei der Demo gab und wie friedlicher Protest heute aussieht, erzählt Jannes uns kurz nach der Demo.
Jannes Vahl: Ich habe in der „Zeit“, der „Taz“ und der „Welt“ gelesen, dass die Anmelder der „Merkel muss weg“-Demo neuerdings vom Verfassungsschutz gesuchte Rechtsextreme sind. Daraufhin habe ich bei Facebook die Frage gestellt, wie man eigentlich eine friedliche Gegendemo veranstalten könnte und einige Hinweise erhalten. So fing alles an. Letztendlich ist diese Demo eins der Angebote aus einer logischen Reihenfolge, was mein Partner Joko und ich in der Stadt machen. Mit unserer Werbeagentur und als gemeinnütziger Verein haben wir einen Hebel um Gutes zu tun – die Demo kommt jetzt noch dazu. Außerdem ist es ein Appell, dass jeder eine Demo machen kann – auch der Briefmarkensammler aus Ohlsdorf.
Ich hab mich mit der Polizei in Verbindung gesetzt, sofort eine Antwort bekommen und dann ging alles relativ schnell. Das heißt konkret: Wir sind gemeinsam eine mögliche Route durchgangen, haben einen Startpunkt für die Demo festgelegt und offene Fragen wie zum Beispiel die Anzahl der Teilnehmer geklärt. Nachdem alles klar war, bin ich die Route mit dem Fahrrad vor lauter Aufregung 15 Mal abgefahren. Am Tag der Demo habe ich mich als Anmelder mit dem Einsatzleiter der Polizei getroffen und bin mit ihm weitere Details durchgegangen. Zum Beispiel habe ich die Info bekommen, dass die Rechten auf dem Gänsemarkt abgeriegelt werden und gar nicht laufen. Am Ende ist alles gut gegangen und „Hamburger Stimmen für Vielfalt“ war total friedlich und divers!
Mit Blick auf Chemnitz muss man einfach mal ein bisschen mehr die Fresse aufmachen.
So ging es mir eigentlich die ganze Zeit. Vor allem, als es in die Große Theaterstraße bei der Hamburger Staatsoper ging, hatte ich ein total mulmiges Gefühl – da kannst du nämlich als Fußgänger rechts und links nicht weg. Wenn also ein paar Nazis auf dich zu rennen oder von oben über die Häuser kommen, wird’s eng. Und natürlich war es auch seltsam, als ich die Veranstaltung als Privatperson anmelden musste und das zur Konsequenz hat, dass ich jetzt überall mit meinem vollen Namen gemeldet bin. Übrigens genau wie der rechte Veranstalter, der vorher ja immer nur Strohleute vorgeschickt hat. Aber weil die Demo über mich gelaufen ist, konnte ich ein stärkeres Zeichen setzen, auch in Sachen Zivilcourage. Ich glaube, das ist heutzutage absolut nötig – die Leute stehen eher auf, wenn man mit seinem Namen für etwas steht. Und mit Blick auf Chemnitz muss man einfach mal ein bisschen mehr die Fresse aufmachen, als nur im Internet.
Was ich toll fand: Die Hamburger Polizei empfiehlt bei derartigen Demos 1 Ordner pro 50 Leute. Das ist nicht Pflicht, aber eine ausreichende Anzahl Ordner, um Ordnung zu wahren, muss halt gestellt werden. Ich hatte 20 vorher akquiriert (also für 1.000 Leute), spontan wurden es dann aber live zu Demobeginn 78 (!). Alle mit weißer Ordner-Armbinde!
Für richtige Gänsehaut war die Aufregung allerdings zu groß. Aber insgesamt hat die Musik natürlich total viel mit mir gemacht. Wenn tausende Leute zusammen „Schrei nach Liebe“ von den Ärzten singen, ist das schon toll. Einmalig war auch der Moment, als wir zum ersten Mal auf die zweite Gegendemo „Mittwochs gemeinsam gegen rechte Hetze“ getroffen sind. Plötzlich haben alle geklatscht, es gab Umarmungen. Alles floss irgendwie zusammen und ich kam mir ein bisschen vor wie bei „Der Herr der Ringe“. (lacht)
Mir ist wichtig, dass die Leute schnallen, was für eine Trottelparade, ein Gruselzirkus das auf dem Hamburger Gänsemarkt war.
Das Publikum wirkte total heterogen, das war sehr schön zu sehen. Es waren Leute mit Kinderwagen da, die „Omas gegen Rechts“ aber auch verschiedenste Nationalitäten und Geschlechterspezifikationen, die unterschiedliche Themen mitgebracht haben. So hat jeder die Demo für sich interpretiert – und dafür soll „Hamburger Stimmen für Vielfalt“ ja auch stehen. Wir sind also längst nicht nur in unserer Clubkinder-Reichweite geblieben, sondern konnten erheblich darüber hinaus gehen – auch, weil so viele Menschen die Veranstaltung auf Facebook geteilt haben.
Nee, obwohl ich da jetzt gar nicht verschlossen bin oder Berührungsängste habe. Es gab im Vorfeld aber jemanden, der sich auf Facebook in unsere Diskussion eingemischt hat. Den habe ich dann zum Kaffee eingeladen, aber das hat er abgelehnt. Ich will denen ja auch grundsätzlich nichts böses, sondern einfach nur bewirken, dass sie ihre Meinung und ihren Auftritt ändern. Mir ist wichtig, dass die Leute schnallen, was für eine Trottelparade, ein Gruselzirkus das zum Beispiel auf dem Hamburger Gänsemarkt war.
Mir geht es darum, den Vorfällen in Chemnitz friedliche, bunte Bilder mit musikalischem Schwerpunkt gegenüberzustellen.
Mir geht es darum, den Vorfällen in Chemnitz friedliche, bunte Bilder mit musikalischem Schwerpunkt gegenüberzustellen. Und der Bevölkerung etwas positives zu vermitteln, statt den Fokus immer nur auf Wutbürger zu setzen. Dass wir es geschafft haben, nach der Hamburger Demo für Seenotrettung am Sonntag zuvor noch mal so viele Leute auf die Straße zu bringen, war einfach total wichtig. Ich glaube, Deutschland erwartet so was auch von Hamburg, weil wir eine coole Proteststadt sind.
Ich bin kein großer Freund von Verallgemeinerungen – und kenne auch 19-Jährige oder auch 25-Jährige, die total viel auf Demos gehen und in dem Bereich sehr aktiv sind. Aber ich glaube, hinter einer erfolgreichen Veranstaltung steckt auch der Aspekt, dass man den Leuten so ein Vogelball/Dockville/Fusion-Feeling reinmassiert und auf Musik, Regenbogenfarben und Glitzer in Sozialen Medien setzt. Wir sind nicht politisch motiviert und wollen keinerlei einschüchternde Bilder verbreiten. Wenn man die Leute also ein bisschen abholt, kann man sie auch deutlich leichter auf eine Demo oder zu einem Charity-Event bewegen, als es viele Leute in Deutschland glauben wollen. Natürlich schätze ich aber auch die Herangehensweise der Linken-Kollegen sehr, ich bin nur einfach nicht so. Für Hamburg und unsere Demokratie ist es aber total wichtig, dass es diese Bewegung auch gibt.
Ich habe die kommenden drei Demos schon eingetragen, die nächste findet am 3.Oktober statt. Wichtig ist, dass wir nicht nur ein Momentum schaffen. Sondern die Leute auch bei Laune halten, wenn mal weniger Teilnehmer zur Demo kommen oder es regnet. Niemand sollte denken: „Ich war ja jetzt im September schon dabei, das waren tolle Bilder und ich war ja auch im NDR zu sehen – dann reichts jetzt erstmal“. Deshalb wollen wir auch weitere Bündnisse eingehen und für noch mehr Reichweite sorgen. Aber im Moment macht es ja mit den aktuellen Ereignissen um Seehofer und Maaßen auch nicht den Anschein, als würde unser Anliegen an Brisanz verlieren.
Das ist auf jeden Fall ein Thema, das nicht bei mir sondern in der Politik liegt. Diese 178 Leute, die sich zum Beispiel auf den Hamburger Gänsemarkt stellen und den Hitlergruß in Kameras zeigen, sind wegen irgendwas unzufrieden, was ich gar nicht bewerten möchte. Das ist ein sehr abstraktes Gefühl, für das sie in den meisten Fällen Frau Merkel persönlich verantwortlich machen. Da kann man vielleicht gar nicht viel helfen – wir können nur versuchen, die Menschen wieder mehr abzuholen. Und natürlich ist Bildung total wichtig, da haben auch die Medien eine große Verantwortung. Es muss nicht sein, dass die BILD die ganze Zeit nur reißt.
Ich kenne ja eigentlich nur Hamburg und hier gab es schon immer Protest – und es wird ihn auch in Zukunft geben. Das finde ich spannend.
Fotos: Pelle Buys
Layout: Carolina Moscato
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