Viele Menschen machen nach der Schule eine große Reise oder ein soziales Praktikum und oft ist die Zeit im Ausland sehr prägend. Gerade ein Aufenthalt in Entwicklungsländern lässt uns unseren eigenen Wohlstand reflektieren und den Blick auf die Welt verändern. Doch meist ist dieses Bewusstsein nicht von langer Dauer, der Alltag kann die Armut auf der Welt schnell wieder in Vergessenheit geraten lassen. Bei Alina Rudolph aus Köln war das anders: Seit ihrem Praktikum in Nepal vor neun Jahren sammelt sie Spenden, um die Bildung von nepalesischen Kindern zu finanzieren. Die 29-Jährige arbeitet in Deutschland als Sozialarbeiterin, reist jedes Jahr erneut nach Nepal und organisiert verschiedene Projekte durch Spendengelder. Mithilfe ihrer Familie und Freunde gründete sie vor vier Jahren den Verein Mukta Nepal, mit welchem neben Schulgeldern auch der Wiederaufbau von Häusern und einer Schule nach der Zerstörung durch das starke Erdbeben 2015 finanziert wird. Im Interview erzählt sie von ihrer Motivation und den Herausforderungen, die die Gründung eines sozialen Vereins mit sich bringt.
Für mich ist Nepal etwas ganz besonderes und mittlerweile mein zweites zu Hause.
Alina Rudolph: Ich habe drei Monate in einem Kinderheim in Nepal gearbeitet, als Vorpraktikum für mein Studium der sozialen Arbeit. Sofort habe ich mich in das Land verliebt. Die Natur, die Kultur und Mentalität – für mich ist es etwas ganz Besonderes und mittlerweile mein zweites Zuhause. Gleichzeitig hat es mich sehr bedrückt zu sehen, in welcher Armut die Menschen dort leben. Mit einem für unsere Verhältnisse geringen Betrag kann man dort sehr viel erreichen und helfen. Besonders beschäftigt hat mich das Schicksal einer Familie, die kürzlich den Vater verloren hatte. Sie waren sehr arm und die Kinder mussten auf dem Feld arbeiten, statt zur Schule zu gehen. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, das Schulgeld für die drei Kinder mit meinen privaten Ersparnissen zu bezahlen. Das waren damals 1.000 Euro für ein Jahr auf einer guten Privatschule. Damit war der Grundstein für „Mukta Nepal“ gelegt, denn mein Ziel war es, das Schulgeld für die Kinder bis zu ihrem Abschluss zu finanzieren. Besonders wichtig ist es für mich, dass ich nachhaltig spende. Viele Menschen spenden kurzfristig für das gute Gefühl – aber es hilft niemandem, wenn ein Kind für ein Jahr die Schule besucht und danach weiter auf dem Feld arbeiten muss, da keine weitere Unterstützung folgt.
Wir konnten eine komplett vom Erdbeben zerstörte Schule und 48 Häuser wieder aufbauen.
Zurück in Deutschland habe ich meiner Familie und Freunden von meinen Erfahrungen erzählt und es kamen schnell weitere Spenden zusammen. Ich habe das Gefühl, dass es viele Menschen gibt, die theoretisch gern helfen würden. Praktisch haben sie keine Lust oder Zeit, sich mit konkreten Themen und Organisationen auseinander zu setzen und können sich nicht entscheiden, wo sie helfen wollen. Außerdem ist der Geldfluss bei großen Organisationen oft sehr undurchsichtig. Ich kann ganz konkret sagen, was durch die Spenden umgesetzt wird. Die erste große Aktion, für die ich weitere Spendengelder gesammelt habe, war der Wiederaufbau des Hauses der genannten Familie, denn durch einen Monsun wurde ihres zerstört. Mit einem Spendenbetrag von 1.500 Euro konnte ihnen ein neues Haus aus Lehm gebaut werden. Für uns ist das ein Betrag, mit dem wir vielleicht unseren Jahresurlaub finanzieren und in Nepal wird daraus ein Zuhause für eine ganze Familie.
Der offizielle Verein „Mukta Nepal“ wurde erst fünf Jahre später, also Ende 2014, gegründet. Über die Jahre konnte ich immer mehr Spendengelder sammeln, wobei ich immer häufiger nach Spendenquittungen gefragt wurde. Als Privatperson konnte ich diese nicht ausstellen, also habe ich mich zusammen mit meiner Familie und Freunden für die Vereinsgründung entschieden. Das war erstmal eine große Herausforderung, denn niemand wusste, was alles beachten werden muss. Es ist wichtig, dass der Verein sieben Gründungsmitglieder hat, denen jeweils eine feste Rolle zugesprochen wird. Mein Vater ist beispielsweise der Kassenwart. Auch heute sind wir im Kern noch überschaubar und hauptsächlich aus meinem privaten Umfeld, wobei wir drei aktive Mitglieder haben, die ich vorher nicht kannte und sich aufgrund ihres Interesses an unserer Arbeit engagieren. Fast alle von uns waren auch schon selbst in Nepal, das freut mich natürlich sehr.
Ehrlich gesagt hatten wir großes Glück, dass wir den Verein zu diesem Zeitpunkt gegründet haben. Denn nur wenige Monate später, im April 2015, war das gravierende Erdbeben in Nepal, wodurch dem Land immens geschadet wurde und über 9.000 Menschen gestorben sind. Auch das Dorf, in dem wir die Kinder unterstützen, wurde stark zerstört. Durch das schwere Unglück hatte Nepal eine große Medienpräsenz auf der ganzen Welt, wodurch sehr viele Menschen zum Spenden motiviert wurden. Durch einen Bekannten wurde ich zu der „Lokalzeit Köln“ eingeladen, um über die Situation in Nepal und unsere Arbeit zu berichten. Mein öffentlicher Auftritt führte dazu, dass weitere Medien auf mich aufmerksam wurden und ich sogar zu der Gala von „Ein Herz für Kinder“ eingeladen wurde. Plötzlich hatten wir viel mehr Geld zur Verfügung und damit eine sehr große Verantwortung. Letztlich konnten wir eine komplett vom Erdbeben zerstörte Schule und 48 Häuser wieder aufbauen.
Wir aus Deutschland hätten das alleine nicht geschafft. Zum Glück bin ich mit vielen Nepalesen eng befreundet, die uns bei der Organisation vor Ort helfen. Ich wüsste ja beispielsweise gar nicht, wie man ein Haus baut. Wo bekommt man die Materialien her und wie teuer sind sie? Worauf muss geachtet werden, damit es erdbebensicher ist? Wer braucht am dringendsten Hilfe? Für diese Fragen wurde ein Komitee in Nepal gegründet, welches einen Überblick über die Situation hat, die Finanzen vor Ort verwaltet und uns auf dem Laufenden hält. Wir in Deutschland arbeiten ehrenamtlich für „Mukta Nepal“, in Nepal haben wir zwei bezahlte Mitarbeiter, da die Arbeit sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Uns ist es sehr wichtig, dass Projekte von einheimischen Arbeitern umgesetzt werden und auch die Ressourcen vor Ort gekauft werden. Schließlich wollen wir langfristig helfen, was auch bedeutet, die Wirtschaft vor Ort anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen.
Ich denke, dass die Beweggründe dazu sehr unterschiedlich sind. Vor allem auch zwischen unseren Mitgliedern aus Nepal und unseren deutschen Mitgliedern. Bei der Gründung des nepalesischen Komitees war es uns wichtig, dass fünf Männer und fünf Frauen vertreten sind, also Gleichberechtigung herrscht. Außerdem sind die Mitglieder aus ganz verschiedenen Kasten – in Nepal ist das Kastensystem ja leider noch sehr weit verbreitet. Ich denke, dass es für unsere nepalesischen Mitglieder eine tolle Erfahrung, oder vielleicht auch eine Ehre ist, sich zusammen mit uns Europäern zu engagieren und dabei auch über die altmodischen Rollenklischees hinweg schauen zu können. Ich bewundere es sehr, dass in Nepal demokratisch abgestimmt wird, wer aus dem Dorf am dringendsten ein neues Haus braucht, auch wenn die Mitglieder des Komitees teilweise selbst von der Zerstörung durch das Erdbeben betroffen sind.
In Deutschland hat wohl auch jeder seine persönlichen Gründe. In jedem Fall kann man sagen, dass es gut für das eigene Gewissen ist, sich ehrenamtlich zu engagieren. Bei mir persönlich kann ich als Schlüsselerlebnis meine erste Wiederkehr nach einem Jahr nennen. Plötzlich war es möglich, mich mit den Kindern zu unterhalten, denn sie haben Englisch in der Schule gelernt. In diesem Moment wurde mir klar, wie wichtig Bildung ist und wie sehr sie die Zukunft der Kinder beeinflussen wird.
Obwohl noch immer große Teile von Nepal zerstört sind, hat das Medieninteresse sehr schnell wieder abgenommen.
Natürlich ist es manchmal stressig, vor allem, wenn es darum geht, ein akutes Projekt zu organisieren und umzusetzen. Im Endeffekt bin ich jeden Tag mit „Mukta Nepal“ beschäftigt, auch wenn es nur darum geht, kurz ein Foto rauszusuchen. Als Verein versuchen wir, uns mindestens einmal pro Monat zusammen zu setzen und den aktuellen Stand der Dinge zu besprechen. Wir sind alle mit Spaß dabei und jeder macht eben so viel, wie es gerade in den eigenen Zeitplan passt. Da wir uns untereinander gut kennen, können wir offen miteinander kommunizieren und uns gegenseitig bei unseren Aufgaben helfen. Unser Komitee in Nepal ist während der Erntezeit weitestgehend verhindert. Aber das ist eben so, das muss man respektieren. Denn natürlich ist es nur möglich, sich sozial zu engagieren, wenn man es sich leisten kann und keine Existenzängste hat.
Natürlich ist es jetzt schwieriger als direkt nach dem Erdbeben, denn obwohl noch immer große Teile von Nepal zerstört sind, hat das Medieninteresse sehr schnell wieder abgenommen. Trotzdem haben wir noch regelmäßige Spender und müssen einfach gut kalkulieren, welche neuen Projekte und wie viele Schulkinder wir langfristig unterstützen können. Um immer wieder neu auf uns aufmerksam zu machen, überlegen wir uns regelmäßig Aktionen in Deutschland. Beispielsweise bauen wir einen Stand auf einem Stadtfest, Weihnachtsmarkt oder Festival auf, an dem wir über unsere Arbeit informieren und Schmuck aus Nepal gegen eine Spende anbieten. Zudem sind wir aktiv in Social Media und auf Plattformen wie „betterplace„, sprich crowdfunding für soziale Projekte, auf denen Spenden für konkrete Projekte gesammelt werden können.
Layout: Carolina Moscato
2 Kommentare
Tolle Arbeit! Danke für’s vorstellen!
Wuderbarer Bericht