Jeden dritten Tag tötet ein Mann seine (Ex-)Partnerin. Jeden Tag findet ein Tötungsversuch statt. Mehr als alle vier Minuten fügt ein Mann seiner Partnerin Gewalt zu.** Und trotz dieser schockierenden Zahlen werden die Taten strafrechtlich häufig nicht angemessen beurteilt – weil die Gewalt innerhalb einer Beziehung stattfindet, weil die Täter nicht angezeigt werden oder den Opfern nicht geglaubt wird.
Um auf Gewalt an Frauen* aufmerksam zu machen, wurde der 25. November als der „Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen*“ ins Leben gerufen. Eine Frau*, die selbst partnerschaftliche Gewalt erlebt hat und sich für die Aufklärung und Prävention rund um Gewalt gegen Frauen* entsetzt, ist Aktivistin und Musikerin Sarah Bora. Mit ihr sprechen wir darüber, warum sie zehn Jahre gebraucht hat, sich aus einer gewaltvollen Beziehung zu befreien und was sie sich in Sachen Prävention von Gewalt an Frauen* wünscht.
Partner dieses Beitrags ist „cosnova“ mit der Kampagne „cosnova says NO — gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“. Die Aufklärungsinitiative, die zum zweiten Mal in Folge stattfindet, startet am 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen*, und erstreckt sich über die 16 „Orange Days“ von „UN Women“ bis zum 10. Dezember 2024, dem Internationalen Tag der Menschenrechte.
Im Rahmen der Aktion spendet „cosnova“ 100.000 Euro an einen Fonds der „Frauenhauskoordinierung e.V.“. Mit dem Geld unterstützt der Verein Frauen*, die sich den oft sehr kostspieligen Aufenthalt in einem Frauenhaus nicht leisten können. Zusätzlich erhält die „Union deutscher Zonta Clubs“ 20.000 Euro. Die NGO ist Partnerin der ersten Stunde und setzt sich weltweit für die Beendigung von Gewalt an Frauen und Mädchen ein. Prominente Botschafterin der „cosnova“-Initiative ist Aktivistin, Musikerin, Unternehmerin und Mitgründerin von #dienächste Sarah Bora.
Sarah Bora: 2022 saß ich bei Bettina Böttinger in ihrer Sendung „Kölner Treff“ und habe das erste Mal mein Video „Kämpferin“ öffentlich vorgestellt und darüber gesprochen. Seitdem ist das Thema mein täglicher Wegbegleiter.
Damals war ich relativ jung und es war meine erste vermeintlich große Liebe. In dieser Beziehung habe ich häusliche Gewalt erlebt, sowohl physisch als auch psychisch. Das Ganze ging tatsächlich fast zehn Jahre lang. Erlebnisse im Teenageralter prägen fürs restliche Leben und schaffen Strukturen, die zu Gewohnheiten werden können. Das war bei mir damals der Fall.
Das erste Mal habe ich physische Gewalt mit 15 innerhalb der Beziehung erlebt. Das war in seinem alten Kinderzimmer.
Das erste Mal habe ich physische Gewalt mit 15 innerhalb der Beziehung erlebt. Das war in seinem alten Kinderzimmer. Ich hatte damals den richtigen Impuls und bin weggelaufen. Ich wusste, dass es nicht richtig ist. Und trotzdem bin ich zurückgekommen.
Seitdem war die Hemmschwelle weg und mir widerfuhr regelmäßig physische Gewalt. Die psychische Gewalt war tagtäglich da. Sie äußerte sich in rasender Eifersucht. Ich wurde ständig kontrolliert, ich musste ständig Selfies an meinen Freund schicken, wo ich bin und mit wem. Auch in der Schule und der Uni hat er mich angerufen und ich musste ihm jeden Tag aufs Neue beweisen, dass ich die Wahrheit sage. Aber das ist bei einem Narzissten wie ihm unglaublich schwierig, denn er hat seine eigene Realität und eine verzerrte Weltwahrnehmung.
Wenn man, obwohl man Gewalt erlebt, zurück zu dem betreffenden Menschen geht oder bei ihm bleibt, dann ist es für den Täter eine Art Bestätigung. Er entschuldigt sich oder rechtfertigt sein Handeln und man verzeiht ihm. Oft rechtfertigt er sein Handeln ja durch Liebe. Denn: Auch eine gewaltvolle Beziehung fängt meist mit Liebe an. Bis es dann zu diesem Bruch, zum Überschreiten dieser Hemmschwelle und der Gewalt kommt, wurdest du schon total emotional abhängig gemacht und du verstehst gar nicht mehr, was da mit dir passiert. Genau deswegen ist es so schwierig, da rauszukommen.
Ich habe mit sehr vielen Frauen* über ihre Gewalterfahrungen gesprochen und wir hatten tatsächlich viele Schnittstellen, beispielsweise die Kontrolle, die Eifersucht oder die Schuldzuweisungen. Daran sieht man, dass es Mechanismen gibt.
Beispielsweise wird das Opfer sozial isoliert. Ich hatte keine Freund*innen, ich hatte teilweise jahrelang keinen Kontakt zu meiner Familie – weil er wollte, dass ich ihm alleine gehöre und weil das Risiko besteht, dass ich, wenn ich „Kontakt zur Außenwelt“ habe, sehe und auch fühle, wie eine gesunde Beziehung aussieht. Zu dieser sozialen Isolation gehörte auch, mir jeden Tag zu sagen, dass ich nicht gut genug bin, dass ich nicht hübsch bin, dass ich dumm bin, dass ich ohne ihn gar nicht existieren kann. Und ich bin wirklich eine starke Frau. Mittlerweile. Aber damals, in dieser Situation – wenn dir jeden Tag jemand sagt, wie hässlich du bist und dass du nichts wert bist, dann hast du irgendwann genau das Gefühl. Ich hatte das Gefühl, dass ich nichts wert bin und dass ich ohne ihn nie wieder eine Beziehung bekommen werde.
Ich bin wirklich eine starke Frau. Mittlerweile. Aber damals, in dieser Situation – wenn dir jeden Tag jemand sagt, wie hässlich du bist und dass du nichts wert bist, dann hast du irgendwann genau das Gefühl.
Heute mit meinen über 30 Jahren weiß ich oder fühle ich im tiefsten Innern, dass ich auch damals wusste, dass etwas nicht richtig läuft. Aber ich hatte damals wenig Optionen. Ich hatte ja das Gefühl, dass ich komplett alleine auf der Welt bin. Ich habe mich geschämt. Ich wollte niemandem sagen, dass ich zu Hause wirklich die Hölle auf Erden erlebe und habe natürlich versucht, alles zu verstecken. Ich habe mit niemandem darüber gesprochen.
Was ich aber wusste, ist, dass der Schlüssel für ein eventuelles Entkommen tatsächlich die finanzielle Unabhängigkeit ist, und zwar der Job, die Ausbildung, das Studium. Das hat mir Kraft gegeben, weil ich wusste, ich habe jetzt eine Option, ich habe jetzt etwas Geld auf dem Konto und wenn alle Stricke reißen, schaffe ich es zumindest zwei Wochen ins Hotel zu flüchten.
Mein Partner hat natürlich versucht mir das zu verbieten. Er wollte mich auch finanziell von ihm abhängig machen, mich in jeder möglichen Form von ihm abhängig machen. Wir hatten auch eine eigene Wohnung – die durfte aber nur auf ihn laufen. Heute denke ich: „Na klar hat er das so gemacht! Damit er mich im Zweifelsfall loswerden kann oder ich keine Ansprüche habe!“. Das war mir aber damals nicht bewusst.
Es war dann irgendwann wie eine Parallelwelt für mich: Zu Hause hatte ich die Hölle, aber in meiner Berufswelt habe ich Anerkennung bekommen, habe studieren können, war erfolgreich – und das hat mich gestärkt.
Ich wusste, dass der Schlüssel für ein eventuelles Entkommen tatsächlich die finanzielle Unabhängigkeit ist.
Ich habe im Studium eine alte Bekannte wiedergetroffen, die neben mir saß und die ganze Zeit mitbekommen hat, unter welchem Druck ich stehe. Ich musste ja Telefonate innerhalb der Uni annehmen, ich durfte nie an den Kiosk gehen. Mein Freund tauchte plötzlich auf. Und irgendwann nach der 20. Nachfrage von ihr habe ich es nicht mehr ausgehalten und erzählt, was mir passiert. Daraufhin war ihre Aussage ganz klar, dass dieses Leben, was ich führe, eben nicht normal ist und dass ich da raus muss.
Und ab diesem Zeitpunkt fing es bei mir im Kopf zu rattern an und zu sagen: „Ja, das stimmt. Dieses Leben ist nicht normal.“
Angelehnt an die „UN Women“-Kampagne „Orange the World“, die sich gegen Gewalt an Frauen* positioniert, ist Orange auch die Farbe der „cosnova“-Kampagne. Passende orange-farbene Nagellacke von „essence“ und „Catrice“ gibt es auch.
Wie bei so vielen Themen, die Frauen* betreffen, gibt es bislang keine ausreichende Forschung. Was passiert denn eigentlich mit Frauen*, die in einer gewaltvollen Beziehung leben? Welche psychischen Neben- und Nachwirkungen hat das Ganze? Ich vergleiche das mit einer Art „Stockholm Syndrom“, also wenn die entführte Person eine Beziehung zum*zur Täter*in aufbaut, um zu überleben. Du liebst dein Gegenüber irgendwann nicht mehr, weil er dir die ganze Zeit physisch und psychisch wehtut. Aber du hältst diese Harmonie aufrecht, um zu überleben, egal in welcher Form, egal ob physisch oder psychisch.
Und mich interessiert einerseits: Wie schaffen wir es, dass die junge Generation sensibilisiert dafür wird und genau weiß, was zu tun ist, wenn ihnen das widerfährt? Und andererseits sehe ich auch ganz klar eine gesellschaftliche Verpflichtung: Die Gesellschaft muss dafür sorgen, dass Frauen* sich eben nicht mehr schämen zu sagen, dass sie von ihrem Partner misshandelt wurden. Da gibt es aktuell noch so viele Barrieren. Wenn eine Frau* sich entscheidet, aus einer Ehe oder Partnerschaft rauszugehen und den Täter anzuzeigen, und sie trifft auf eine*n Polizist*in oder anderen Menschen, der*die nicht dafür sensibilisiert ist, dann kann es sein, dass die Frau* wieder zurückgeht, weil ihr nicht geholfen wird.
Es geht also auch um die Legislative. Wir müssen sensibilisieren, Workshops schaffen. Es müssen alle gesellschaftlichen Teile zusammenarbeiten, damit das funktioniert und damit eben nicht mit dem Finger immer nur auf die Frau* gezeigt wird und die Frage gestellt wird: Was können wir tun, damit Frauen* stärker sind? Nein, die Frage muss lauten: Was können wir tun, damit Männer aufhören zu schlagen?
Die Frage muss lauten: Was können wir tun, damit Männer aufhören zu schlagen?
Und wir reden da wirklich von jahrzehntelangem Missbrauch. Es ist ihr absolut hoch anzurechnen, dass sie sich dort hinstellt, erhobenen Hauptes, und darüber spricht, was ihr passiert ist. Auch hier in Deutschland müssen wir versuchen, solche Fälle aufzurollen und öffentlich zu machen, damit es eben nicht dieses vermeintliche „typische Opfer“ und den „typischen Täter“ gibt – denn das gibt es beides nicht. Häusliche Gewalt kennt kein Alter, keine Nationalität, finanziellen Hintergrund oder gesellschaftliche Schicht. In dieser Hinsicht ist dieser Fall in Frankreich sehr wichtig, auch für uns global gesehen, damit jetzt endlich etwas passiert.
Nachdem ich mich von ihm getrennt hatte, musste ich noch drei Jahre Stalking mit ihm erleben. Also insgesamt waren es 13 Jahre meines Lebens, die er mich beschäftigt hat. Und tatsächlich habe ich ihn ab dem Moment, als ich mich getrennt hatte und das Stalking anfing, konsequent angezeigt.
Vorher, in der Beziehung habe ich es nicht gemacht. Damals war ich auch nicht aufgeklärt. Ich wusste nicht, an wen ich mich wenden kann.
Nach der zehnjährigen Beziehung hat es zehn weitere Jahre gedauert, bis ich überhaupt darüber gesprochen habe. Und dann stand ich in der Öffentlichkeit und dachte mir: Wofür will ich denn meine Reichweite nutzen, wenn nicht für so ein wichtiges Thema? Ich habe mich entschieden, einen Song und ein gleichnamiges Buch herauszubringen. Für mich war es eine Art Abschluss, das ganze Erlebte aufzuschreiben. Und ich kann dir sagen, es hat mich sehr viel Kraft gekostet.
Natürlich ist es von außen sehr schwer zu sehen, ob jemand in häuslicher Gewalt lebt oder nicht. Gerade deswegen, weil Täter meist genau wissen – das hört sich jetzt sehr hart an – wohin sie schlagen müssen. Der erfahrene Täter schlägt meistens nicht ins Gesicht, sondern dahin, wo du es mit Kleidung verstecken kannst. So war es bei mir.
Aber wenn sich jemand plötzlich sehr zurückzieht oder wenn man ein Verhalten miterlebt, das man problematisch findet – wenn man zum Beispiel in einem Mehrfamilienhaus lebt, erst lauten Streit und dann plötzlich Stille hört – dann ist es wichtig, die Frau* anzusprechen in einer ruhigen Minute, wenn sie alleine ist, und einfach nur zu sagen: „Egal, was ist, ich bin da. Ich wohne in der Hausnummer 43. Wenn irgendetwas ist, melde dich bei mir!“. Das Wichtigste ist, der Frau* eine Option zu geben, auf die sie gegebenenfalls zurückkommen kann.
Ich rate davon ab, etwas zu sagen wie: „Pass auf, ich habe mitbekommen, dass dein Mann dich geschlagen hat. Du musst jetzt sofort zur Polizei gehen!“. Das baut großen Druck auf. Besser sollte man behutsam vorgehen und sagen: „Hey, ich habe letztens etwas mitbekommen – vielleicht magst du darüber sprechen? Du sollst wissen, egal was ist, ich bin für dich da.“
Es muss im Kindergarten, in der Schule anfangen, dass wir ein neues Verständnis von Geschlechterrollen, von Männlichkeit schaffen.
Es beginnt mit der Prävention. Es muss im Kindergarten, in der Schule anfangen, dass wir ein neues Verständnis von Geschlechterrollen, von Männlichkeit schaffen. Dass es eben nicht stereotypisch die „Bau-Ecke für Jungs“ gibt oder den Jungen, der nicht weinen darf. Wenn junge Menschen heranwachsen, werden sie zu eventuellen Tätern oder eventuellen Opfern und das müssen wir verhindern. Das heißt, politisch gesehen müssen Präventionsmaßnahmen einen höheren Stellenwert bekommen. Gleichzeitig müssen auszuführende Institutionen wie Justiz – Polizei, aber auch Richter*innen – für das Thema sensibilisiert und gut ausbildet werden.
Uns fehlen fast 15.000 Frauenhaus-Plätze. Das heißt, viel zu viele Frauen* werden wieder nach Hause geschickt in die Gewalt. Dafür brauchen wir Gelder. Viele wissen gar nicht, dass ein Frauenhaus-Platz die betreffende Frau* gegebenenfalls Geld kostet*** – zwischen 400-600 Euro pro Woche, ohne Kind. Man muss sich den Frauenhaus-Platz also erst einmal leisten können.
Wir brauchen auf politischer Ebene mehr Sichtbarkeit für das Thema. Die aktuelle politische Lage hilft da natürlich nicht – global gesehen machen wir in Bezug auf Frauen*rechte gerade viele Schritte rückwärts. Ich meine, jetzt wird ein verurteilter Straftäter, der eindeutig Frauen*hass schürt, wieder Präsident in den USA. Da fragt man sich natürlich, welche Auswirkungen das global hat. Und wenn hier rechtsextreme Parteien erstarken, dann wird es in der Zukunft schwierig, bestimmte Gelder für Frauen*rechte durchzusetzen …
Und auch deswegen ist es so enorm wichtig, dass eine Initiative wie „cosnova says NO“ von einem großen Wirtschaftsunternehmen wie „cosnova“ ins Leben gerufen wird. Denn das ist eine wichtige Säule im Kampf gegen häusliche Gewalt und auch ein Statement von der Wirtschaft, dass dieses Thema mehr an Wichtigkeit bedarf.
** „UN Women“-Studie „Gewalt gegen Frauen in Deutschland 2023“
*** Anmerkung: Der Aufenthalt im Frauenhaus ist für bestimmte Personengruppen kostenpflichtig – dazu zählen etwa Student*innen, Frauen* mit eigenem Einkommen, EU-Bürger*innen und Asylbewerber*innen.
Fotos: „cosnova“
– Werbung: In Kooperation mit „cosnova“ –