Miriam Stein: Wie können wir uns mit dem Alter anfreunden?

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24. Januar 2024

Wir alle werden älter – und können uns glücklich schätzen, wenn wir älter werden dürfen – und doch ist unsere Gesellschaft besessen von der Jugend, Jugendlichkeit, “Anti-Aging” und Verjüngung. Während Männern in der Öffentlichkeit noch eher erlaubt wird, zu altern – und Ü60-Superstars noch immer für Parfum und Espresso werben – werden Frauen ab einem gewissen Alter zunehmend unsichtbar und scheinbar reizlos. Mit den Wechseljahren scheint ein Verlust von Weiblichkeit einherzugehen, der (Achtung, Satire!) Frauen* ihrer wenigen früheren Qualitäten beraubt: fruchtbar und attraktiv zu sein. Mit Miriam Yung Min Stein, Journalistin und Buchautorin, sprechen wir darüber, warum wir unsere Einstellung gegenüber dem Alter dringend ändern müssen und wie Altersdiskriminierung insbesondere Frauen trifft.

femtastics: Miriam, du wurdest mit Anfang 40 von den Wechseljahren, von der Menopause überrascht. Du hast daraufhin angefangen, dich intensiv mit diesem Thema auseinanderzusetzen und hast ein Buch darüber geschrieben: „Die gereizte Frau„. Als erstes interessiert uns, nach all dem, was du jetzt weißt: Wie gehst du heute mit dem Älterwerden um? Und hattest du jemals in deinem Leben damit Schwierigkeiten?

Miriam Yung Min Stein: Nein, überhaupt nicht, ehrlich gesagt. Das Lustige ist, dass ich heute viel glücklicher bin, als ich es je vorher war und mich auch als Frau, wenn ihr so wollt, sicherer fühle als mit, sagen wir mal, Anfang 20. Ich habe das Gefühl, dass ich immer so ein Mensch war, der erst „fertig“ wird, wenn er älter und reifer wird.

Das wusste ich aber nicht, als ich jünger war. Diese Behauptung: „Du bist jung, jetzt steht dir die ganze Welt offen, jetzt kannst du diese ganzen tollen Entscheidungen für dich treffen und alles machen!“ – das fühlte sich für mich nicht so an, als ich Mitte, Ende 20 war. Ich hatte nicht das Gefühl, dass mir die Welt offen stand. Und ich hatte auch nicht das Gefühl, dass das Leben ein unbegrenzter Selbstbedienungsladen für mich war. Ich habe mich damals selbst dafür verantwortlich gemacht und habe mich unheimlich geschämt. Dass sich mir keine Türen öffneten oder zumindest nicht in der Form, wie das versprochen wurde – deswegen habe ich mich sehr unsicher und falsch gefühlt.

Als ich älter wurde, merkte ich, dass das alles gar nicht so dramatisch ist und dass das Leben sehr lang ist, was ich jetzt im mittleren Alter mit fast 47 Jahren nochmal anders spüre. Jetzt fühlt sich alles für mich total gut an und das ist für mich unheimlich erleichternd. Ich habe das Gefühl, ich darf jetzt ich selbst sein und ich bin ich selbst. Sowohl von innen als auch von außen. Ich kann wirklich sagen, ich finde Älterwerden uneingeschränkt gut.

Jetzt mit fast 47 Jahren fühlt sich alles für mich total gut an und das ist für mich unheimlich erleichternd. Ich habe das Gefühl, ich darf jetzt ich selbst sein und ich bin ich selbst.

Das stimmt, als junger Mensch kann man auch große Unsicherheit und Druck spüren. Um Ziele zu erreichen, braucht man auch gewisse Mittel, und da soll man sich als junger Mensch entscheiden, in welche Richtung man im Leben gehen will. Wie soll man das wissen bei all den Möglichkeiten?

Heute sehe ich das auch anders – auch wegen meiner tiefen Beschäftigung mit den Wechseljahren. Wir haben als Frauen* in Deutschland eine durchschnittliche Lebenserwartung von über 80 Jahren – es ist doch absurd, dass irgendjemand von jungen Menschen erwartet, mit Ende der Teenager-Jahre oder Anfang 20 eine Entscheidung für die nächsten 60 Jahre des Lebens zu treffen.

Viele Menschen, vor allem Frauen*, sagen so wie du: „Ich fühle mich in dem Alter, in dem ich jetzt bin, entspannter und selbstsicherer, vielleicht auch glücklicher, als ich mich noch in jüngeren Jahren gefühlt habe.“ Aber das Paradoxe ist, dass unsere Gesellschaft trotzdem so besessen von der Jugend ist. Jugendlichkeit ist immer noch das Nonplusultra, das alle Menschen anstreben sollen und wollen. Warum ist das so?

Das ist noch nicht lange so. Besonders zugenommen hat es nach dem Zweiten Weltkrieg. Das hat ganz viel mit der Wirtschaft zu tun. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Teenager zum ersten Mal in der Geschichte ganz viel Taschengeld zur Verfügung. Und dieses Taschengeld konnten sie ausgeben – weil: keine Kinder, keine Miete, keine sonstigen verpflichtenden Kosten – für Platten, Schminke, Poster und Konzertkarten. Das ist heute Popkultur und war damals neu und ein unfassbar großer Markt. Und im Grunde stand die ganze westliche Welt damals am gegenteiligen Punkt wie wir jetzt: Es gab so viel mehr junge Leute als alte Leute. Man konnte so viel Geld mit ihnen verdienen. Und daraus ist viel Tolles entstanden, aber es wurde ein bisschen einseitig.

Und jetzt stehen wir viele, viele Jahre später an einem ganz anderen Punkt. In 20 Jahren wird es sehr viel mehr Leute über 50 geben als drunter. Und da ist die Frage: Wie gehen wir jetzt damit um? Wir haben in den letzten 60, 70 Jahren diese Kultur entwickelt: „Wenn man über 65 ist, dann ist man Rentnerin und wenn es richtig gut läuft, hat man ein bisschen Geld gespart – wie ihr wisst, ist das bei uns Frauen* oft nicht so – und dann sitzt man auf Mallorca in der Sonne und genießt seine letzten paar Jahre. Aber: Wir werden durchschnittlich über 80, das heißt, diese Phase ist nochmal 20 Jahre lang. Und ganz ehrlich: Kann man 20 Jahre lang auf Mallorca auf einem Stuhl sitzen?

In 20 Jahren wird es sehr viel mehr Leute über 50 geben als drunter. Und da ist die Frage: Wie gehen wir jetzt damit um?

An unserer Vorstellung vom „Alter“ sollte sich etwas ändern?

Dieses alte Bild von der Rente ist vielleicht überdenkenswert. Das ganze Bild des linearen Lebens – mit 18 mache ich Abitur, mit 19 gehe ich studieren und dann überlege ich mir, was ich studiere und was ich dann für die nächsten 60 Jahre arbeiten will – das halte ich sowieso nach der ganzen Auseinandersetzung mit dem Älterwerden, mit den Wechseljahren für mein Buch “Die gereizte Frau” sowieso für total überarbeitenswert! Ich glaube, es wäre vielleicht einfacher, wenn man das Leben in Abschnitten sieht. Und jeder Abschnitt hat seine Funktion, seinen Job mitunter, seinen Höhepunkt, mit vielleicht auch Partner oder Partnerin, und dann kann man sich weiterentwickeln.

Und ich weiß noch ganz genau, dass Leute mir früher gesagt haben: „Das musst du jetzt alles lernen, ab 30 lernst du sowieso nichts mehr!“. Was für ein Quatsch. Man lernt, bis man ins Grab fällt und deswegen kann man immer weiterlernen. Deshalb sollte es auch Anreize dafür geben, dass man sich weiter schult, dass man vielleicht Fortbildungen macht, vielleicht nochmal einen neuen Bereich einer Arbeitswelt erlebt. Wir stehen vor einem historischen Fachkräftemangel. Die meisten Frauen* über 50 arbeiten nur in Teilzeit – 70% nämlich – wenn sie überhaupt erwerbstätig sind. Und da denke ich immer: Da können wir noch was machen, da geht noch was.

Es wäre vielleicht einfacher, wenn man das Leben in Abschnitten sieht. Und jeder Abschnitt hat seine Funktion, seinen Job mitunter, seinen Höhepunkt, mit vielleicht auch Partner oder Partnerin, und dann kann man sich weiterentwickeln.

Aber Frauen* ab dem mittleren Alter werden in der Arbeitswelt oft diskriminiert.

Ageism, Altersdiskriminierung, ist für uns Frauen* überhaupt nicht altersabhängig. Junge Frauen* werden genauso altersdiskriminiert wie alte Frauen*, weil als junge Frau* bist du zu jung und zu unerfahren, hast keine Ahnung, und in meinem Alter bist du zu alt und nicht mehr flexibel. Das “Harvard Business Review” hat eine schöne Studie durchgeführt, an deren Ende klar war: Eine Frau* ist nie im richtigen Alter, egal, wie alt sie ist. Na und?

Ageism, Altersdiskriminierung, ist für uns Frauen* überhaupt nicht altersabhängig. Junge Frauen* werden genauso altersdiskriminiert wie alte Frauen*


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Foto Miriam Stein: Robert Rieger

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