Sie reißen Tausende von Kilometern ab, von Budapest nach Istanbul, São Paulo nach Rio, Warschau nach Helsinki; werden von türkischen Kangals gejagt, fressen Unmengen von Staub, haben mega Fun – und das alles auf dem Fixie. Die Mitglieder der Fixed Gear Crew „Hardbrakers“, auch bekannt als „Gangsters of Love“, erfüllen sich den Traum vieler ambitionierter Fahrradfahrer. Mit den Homies düsen sie um die Welt – jedes Jahr eine neue Tour. Der Hamburger Basti Frick, auch bekannt als Jubie, ist fast von Anfang an dabei und erzählt uns in seinen vier Wänden auf Hamburg-St. Pauli von Bromance auf zwei Rädern, Klopperei mit dem Tour-Manager und Pipi- und Platten-Pannen. Den besten Tour-Einblick bietet übrigens der Film, den ihr unten findet. Have fun!
Jubie: Als ich meinen Führerschein verlor, legte ich mir ein Single Speed Bike mit einem alten Rennradrahmen zu. Das habe ich selber zusammengebaut. Schnell kristallisierte sich heraus, dass ich Bock auf ein Fixed Gear Bike hatte. Das macht total Sinn, weil du weniger Verschleiß hat. Es gibt weder Gangschaltung noch Bremse. Da du nur durch das Blockieren des Hinterrads oder das Verlangsamen der Trittfrequenz bremsen kannst, hast du nur noch einen Rahmen, zwei Räder und eine Kette. Das fand ich gut – und es sieht mega aus! Ich mag das Minimalistische, außerdem ist es leichter. Durch einen sich überschneidenden Freundeskreis kannte ich einige Hardbrakers und bin da reingerutscht.
Die Hardbrakers haben sich 2012 gegründet. Vorher kannte man sie unter „Störtebiker“, die Gruppe hatte sich aber im Sande verlaufen. Alles begann mit einer Bodensee-Tour.
Wir sind ganz unterschiedliche Charaktere. Ein Ingenieur ist dabei, ein Fotograf, ein Produktdesigner, Studenten verschiedener Sparten. Ich bin eher so Typ Überlebenskünstler, eigentlich gelernter Kaufmann. Wir kommen aus Hamburg und München.
Im Hotel in Mailand kam die Idee, mit dem Fahrrad nach Barcelona zu fahren.
Die Jungs, die die Bodensee-Tour gemacht hatten, trafen sich danach in Mailand zu einem Rennen. Im Hostel kam ihnen die Idee, mit dem Fahrrad nach Barcelona zu fahren. Das Ziel war und ist es, über die Touren Sponsoren zu finden und Geld einzusammeln, damit alle Kosten für die Touren gedeckt sind. Wir wollten einfach unseren Spaß zusammen haben, ohne selbst viel eigenes Kapital zu investieren.
Wir müssen immer noch zusätzlich Eigenmittel reinstecken, aber das Sponsoring entwickelt sich gut. Das Problem ist, dass wir alle genug mit unserem Leben zu tun haben und wenig Zeit finden, nebenbei Sponsoren zu generieren. Ich kümmere mich zum Beispiel viel um meinen kleinen Sohn gerade.
Auf die Infrastruktur gucken wir gar nicht. (lacht) Unser Tourguide, also der, der die Strecken ausguckt, ist der Michal. Der jagt uns immer gern durch die Wallachei, wo nichts ist.
Nein. Michal hat die erste Tour geplant und hat da auch Bock drauf. Aber da waren Strecken bei, wo wir echt kämpfen mussten. Bei unserer Lissabon-Marrakesch-Tour sind wir teilweise Wege mit Strandsand gefahren, mit Rennradbereifung ist das ziemlich ätzend!
Ich glaube, man kann das im Budapest-Istanbul-Film gut sehen: Jedes Mal, wenn wir morgens aufgestanden sind, haben wir Michal gefragt, wie lang es denn heute wird. Und er sagte immer, nicht so lang! Aber in Wirklichkeit war die Strecke immer noch dreimal so lang, wenn wir zwischendurch nachfragten.
Auch nicht wirklich. Die Route stimmen wir über eine Doodle-Liste ab, weil wir mit unseren vierzehn Boys natürlich eine Basis-Demokratie sind. Ich bin der Doodle-Meister, ich mache immer die Listen fertig. Was die meisten Stimmen hat, gewinnt. Unsere nächste Tour geht nach Asien, wahrscheinlich Thailand, Kambodscha oder Laos. Oder auch länderübergreifend. Es ist immer spannend, die Grenze zu überfahren und zu sehen, wie es in dem Land ist, das fünf Meter weiter beginnt.
Das war auch bei der Budapest-Istanbul-Tour ganz geil, dass wir durch so viele Länder gefahren sind. Wie unterschiedlich die Länder und die Infrastruktur sind! In Serbien hast du zum Beispiel innerhalb von fünf Minuten Daten-Roaming eine Rechnung von fünfzig Euro, obwohl du noch gar nichts gemacht hast.
Auf jeden Fall! Die Tagesroute beläuft sich immer auf 150 bis 200 Kilometer. Das kommt natürlich auf die Höhenlage an. Wenn du große Höhenunterschiede hast, fährst du bei 150 km Tagesetappe von früh morgens bis spät in die Nacht.
Keiner konnte mehr sitzen, stehen oder radfahren, alle haben gepöbelt.
Unsere Brasilien-Tour war eigentlich fast Urlaub. Wir hatten keine Etappe, die länger als 180 Kilometer war. Alle Unterkünfte waren voraus geplant, somit war sichergestellt, dass wir abends einen Schlafplatz hatten. Auf der Budapest-Istanbul-Tour sind wir einmal abends um 23 Uhr in irgendeinem Kaff in Griechenland angekommen, keiner konnte mehr sitzen, stehen oder radfahren, alle haben gepöbelt. Das ist so wie PMS. Pfahrrad-Männer-Störung nennt sich das.
Wir hatten immer Glück! Manchmal pennen wir auch in einem Fahrradladen. Die Fraktion Student-Geringverdiener stellt sich immer vor, in den Alpen zur Hauptsaison ein Hotel für zehn Euro zu finden und ist überrascht, dass es viel teurer ist. Die legen sich dann lieber ins Auto pennen.
Die Räder nehmen wir im Flieger mit, klar. In Brasilien hatten wir ein Begleitfahrzeug mit drei Fahrern, die sich abgewechselt haben. Die haben nur unser Gepäck und unsere Werkzeuge gefahren. Die hatten viel Spaß mit uns, wenn eine Gruppe dann eine völlig andere Route gefahren ist …
Mein krassestes Erlebnis war auf der Budapest-Istanbul-Tour. Einer von uns hatte sich in Sophia seinen Ausweis klauen lassen und wir haben ihn gerade so nach Griechenland bekommen, mit einem komischen Wisch vom Konsulat. Aber von Griechenland in die Türkei? No way! Die hassen sich wie die Pest. Als wir in Richtung Grenze fuhren, hörten wir in den Wäldern die ganze Zeit Schüsse.
Mit dem Wisch durfte er also nicht weiter. Kurz vor der Grenze kam dann ein türkischer Trupp und gab ihm fünf Minuten Zeit, zu entscheiden, ob er zurückfährt oder sie ihn rüberbringen sollen. Dann hätte die türkische Polizei ihn mitgenommen und ausgesetzt. Er ist dann mit zwei anderen von uns zurück nach Thessaloniki gefahren, um neue Ausweispapiere zu besorgen.
Wir haben mega lange gewartet, wurden von den Mücken aufgefressen und sind dann langsam in die Dämmerung gefahren. Plötzlich hörten wir den Muezzin, wir waren in der Türkei und alle Klischees wurden bedient. Am Anfang war es noch ganz lustig, dann wurde es anstrengend. Der Asphalt war klebrig und offen, es war, als wenn wir mit Gegenwind fahren würden. Irgendwann ging es in die Berge. Da sind überall Schafherden, die von türkischen Kangal-Hunden bewacht werden. Die kamen ständig an und verfolgten uns. Wir mussten uns dann teilweise mit Steinen wehren. Nachdem wir über die Berge gefahren waren, ging es bergab, in Serpentinen in den Ort rein. Wir hatten alle aber kein Licht mehr! Diese ganze Nacht war einfach mega heftig. Wir haben uns dann morgens um vier mit Bierdosen an das Attatürk-Denkmal gelehnt, bis der Dorfsherrif kam. Als Westeuropäer, der mit Muslimen nichts zu tun hat, ist das halt ein Kulturschock. Alles in allem war diese Nacht der Kracher!
Adrenalin pur!
Das ist Sevilla. Da bin ich umgeknickt und musste vier Tage im Hostel bleiben, weil ich meinen Fuß nicht bewegen durfte.
Das ist immer schwierig zu sagen. Die meiste Zeit fahren wir parallel zur Hauptverkehrsstraße. Kopenhagen ist toll, da ist es einfach krass zum Fahrradfahren. Geil zum Fahren ist auch São Paulo. Eine mega krasse Stadt. Die Jungs haben mich am ersten Tag zum höchsten Punkt in São Paulo gebracht, da war ich als Flachlandindianer erstmal am Keuchen. Von da aus ging eine fette Avenue gerade runter in die Stadt, die wir einfach runter über rote Ampeln gedüst sind. Als wir unten ankamen, sah ich aus, wie nach einem Bungee-Sprung! Adrenalin pur! São Paulo wird auch fahrradfreundlicher: Jeden Sonntag wird eine große Straße gesperrt, die quer über eine Brücke durch die Hochhäuser hindurch durch die Stadt führt.
Das ist auf jeden Fall eine berechtigte Frage! Das ist das, was den meisten Streit verursacht. Nicht das Pipimachen an sich, sondern das Anhalten. Mit vierzehn Jungs hältst du an, weil einer einen Platten hat. Dann geht einer pinkeln, dann wird noch gelabert … wenn du die ganze Truppe wieder in Bewegung hast, fährt einer über eine Glasscherbe und hat wieder einen Platten. So geht das immer weiter. Da man die ganze Zeit in Bewegung ist und viel ausschwitzt, muss man nicht so oft zum Pipimachen anhalten.
Wir haben glücklicherweise Continental als sehr guten Reifensponsor. Die machen einfach die besten Fahrradreifen. Da hast du einen Pannenschutz mit drin oder kannst noch einen ranmachen. Platten haben wir daher nicht so oft. Manchmal hast du fünf Stück an einem Tag, ich hatte aber während der ganzen Budapest-Istanbul-Tour nur einen einzigen Platten! Und das bei 1650 Kilometern.
Bei der Budapest-Istanbul-Tour hatte ich meinen ersten Nervenzusammenbruch. Es waren vierzig Grad Außentemperatur, genauso warm war das Wasser, was du trinkst. Es ging nur bergauf und hinter jeder Kurve ging es wieder bergauf. Es war die erste Bergetappe an dem Tag und ich musste absteigen und war kurz vorm Weinen. Da hatte ich aber auch noch zehn Kilo mehr auf den Rippen, ich war mega untrainiert und habe diese Tour mitgemacht, ohne vorher jemals mehr als 25 Kilometer am Stück gefahren zu sein!
Das Fahrrad ließ ich also einfach fallen, wollte trinken, habe das Wasser aber weggeworfen, weil es so heiß war. Dann wollte ich nur noch auf dem Boden liegen, der war aber auch viel zu heiß. Da kullerten dann die Tränen, da ging gar nichts mehr. Robert und Ardi brachten mich dann über die nächsten Etappen und begleiteten mich. In solchen Fällen unterstützt man sich gegenseitig. Man hält auch immer mal an und guckt, was die anderen machen. Es haben auch nicht alle ein Navi mit, auf die wartet man dann natürlich. Oder wenn du nachts fährst, achtest du auch darauf, dass alle hinterherkommen, kann ja sein, dass etwas passiert ist.
Vorteile weiß ich gar nicht! (lacht) Allein, was für ein Chaos im Servicewagen entsteht, wenn zehn bis vierzehn Leute mitfahren … der Rucksack von jedem, der ihn gerade braucht, ist prinzipiell immer der, der ganz unten liegt! Aber es gehört dazu, man lernt sich lieben.
Man geht sich mega doll auf die Nerven und es bilden sich Grüppchen, wie früher auf dem Schulhof. Gelästert wird auch viel, das wird ja immer den Frauen nachgesagt. Männer können das genauso.
Wir trinken eigentlich durchgehend. In den Flaschen ist Wasser, aber du hast ja einen sehr hohen Energieverbrauch, da ist Alkohol zusammen mit Cola der bessere Stoff, um die Kohlenhydrate wieder herein zu bekommen. Deswegen trinken wir tatsächlich Cola und dazu durchgehend Radler.
Wir trinken Cola und dazu durchgehend Radler.
Du hast keinen Kater! Das verstoffwechselst du einfach. Dein Stoffwechsel ist so angeregt, das läuft so durch, du wirst nicht besoffen. Wir trinken am Tag unsere zehn Halbe, und haben keinen Schwipps, weil der Kreislauf die ganze Zeit hoch gehalten wird. Ich denke, es hat auch viel mit dem Schwitzen zu tun. Zum Beispiel fährst du bei 40 Grad durch Spanien, trinkst den ganzen Tag Cuba Libre – und nichts passiert.
Wir haben zum Teil gesponsorte Energieriegel dabei. Irgendwann ist dein Magen so übersäuert, dass du die ganze Zeit sauren Atem hast. Wir versuchen uns natürlich in Supermärkten, an denen wir vorbeikommen, mit Obst einzudecken. In Brasilien haben wir viel Trockenobst und Nüsse gegessen. Da gibt es an jeder Ecke getrocknete Bananen. Erdnusspaste eignet sich auch ganz gut.
Nach den ersten zwanzig Kilometern bist du warm und der Körper schüttet wieder Glückshormone aus.
Pumpe und Flickzeug! Es gibt tatsächlich eine spezielle Fahrrad-Gesäßcreme, die deinen Allerwertesten betäubt, aber das ist beim Toilettengang ziemlich unpraktisch. Einen gepolsterten Sattel habe ich nicht, da halte ich nichts von. Auch der tut irgendwann weh. Ich habe mein Polster in der Hose, das ist schon gut so.
Also das PMS hast du auch am morgen, alle zicken sich an, weil natürlich jeder unausgeschlafen ist und alles weh tut. Aber nach den ersten zwanzig Kilometern geht es wieder, dann bist du warm und der Körper schüttet wieder Glückshormone aus. Ansonsten braucht man unbedingt eine Sonnenbrille und Nerven. Musik ist auch wichtig. Wir haben ein Sponsoring von Ultimate Ears gehabt, von denen haben wir mehrere Bluetooth-Boxen bekommen. Die kann man auch koppeln, das ist geil. Der in der Mitte ist der DJ, vier Boxen fahren drumherum und du hast eine Beschallung von allen Seiten.