Was kann man gegen Machtmissbrauch tun? Pia Stendera und Lena von Holt im Interview

Machtmissbrauch passiert nicht nur in der Medienbranche – wie im Fall rund um den ehemaligen “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt – oder in der Filmbranche – wie bei Harvey Weinstein oder den aktuellen Vorwürfen gegen Til Schweiger. Er findet in vielen Branchen und Lebensbereichen statt. Oftmals betrifft dieser Missbrauch Männer in Machtpositionen und Frauen*, die ihnen mehr oder weniger unterstellt sind.

Die Journalistinnen Pia Stendera und Lena von Holt haben sich intensiv mit Machtmissbrauch im “Axel Springer” Verlag beschäftigt und darüber einen Podcast gemacht: “Boys Club – Macht & Missbrauch bei Axel Springer”. Für diesen haben sie mit zahlreichen Betroffenen gesprochen und Antworten auf die Frage gesucht: Welche Strukturen und Systeme ermöglichen Machtmissbrauch – und was können wir dagegen tun? Wir sprechen in der neuen Episode von “femtastics Deep Dive” mit Pia Stendera und Lena von Holt über ihre Recherchen und Erkenntnisse.

Wie und wann ist die Idee zu eurem Podcast entstanden?

Pia Stendera: Unsere Produktionsfirma „TRZ Media“ ist mit dem Thema auf uns zugekommen. Das ist bei uns total auf Resonanz gestoßen. Als junge Frauen* in der Journalismusbranche haben wir ganz genau verfolgt, was rund um die sogenannte „Reichelt Affäre“ geschehen ist. Viele Fragen blieben offen. Was genau ist da wirklich passiert? Wie kann so was passieren? Wir wollten diesen Fragen gern ausführlich nachgehen.

Stand das Thema Machtmissbrauch quasi mit der Anfrage fest oder wart ihr persönlich noch inhaltlich involviert bei der Konzeption des Podcasts?

Lena von Holt: Nein, das stand eigentlich gar nicht fest. Wir sind da wirklich mit einer ganz offenen Fragestellung rangegangen. In Bezug auf den mutmaßlichen Machtmissbrauch im Fall Reichelt: Wie konnte es dazu kommen? Viele Gedanken, Prozesse und Diskussionen wurden in Gang gesetzt. Nach vielen Gesprächen haben wir gesagt: Okay, Machtmissbrauch, das passiert oft in diesem Kontext. Dazu braucht es viele verschiedene Menschen, dazu braucht es ein System. Also haben wir uns entschieden, das in den Vordergrund zu stellen. Über dieses Thema muss dringend gesprochen werden. Wir haben vielfach die Rückmeldungen bekommen, dass sowas vielleicht nicht in dem Ausmaß, aber an allen möglichen Arbeitsplätzen vorkommt.

Wir sind auf Angst gestoßen.

Machtmissbrauch ist natürlich nicht nur ein Thema in der Medienbranche, sondern zieht sich durch alle Lebensbereiche. Wie habt ihr die Protagonist*innen gefunden, die über ihre Erfahrungen mit mutmaßlichen Machtmissbrauch beim „Axel Springer Verlag“ sprechen? Wie schwierig war es, diese Frauen* zu finden und wie bereit waren sie, offen darüber zu sprechen, was sie erlebt haben?

Pia Stendera: Wir sind bei Null gestartet. Wir hatten keine exklusiven Quellen, die auf uns zugekommen sind. Es war ein super schwieriges Umfeld, um zu recherchieren. Und wir wollten nicht, dass bestimmte Leute frühzeitig davon erfahren. Dass Personen mutmaßlich eingeschüchtert wurden, wussten wir bereits. Es ging zwei Schritte vor und drei zurück.

Irgendwann kamen wir dann rein und waren im Flow. Eine Person kannte eine andere. Wir haben das Stück für Stück erschlossen. Ein anderer Aspekt ist natürlich, dass wir auf Angst gestoßen sind.

Also sowohl Angst eurerseits sowie auf Seite der Interviewten. Ihr hattet Sorge, dass kritische Stellen zu schnell Bescheid wissen, dass ihr recherchiert. Und auf der Seite der Betroffenen gab es die Angst, sich überhaupt zu äußern?

Lena von Holt: Ja, beides auf jeden Fall. Wir haben relativ schnell herausgefunden, dass sich bei der „Bild“, bei „Axel Springer“ alles schnell rumspricht. Deswegen haben wir versucht, uns bedeckt zu halten und unsere Quellen zu schützen. Wir hatten auch Momente, in denen wir ein bisschen Paranoia geschoben haben. Wenn da so eine Person in Anorak zu lange vorm Fenster vorm Büro chillt, dann denkt man sich seinen Teil.

Personen, mit denen wir offen für den Podcast gesprochen haben, haben uns zurückgemeldet, dass es eventuell Gründe dafür gibt, Angst zu haben. Das passiert eben nicht alles nur bei uns im Kopf. Es gab bestimmte Vorfälle. Ich erinnere mich an das erste Treffen mit Henry, der in der ersten und in der fünften Podcast-Folge vorkommt. Der erzählte uns bei unserem allerersten Treffen – als einer der ersten, den wir überhaupt für ein Hintergrundgespräch getroffen haben -, dass er uns garantiert, dass er das, was er uns gerade erzählt hat, nicht vorm Mikro mit Klarnamen erzählen wird.

Wenn „Axel Springer“ davon erfährt, dann könnte er seine Karriere vergessen. Einmal saßen wir mit einer Quelle für ein Hintergrundgespräch in einem Café und plötzlich begann jemand am Nachbartisch, in ein Notizbuch zu schreiben und die Quelle meinte: „Können wir uns bitte umsetzen? Das ist mir gerade nicht geheuer.“ In solchen Momenten merkt man, es ist nicht ohne, was wir da machen. Wir mussten vorsichtig sein.

Warum fällt es Frauen* so schwer, sich öffentlich oder auch erst mal innerhalb eines Unternehmens zu Fällen des mutmaßlichen Machtmissbrauchs zu öffnen und darüber zu sprechen?

Pia Stendera: Wer als Frau* sozialisiert wurde, hat sein Leben lang Erfahrungen gemacht, nicht ernst genommen zu werden. Sei es bei Ärztinnen oder Ärzten zum Beispiel mit gesundheitlichen Problemen. Im Rahmen der Frühsexualisierung ist das auch der Fall in dem Sinne, dass man als Mädchen, als junge Frau* Belästigung erfährt, gleichzeitig nicht so richtig das Handwerkszeug bekommt, sich zu wehren bzw. das als Ungerechtigkeit zu erkennen.

Das ist etwas, womit wir aufwachsen und sozialisiert werden. Also Problemen aus dem Weg zu gehen, Dinge nicht zu benennen. Frauen* lernen früh, dass es nach Übergriffen oft keine Gerechtigkeit gibt. Das findet man rund um die Affäre um Julian Reichelt, aber auch in früheren Fällen der Geschichte „Axel Springers“ immer wieder: Mutmaßlich betroffene Personen haben nicht das Gefühl, Gerechtigkeit zu erfahren.

Ich bin nun besser darin, Dinge nicht zu individualisieren und nicht das Problem bei mir zu suchen, sondern eher auf die Strukturen und auf die Gesellschaft zu schauen.

Die Wahrnehmung dieser mutmaßlichen Fälle und die Auseinandersetzung mit den Betroffenen: Was hat das mit euch beiden gemacht?

Lena von Holt: Natürlich macht das was mit dir, wenn du dich so intensiv mit diesen Themen auseinandersetzt. Das ist, wie wenn man eine Brille aufsetzt und plötzlich Dinge erkennt, die man vorher nicht erkannt hat. Du erkennst plötzlich diese Strukturen dahinter und eben nicht nur die individuelle Person, die mutmaßlich was falsch gemacht hat.

Ich bin nun besser darin, Dinge nicht zu individualisieren und nicht das Problem bei mir zu suchen, sondern eher auf die Strukturen und auf die Gesellschaft zu schauen. Was läuft da ganz grundsätzlich falsch? Es macht einen Unterschied, wenn man sich fragt: Wie kann man da was verändern? Und das nicht alleine, sondern mit Verbündeten.

Plötzlich erkennst du Machtmissbrauch überall. Natürlich nicht in diesem extremen Ausmaß. Die „Julian Reichelt Affäre“ ist ein Extrem, aber es ist ganz wichtig zu verstehen, dass all dem gewisse Schritte vorangehen. Und diese Schritte, die finden sich wahrscheinlich in fast jedem Berufsalltag. Das fängt ja schon an, wenn du in Meetings das Gefühl hast, hier sprechen nur Männer und Frauen* kommen überhaupt nicht zu Wort oder werden nicht ernst genommen.

Das ganze Interview mit Pia Stendera und Lena von Holt hört ihr in unserer Podcast-Episode!

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Foto: Livia Kappler

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