Es ist eine der großen Fragen unserer Zeit, die sich viele Menschen stellen: Welche Rahmenbedingungen können eine optimale Verbindung von Leben und Arbeit sowie tatsächliche Vereinbarkeit gewährleisten? Wie könnte es aussehen – das perfekte Leben, in dem genug Zeit für Leben, Freizeit, Arbeit, Beziehung und Fürsorge ist? Wie ließe sich das starre Konzept der verschiedenen Orte für Arbeitsplatz und Wohnen aufbrechen? Und gibt es wirklich keine Alternative zu dem Konzept, dass wir unseren Kindern morgens Tschüss sagen und sie erst nachmittags oder abends wiedersehen?
femtastics Autorin Corinna Mamok hat für uns Utopia gespielt bzw. aufgeschrieben. Sie denkt schon lange darüber nach, welchen Stellenwert Arbeit in ihrem Leben hat, wie viele verschiedene Rollen sie tagtäglich erfüllt und wie sich all das viel besser verbinden ließe.
Ich bin der Meinung, dass wir Arbeit und Leben ganzheitlich betrachten sollten.
Wenn ich mir die Frage stelle, wie ich in Zukunft arbeiten möchte, stelle ich mir im gleichen Atemzug die Frage, wie ich in Zukunft leben möchte. Für mich gehören Arbeit und Leben untrennbar zusammen, denn beides beeinflusst sich gegenseitig. Läuft es auf der Arbeit richtig gut, habe ich auch in den restlichen Bereichen meines Lebens mehr Energie. Läuft es hingegen richtig mies, denke ich auch in meiner Freizeit weiter darüber nach. Umgekehrt genauso. Wenn privat alles kacke ist, bringe ich realistisch gesehen keine 110% auf der Arbeit. Ich wünschte es wäre anders, aber so ist es nun mal. Genau aus diesem Grund bin ich der Meinung, dass wir Arbeit und Leben ganzheitlich betrachten sollten.
Ich bin jemand, der gerne arbeitet. Sogar so gerne, dass ich beim Gedanken an drei Wochen Sommerurlaub gemischte Gefühle bekomme. Arbeit ist einfach ein wichtiger Bestandteil meines Lebens, und ich gehe ihr nicht nur wegen des Geldes nach, sondern sie erfüllt mich bis zu einem gewissen Grad. Arbeiten gibt mir Sinn, jedoch nicht ausschließlich.
Um am Ende des Tages wirklich erfüllt zu sein, muss in meinem Alltag auch Platz für meine anderen Rollen sein. Und da ich mich gerade in der Rush Hour meines Lebens befinde, habe ich viele Rollen. Ich bin Mutter, Ehefrau, Freundin, Hundebesitzerin, Tochter, Tante, Fotografin, Autorin u.v.m.. Kurz gesagt, mein Leben ist gerade die meiste Zeit laut, bunt und voll. Und manchmal überfordert mich das. Denn seien wir mal ehrlich, egal wie schön diese vielen Rollen sind, sie bedeuten auch Aufwand. Und immer dann, wenn der Aufwand zu groß ist, frage ich mich, ob das Leben nicht auch anders funktionieren könnte? Mit mehr Spaß und weniger Anstrengung. So kam ich zu der Idee meines persönlichen Utopias und der Frage: Wie sieht denn nun meine optimale Version von Arbeiten und Leben aus?
Ich frage mich, ob das Leben nicht auch anders funktionieren könnte? Mit mehr Spaß und weniger Anstrengung.
Die größte Herausforderung war, mir dieses Gedankenspiel überhaupt zu erlauben. Ich weiß nicht, wie das in anderen Köpfen so ist, aber mein Kopf ist laut. Und er kommentiert solche unrealistischen Ideen gern ab der ersten Sekunde. Dann fallen im inneren Monolog so Sätze wie „Klingt nach einer Sekte“ oder „Das ist nur privilegierter Mist“. Genau diese Sätze sorgen dafür, dass es mir gerade unheimlich schwerfällt, meine Vorstellung von Utopia aufs Papier zu bringen. Denn am Ende sind diese Gedanken wirklich nichts anderes als eine verzerrte, romantisierte Idee einer Zukunft, die es nicht geben wird. Oder vielleicht doch?
In meiner Vorstellung ist Utopia ein Ort, an dem ich als selbstständige Mutter wirklich Beruf und Familie vereinbaren kann, ohne dass es zu einer Zerreißprobe wird. In Utopia gibt es fließende Übergänge zwischen Familie und Arbeit, die sich so natürlich anfühlen wie der Farbverlauf eines Sonnenaufgangs. Ein Ort, an dem man trotz Vollzeitjob mittags mit seinen Kindern zusammen essen oder eine kurze Quality Time genießen kann. Eine kurze Auszeit, nach der jede*r wieder seinen oder ihren Weg geht.
So könnte ich in Utopia nach dieser Familienzeit wieder in Ruhe weiterarbeiten, während meine Kinder unterschiedlichste Freizeitangebote in Anspruch nehmen. Kein Elterntaxi, keine Non-Stop-Unterbrechungen im Homeoffice. Einfach nur leben und arbeiten. Und dann am Ende des Tages unternimmt man noch etwas gemeinsam in Utopia und geht entspannt nach Hause.
Wenn ich von Kindern spreche, rede ich nicht nur über Kleinkinder, sondern vor allem auch über Schulkinder. Denn „oh Wunder“, die brauchen ihre Eltern auch noch. Sie sind zwar schon teilweise selbstständig unterwegs und haben andere Bedürfnisse als Kleinkinder, aber sie brauchen dennoch Betreuung, Unterstützung und Aufmerksamkeit. Und in unseren aktuellen Systemen fallen sie meist durch.
Wenn ein Schulkind überhaupt noch einen Betreuungsplatz bekommt, dann sind diese meist nur „Auffangbecken“, in denen geschaut wird, dass am Ende des Tages noch alle leben. Wobei ich hier keiner Einrichtung an sich die Schuld gebe. Es liegt meiner Meinung nach am generell zu geringen Platzangebot in Kombination mit dem starken Personalmangel. In Utopia wäre das auf jeden Fall anders. Dort würden diverse Menschen aller Altersklassen aufeinandertreffen und sich gegenseitig mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten befruchten. Ich stelle es mir ein bisschen wie in dem Film „Man lernt nie aus“ vor.
Zudem wäre Utopia ein Ort, an dem Kreativität auf Natur trifft, Tiere inklusive. Und anders als bei normalen urbanen Workspaces läge der Fokus nicht nur auf den Bedürfnissen von Menschen, die online arbeiten und nichts anderes als Meetingräume und schnelles Internet brauchen, sondern es ginge um ein vielfältiges Raumangebot, in dem die unterschiedlichsten Bedürfnisse von diversen Zielgruppen erfüllt werden könnten. Vom Sport bis hin zum Künstleratelier. Mitten im Grünen, fernab von Lärm und Hektik. Einfach ein Ort, an dem man gerne Zeit verbringt.
Wenn ich über Eselwanderungen und Töpfern in der Mittagspause nachdenke, schreit mein Kopf mich wieder mit „privilegiertes Wunschdenken“ an. Vielleicht ist es das, und mit Sicherheit ist diese Version meines Utopias immer noch unendlich eingeschränkt, da sie per se viele Berufsgruppen und Lebensumstände ausschließt. Aber vielleicht regt mein persönlicher Gedankenwirrwarr andere dazu an, über ihr persönliches Utopia nachzudenken und auch darüber zu sprechen.
Ich kann hier nur von meiner Perspektive als arbeitende Mutter im Kreativbereich sprechen, und auch wenn meine Vorstellung vage und vielleicht unrealistisch ist, so hat sie mir dennoch geholfen, Punkte zu identifizieren, die mir auch in der realen Welt dabei helfen besser zu arbeiten. Denn all diese Gedanken über Utopia haben mir zwei wichtige Erkenntnisse gebracht. Erstens habe ich erkannt, welche Faktoren in der Vergangenheit dafür gesorgt haben, dass ich immer wieder eine neue Richtung eingeschlagen habe. Und zweitens haben sie mir gezeigt, dass ich gerade schon wieder nachjustieren muss, um langfristig gut arbeiten zu können.
In Bezug auf Punkt Nummer Eins habe ich festgestellt, dass mich in der Vergangenheit ein Mix aus Arbeitsumfeld (Räumlichkeiten, Arbeitsort, Arbeitsklima, Kundengruppe) und Arbeitsbedingungen (Arbeitszeit, Bezahlung, Tätigkeit an sich) immer in die Flucht geschlagen haben. Mit 16 Jahren stellte ich während eines Ferienjobs fest, dass mich urbane Großraumbüros und die Anonymität eines Konzerns überfordern. Als ich nach meinem Abitur eine Ausbildung als Tierarzthelferin machte, stellte ich fest, dass mir Aufstiegschancen und Weiterentwicklungsmöglichkeiten wichtig sind, genauso wie flexible Arbeitszeiten.
Und als ich mich nach meinem Studium in die Selbstständigkeit stürzte, merkte ich, wie wichtig mir selbstbestimmtes Arbeiten ist, aber auch wie sehr ich Teamarbeit mag. Bei meinem anschließenden Zwischenstopp in einem mittelständischen Unternehmen fand ich heraus, dass die Identifikation mit dem Produkt sowie die Art der Führung und die Einstellung gegenüber Fortschritt wichtig für mich sind. Das bedeutet, um zufrieden im Arbeitsalltag zu sein, muss ich die Chance sehen, Dinge besser machen zu können.
Denn wie sich herausstellte, ist der Drang nach Veränderung eine große Motivation für mich, genauso wie ein inspirierendes Arbeitsumfeld in einer ruhigen Umgebung, am besten mit Natur und Tieren in der Nähe, sowie ein Produkt, mit dem ich mich identifizieren kann, und Arbeitszeitflexibilität sowie selbstständiges Arbeiten, sodass es zu meiner aktuellen Lebensphase mit Kindern passt. Denn schließlich geht es nicht nur ums arbeiten, sondern auch um das Gefühl zu leben.
Und während ich so reflektierte, stellte ich fest, dass besonders ein Punkt aktuell überhaupt nicht befriedigt wird. Der Wunsch nach Teamarbeit. Mir fehlen Menschen an der Seite, die sich für die gleiche Sache begeistern wie ich. Und je älter ich werde, desto wichtiger wird für mich das Gefühl von Gemeinschaft nicht nur privat, sondern eben auch beruflich. Vor ein paar Jahren ging es mir allein darum zu beweisen, was ich alles kann. Jetzt geht es mir darum, einen Sinn in meiner Arbeit zu finden und mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten. Doch gleichzeitig habe ich festgestellt, dass ich keine Führungspersönlichkeit sein will. Ich bin aktuell zufrieden damit, einfach Dinge zu erschaffen. Denn privat habe ich so viel Führungsverantwortung, dass ich im Job ganz platt gesagt gar keinen Bock darauf habe. Vielleicht war das der Punkt, der mir an meiner Version von Utopia so gut gefiel: die Gemeinschaft, das Verantwortung Abgeben und die Entlastung durch die bessere Möglichkeit, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren, gepaart mit den Entfaltungsmöglichkeiten der eigenen Kreativität.
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass mich die Erkenntnis, dass ich mir kein skalierbares Business mit mir an der Spitze wünsche, neu für mich ist. Und dass ich gerade in diesem Moment zum ersten Mal darüber nachdenke, ob die Selbstständigkeit wirklich das Nonplusultra für mich ist. Oder ob es noch eine andere Version von Arbeit und damit auch Leben für mich gibt? Und genau darum geht es letztlich beim Gedankenspiel Utopia: um das Hinterfragen, das Nachjustieren, das Streben nach einem erfüllten Leben und dem besten Weg, um darin zu arbeiten. Nun frage ich euch: Wie sieht euer Utopia aus?
Illustration: Adobe Stock
2 Kommentare
Was für ein herrlich inspirierender Artikel mit so wunderbar treffenden Grafiken.
Eine gute Balance zu halten im Arbeitsleben ist eine tägliche Herausforderung.
Den Akku täglich wieder gut zu füllen ist für mich der wichtigste Schlüssel für eine gute Work-Life-Balance.
Nicht erst im Urlaub.