Präkrastination: Der Drang, alles sofort erledigen zu wollen – ist das wirklich sinnvoll?

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25. März 2024

Was hinter Präkrastination wirklich steckt, und was dagegen hilft.

Wir alle sind mit Leitsätzen wie „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ aufgewachsen und mögen das Gefühl, Aufgaben von unserer To-Do-Liste streichen zu können. Manche Menschen – sogenannte Präkrastinierer*innen – haben einen besonderen Hang dazu, die Dinge sofort zu erledigen. Aber ist das wirklich immer eine sinnvolle Herangehensweise? Wir haben mit Saskia Bülow, Wirtschaftspsychologin und zertifizierter systemischer Business Coachin, über Präkrastination und einen gesunden Umgang mit Zeitmanagement gesprochen.

Menschen, die zum Präkrastinieren neigen, geraten in einen Aktionismus, ohne, dass Dinge klar sind.

femtastics: Wie definierst du Präkrastination und wie grenzt es sich von Prokrastination ab?

Saskia Bülow: Man kann sich das wie eine Skala vorstellen, bei der an einem Ende die Präkrastination und am anderen Ende die Prokrastination, die „Aufschieberitis“, steht. Die meisten Leute befinden sich auf der Skala irgendwo dazwischen, haben aber eine gewisse Tendenz.

Menschen, die zum Präkrastinieren neigen, geraten in einen Aktionismus, ohne, dass Dinge klar sind. Ich erledige die Aufgaben ohne Druck und Notwendigkeit, sondern einfach nur, weil sie mir in den Sinn gekommen sind.

Dabei wird nicht reflektiert: Hat es Sinn, damit jetzt schon anzufangen? Kann ich das schlauer lösen? Es muss alles sofort erledigt werden, um es aus dem Kopf zu haben. Jeder neue Punkt wandert unmittelbar auf die To-Do Liste, es entsteht ein innerer Zwang, diese abzuarbeiten. Von außen wirkt dies häufig wie besonderes Engagement, dahinter steckt aber eine Art Arbeitswut.

Oft neigen Menschen mit einem hohen Mental Load dazu, zu präkrastinieren.

Wo liegen die Ursachen für Präkrastination?

Oft neigen Menschen mit einem hohen Mental Load dazu, zu präkrastinieren. Sie wollen die Dinge abhaken, da sie sowieso schon vieles im Kopf haben. Es gibt auch Studien dazu, die zeigen: Je mehr ich sowieso schon kognitiv verarbeiten muss, desto stärker neige ich zum präkrastinieren.

Experimente aus der Psychologie zeigen, dass es in der Natur verankert ist, lieber zu handeln, statt zu überlegen, ob es sinnvoll ist. Tiere zeigen in Versuchen dasselbe Verhalten. Es lässt sich zurückführen auf „Survival of the fittest“. Es könnte früher ein Überlebensvorteil gewesen sein, beispielsweise rechtzeitig anzufangen, Nahrung zu sammeln, statt abzuwarten bis beispielsweise eine Frucht weiter gereift ist. Dieses strategische Überlegen gab es damals nicht. Es war wichtig, sich um die Dinge zu kümmern. Präkrastination scheint ein Überbleibsel davon zu sein.

Eine weitere Erklärung aus der Psychologie ist der „Mere Urgency“-Effekt. Wenn Zeit eine Rolle spielt, also wenn Deadlines da sind, dann vergisst man häufig, sich zu fragen, ob eine Aufgabe wirklich wichtig ist. Darüber hinaus lässt sich sagen, dass viele Menschen, die präkrastinieren, sich damit am Arbeiten halten, um nicht über bestimmte Dinge nachdenken zu müssen. Sie stürzen sich in die Arbeit, um sich nicht mit gewissen Themen auseinandersetzen zu müssen.

Was sind die negativen Auswirkungen des Präkrastinierens?

Menschen, die viel präkrastinieren, müssen aufpassen, dass sie nicht in eine Stressbelastung hineinrutschen. Präkrastination gilt als Vorstufe des Workaholismus sowie Burnouts. Präkrastinierer*innen gönnen sich kaum Pausen, machen viele Überstunden und versuchen alles durchzutakten. Selbst Urlaube werden effizient gestaltet, um möglichst viel zu erleben und bloß nicht rumzuhängen. Es gibt eigentlich keine Tage, an denen man gar nichts macht. Außerdem bleibt das erhoffte Belohnungsgefühl häufig aus, denn sobald eine Aufgabe erledigt ist, hat man bereits die nächste im Kopf.

Beim Präkrastinieren geht zudem häufig Produktivität verloren – beispielsweise, weil ich bereits mit einer Aufgabe anfange, bevor ich klare Vorgaben habe. Dadurch, dass ich Sachen schnell vom Tisch haben möchte, passieren auch eher Fehler.

Präkrastination gilt als Vorstufe des Workaholismus sowie Burnouts. Präkrastinierer*innen gönnen sich kaum Pausen, machen viele Überstunden und versuchen alles durchzutakten.

Gibt es gute Seiten an der Präkrastination?

In der Regel freuen sich Chefs sehr über diese Eigenschaft – außer, sie sind perfektionistisch. Der Aufstieg auf der Karriereleiter ist in der Regel sehr wahrscheinlich, weil Präkrastinierende immer liefern und nie zu spät dran sind. Es entlastet das eigene Gewissen und führt zu Stolz, zu wissen, dass man viel geschafft hat. Außerdem kommt es vor Abgabeterminen nie zu Hektik, da die Dinge frühzeitig erledigt sind. Auch das Ablenken von negativen Dingen kann zu einem gewissen Maß ein Vorteil sein. Statt sich in Grübelschleifen zu drehen, arbeitet man es „weg“.

Welche Strategien können Präkrastinierer*innen anwenden, um diese Tendenz abzulegen?

Zunächst muss ich diese Tendenz in mir erkennen und sie mir eingestehen. Anschließend gilt es, aus dem Autopilot Modus rauszukommen und die Dinge zu reflektieren. Ich selbst kenne es von mir: Wenn ich mir keinen klaren Plan mache und mir überlege, was Priorität hat, dann komme ich in einen Modus, in dem ich alles gleichzeitig machen möchte. Ich trickse mich da selbst aus, indem ich mein Handy bewusst in einem anderen Zimmer lasse oder mein E-Mail-Programm nicht öffne.

Was mir auch hilft, ist eine Erinnerung an „Not-To-Do-Themen“. Das sind Aufgaben, die ich noch nicht erledigen muss und bei denen es sogar schlauer ist, abzuwarten. Für die Kreativität ist es häufig viel hilfreicher, nicht einfach loszulegen. Man muss dieses Abwarten wirklich lernen. Es hilft, ganz klare Grenzen hinsichtlich der Arbeitszeiten zu setzen und diese auch konsequent einzuhalten.

Man sollte das eigene Verständnis von Fortschritt umdefinieren. Präkrastinierende sehen Erfolg darin, möglichst viel wegzuarbeiten. Ein anderes Verständnis von Fortschritt wäre beispielsweise, sinnvollere Dinge zum richtigen Zeitpunkt zu tun.

Präkrastinierende sehen Erfolg darin, möglichst viel wegzuarbeiten. Ein anderes Verständnis von Fortschritt wäre beispielsweise, sinnvollere Dinge zum richtigen Zeitpunkt zu tun.

Wie kann ich lernen, diese innere Getriebenheit und den Drang, immer produktiv zu sein, abzulegen?

Dieser Drang entspringt aus typischen deutschen Tugenden wie: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“ oder „Der frühe Vogel fängt den Wurm“. Viele von uns haben das in ihrer Kindheit gelernt und daraus einen inneren Antreiber entwickelt. Präkrastination wird von außen häufig mit Lob belohnt. Hier muss man sich stark selbst reflektieren und die negativen Gefühle aushalten.

Es geht viel darum, sich zu hinterfragen und zu erkennen, dass man häufig nicht strategisch sinnvoll handelt und man vielleicht vor etwas davonrennt. Dieser Erkenntnis muss man sich stellen und das immer wieder. Es bleibt wohl ein lebenslanger Prozess, bei dem man immer wieder aufpassen muss, nicht in die Falle zu tappen.

Hast du abschließend noch einen Tipp, den du Präkrastinierer*innen mit an die Hand geben würdest?

Mein bestes Tool, um mit meinem eigenen Hang zum Präkrastinieren umzugehen, ist Humor. Ich bin zum Beispiel immer die erste am Flughafen – da haben alle Schalter noch zu. Darüber lachen zu können und nicht zu streng mit sich selbst zu sein, sondern humor- und liebevoll mit sich umzugehen, ist so wichtig. Der innere Kritiker würde dich nur noch mehr unter Druck setzen und als Präkrastinierer*in ist man meist eh schon sehr verbissen. Humor gibt dir die notwendige Leichtigkeit.

Vielen Dank für das spannende Gespräch!

Für alle, die selbst mit Präkrastination, Stress oder Konflikten im Beruf kämpfen, vergibt Saskia Bülow kurzfristig Termin für ihr Business Coaching. Du kannst einfach über ihre Website ein unverbindliches Erstgespräch buchen!


Hier findet ihr Saskia Bülow:

Foto: Adobe Stock

Ein Kommentar

  • Ein großes Dankeschön für das tolle Interview und den daraus entstandenen Artikel zum Thema Präkrastination! So schön, wie ihr meine Tipps und Erfahrungen in den Artikel gepackt habt. Es ist so wichtig, sich bewusst zu machen, warum wir manchmal den Drang haben, alles sofort zu erledigen. Die Erkenntnisse und Ratschläge werden hoffentlich vielen Leser*innen dabei helfen, einen gesünderen Umgang mit ihren Aufgaben zu finden.

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